Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №10/2009

Sonderthema

Das Schicksal eines Kriegsheimkehrers.
Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür

«Hier kommt ein Mann nach Deutschland. Er war lange weg, der Mann. Sehr lange. Vielleicht zu lange. Und er kommt ganz anders wieder, als er wegging. Äußerlich scheint er ein naher Verwandter jener Gebilde, die auf den Feldern stehen, um die Vögel – und abends manchmal auch die Menschen – zu erschrecken. Innerlich – auch. Er hat tausend Tage draußen in der Kälte gewartet. Und als Eintrittsgeld musste er mit seiner Kniescheibe bezahlen. Und nachdem er nun tausend Nächte draußen in der Kälte gewartet hat, kommt er endlich doch noch nach Hause.
Nach Hause? Alles gut? Eben nicht – im Gegenteil.
Ein Mann kommt nach Deutschland. Einer von denen, die nach Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist. Und ihr Zuhause ist dann draußen vor der Tür. Ihr Deutschland ist draußen, nachts im Regen, auf der Straße. Das ist ihr Deutschland.»
Draußen vor der Tür heißt das Theaterstück, das so beginnt. Geschrieben hat es ein Mann, der das Grauen des Zweiten Weltkrieges selbst schwer verwundet nur für kurze Zeit überlebte: Wolfgang Borchert.
Die Gestapo hatte den jungen Nazigegner bereits mehrmals verhaftet und zum Tode verurteilt, ehe er 1941 mit knapp 20 Jahren als Soldat an die Ostfront geschickt wurde.
Todkrank kehrte er nach dem Krieg heim, setzte sich hin und schrieb in nur acht Tagen sein Antikriegsstück Draußen vor der Tür. Es wurde zunächst vom Nordwestdeutschen Rundfunk als Hörspiel gesendet und entfesselte ein derartiges Hörerecho, dass es innerhalb einer Woche dreimal wiederholt wurde.
Wie kaum ein anderer gilt Wolfgang Borchert als das Sprachrohr einer Generation, deren Jugend dem Nazi­regime und dem Krieg zum Opfer fiel.
Beckmann hat die Hölle des Krieges und die Qualen des Gefangenenlagers zwar überlebt, doch als er endlich wieder seine Heimatstadt Hamburg erreicht hat, steht er vor dem Nichts. Voller Verzweiflung stürzt er sich in die Elbe, doch die spuckt ihn wieder aus. Da trifft er auf einen Mann – genannt «der Andere» –, dem er von seinem Elend erzählt.

Beckmann: Ich war nämlich drei Jahre lang weg. In Russland. Und gestern kam ich wieder nach Hause. Das war das Unglück. Drei Jahr sind viel, weißt du. Beckmann – sagte meine Frau zu mir. Einfach nur Beckmann. Und dabei war man drei Jahr weg. Beckmann sagte sie, so wie man zu einem Tisch Tisch sagt. Möbelstück Beckmann. Stell es weg, das Möbelstück Beckmann. Siehst du, deswegen habe ich keinen Vornamen mehr, verstehst du?

Der Andere: Und warum liegst du hier nun im Sand? Mitten in der Nacht. Hier am Wasser?

Beckmann: Ich bin gefallen.

Der Andere: Ach. Gefallen. Ins Wasser?

Beckmann: Nein, nein! Nein, du! Hörst du, ich wollte mich reinfallen lassen. Mit Absicht. Ich konnte es nicht mehr aushalten. Dieses Gehumpel und Gehinke. Und dann die Sache mit der Frau, die meine Frau war. Sagt einfach nur Beckmann zu mir, so wie man zu Tisch Tisch sagt. Und der andere, der bei ihr war, der hat gegrinst. Und dann dieses Trümmerfeld. Dieser Schuttacker hier zu Hause. Hier in Hamburg. Und irgendwo da unten liegt mein Junge. Ein bisschen Mudd und Mörtel und Matsch. Menschenmudd, Knochenmörtel. Er war gerade ein Jahr alt und ich hatte ihn noch nicht gesehen. Aber jetzt sehe ich ihn jede Nacht. Unter den zehntausend Steinen. Schutt, weiter nichts als ein bisschen Schutt. Das konnte ich nicht mehr aushalten, dachte ich. Und da wollte ich mich fallen lassen. Wäre ganz leicht, dachte ich: vom Ponton runter, plumps. Aus. Vorbei.
Beckmann ist eine literarische Figur. Doch so wie ihm erging es unzähligen Soldaten in Wirklichkeit. Halbe Kinder noch, wurden sie eingezogen, lernten an der Front das Töten, mussten mit ansehen, wie ihre Kameraden im Schützengraben verbluteten, entkamen selbst nur knapp dem Tod, um danach in den Gefangenenlagern ein elendes Dasein zu fristen. Diejenigen, die überlebten und oft erst nach Jahren wieder aus der Gefangenschaft zurückkehrten, waren gebrochen.

Beckmann: Heute tun es nur noch Totenlisten mit sechs Nullen, und die Menschen seufzen nicht einmal auf, sie schlafen ruhig und tief weiter. Sie werden mit Zahlen gefüttert, die sie kaum aussprechen können, weil sie zu lang sind. Und die Zahlen bedeuten...

Der Andere: Hör nicht hin, Beckmann...

Beckmann: Hör hin, hör hin, bis du umkommst. Die Zahlen bedeuten: Tote, Halbtote, Granatentote, Splittertote, Hungertote, Bombentote, Eissturmtote, Ozeantote, Verzweiflungstote, Verlorene, Verlaufene, Verschollene. Und diese Zahlen haben mehr Nullen, als wir Finger an der Hand haben!
Was blieb vom Dritten Reich, war eine Bilanz des Grauens: 19 580 000 in Europa gefallene und vermisste Soldaten. 14 730 000 getötete Zivilisten. 9 Millionen in Konzentrationslagern verhungerte, zu Tode gequälte, ermordete Eingesperrte, darunter 5 978 000 ermordete Juden.
15 690 000 Todesopfer in Asien und im Pazifik. Gesamtzahl der Todesopfer: 55 978 000. Dazu kommen: 35 Millionen Verwundete und 3 Millionen Vermisste.
Im Verlauf des Krieges und bei der Kapitulation waren insgesamt 11 Millionen deutsche Soldaten in Gefangenschaft geraten. 7,7 Millionen kamen in die Lager der westlichen Alliierten, 3,3 Millionen in die der Sowjetunion. Viele starben bereits auf den endlos langen Märschen und Transporten, unzählige erlagen den unvorstellbar harten Arbeits- und Lebensbedingungen in den Lagern. Die letzten Überlebenden kehrten oft bis zum Skelett abgemagert, gebrochen an Leib und Seele, erst 1956 aus Russland zurück.
Auch Beckmann war nach dem Fall von Stalingrad in Gefangenschaft geraten.

Beckmann: Drei Jahre haben wir gekriegt, alle hunderttausend Mann. Und unser Häuptling zog sich Zivil an und aß Kaviar. Drei Jahre Kaviar. Und die anderen lagen unterm Schnee und hatten Steppensand im Mund. Und wir löffelten heißes Wasser.
Das Schlimmste war für alle Kriegsgefangenen der Hunger. Und das Zweitschlimmste die Ungewissheit. Lebt die Frau noch, die Eltern? Oder sind sie alle tot? Sie erhielten oft jahrelang keine Nachricht aus der Heimat. Wussten nicht, ob ihr Haus noch stand, erfuhren nicht, dass viele Städte in Schutt und Asche lagen. Und hatten keine Ahnung, wie mühsam ihre Frauen Tag für Tag um das Überleben ihrer Familien kämpfen mussten.
Die meisten Männer konnten sich kein Bild davon machen, unter welchen Bedingungen ihre Familien lebten und überlebten. Und sie hatten Angst, dass ihre Frau zu Hause nicht auf sie warten würde.
Auch von diesen Ängsten spricht Wolfgang Borchert in seinem Stück Draußen vor der Tür.

Beckmann:
Tapfere kleine Soldatenfrau –
ich kenn das Lied noch ganz genau,
das süße, schöne, kleine Lied.
Aber in Wirklichkeit: War alles Schiet!
Die Welt hat gelacht
und ich hab gebrüllt.
Und der Nebel der Nacht
hat dann alles verhüllt.
Nur der Mond hat gegrinst
und der Mond grinst noch
durch ein Loch, durch ein Loch
in der Gardine.
In der Gefangenschaft wuchsen die Erwartungen an die Heimat – und die Hoffnungen. Viele Männer sehnten sich nur noch nach einer aufgeräumten Wohnung, nach Wärme und ein bisschen Geborgenheit. Die Heimkehr war für sie gleichbedeutend mit dem Ende des Schreckens und mit dem Wiederbeginn der Normalität, die scheinbar eine Ewigkeit zurücklag. Und als sie dann endlich wieder nach Hause kamen, da standen sie vor den Trümmern der Städte, den Überresten ihrer Häuser und oft – vor den Scherben ihrer Ehe.

Beckmann:
Als ich jetzt nach Hause kam,
da war mein Bett, mein Bett war besetzt.
Dass ich mir nicht das Leben nahm,
das hat mich selbst entsetzt.
Die Welt hat gelacht
und ich hab gebrüllt.
Und der Nebel der Nacht
hat dann alles verhüllt.
Nur der Mond hat gegrinst
und der Mond grinst noch
durch ein Loch, durch ein Loch
in der Gardine!
Viele Ehen zerbrachen nach dem Krieg. Während die Männer nur überlebt hatten, wenn sie sich bedingungslos unterordneten, fast ihre Identität aufgaben, waren die Frauen im harten Überlebenskampf der Trümmerstädte selbstständiger und selbstbewusster geworden. Manch eine Frau hatte nicht mehr mit der Rückkehr ihres Mannes gerechnet und sich anderweitig getröstet.
Auch Beckmanns Ehe ist zerbrochen, und er weiß nun nicht, wohin. Zu seinen Eltern kann er nicht zurück. Sie, die den Parolen der Nazis blind vertraut hatten, haben sich das Leben genommen, weil sie nicht mit der Schmach und der Schuld leben wollten. In ihrer Wohnung sind jetzt fremde Menschen. So macht sich Beckmann auf zum Haus seines ehemaligen Kommandeurs, der einst in Stalingrad die Angriffsbefehle gegeben und den Tod unzähliger Menschen auf dem Gewissen hat. Beckmann hofft, dass der Oberst ihn von dem schrecklichen Albtraum befreit, der ihn Nacht für Nacht quält.

Beckmann: Der Traum ist nämlich ganz seltsam, müssen Sie wissen. Ich will ihn mal erzählen. Sie hören doch, Herr Oberst, ja? Da steht ein Mann und spielt Xylophon. Er spielt einen rasenden Rhythmus. Und dabei schwitzt er, der Mann, denn er ist außergewöhnlich fett. Und er spielt auf einem Riesenxylophon. Und weil es so groß ist, muss er bei jedem Schlag vor dem Xylophon hin- und hersausen. Und dabei schwitzt er, denn er ist tatsächlich sehr fett. Aber er schwitzt gar keinen Schweiß, das ist das Sonderbare. Er schwitzt Blut, dampfendes, dunkles Blut. Und das Blut läuft in zwei breiten roten Streifen an seiner Hose runter, dass er von weitem so aussieht wie ein General. Wie ein General!
Ein fetter, blutiger General! Es muss ein alter schlachtenerprobter General sein, denn er hat beide Arme verloren. Ja, er spielt mit langen dünnen Prothesen, die wie Handgranatenstiele aussehen, hölzern und mit einem Metallring. Es muss ein ganz fremdartiger Musiker sein, der General, denn die Hölzer seines riesigen Xylophons sind gar nicht aus Holz. Nein, glauben Sie mir, Herr Oberst, glauben Sie mir. Sie sind aus Knochen. Glauben Sie mir das, Herr Oberst, aus Knochen!

Oberst: Ja, ich glaube. Aus Knochen.

Beckmann: Ja, nicht aus Holz, aus Knochen. Wunderbare weiße Knochen. Menschenknochen. Schädeldecken hat er da, Schulterblätter, Beckenknochen. Und für die höheren Töne Armknochen und Beinknochen. Dann kommen die Rippen – viele tausend Rippen. Und zum Schluss, ganz am Ende des Xylophons, wo die ganz hohen Töne liegen, da sind Fingerknöchelchen, Zehen, Zähne. Ja, als Letztes kommen die Zähne. Das ist das Xylophon, auf dem der fette Mann mit den Generalsstreifen spielt.
Doch der Oberst will von den quälenden Träumen seines ehemaligen Untergebenen nichts wissen. Er und seine Familie sitzen inzwischen wieder in ihrem komfortablen Haus, sind wohlhabend und wohlgenährt, als hätte es nie einen Krieg gegeben. Dieser abgerissene, verzweifelte Mann ist ihnen nur unangenehm und lästig.

Beckmann: Irgendwo müssen wir doch hin mit unserer Verantwortung. Die Toten – antworten nicht. Gott – antwortet nicht. Keiner antwortet. Aber die Verantwortung, Herr Oberst. Bei mir sind es nur 11, wie viele sind es bei Ihnen, Herr Oberst? Tausend? Zweitausend? Schlafen Sie gut, Herr Oberst? Dann macht es Ihnen wohl nichts aus, wenn ich Ihnen zu den zweitausend noch die Verantwortung für meine elf dazu gebe? Können Sie schlafen, Herr Oberst? Mit zweitausend nächtlichen Gespenstern? Können Sie überhaupt leben, Herr Oberst? Können Sie eine Minute leben, ohne zu schreien? Herr Oberst? Herr Oberst? Schlafen Sie nachts gut, ja? Dann macht es Ihnen ja nichts aus, wenn Sie so nett sind und sie wieder zurücknehmen, die Verantwortung. Dann kann ich wohl nun endlich pennen, dann kann ich wohl nun endlich in aller Seelenruhe pennen. Seelenruhe, das war es, ja, Seelenruhe, Herr Oberst!
Wolfgang Borchert zeigte erstaunlichen Weitblick und ein gutes Gespür für die Entwicklung der politischen Verhältnisse im Nachkriegsdeutschland. Kaum war der Krieg vorbei, saßen viele Kriegstreiber und führende Nazi-Funktionäre wieder auf ihren alten Posten, kamen erneut zu Amt und Würden. Viele andere wollten einfach nur vergessen. Die Ärmel hochkrempeln und hinein ins Wirtschaftswunder.

Oberst: Nee, mein Lieber. Sie müssen so auf die Bühne, die Menschheit lacht sich ja kaputt, ich hab doch gar nicht geahnt, was Sie für’n Schelm sind. Aber wissen Sie was, nun gehen Sie erst mal runter in die Küche, nehmen Sie sich warmes Wasser, waschen Sie sich, nehmen Sie sich den Bart ab und dann werden Sie erst mal wieder ein Mensch, mein lieber Junge. Werden Sie erst mal wieder ein Mensch!

Beckmann: Ein Mensch? Werden? Ich soll erst mal wieder ein Mensch werden? Ich soll ein Mensch werden? Ja, was seid ihr denn? Menschen? Wie? Was? Ja? Seid ihr Menschen?
Beckmann stürzt davon, sucht den Direktor eines Kabaretts auf und bittet ihn um eine Chance. Doch auch der lässt ihn abblitzen und fertigt ihn mit hohlen Sprüchen ab.

Direktor: Lassen Sie sich erst mal den Wind um die Nase wehen, junger Freund. Riechen Sie erst mal ein wenig hinein ins Leben. Was haben Sie denn so bis jetzt gemacht?

Beckmann: Nichts. Krieg: Gehungert. Gefroren. Geschossen. Krieg. Sonst nichts.

Direktor: Sonst nichts? Ich habe schließlich keinen nach Sibirien geschickt. Ich nicht.

Beckmann: Nein, keiner hat uns nach Sibirien geschickt. Wir sind alle ganz von alleine gegangen. Alle ganz von alleine. Und einige, die sind ganz von alleine dageblieben. Unterm Schnee, unterm Sand. Sie hatten eine Chance, die Gebliebenen, die Toten. Aber wir, wir können nun nirgendwo anfangen. Nirgendwo anfangen.
Selbst Gott, den Beckmann um Hilfe anfleht, versagt. Und jammert.

Gott: Keiner glaubt mehr an mich. Du nicht, keiner. Ich bin der Gott, an den keiner mehr glaubt und um den sich keiner mehr kümmert. Ihr kümmert euch nicht um mich, wer kümmert sich um wen? Ihr habt euch von mir gewandt.

Beckmann: Geh, alter Mann. Sie haben dich in den Kirchen eingemauert. Wir hören einander nicht mehr. Nun schlaf gut, alter Mann. Schlaf weiter so gut. Gute Nacht.
Nach den traumatischen Erlebnissen des Krieges fanden viele Menschen auch im Glauben keine Hoffnung mehr.

Autorin: Hildegard Hartmann
Redaktion: Renate von Walter
© Bayerischer Rundfunk

Der Text ist entnommen aus: http://www.br-online.de