Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №9/2009

Wissenschaft und Technik

Roms perfekte Todesmaschine

Das Kolosseum, in dem Tiere und Menschen zu Zehntausenden starben, sollte die Volksnähe der Kaiser symbolisieren. Der Bau von bestechender Funktionstüchtigkeit ist bis heute unübertroffen.

Fortsetzung aus Nr. 08/2009

Anfang der siebziger Jahre begannen die Arbeiten. Zuerst musste das Gelände um den Kunstsee ausgehoben werden, wohl 30 000 Tonnen Erdreich wurden abtransportiert. Teils konnte als Fundament die Bodenplatte des Bassins genutzt werden, teils legten Arbeiter ein neues Fundament an, es war bis zu vier Meter dick. Die Baustelle war in vier Zonen unterteilt, und jeweils vier Kolonnen begannen gleichzeitig damit, Pfeiler und Mauern hochzuziehen. Ein raffinierter Plan sorgte dafür, dass in jedem Segment immer die Materialien auf Lager waren, die gerade benötigt wurden.
Weil die Arbeiter meist seit Jahren schon in ein und derselben Truppe ihre Sesterze verdienten, waren sie hervorragend eingespielt. Es war gang und gäbe, komplette Teams quasi zu vermieten – eine Struktur, die die Römer von den Griechen übernommen hatten und die bis heute gängig ist.
Das Gestein für die Außenmauern und viele andere wichtige Teile war der nicht allzu harte Travertin. Er wurde nahe Tivoli gebrochen und schon vor Ort maßgerechnet in Quader geschnitten. Großrädrige Karren schafften die Steine ins 40 Kilometer entfernte Rom, auf einer sechs Meter breiten Straße, die eigens angelegt worden war. Daneben kamen Tuff und direkt vor Ort gebrannte Ziegel zum Einsatz.
Freilich, Mauern war nicht alles. Ganze Blöcke des Gebäudes wurden gegossen. Die römischen Handwerker verwendeten Pozzolana, einen braunroten, fein pulverisierten Vulkansand, der mit Kalk gemischt und in speziellen Öfen gebrannt wurde. Das so gewonnene Bindemittel war derartig haltbar, dass erst der Portland-Zement im 19. Jahrhundert eine Verbesserung brachte.
Vespasian starb 79. Im Jahr danach ließ Sohn Titus das dreigeschossige Amphitheater (ein viertes Geschoss kam später hinzu) einweihen – mit 100-tägigen Spielen. Nach der Herrscherdynastie hieß es Amphitheatrum Flavium, manche nannten es Amphitheatrum Novum; der heute gängige Name Kolosseum stammt wohl aus der Zeit des klugen Mönches Beda. Eigentlich ein Treppenwitz der Geschichte, sollte dieser Mammutbau doch genau einem anderen Ziel dienen: die Ära des von den meisten für irre gehaltenen Nero zu überwinden.
Das fertige Amphitheater, 48 Meter hoch, 527 Meter im Umfang, war eine technische Sensation. Unterhalb der 86 mal 54 Meter großen Arena°– ihre Ellipsenform sorgte dafür, dass die Zuschauer dichter am Geschehen sitzen konnten °– lag ein weitläufiges Gewölbe, in dem sich nicht nur Kerker und die Räumlichkeiten für die Gladiatoren befanden, sondern auch eine komplizierte Bühnenmaschinerie. So wurden wilde Tiere mit Liften nach oben in die Kampfstätte transportiert.
Eine Zeitlang war es möglich, die Arena zu fluten, um ein Seegefecht zu simulieren. Riesige Sonnensegel, wohl insgesamt über 10 000 Quadratmeter groß und gehalten von 250 Masten auf dem oberen Gesims, sorgten bei Bedarf für Schatten auf den Rängen. War es zu heiß, dann konnte kühlendes Wasser über die Stufen gespült werden, oder ein duschenartiger Mechanismus versprühte über den Zuschauern Erfrischungen besonderer Art – etwa safrangeschwängertes Nass.
Nur 15 Minuten, und das in drei Zonen (caveae) und 16 keilförmige Segmente (cunei) unterteilte Amphitheater war gefüllt; 80 Eingänge standen zur Verfügung. Das Billett, tessera genannt, beschrieb präzise den Sitzplatz.
Der Kaiser und sein Gefolge saßen natürlich in einer eigenen, luxuriös ausgestatteten Loge, über ihm die Senatoren und die Ritter und sonstige Größen der Gesellschaft. Fast alle Frauen, bis auf die hochverehrten Priesterinnen der Göttin Vesta, mussten auf dem obersten Rang Platz nehmen, also weit weg vom Geschehen.
Innerhalb von nur fünf Minuten war das Gebäude mit seinem intelligenten Treppen- und Korridorsystem leer, selbst in den modernsten Fußballstadien Europas geht es kaum schneller.
Der kapitale Bau fand sofort überall im Römischen Reich seine Nachahmung, in Puteoli oder Verona, in Paris oder Arles und Nîmes. Eine «beispiellose Bauexplosion» sorgte für mindestens 200 solcher Gebäude.
Als Rom seine Macht verlor, war es auch vorbei mit den grausigen Ergötzungen. Letzte Hinweise auf einen Gladiatorenkampf stammen aus dem Jahr 434/5, eine Tierhatz wird noch 523 zur Zeit des oströmischen Kaisers Theoderich vermeldet. Über Jahrhunderte hinweg wurde das Riesengebäude ausgeschlachtet: Holz, Blei und Eisen verschwanden, Travertin und Marmor ließen sich zu Kalk verbrennen, der wiederum für neue Bauten genutzt wurde.
Nun war das Kolosseum fast eine Art Mini-Stadt; in der weitläufigen Ruine siedelten sich Handwerker an, aber auch Anwälte, Geldwechsler und Geistliche – die Bücher der Kirche Santa Maria Nuova, auf deren Grund die alte Lust- und Todesstätte stand, verzeichneten als Bewohner selbst Mitglieder der päpstlichen Kanzlei. Sogar Häuser wurden auf dem Areal gebaut, zweigeschossig, mit Höfen und Gärten.
Fast 2000 Jahre dauerte es, bis das Kolosseum wieder von der Politik vereinnahmt wurde: durch Benito Mussolini, den Hitler-Freund und Oberfaschisten. Il Duce verfügte, das Kolosseum solle in seiner Monumentalität an die Macht römischer Kaiser gemahnen, natürlich deshalb, weil er sich als deren legitimer Nachfolger wähnte.
Was der Tourist heute sieht, ist daher nur eine konstruierte Vergangenheit. Denn um den freien Blick auf dieses Symbol vermeintlich gleicher historischer Bedeutung zu garantieren, mussten – Nero lässt grüßen – ganze Wohnviertel abgerissen werden.

Von Georg Bönisch

Der Text ist entnommen aus: http://www.spiegel.de