Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №4/2009

Sonderthema

Der Satiriker, Moralist und Kinderfreund Erich Kästner

Zum 110. Geburtstag des Schriftstellers

«Die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Sie vergessen sie wie eine Telefonnummer, die nicht mehr gilt. Früher waren sie Kinder, dann wurden sie Erwachsene, aber was sind sie nun? Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch.»

Erich Kästner

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Das Wohnhaus der Familie Kästner in der Königsbrücker Straße von 1900 bis 1910

Er war der scharfsinnig-bissige Analytiker des Zeitgeschehens. Er schrieb Romane und verfasste Epigramme, war Journalist und Lyriker, Lieferant für Kabarettnummern und Drehbuchautor für Kinofilme, Redner und Selbstdarsteller. Er war der geborene Provinzler und überzeugter Großstädter, Beobachter des «lasterhaften Berlins» und Anwalt der kleinen Leute. Er war Kinderfreund und Junggeselle, Pessimist und Lebenskünstler, sentimentaler Ironiker und Chronist der aufstiegsbesessenen Angestellten.
Unermüdlich kämpfte er gegen Krieg und Vergessen, gegen blinden Gehorsam und Spießbürgerlichkeit. Mit satirischem Witz entwaffnete er seine politischen Gegner und ermutigt augenzwinkernd noch heute seine Leser. An seine Mutter schreibt Kästner 1926: «Wenn ich 30 Jahre bin, will ich, dass man meinen Namen kennt. Bis 35 will ich anerkannt sein. Bis 40 sogar ein bisschen berühmt. Obwohl das Berühmtsein gar nicht so wichtig ist. Aber es steht nun mal auf meinem Programm. Also muss es eben klappen! Einverstanden?»

«Die Schule, wo ich viel vergessen habe»
Erich Kästner wurde in der Familie des Sattlermeisters Emil Richard Kästner und seiner Ehefrau Ida am 23. Februar 1899 in Dresden geboren. Die Eltern lebten keineswegs in guten Verhältnissen, jedoch beschloss Ida Kästner, dass es ihr Sohn einmal besser haben sollte, und setzte alles da­ran, dem Sohn eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Der Sohn dankte es mit guten Noten und war – wie er selbst sagt – ein wahrer Musterknabe.
Die vielfältigen Erfahrungen, die der Junge in der Schule machte, haben ihn sein Leben lang geprägt. Und irgendwie könnte man sagen, zeichnete sich schon am ersten Schultag 1906 ab, dass die große Liebe zur Schule unter einem schlechten Stern stehen würde. Stolz trug er morgens seine Schultüte in die Vierte Bürgerschule in der Tieckstraße und mittags zurück nach Hause. Er wollte sie nur eben einer Nachbarin zeigen.
«Meine Mutter öffnete die Tür. Ich stieg, die Zuckertüte mit der seidnen Schleife vorm Gesicht, die Ladenstufe hinauf, stolperte, da ich vor lauter Schleife und Tüte nichts sehen konnte, und dabei brach die Tütenspitze ab! Ich erstarrte zur Salzsäule. Zu einer Salzsäule, die eine Zuckertüte umklammert. Es rieselte und purzelte und raschelte über meine Schnürstiefel. Ich hob die Tüte so hoch, wie ich irgend konnte. Das war nicht schwer, denn sie wurde immer leichter. Schließlich hielt ich nur noch einen bunten Kegelstumpf aus Pappe in den Händen, ließ ihn sinken und blickte zu Boden. Ich stand bis an die Knöchel in Bonbons, Pralinen, Datteln, Osterhasen, Feigen, Apfelsinen, Törtchen, Waffeln und goldenen Maikäfern. Die Kinder kreischten. Meine Mutter hielt die Hände vors Gesicht. Fräulein Haubold hielt sich an der Ladentafel fest. Welch ein Überfluss! Und ich stand mittendrin.
Auch über Schokolade kann man weinen. Auch wenn sie einem selber gehört. – Wir stopften das süße Strandgut und Fallobst in den schönen, neuen, braunen Schulranzen und wankten durch den Laden und die Hintertür ins Treppenhaus und treppauf in die Wohnung. Tränen verdunkelten den Kinderhimmel.»
Tränen wird es im weiteren Schulleben sicher noch öfter gegeben haben. Zwar fehlte Erich keinen Tag in der Schule und brachte immer gute Noten nach Hause, doch enttäuschten ihn mehr und mehr die Lehrer. Er hatte zu Hause Lehrer als Menschen kennengelernt, die lachen konnten und freundlich waren. In der Schule, die er später wiederholt als «Kinderkaserne» bezeichnete, traf er auf Lehrerfeldwebel, die mit dem Rohrstock Wissen und Gehorsam erzwingen wollten.
Selbstständiges Denken war weder gefordert noch erwünscht – zumindest nicht bei den Kindern aus ärmeren Familien, die auf der Volksschule bleiben mussten und nicht eine der höheren Schulen besuchen durften. Ihnen winkte höchstens der Sprung ins Lehrerseminar, in dem Volksschullehrer ausgebildet wurden. Dass Schule auch ganz anders sein konnte, stellte Kästner fest, als er sich aus dem Lehrerseminar, das er von 1913 bis 1917 besuchte, verabschiedete.
Er wechselte auf das Dresdener König-Georg-Gymnasium, wo er 1919 das Abitur mit Auszeichnung machte. Hier traf er Lehrer, wie er sie sich als Kind vorgestellt hatte. Er erlebte zum ersten Mal Professoren, «die sich während des Unterrichts zwischen ihre Schüler setzten und diese, auf die natürlichste Weise von der Welt, wie ihresgleichen behandelten».
In seinem Kinderroman Das fliegende Klassenzimmer hat Kästner 1933 solchen verständnisvollen Lehrern, die durch Persönlichkeit statt Gewalt überzeugen, ein Denkmal gesetzt und in seiner Ansprache zum Schulbeginn mahnt er wohl nicht nur die Schüler kritisch und selbstbewusst zu sein, indem er fordert: «Lasst euch die Kindheit nicht austreiben!», «Haltet das Katheder weder für einen Thron noch für eine Kanzel!», «Nehmt Rücksicht auf diejenigen, die auf euch Rücksicht nehmen!», «Seid nicht zu fleißig!», «Lacht die Dummen nicht aus!», «Misstraut gelegentlich euren Schulbüchern!»

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Erich Kästner im Alter von acht Jahren, Dresden, 1907

«Dann gab es Weltkrieg statt der großen Ferien»
«Der Weltkrieg hatte begonnen, und meine Kindheit war zu Ende» – so schließt Kästner seine Kindheitserinnerungen Als ich ein kleiner Junge war.
Zwar musste er bei Kriegsausbruch 1914 noch nicht selbst in den Krieg, doch näherte sich mit der Front das wirkliche Leben, in dem nicht Zinnsoldaten miteinander kämpfen und umfallen, sondern in dem Menschen verletzt und getötet werden. Klassenkameraden wurden zum Kriegsdienst eingezogen, starben für das Vaterland und ließen ihre Mitschüler unsicher und verängstigt zurück.
So hat es Erich Kästner in dem Gedicht Primaner in Uniform festgehalten. Aber auch in anderen Gedichten spiegelt sich sein Hass auf den Krieg und alles, was damit zu tun hat, wider. In Reime hat er auch seinen Zorn über die menschenunwürdige Behandlung in der Kaserne gefasst. Sergeant Waurich war es, der ihn während der Ausbildung so malträtierte, dass er mit einer Herzkrankheit ins Lazarett eingeliefert werden musste. Und dabei hat Erich Kästner noch Glück im Entsetzen gehabt. Durch den Aufenthalt im Lazarett blieb ihm zunächst die Front erspart, und als er schließlich kriegstauglich ausgebildet war, war der Krieg vorbei.
Die Erfahrungen während der Schulzeit und Kriegsausbildung reichten dennoch aus, um Kästner zeit seines Lebens zu einem erklärten Pazifisten zu machen. Immer wieder hat er in der Weimarer Republik in Gedichten und Artikeln vor dem Krieg gewarnt, der mit der Herrschaft der Nationalsozialisten auf Deutschland zukäme. Tatenlos musste er im Dritten Reich zusehen, wie seine Prophezeiungen Wirklichkeit wurden, z. B. aus dem Gedicht Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?: «Dort reift die Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün. Was man auch baut, – es werden stets Kasernen.»
Dennoch versuchte er stets aufs Neue, die Menschen von der Unmenschlichkeit und Nutzlosigkeit des Krieges zu überzeugen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg warnte er vor neuer Aufrüstung, demonstrierte gegen die Atomwaffen und den Vietnamkrieg. Immer wieder forderte er, sich nicht nur an die Siege und Helden der Kriege zu erinnern, sondern auch an die Opfer, um festzustellen, dass Kriege sinnlos sind und nur Leid bringen.

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Die Mutter Ida Kästner und Erich Kästner als Seminarist, Dresden, 1916

«Haltet das Katheder weder für einen Thron noch für eine Kanzel!»
Nach dem Krieg stand für Kästner fest, dass er nicht einer der Lehrer werden wollte, die auf Grund ihrer eigenen Erziehung zum Gehorsam nur gehorsame und duldsame Schüler erziehen konnten.
In seinen Kindheitserinnerungen Als ich ein kleiner Junge war zieht der Autor ein Fazit aus seiner ersten Unterrichtsstunde als Lehrer: «Ich war kein Lehrer, sondern ein Lerner. Ich wollte nicht lehren, sondern lernen. Ich hatte Lehrer werden wollen, um möglichst lange ein Schüler bleiben zu können. Ich wollte Neues, immer wieder Neues aufnehmen und um keinen Preis Altes, immer wieder Altes weitergeben.» Er wollte auf «einem Gymnasium das Abitur machen und dann studieren», was ihm dank eines Stipendiums der Stadt Dresden und dank des unerschütterlichen Optimismus seiner Mutter ermöglicht wurde.
Frohen Mutes schrieb sich Kästner im Wintersemester 1919 an der Universität in Leipzig für die Fächer Germanistik, Theatergeschichte, Philosophie und Geschichte ein und machte sich zusammen mit seiner Mutter auf die Suche nach einem möblierten Zimmer. Der Lerner begann mit dem großen Lernen, genoss zunächst die Beschäftigung mit den unterschiedlichsten Themen und studierte zwischendurch in Rostock und Berlin.
Schließlich reichten das Stipendium und der Zuschuss der Eltern jedoch nicht mehr aus, um das Studium zu finanzieren. Da passte es gut, dass Professor Köster ihm 1923 eine Assistentenstelle anbot, die zwar gering, aber immerhin bezahlt wurde. Also zog Erich Kästner wieder nach Leipzig, um sein Studium zu beenden.
Die ersten Anzeichen der Inflation machten sich aber auch hier bemerkbar. «Sehr bald konnte ich mir für das monatliche Stipendium knapp eine Schachtel Zigaretten kaufen. Ich wurde Werkstudent, das heißt, ich arbeitete in einem Büro, bekam als Lohn am Ende der Woche eine ganze Aktenmappe voll Geld und musste rennen, wenn ich mir dafür was zu essen kaufen wollte. An der Straßenecke war mein Geld schon weniger wert als eben noch an der Kasse. Es gab Milliarden-, ja sogar Billionenscheine ... Das war 1923. Studiert wurde nachts.»
Der Student schrieb Adressen beim Leipziger Messeamt, stand in den Messehallen und arbeitete als Hilfsbuchhalter bei der Städtischen Baugesellschaft. Daneben studierte er, dichtete und versuchte, seine ersten Texte zu veröffentlichen. Und damit schuf er sich den Grundstein für eine sichere Finanzierung des Studiums und seine Karriere als Journalist und Schriftsteller. Als er 1925 seine Promotionsurkunde erhielt, arbeitete er bereits für verschiedene Redaktionen und konnte seine Mutter vom Redakteursgehalt zu seiner ersten Auslandsreise einladen.

«Die Zeit zu schildern, ist eure heilige Pflicht»
Die publizistische Tätigkeit, die Erich Kästner während des Studiums – sehr zum Unmut seines Professors, der ihn für eine wissenschaftliche Karriere berufen hielt – aufnahm, wird ihn sein Leben lang begleiten.
Seine journalistische Fähigkeit wird es auch sein, die ihm nach dem Untergang des Dritten Reiches einen neuen Start ermöglicht. Immer wird er wie schon in seinen journalistischen Anfängen mit seinen Texten für seine Grundideen eines menschlichen, toleranten und ungezwungenen Miteinanders werben.
Doch zunächst muss auch ein Erich Kästner Lehrjahre durchlaufen, als dritter oder zweiter Redakteur, der von seinen Vorgesetzten angeleitet wird.
So schreibt er als Angestellter des Verlags kurze Texte für Kinderseiten und Magazine der «Neuen Leipziger Zeitung» und des «Leipziger Tagblatts», berichtet über Kulturereignisse und nach und nach auch über das politische Geschehen.
Bei allem, was er schreibt, hält er nie seine Meinung zurück. Da ist es kein Wunder, dass er sich Feinde schafft, die sein Schaffen kritisch beobachten und schließlich froh sind, dass er selbst einen Anlass für eine Kündigung gibt. Ein aus heutiger Sicht lächerlicher und nichtiger Anlass.
Die «Plauener Volkszeitung» hatte 1927 eines seiner alten Gedichte wieder abgedruckt. So weit, so gut – hätten nicht kritische Gemüter in diesem Gedicht, Nachtgesang des Kammervirtuosen, im Beethovenjahr eine Verunglimpfung des gro­ßen deutschen Komponisten gesehen. Kästner verlor seine feste Anstellung als Redakteur bei der «Neuen Leipziger Zeitung» und konnte froh sein, dass er wenigstens eine Korrespondentenstelle in Berlin mit einem geringen monatlichen Gehalt aushandeln konnte.
Dieser Schicksalsschlag entpuppte sich schon bald als Glücksfall. Auf Grund seiner vielfältigen journalistischen Tätigkeit von Leipzig aus – er schrieb freiberuflich u. a. für das «Berliner Tagblatt», die «Dresdener Neuesten Nachrichten», das «Prager Tagblatt», die «Vossische Zeitung» und das «Tagebuch» – fand Kästner in Berlin schnell Anschluss an die Journalisten- und Intellektuellen-Szene. Dadurch war er nicht nur auf den Abdruck seiner Artikel in der «Neuen Leipziger Zeitung» angewiesen, seine Texte wurden vielmehr von allen namhaften Zeitungen jener Zeit veröffentlicht, in der «Weltbühne» ebenso wie im «Tagebuch». Und der «Montag Morgen» bestellte sogar ein wöchentliches Gedicht bei ihm.

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Erich Kästner. Zeichnung von Erich Ohser, 1929

«Ich liebe das Theaterspielen von Herzen, aber als Zuschauer»
Erich Kästners Liebe zum Theater ist wie viele andere Themen, die sein Leben durchziehen, auf Erlebnisse in der Kindheit zurückzuführen. In seinen Erinnerungen schreibt er: «Meine Laufbahn als Zuschauer begann sehr früh, und der Zeitpunkt war ein Zufall. Ich war sieben oder acht Jahre alt, als meine Mutter bei Frau Wähner, ihrer Putzmacherin, eine gewisse Frau Gans kennenlernte und sich mit ihr anfreundete.» Eine der Töchter von Frau Gans spielte leidenschaftlich gern Theater und war froh, wenn sie außer ihrer Mutter und ihrer kranken Schwester Frau Kästner und Erich als Zuschauer hatte.
Durch Hilde Gans kamen Erich und seine Mutter in Kontakt mit richtigen Bühnen und entdeckten schließlich die Dresdener Theater: das Alberttheater, das Schauspielhaus und die Oper wurden bald ein zweites Zuhause für Erich Kästner.
Regelmäßige Theaterbesuche gehören also zu den Dingen, die seine Mutter ihm ermöglicht hat – auch wenn es Steh- oder billige Sitzplätze waren. Der Theatergeschmack konnte sich schon früh bilden, womit eine gute Grundlage für die späteren Theaterkritiken geschaffen war.
Erste Versuche in der schriftlichen Theaterkritik musste und durfte Erich Kästner während des Studiums machen. Einer der Dozenten am Zeitungswissenschaftlichen Institut in Leipzig verlangte von seinen Studenten, dass sie direkt im Anschluss an eine Aufführung eine Kritik verfassten und diese noch in der gleichen Nacht an ihn absandten. Sie sollten sich nicht von der professionellen Theaterkritik beeinflussen lassen. Eine harte, aber gute Schule, in der Erich Kästner wieder einmal erfolgreich war.
Schon während des Studiums befasste sich Kästner auch mit den theoretischen Hintergründen des Theaters, er plante sogar eine Dissertation über Lessings Dramaturgie, musste diesen Plan aber aus finanziellen Gründen aufgeben.
Mit diesen Voraussetzungen traf Kästner 1927 in Berlin ein. Hier konnte er Theaterkritiken üben und seine theoretischen Kenntnisse vertiefen, war er doch Zeitzeuge der ersten Gehversuche des experimentellen Theaters von Max Reinhardt und Erwin Piscator.
War es da verwunderlich, dass in Erich Kästner ein neuer Berufswunsch aufkeimte? Nun wollte er Theaterregisseur werden. Um erste Anschauungen von dieser Tätigkeit zu bekommen, suchte er Kontakt zu Theaterregisseuren, die jedoch abwinkten, sodass er schließlich zu einer List greifen musste: Er wusste, bei welchem Friseur der Theaterregisseur Berthold Viertel sich rasieren ließ, und arrangierte es, dort eines Tages neben ihm zu sitzen. Viertel war von der List und der Frage, ob Kästner bei Proben zuschauen dürfe, so erheitert, dass er ihm die Anwesenheit bei den Vorbereitungen für seine neue Inszenierung erlaubte. Allerdings fand die Lehrstunde in Sachen Theater ein Ende, als eine der Hauptdarstellerinnen Kästner im Theater bemerkte und ihn hinauswerfen ließ.
Danach legte Kästner einen Schwerpunkt seines Theaterschaffens darauf, Theaterstücke zu schreiben. Im Laufe seines Lebens wurde sogar das eine oder andere uraufgeführt und noch hin und wieder inszeniert, z. B. 1948 Zu treuen Händen und 1957 Die Schule der Diktatoren. Doch hauptsächlich beschränkte sich Kästners Theaterpräsenz auf Bühnenfassungen seiner Kinderbücher, allen voran Emil und die Detektive.

«Lasst Euch die Kindheit nicht austreiben!»
Noch bekannter als die Gedichte Erich Kästners sind heute seine Kinderbücher. Und dabei hatte er bei seiner Lebensplanung gar nicht daran gedacht, Geschichten für Kinder zu schreiben. Erst Edith Jacobsohn, die Witwe des «Weltbühne»-Verlegers Siegfried Jacobsohn, regte ihn bei einem Autorentreffen an, für Kinder zu schreiben.
«‹Es fehlt an guten deutschen Autoren›, sagte sie. ‹Schreiben Sie ein Kinderbuch!›
Ich war völlig verblüfft. ‹Um alles in der Welt, wie kommen Sie darauf, dass ich das könnte?›
‹In Ihren Kurzgeschichten kommen häufig Kinder vor›, erklärte sie. ‹Davon verstehen Sie eine ganze Menge. Es ist nur noch ein Schritt. Schreiben Sie einmal nicht über Kinder, sondern auch für Kinder!›
‹Das ist sicher schwer›, sagte ich. ‹Aber ich werd’s versuchen.›
Fünf, sechs Wochen später rief Edith Jacobsohn bei mir an. ‹Haben Sie sich die Sache durch den Kopf gehen lassen?›
‹Nicht nur das›, gab ich zur Antwort. ‹Ich schreibe gerade am neunten Kapitel.›»
Es war das neunte Kapitel von Emil und die Detektive, dem Kinderroman, der in den Werklisten der deutschsprachigen Kinderbuch­autoren kaum einen Nachfolger findet. In alle wichtigen Sprachen der Welt übersetzt, mehrmals verfilmt und für die Bühne inszeniert und Begleiter von mehreren Kindergenerationen war vor allem dieses Buch, das den Ruf Erich Kästners als Kinderbuch­autor begründet hat.
Aber auch ihm muss diese Arbeit Spaß gemacht haben, er brauchte sie sogar als Ausgleich für seine bissigen Appelle an die Erwachsenen.
Hier konnte er seine Kindheitserlebnisse beschreiben und weiterspinnen. Und da er im Herzen Kind geblieben war, traf er trotz seiner pädagogischen Zwischenbemerkungen, die sich fast in allen Kinderbüchern finden, den Ton und das Lebensgefühl der Kinder.
Mit Pünktchen und Anton, Das fliegende Klassenzimmer, Das doppelte Lottchen und Die Konferenz der Tiere gelangen ihm Romane für Kinder, die auch heute noch nicht an Bedeutung und Aktualität verloren haben. Noch immer gehören sie mit Emil und die Detektive zu den beliebtesten Kinderbüchern und noch immer dürfen sich die Verfilmungen hoher Einschaltquoten erfreuen. Welcher deutsche Kinderbuchautor kann das sonst von sich behaupten und selbst international gibt es außer Astrid Lindgren nur wenige, die sich daran messen lassen können.

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«Der Kinderbuchautor», Studioaufnahme von 1930

«Gegen Dekadenz und moralischen Verfall übergebe ich dem Feuer»
Erich Kästner war gerade 34 Jahre alt geworden und auf dem Höhepunkt seines schriftstellerischen Schaffens, da wurde sein Erfolg durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten gebremst.
Seine Kritik am Krieg und seine Klage über die Not der Armen auf der einen Seite und seine Entlarvung der Ausschweifungen der Wohlhabenden auf der anderen Seite erregten den Ärger der neuen Herrscher.
Und so gehörten die Bücher Erich Kästners zu denen, die am 10. Mai 1933 in den Scheiterhaufen geworfen wurden mit Schlachtrufen wie «Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner».
Dekadenz und moralischen Verfall sahen die Nationalsozialisten in einigen Gedichten, aber vor allem in Kästners Roman Fabian. Erich Kästner selbst schreibt in einem – erst nach dem 2. Weltkrieg veröffentlichten – Nachwort des Buches darüber: «Dieses Buch ist nichts für Konfirmanden, ganz gleich, wie alt sie sind. Der Autor weist wiederholt auf die anatomische Verschiedenheit der Geschlechter hin. Er lässt in verschiedenen Kapiteln völlig unbekleidete Damen und andere Frauen herumlaufen. Er deutet wiederholt jenen Vorgang an, den man, temperamentloserweise, Beischlaf nennt. Er trägt nicht einmal Bedenken, abnorme Spielarten des Geschlechtslebens zu erwähnen. Er unterlässt nichts, was die Sittenrichter zu der Bemerkung veranlassen könnte: Dieser Mensch ist ein Schweinigel.»
Solche Literatur konnten die braunen Machthaber aus ihrer Sicht nicht tolerieren, daher wurde sie kurzerhand verboten und verbrannt. Und da Kästner darüber hinaus noch kritische Texte gegen Krieg, Diktatur, Engstirnigkeit, Intoleranz, Unmenschlichkeit geschrieben hatte, blieb er während des Dritten Reichs ständig unter Beobachtung der Nationalsozialisten.
Wie für viele andere Autoren bedeutete auch für Kästner diese Bücherverbrennung einen wesentlichen Einschnitt in Leben und Werk. Er lernt auch aus dieser Erfahrung, setzt sich im weiteren Verlauf seines Lebens vehement gegen jegliche Zensur ein und erinnert immer wieder an die Bücherverbrennung: «Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniformen, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des abgefeimten kleinen Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt. Der Kopf einer zerschlagenen Büste Magnus Hirschfelds stak auf einer langen Stange, die, hoch über der stummen Menschenmenge, hin und her schwankte. Es war widerlich.
Plötzlich rief eine schrille Frauenstimme: Dort steht ja Kästner! Eine junge Kabarettistin, die sich mit einem Kollegen durch die Menge zwängte, hatte mich stehen sehen und ihrer Verblüffung laut Ausdruck verliehen. Mir wurde unbehaglich zumute. Doch es geschah nichts. (Obwohl in diesen Tagen gerade sehr viel zu geschehen pflegte.) Die Bücher flogen weiter ins Feuer. Die Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners ertönten weiterhin. Und die Gesichter der braunen Studentengarde blickten, die Sturmriemen unterm Kinn, unverändert geradeaus, hinüber zu dem Flammenstoß und zu dem psalmodierenden, gestikulierenden Teufelchen.»
1965 musste er eine weitere schmerzliche Erfahrung machen, dass es nun wieder junge Menschen gibt, die Bücher verbrennen, weil sie nicht ihrem Geschmack entsprechen. Und wieder waren seine Schriften unter denen, die am Düsseldorfer Rheinufer von einer Jugendgruppe des «Bundes Entschiedener Christen» verbrannt wurden!

«Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen. Mich lässt die Heimat nicht fort»
«Warum sind Sie in Deutschland geblieben? Warum sind Sie nicht emigriert?» So und ähnlich mögen die Fragen gelautet haben, die Erich Kästner mit seinem Epigramm Notwendige Antwort auf überflüssige Fragen beantwortet hat:

Ich bin ein Deutscher aus Dresden
in Sachsen.
Mich lässt die Heimat nicht fort.
Ich bin wie ein Baum, der –
in Deutschland gewachsen –
wenn’s sein muss, in Deutschland
verdorrt.

Sicher war es nicht nur die sprachliche Verwurzelung in Deutschland, sondern auch die Bindung an seine Mutter und die Sorge darum, was ihr passiert, wenn er emigriert, die ihn bewogen haben, in Deutschland zu bleiben.
Nach dem Zusammenbruch gab Kästner eine weitere Erklärung zu seinem Ausharren ab: «Ein Schriftsteller will und muss erleben, wie das Volk, zu dem er gehört, in schlimmen Zeiten sein Schicksal erträgt. Gerade dann ins Ausland zu gehen, rechtfertigt sich nur durch akute Lebensgefahr. Im Übrigen ist es seine Berufspflicht, jedes Risiko zu laufen, wenn er dadurch Augenzeuge bleiben und eines Tages schriftlich Zeugnis ablegen kann.»
Diese Erklärung rief neue Kritiker auf den Plan, die fragten, wo denn nun das Zeugnis bliebe. Auch darauf antwortet Kästner geduldig und ehrlich: «Ich kapitulierte aus zwei Gründen. Ich merkte, dass ich es nicht konnte. Und ich merkte, dass ich’s nicht wollte. Wer daraus schlösse, ich hätte es nicht gewollt, nur weil ich es nicht konnte, der würde sich’s leichter machen, als ich es mir gemacht habe. So simpel liegt der Fall nicht. An meinem Unvermögen, den Roman der Jahre 1933 bis 1945 zu schreiben, zweifelte ich sehr viel früher als an der Möglichkeit, dass er überhaupt zu schreiben sei. Doch auch diesen grundsätzlichen Zweifel hege ich nicht erst seit gestern. Das Tausendjährige Reich hat nicht das Zeug zum großen Roman.»
Nun, der große Roman ist es nicht geworden, das Nachkriegswerk. Dennoch gibt es viele Texte, die uns authentisch vermitteln, wie das Leben im Dritten Reich verlief, sei es nun die Schilderung der Bücherverbrennung oder der Reichskristallnacht oder der Bericht darüber, dass die Frau seines Freundes Erich Knauf von der Reichsanwaltschaft beim Volksgerichtshof eine Rechnung für die Hinrichtung ihres Mannes erhielt.
Kästner hatte sich mit der Alltagssituation arrangiert, nicht aber mit den Nationalsozialisten. Auch er musste täglich um sein Essen kämpfen, wurde verhaftet und sah sich von Denunzianten und Spionen umzingelt. Es gelang ihm zum Teil auf abenteuerliche Weise, er selbst zu bleiben, zu überleben und gleichzeitig Eindrücke zu sammeln, die uns ein authentisches Bild vom Alltag und von bedeutsamen Ereignissen im Dritten Reich geben, u. a. in Notabene 45.

«Es täte jedem gut, sich gelegentlich im Film agieren zu sehen!»
Erich Kästner kam in den 20er Jahren zum Kulturjournalismus, als die Bilder gerade laufen gelernt hatten. Schon in seinen Rezensionen für die «Neue Leipziger Zeitung» finden sich daher Filmbesprechungen, in denen er sich kritisch mit der künstlerischen und kommerziellen Seite dieses Mediums beschäftigt.
1930 holte ihn der Film auf ganz andere Art wieder ein. Max Ophüls war bei der Suche nach dem Stoff für einen Kurzfilm auf Kästners Manuskript Dann schon lieber Lebertran gestoßen. In acht Kaffeehausnächten überarbeiteten beide gemeinsam den Text in ein Drehbuch.
Für Erich Kästner tat sich damit ein neues Betätigungsfeld auf, das ihm den Lebensunterhalt sicherte und einmal sogar das Leben rettete. Die Filmproduzenten entdeckten nämlich zunächst Kästners Buch Emil und die Detektive für den Film, in kurzer Zeit erschienen Verfilmungen in Deutschland, England und Spanien.
Bei der Umformulierung des Buches in ein Drehbuch stellte sich heraus, dass Kästners Dialoge besonders filmgeeignet waren. Das zog einen internationalen Kästner-Verfilmungs-Boom nach sich. Das Interesse an Drehbüchern mit Dialogen von Erich Kästner stieg. Mit den Einnahmen konnte er die meiste Zeit während des Dritten Reiches seinen Lebensunterhalt bestreiten.
Schließlich bekam er zu Beginn der 40er Jahre sogar das Angebot, das Drehbuch für den UFA-Jubiläumsfilm zu schreiben. Sein Schreibverbot wurde für diesen Auftrag aufgehoben, und er wurde dafür von der Reichsschrifttumskammer ohne Antrag pro forma als Mitglied aufgenommen. Auf Kästners Wunsch hin wurde Münchhausen bearbeitet. Diese Geschichte ermöglich­te es Kästner, die eine oder andere Spitze gegen das Naziregime in den Film einzubauen – getreu dem Motto: wer hören will, der höre. Anscheinend konnte auch Hitler solche Spitzfindigkeiten hören. Aber vielleicht war es auch nur sein abgrundtiefer Hass auf Kästner, der dazu führte, dass dieser noch vor Kinostart des Münchhausen ein generelles Schreib- und Publikationsverbot erhielt.
Seine Filmkollegen ließen ihn aber auch dann nicht im Stich. Im Gegenteil, sie riskierten ihr Leben, um Kästner kurz vor Kriegsende aus Deutschland herauszuschleusen – als Mitglied eines Filmteams, das in Tirol einen Film drehen sollte. Er wurde jedoch nie fertig, weil das Team die Kamera absichtlich ohne Filmmaterial laufen ließ – erste Vorsorgemaßnahmen für die Notzeit nach dem Zusammenbruch!
Auch nach dem Krieg gehörte die Verfilmung seiner Romane selbstverständlich zu Kästners Arbeitsalltag dazu, u. a. wurde Das doppelte Lottchen mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnet.

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Bronzeplastik auf der Mauer des Erich-Kästner-Museums in Dresden

«Wer jetzt an seine gesammelten Werke denkt...»
Die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren Jahre der Hoffnung, dass nun endlich alles besser würde, Frieden, Menschlichkeit und Toleranz siegten. Diese Hoffnung gab Kraft – auch Erich Kästner.
Gleich nach der deutschen Kapitulation zog es ihn nach München, das sich als Treffpunkt der Intelligenz im südwestdeutschen Raum entpuppte. Hier trafen sich Schauspieler, Chansoniers und Autoren, um noch 1945 das Kabarett «Die Schaubude» zu eröffnen – und Erich Kästner war dabei.
In München etablierte die amerikanische Militärregierung auch «Die Neue Zeitung», mit der die jahrelang gleichgeschalteten Deutschen wieder an Politik und Kultur herangeführt werden sollten. Kästner war als Leiter des Feuilletons beteiligt.
In Stuttgart erschien im Rowohlt-Verlag die Jugendzeitschrift «Pinguin», mit der die aktive Umerziehung der jungen Menschen angegangen werden sollte. Erich Kästner war von Anfang an als Herausgeber dabei, veröffentlichte eigene Texte und erreichte, dass die Zeitschrift gelesen wurde, und sei es nur, weil «Erich Kästner der Herausgeber war».
Die Aktivitäten Kästners schienen nach zwölfjähriger Gängelung fast ungebrochen. Er stellte seine wichtigsten gesellschaftskritischen Gedichte in dem Buch Bei Durchsicht meiner Bücher neu zusammen und erinnerte im Vorwort an die Bücherverbrennung 1933, um seinem eigenen Anspruch – Zeugnis abzulegen – gerecht zu werden.
Bald schon erkannte Kästner allerdings, dass viele seiner Hoffnungen sich nicht erfüllen würden. Artikel schienen nichts bei den Menschen bewegen zu können. So gab er 1947 die Redakteurstätigkeit bei der «Neuen Zeitung» und 1948 die Herausgeberschaft des «Pinguin» auf und widmete sich verstärkt dem Kabarett und der Aufarbeitung vorhandener Schriften für die Veröffentlichung.

«Die große Freiheit ist es nicht geworden»
Schärfe und Biss waren von Anfang an grundlegende Elemente von Kästners Gedichten und Texten für Erwachsene. Erst in seinen heiteren Romanen, die während des Dritten Reichs in der Schweiz erschienen, nahm er davon Abstand, um nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft wieder zu seiner gewohnten Schärfe zurückzukehren.
Damit war schon durch seine Gedichte eine Nähe zum Kabarett geschaffen worden, die sich bereits Ende der 20er Jahre in der Mitarbeit bei namhaften Berliner Kabaretts wie die «Wilde Bühne» von Trude Hesterberg und «Die Wespen» von Leon Hirsch und Erich Weinert niederschlug.
Die Hochphase des Kabaretts kam für Erich Kästner jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Er gehörte zu den ersten Textern für die Münchener «Schaubude», das erste Nachkriegskabarett, das zunächst einige seiner älteren Gedichte übernahm und sich schließlich auf neue Kästner-Texte verlassen konnte. Zu den eindrucksvollsten Texten aus dieser Phase zählt noch immer das Marschlied 45, über dessen Resonanz die Interpretin Ursula Herking schreibt: «Als ich den letzten Ton des Marschliedes gesungen hatte, sprangen die Menschen von den Sitzen auf, umarmten sich, schrien, manche weinten, eine kaum glaubliche ‹Erlösung› hatte da stattgefunden. Das lag nur zum kleinen Teil an mir, es war einfach das richtige Lied, richtig formuliert, richtig gebracht, im richtigen Moment.»
Wieder einmal zeigte sich, dass Erich Kästner wie nur wenige andere Autoren den Nerv der Menschen treffen konnte. Leider war dem Kabarett «Schaubude» nur eine kurze Erfolgszeit gegönnt. Wie viele andere kulturelle Angebote wurde es ein Opfer der Währungsreform. Wollten doch die Menschen nach der Reform zunächst ihre leiblichen Wünsche befriedigen, ehe sie Geld für die geistigen ausgaben.
1951 wurde in München erneut mit Unterstützung Kästners ein Kabarett gegründet. Der Titel des Kabaretts sollte zugleich Programm sein: «Die kleine Freiheit». Für dieses Kabarett schrieb Kästner in den ersten Jahren regelmäßig Texte, ehe er sich resigniert zurückzog, um sich doch noch seinen gesammelten Werken zu widmen – die dann auch wirklich zum 60. Geburtstag 1959 zum ersten Mal erschienen.

«Ihr Lob war zwei bis drei Hutnummern zu groß»
57 Jahre war Erich Kästner, als ihm 1956 von der Stadt München sein erster Literaturpreis verliehen wurde. Wenn man bedenkt, dass in diesem Jahr seine größte Schaffenszeit schon lange vorbei war, scheint es verwunderlich, dass er außer einer ehrenden Erwähnung beim Kleist-Preis 1929 noch keine offizielle Anerkennung erfahren hat. Ein Blick auf seine Biografie erklärt dies jedoch, stoppte doch die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 seine Schriftstellerlaufbahn. Gerade zu der Zeit, als er auf ein preiswürdiges Werk zurückblicken konnte, wurden seine Bücher nicht geehrt, sondern verboten und verbrannt.
Umso erstaunlicher ist es, dass nach diesem ersten Preis 1956 plötzlich eine Ehrung der anderen folgte. So konnte Kästner noch miterleben, dass er zu den geachteten Bürgern und geehrten Schriftstellern jenes Landes gehörte, in dem seine Bücher verbrannt wurden und er selbst zwölf Jahre eine unerwünschte Person war. Sein Lebensziel, berühmt und bekannt zu werden, hat er also in jedem Fall noch zu Lebzeiten erreicht.
1957 wurde ihm in Darmstadt der Georg-Büchner-Preis verliehen, für den er sich mit einer Laudatio auf Büchner und einer Erinnerung an die «literarische Feuerbestattung» im Mai 1933 bedankte.
Dem großen Bundesverdienst­­kreuz 1959 folgten 1960 die Verleihung der Hans-Christian-Andersen-Medaille in Luxemburg, ein japanischer Jugendliteraturpreis 1962 und der Literaturpreis der Deutschen Freimaurerloge mit dem Lessing-Ring 1968.
Erich Kästner antwortet auf die Grußreden mit einem Rückblick in Bezug zur aktuellen Zeit. Er erinnert an das Dritte Reich und warnt vor dem Wiederaufleben der NPD, und er mahnt alle ein letztes Mal, Zivilcourage zu zeigen, um den Anfängen zu wehren.
Aber auch außer solchen Preisen werden Erich Kästner einige Ehrenmitgliedschaften zuteil wie die Ehrenpräsidentschaft des PEN-Zentrums (West) – ihm und uns sollte dies vor allem zeigen, dass Erich Kästner einer der großen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts ist.

In memoriam memoriae
Die letzten Jahre Erich Kästners waren nicht nur von Resignation, sondern vor allem von Krankheit geprägt. Am 29. Juli 1974 starb er im Münchner Krankenhaus Neuperlach an dem wenige Wochen vorher diagnostizierten Speiseröhrenkrebs. Seine Urne wurde auf seinen Wunsch hin zu den Klängen des Walzers aus dem «Rosenkavalier» am 5. August auf dem St.-Georgs-Friedhof in Bogenhausen beigesetzt.
Deutschlands Literatur verlor damit einen wichtigen und großen Schriftsteller, der auf der literarischen Klaviatur jede Tonart beherrschte. Und einen der versiertesten Streiter für Frieden und Menschlichkeit.
Hermann Kesten, Kästners Schriftstellerfreund seit den zwanziger Jahren, hielt die Grabrede bei seiner Beerdigung und stimmte in seinen Worten mit vielen überein, die um Erich Kästner trauerten: «Ich bin froh, dass ich auch Kästners Bücher und den Autor Kästner und den guten Freund, der Kästner war, und den unerschrockenen Weltfreund und Weltbürger, den witzigen Kritiker seiner Landsleute gerühmt habe, 1927 in Berlin, und dass er es mir leicht gemacht hat, ihn und sein Werk ein Leben lang zu rühmen, denn er ist sich treu geblieben, ein Leben lang, und sein Talent wie sein Werk bewiesen vom Beginn bis zum Ende, dass er einer der großen deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts ist, rar durch seinen Witz und seine Anmut, durch seine unbestechliche Strenge eines verschmitzten und heiteren Moralisten, durch die Toleranz eines vorurteilslosen Menschenfreundes, durch seine spielerische und fehlerlose Meisterschaft der Sprache. Er war ein Satiriker mit Herz, ein Kinderfreund, der nie kindisch wurde, ein verzweifelter Optimist, der nie zu lachen vergaß, ein Spötter mit Sentiment, einer der klügsten Sprecher unseres Jahrhunderts, ein legitimer Sohn des Jahrhunderts und ein Bastard, aber ohne den Närrischkeiten und Fehltritten der Epoche nachzugeben.
Kästners Einfluss auf seine Kollegen und der Gewinn, den seine Kollegen daraus gezogen haben, dass er ihr Sprecher war vor Deutschen und vor aller Welt, ist sehr bedeutend. Wer hätte besser diese Aufgabe erfüllt von den deutschen Autoren, die in Deutschland geblieben waren, nämlich wieder literarische Achtung und moralisches Ansehen in aller Welt zu schaffen, als Erich Kästner?»

Der Text ist entnommen aus: http://www.kaestner-im-netz.de
http://www.exil-archiv.de