Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №2/2009

Wissenschaft und Technik

Entdecker, die eigentlich Hochstapler waren

Sie wollen am Nordpol gewesen sein, Indien entdeckt oder alle Ozeane durchmessen haben – aber sie haben geschwindelt, dass sich die Planken bogen. Einem Gernegroß glaubt noch heute alle Welt.

Fortsetzung aus Nr. 01/2009

Geld, Ruhm, ein Platz in den Geschichtsbüchern – der Triumph heiligt die Mittel
Kolumbus entwickelt mit seinem Bruder Bartholomäus, Kartograf am portugiesischen Hof, einen riskanten Plan: Heimlich schafft Bartholomäus eine Kopie der Karte nach Spanien – ein Geheimnisverrat, auf den damals die Todesstrafe steht – und setzt sich 1489 zu seinem Bruder ab. Dort verfälscht er die Entfernung zwischen Lissabon und der Ostküste Chinas, sodass eine Reise nach China auf dieser Route fast unmöglich erscheint. Mit eben jener Fälschung gelingt es, das Königshaus und die Bank San Giorgio in Genua zur Finanzierung der Reise zu gewinnen. Die «Entdeckung» Amerikas durch Kolumbus gründet also auf Fälschung und Betrug.
Die Geschichte rächt sich an Kolumbus, indem er bis zu seinem Tod gar nicht weiß, dass er Amerika erreicht hat. Aber entdeckt war es sowieso schon vorher. Erst der Florentiner Amerigo Vespucci kommt zu dem Schluss, Kolumbus’ Reisen hätten nicht an die Ostküste Asiens, sondern zu einem neuen Kontinent geführt.
Allerdings verschweigt er – im Stil der Zeit, auch nicht eben gentlemanlike – seine Erkenntnis und lässt sich erst einmal selbst als Entdecker feiern. Was ihm, obwohl sich der Name Amerika bis heute beharrlich hält, auch nicht zusteht. Rund 500 Jahre zuvor war bereits der Wikinger Bjarne Herjólfsson dort gewesen.
Vielleicht ist es ja nicht gerecht, aber gemeinhin legt man bei Entdeckern und Forschern höhere Maßstäbe an als bei jenen, die nur zur Unterhaltung über ihre Reisen schrieben. Natürlich bewegten sich die frühen Reiseschriftsteller oft auf einem schma­len Grat. Ein journalistischer Kodex war noch nicht gefunden, und so war es an der Tagesordnung, der Würze halber Details hinzuzudichten, ein wenig auszuschmücken, wenn die Realität zu dürftig erschien, großzügig zu erfinden, wenn es dem Ergebnis diente. Heute ist man eher geneigt, nachsichtig zu schmunzeln, wenn etwa der Franziskanermönch John of Marignolli in einem Reisebuch des
14. Jahrhunderts, das er über den Nahen Osten schreibt, mit erstaunlicher Zielgenauigkeit ausgerechnet über Adams Haus gestolpert sein will, in das sich der erste Bewohner der Erde zurückgezogen hatte, nachdem er aus dem Garten Eden vertrieben worden war. Außerdem will er seinen Fußabdruck gefunden haben und einen ganzen See aus Tränen des reuigen Paares Adam und Eva.
Doch seine Schilderungen sind nichts im Vergleich mit dem, was sein Kollege John Mandeville aus den exotischen Ländern der Welt zusammenträgt. Dabei gibt es eigentlich nur sehr wenig, was man über John Mandeville – auch Jean, Jan, Hans, Maundeville, Montevilla oder Mandavilla – mit Sicherheit weiß. Durch mehrere Quellen bestätigt ist: John Mandeville hieß eigentlich Jean de Bourgogne genannt à la Barbe, der Bärtige, und er war Engländer. Lange Zeit gilt er als der Reisende des Mittelalters, der 1356 das erfolgreichste Reisebuch seiner Zeit verfasst.
Neben dem Heiligen Land, das er 1322 für eine Pilgerfahrt bereist, führen ihn seine Wege unter anderem nach China, Indien, Java und Sumatra – eine Behauptung, an der die «Encyclopædia Britannica» und das «Dictionary of National Biography» später erhebliche Zweifel anmelden. Sir John Mandeville ist eine mysteriöse Persönlichkeit, eine Mischung aus Fantast, Schelm und Gelehrtem. Zu seiner Zeit nimmt man ihn jedoch nicht minder ernst als Marco Polo. Allerdings lesen sich seine Reiseschilderungen bei Weitem schmissiger. Lange glaubt man Mandeville, wenn er von dem Reich Abthas fabelt und einer Provinz Buonavison, die niemand zu betreten wagt, weil sie ganz mit Nebel bedeckt ist, aus dem nur manchmal Pferdewiehern und Hähnekrähen klingt; von einem gewaltigen Sandmeer, in dem Fische leben; vom Tal der Gefahren am Strome Frison, das voll von Dämonen und bösen Geistern ist; von der Insel Fracan, deren Bewohner sich vom Duft wilder Äpfel ernähren; von einem Großchan, der sich zehntausend Elefanten und zehntausend Adler in goldenen Räumen hält.
Doch heute ist sicher: Der große Reisende hat Europa nie verlassen. Durch aufwendige Quellenstudien konnte schon im 19. Jahrhundert nachgewiesen werden, dass Mandeville keine einzige der geschilderten Episoden selbst erlebt hat. Allerdings weiß man inzwischen recht genau, welche Werke ihm als Vorlage dienten. Mandevilles Reisen fanden in der Bibliothek statt. Indem er die verschiedenen Berichte über den Orient sinnfällig zusammenleimte, gelang es ihm, dass sein tolldreistes Buch durch mehrere Jahrhunderte hindurch als das erhabene Zeugnis eines kühnen, gewaltigen Geistes betrachtet wurde.

Je ferner, je unbekannter, desto besser
Drückt man ein Auge zu, kann man es natürlich auch anders sehen: Sein Bericht ist nichts weniger als eine Zusammenfassung des damaligen Wissens über die Welt, die Summe aller Reiseberichte des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts und damit gewissermaßen eine Enzyklopädie des Reisens im Spätmittelalter.
1875 hatte man bereits ganz gute Vorstellungen von der Geografie der Welt, wer jetzt Unüberprüfbares behaupten wollte, musste sich weit weg begeben, zum Beispiel nach Neuguinea im Westpazifik. Und ein Mann, der darüber zu berichten wusste wie kein anderer, war Captain J. A. Lawson, der seine ungeheuerlichen Streifzüge ins Innere der zweitgrößten Insel der Welt immerhin beim renommierten Londoner Verlag Chapman and Hall veröffentlichte. Lawson macht hier nach eigenen Angaben in nur sieben Monaten mehr Entdeckungen als jeder andere zuvor: Er findet einen Wasserfall, riesiger als die des Niagara, einen Vulkan, weitaus höher als der Ätna, etliche Gebirge, die er durchstreift, und zwei gewaltige Flüsse, die er mit patriotischem Gestus «Royal» und «Gladstone» nennt. Als er einen Gipfel besteigen will, den er als fast 1200 Meter höher beschreibt als den Mount Everest, sieht er sich gezwungen umzukehren, da, wie er bildhaft beschreibt, Blut aus seiner Nase und den Ohren zu sickern beginnt. Eine Feststellung, die er, wäre sie wahr gewesen, wohl mit seinem Leben hätte bezahlen müssen.
Ein Jahr nachdem jene spektakulären Wanderungen veröffentlicht wurden, publiziert ein französischer Segler, Louis Trégance, seine Abenteuer in Neuguinea, das sich damals wegen seiner weitgehenden Unbekanntheit offenbar als besondere Spielwiese der Fantasie anbietet. Er gibt an, dass er an der Nordküste zusammen mit zwei anderen Seeleuten schiffbrüchig wird, die von Kannibalen auf Steinplatten lebendig gekocht werden. Er wird gerettet von einem freimaurerischen Priester, überquert die Küsten und endet in einem Königreich, K’ootar genannt, wo die Soldaten – fremde Länder, fremde Sitten – Schilde aus purem Gold tragen. Fünf Jahre lebt er als Sklave in Goldminen, bevor es ihm gelingt, unter Todesgefahren zur Küste zu fliehen. So etwas liest sich bis heute spannend und fand schon damals seine sensationshungrigen Leser.
Eigentlich gebührt Frederick Albert Cook ein eigenes Kapitel, denn niemand anders als er hat mehr Anrecht auf den Titel «König der Hochstapler». Der deutschstämmige Arzt und angebliche Arktisentdecker wurde bereits 1909 als Betrüger entlarvt. 1906 will er der Erste gewesen sein, der den Gipfel des Mount McKinley erreicht hat, zwei Jahre später behauptet er dasselbe über den Nordpol. Doch weder hat er den höchsten Berg Nordamerikas bestiegen noch je den Nordpol erreicht. Dabei genießt Cook lange Zeit höchstes Ansehen. 1898 bis 1899 hat er wesentlichen Anteil am Überleben einer im Südpoleis festgefahrenen Expedition, indem er die Crew überzeugen kann, rohes Fleisch zu essen. Während des Winters im Eis erfindet Frederick Cook verbesserte Schutzbrillen, entwickelt ein Tranlicht und konstruiert Zelte. Im Jahr 1900 gibt er sein Buch über die Expedition «Belgica» heraus, mit dem er berühmt wird.
Cook hat sich mit diesen beiden Expeditionen in Grönland und in der Antarktis einen weltweit guten Ruf erworben, den er bald zu ruinieren beginnt: Nachdem Cook seine Besteigung des Mount McKinley mit einem Foto belegt, auf dem er und seine Bergsteigergruppe eine Flagge hissen, wird er von der National Geographic Society geehrt. Doch bald kommen Zweifel auf, weil sich auf dem wirklichen Berg eine sechs Meter dicke Eisschicht befindet, Cooks Belegfoto überraschenderweise jedoch komplett eisfrei ist. Spätere Nachforschungen ergeben, dass Frederick Cooks Gruppe sich auf einem Gipfel weit unterhalb des Mount McKinley auf nur 2000 Meter Höhe befunden hat und er, um ein wenig Glanz in eine eher glanzlose Tat zu bringen, seinen Bergführer bestochen hat. Der sagt allerdings bald mit einer eidesstattlichen Erklärung zu Cooks Ungunsten aus.
Im selben Jahr, 1908, geht Cook, auch um sich weiteren Fragen nach dem gefälschten Foto zu entziehen, auf große Tour: Der Nordpol ist sein erklärtes Ziel. Mit zwei Inuit unternimmt er eine längere Wanderung in der Arktis. Für das Vorhaben entwickelt er einen leichten Spezialschlitten, der auch als Boot gebraucht werden kann, um Wasserrinnen im Eis zu überwinden. Bei der Rückkehr behauptet er, den Nordpol erreicht zu haben, bleibt aber den Beweis schuldig. Sein Rivale Robert Peary, der bei Polexpeditionen acht Zehen durch Erfrieren und Amputation verloren hat, bezichtigt ihn der Lüge und diskreditiert ihn nachhaltig.
Dass Cook in der Arktis unterwegs war, wird heute kaum noch angezweifelt. Allerdings gilt als gesichert, dass er sich dabei niemals dem Nordpol auch nur genähert hat. Hätte er es tatsächlich gewagt, zum Pol zu wandern, wäre er, bei der überlieferten Ausrüstung, mit größter Wahrscheinlichkeit Hungers gestorben. Schon 1910 wird Cook nach Prüfung seiner Aufzeichnungen die Entdeckung des Nordpols aberkannt. Die ebenso beeindruckende wie anhaltende Betrugskarriere Cooks endet, als er in Texas Ölprospektoren übers Ohr haut, wofür er zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wird. Als er 1940, von US-Präsident Franklin D. Roosevelt begnadigt, stirbt, bleibt er als großer Täuscher seiner Zeit in Erinnerung.

Von Andreas Wenderoth

Der Text ist entnommen aus: http://www.zeit.de/2008/39/L-Tellkamp?page=all