Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №14/2008

Sonderthema

Hans Fallada
Zum 115. Geburtstag des Schriftstellers

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Am 21. Juli 1893 kommt in Greifswald in der Familie des Landgerichtsrats Wilhelm Ditzen und seiner Frau Elisabeth nach den Töchtern Elisabeth und Margarete das dritte Kind zur Welt. Es ist der erwünschte Junge, der nach einem Onkel des Vaters den Namen Rudolf und dazu die Modenamen Wilhelm und Adolf erhält.

«Es war ein kräftiges Kind. Die Freude war groß, auch bei den Schwestern. Nur kam leider viel Ungemach hinterher», erinnert sich Elisabeth Ditzen. Mit dem Ungemach sind wohl zunächst nur die Ernährungsstörungen, der anhaltende Gewichtsverlust und die zahlreichen Säuglingskrankheiten gemeint, die der Sohn durchmacht. Rudolf wird unter Schwierigkeiten auf die Welt gebracht, er hat Mühe, die ersten Tage zu überstehen. Er ist von Anfang an das Sorgenkind Nummer eins der Familie – und bleibt es auch nach der Geburt seines Bruders.

Der Junge ist fantasiebegabt und sensibel; eigenes Leid oder Missgeschick verbinden sich mit denen anderer Menschen und werden auf diesem Umweg doch wieder zu eigener Not. Aber selbst wenn sich später die Greifswalder Jahre in der Erinnerung zu einer einzigen «Kette von Unheil und Unglück» verdichten, bleiben noch genügend wirkliche Zwischenfälle, und die Mutter spricht davon, dass er wenigstens dreimal nur mit Mühe dem «Allerschlimmsten» entging.

Die Schuljahre in Berlin
1899 übersiedelt die Familie Ditzen nach Berlin. Ostern 1901 wird Rudolf Ditzen – mit einem Jahr Verspätung – am Schöneberger Gymnasium eingeschult. Dieses Prinz-Heinrich-Gymnasium war ein «sehr feines Gymnasium», wo «in der Hauptsache die Söhne vom Offiziers- und Be­amtenadel, auch die von anderen reichen Leuten die Schulbank drückten».
Schon die allererste Begegnung mit der Schule verläuft symptomatisch und könnte als Symbol für die ganze erfolglose Zeit Ditzens an der Lehranstalt gelten: Der Vater begleitet den Jungen auf seinem ersten Schulweg und führt ihn zum Rektor. Bereits die Tage vor diesem Ereignis waren mit endlosen Ermahnungen und Ratschlägen für höfliches, lernwilliges Verhalten angefüllt. Sie mögen den Widerspruchsgeist Rudolf Ditzens geweckt haben, denn als er dem Rektor gegenübersteht und ihn begrüßen soll, vergräbt er die Hände in den Hosentaschen und bleibt an der Tür stehen, bereit, das Zimmer zu verlassen und in das schützende Elternhaus zurückzukehren. Weder die sanften Ermahnungen noch der drohende Blick des Rektors können seinen Eigensinn brechen. Der Rektor entlässt Rudolf mit der finsteren Prophezeiung: «Dich werden wir schon zurechtkriegen!»
Als Rudolf am nächsten Morgen zum Unterricht kommt, sieht er die neugierig-spöttischen Blicke der Mitschüler auf sich gerichtet. Er ist – nach Auftreten und Kleidung – ein Außenseiter am Prinz-Heinrich-Gymnasium und bleibt es auch fortan.
Die Schultage werden für ihn zur Qual, er ist die Zielscheibe des Gespötts von Schülern und Lehrern. So wie er ist, passt er nicht in den Rahmen, seine Frisur ist nicht modisch genug, denn der Fransenschnitt ist längst aus der Mode gekommen, und die geflickte Hose entspricht auch nicht gerade dem damaligen Trend. Rudolf wird von seinen Lehrern als unbegabt abgeurteilt, weint in der Schule bei jeder Gelegenheit, ist den Torturen seiner Klassenkameraden nicht gewachsen, gilt als Pechvogel und Versager. Rudolfs Eltern reagieren mit Unverständnis und leeren, nutzlosen Trostworten. Seine Lernleistungen liegen unter dem Klassendurchschnitt, zweimal wird er nicht versetzt und muss eine ganze Klassenstufe wiederholen und wechselt zum Bismarck-Gymnasium. Es war der vergleichsweise harmlose Anfang einer Rolle, aus der er sich nie wirklich befreien sollte.
Rudolf gewöhnt sich an den Gedanken, dass er keine Hilfe von außen erhalten wird und mit seinen Sorgen allein fertig werden muss. Die Schule wird für ihn zum Albtraum, der ihn auch nachts verfolgt. Er nutzt jede Gelegenheit, einen Schultag auszulassen. Da er oft krank ist, geschieht das häufig.
In diesen einsamen Stunden erschließt sich Rudolf den Zugang zu einer anderen Welt: der Welt der Bücher. Nach den gemeinsamen Familienleseabenden in Greifswald hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als selbst auch lesen zu können und nicht von den zugeteilten Leserationen seines Vaters abhängig zu sein.
Er las in jeder freien Minute, seine Eltern beobachteten diese Neigung, soweit sie es überhaupt bemerkten, mit Sorge. Der Mutter machte vor allem der labile Gesundheitszustand des Jungen Kummer; der Vater versuchte vergeblich, dem Jungen den Lesestoff zuzuteilen und dadurch den Zusammenhalt mit den Altersgenossen zu fördern. Rudolf fand im Bücherschrank seines Vaters schier unübersehbare neue Abenteuer, die ihn weitaus mehr fesselten, als die Suche nach eigenen Erlebnissen.

Das Leben in Leipzig
Am 21. März 1909 übersiedelt die Familie Ditzen von Berlin nach Leipzig. Ab Ostern 1909 soll Rudolf – vorausgesetzt, dass er die Aufnahmeprüfung am Königin-Carola-Gymnasium besteht – in Leipzig weiterlernen. Um schon zu Ostern in die Sekunda des Carola-Gymnasiums aufgenommen werden zu können, wie es der Vater wünscht, muss er sich einer Prüfung unterziehen. Damit sie nicht in einem skandalösen Debakel endet, hat Wilhelm Ditzen seinem Sohn in den letzten Berliner Monaten Privatunterricht erteilen lassen. Rudolf sieht der Prüfung mit sehr geringen Erwartungen entgegen, aber trotzdem gibt er sich bei der Vorbereitung Mühe.
Aber einen Tag vor der Aufnahmeprüfung erleidet er einen schweren Unfall. Ein Pferdewagen überrollt ihn, als er vom Fahrrad stürzt. Ein Vierteljahr liegt er in der Klinik, noch lange leidet er an den Folgen des Unfalls. Er wird immer mehr zum Einzelgänger und verlässt nur noch selten die elterliche Wohnung. Trost findet er beim Lesen. Sein Lieblingsautor ist Karl May, er liest aber auch Mark Twain, Charles Dickens und Wilhelm Raabe.
Im Sommer 1910 versucht Rudolf, seine Isolation zu durchbrechen. Er schließt sich den Wandervögeln an und unternimmt mit ihnen eine fünfwöchige Hollandreise. Wieder ist er der große Pechvogel, er bekommt Typhus, während alle anderen gesund heimkehren. Erneut muss er für Wochen ins Krankenhaus.

«Schreibe ich denn diese Bücher? Es schreibt sie in mir. Ich muss ja einfach. Ich schreibe, ich schreibe jede Stunde des Tages und des Nachts, ob ich nun an meinem Schreibtisch sitze oder umhergehe, ob ich Briefe beantworte oder hier mit Ihnen rede, alles wird mir zum Buch, eines Tages wird es Buch geworden sein, davon ein Stückchen, und dort eine Miene, und hier die Stühle und Tische und Fenster. Alles in meinem Leben endet in einem Buch. Es muss so sein, es kann nicht anders sein, weil ich der bin, der ich wurde.»

Hans Fallada

Der Junge beginnt in dieser Zeit aufmerksamer in sich hineinzuhorchen, er beobachtet auch die anderen kritischer. Er vergleicht die Eltern, Freunde und Verwandten mit den Gestalten aus seinen Lieblingsbüchern, misst sie an ihnen. Er zieht sich vollends zurück in seine Traum- und Fantasie­welt, verschließt sich nach außen hin ganz und gar. Den Eltern fällt es schwer zu verstehen, was in dem heranwachsenden Jungen vorgeht. Sie sind in der Welt ihrer eigenen Grundsätze, Normen und Anschauungen zu sehr befangen. Zu diesen Eckpfeilern der elterlichen Moral gehört auch, dass sie mit ihren Kindern nie über sexuelle Probleme sprechen. Die Aufklärung der Söhne wird vom Vater kategorisch abgelehnt.
Rudolf Ditzen erkennt mit Schrecken, dass er sich gegen­über dem anderen Geschlecht nicht unbekümmert und natürlich verhalten kann. Wieder stehen ihm dabei seine literarischen Freunde zur Seite. Von ihnen sieht er einen klassischen Lösungsvorschlag ab: den anonymen Brief. Er schreibt an die Eltern eines Mädchens aus der Nachbarschaft, das er kaum kennt, das ihn aber wegen ihrer vornehmen Zurückhaltung nachts in seinen Träumen beschäftigt: «In den Anlagen der Promenade zwischen fünf und sechs Uhr werden Sie den Schüler Ditzen mit Ihrer Tochter Unzucht treiben sehen. Ein Freund des Hauses, der wacht.»
Für einen Moment wird er unsicher. Der Vater des Mädchens ist ein Kollege Wilhelm Ditzens. Aber er schickt den Brief ab; die Bombe ist gelegt. Er geht mit den anderen zur Schule, als wäre nichts geschehen. Er hört gleichgültig auf die Worte der Freunde und Lehrer, kehrt in das Elternhaus zurück und wartet auf die Antwort des Schicksals, das er herausgefordert hat. Als nach dem zweiten Tag immer noch Ruhe herrscht, beschließt er, einen weiteren Brief zu schreiben, dann einen dritten, einen vierten ... Man vergleicht Handschriftproben und kommt der Sache schnell auf den Grund. Reichsgerichtsrat Ditzen und der Vater des Mädchens konferieren lange. Rudolfs Mutter wird hinzugezogen und der Hausarzt Dr. Eggebrecht konsultiert. Der lässt den Jungen in seine Sprechstunde kommen, spricht lange und gründlich mit ihm, und Rudolf überwindet seine Verstocktheit. Gegenüber Dr. Eggebrecht erklärt Rudolf, er habe sich verliebt und im Laufe der Bekanntschaft den unwiderstehlichen Drang ge­habt, das Mädchen, das er liebt, zu verletzen. Er habe die Briefe aus einem Zwang heraus geschrieben. Auf Dr. Eggebrecht macht Rudolf den Eindruck «eines schwer hysterischen Menschen, der in seiner Zurechnungsfähigkeit erheblich vermindert erscheint». Ein langes Gespräch mit dem Vater schließt sich an, in dem der Arzt erklärt: «Die seelische Überreizung Ihres Sohnes hat ihre Ursache in seiner vollkommenen sexuellen Unaufgeklärtheit. Indem er plötzlichen, aus der Pubertät resultierenden Verschiebungen seiner Physis als etwas Rätselhaftem gegenübersteht, zwingen eben diese ständig vermehrten Verschiebungen seine Psyche, sich unausgesetzt damit zu beschäftigen. Diese Überreizung ist bereits derart stark geworden, dass sie in ihren Äußerungen das Pathologische streift, wenn nicht gar schon sehr hierin übergreift.»
Der Vater wertet die Diagnose des Arztes als schweren Eingriff des Arztes in die internen Familien­angelegenheiten. Um weiteren Vorfällen aus dem Weg zu gehen, beschließen die Eltern, den Sohn am Rudolstädter Gymnasium anzumelden.

Das Duell
In Rudolstadt soll Rudolf seine Schulbildung fortsetzen, aber ein folgenschweres Ereignis hindert ihn daran. Rudolfs Hoffnung, durch den Wohnungswechsel seine Zwangsvorstellungen zu besiegen, erfüllt sich nicht. Unklar zunächst, dann immer bestimmter und konkreter entsteht die Idee, einen Menschen töten zu müssen. Ditzen sieht keine andere Wahl mehr, von seinem Wahn freizukommen, als sich selbst zu töten, um Ruhe zu finden. Er spricht mit seinem Freund Hanns Dietrich von Necker darüber und bittet diesen, ihn zu töten. Aber diesen Wunsch kann selbst von Necker nicht erfüllen. Doch die Idee, dass beide gemeinsam aus dem Leben scheiden, lässt sie fortan nicht mehr los. Rudolf erscheint der Gedanke des Doppelmords zunächst abwegig. Wer soll zuerst aus dem Leben scheiden? Wer soll die Kraft haben, sich danach mit derselben Waffe zu erschießen? Aber von Neckers Plan sieht ein Schein­duell mit zwei verschiedenen Waffen vor. Als Termin wird der 17. Oktober, fünf Uhr morgens vereinbart. Schauplatz soll der Uhufelsen mit seiner düster-grusligen Kulisse sein.

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Die Familie Ditzen in Greifswald
(Rudolf 3. v. r.)

Ditzen schießt zuerst und trifft von Necker; um ganz sicher zu sein, schießt er noch einmal mit dem Revolver des Freundes, der schmerzverzerrt am Boden liegt, und richtet dann, ohne zu zögern, den Revolver auf sich und drückt zweimal ab. Dann verliert er das Bewusstsein. Ditzen wird von einem Bauern gefunden und in das nahe gelegene Dorf Eichfeld und von dort mit lebensgefährlichen Verletzungen in das Rudolstädter Krankenhaus gebracht. Hanns Dietrich von Necker ist zu diesem Zeitpunkt schon tot.
Am Mittwoch, dem 18. Oktober 1911, erscheint auf der Titelseite der «Rudolstädter Zeitung» ein groß aufgemachter Bericht über eine «Gymnasiastentragödie». Für Rudolf Ditzen geht mit diesem tragischen Vorfall die Schulzeit zu Ende ohne Abschluss. Er wird des Mordes angeklagt und nur die Zubilligung des § 51, der seine Unzurechnungsfähigkeit bescheinigt, rettet ihn vor dem Gefängnis. Stattdessen wird er für zwei Jahre in die geschlossene Anstalt Tannenfeld eingewiesen. Nur seine Tante Adalaide Ditzen hilft ihm und übernimmt seine Erziehung. Sie ist eine große Literaturliebhaberin und unterstützt die Leseleiden­schaft des Jungen. Durch sie lernt er große Romane der Weltliteratur kennen.
1913 beginnt Ditzen seine Landwirtschaftsschülerausbildung in Posterstein. Im August 1914, unmittelbar nach der allgemeinen Mobilmachung, meldet sich Rudolf Ditzen zur Befriedigung seines Vaters als Kriegsfreiwilliger, obwohl er bereits im März 1913 ausgemustert worden war. Trotz gesundheitlichem Risiko dient Rudolf seinem Kaiser als Soldat beim Train in Leipzig. Er wird aber schon nach 11 Tagen wegen Unzurechnungsfähigkeit entlassen. Noch viele Jahre später erinnert sich Ditzen mit Schrecken daran, wie er «ob seiner Ungeschicklichkeit abgekanzelt und schikaniert wurde».

Der Schriftsteller Hans Fallada
Am 1. Oktober 1915 tritt Ditzen eine Stelle als Rendant auf einem Gut in Heydebreck, Hinterpommern, an. Er schließt seine Ausbildung dort ab und wird 1916 entlassen. Da zu dieser Zeit bereits ein kriegsbedingter Mangel an geeigneten Fachkräften besteht, kann Ditzen wissenschaftlicher Hilfsarbeiter der Landwirtschaftskammer Stettin, dann gar Leiter der dortigen Vermittlungsstelle für Saatkartoffeln werden. Fallada erinnert sich an diese Zeit: «Ich wurde ein Spezialist für Kartoffelzüchtung, in meinen besten Zeiten habe ich rund 1200 Kartoffelsorten nicht nur dem Namen nach gekannt, sondern auch nach dem Aussehen, den Augen, der Form und Farbe der Knollen zu bestimmen gewusst.»
Er macht kein Hehl daraus, dass er vorhat, ein Buch zu schreiben und Schriftsteller zu werden. Er ergreift die erste sich ihm bietende Gelegenheit, die Arbeit in Stettin mit einer ähnlichen in Berlin zu vertauschen, um den großen Zentren der Literatur nah zu sein. Am 15. November 1916 wird er Angestellter einer Kartoffelanbaugesellschaft in Berlin.
An den langen Abenden des Winters 1916 entflieht Ditzen der grauen Welt des Alltags mit ihrem Hunger und Kriegsleid und geht in das «Café des Westens», wo er Geschäftsleute, Künstler, Journalisten und Schriftsteller kennenlernt. Hier trifft auch Ernst Rowohlt die Vorbereitungen für seinen ersten Verlag. Hier lernt Rudolf den Geschäftsmann Egmont Seyerlen kennen, der auch als Schriftsteller schon von sich reden gemacht hat.
Ditzen und Seyerlen fühlen sich spontan zueinander hingezogen. Die gemeinsamen Interessen, die Bekanntschaft mit Rowohlt – all das lässt sie rasch Freunde werden. Bei einem Besuch lernt er Seyerlens Frau Anne Marie kennen, die eine Art Freundin für ihn wird, der er alles anvertrauen kann.
Während Ditzen tagsüber Kartoffeln prüft oder in Eisenbahnzügen zu den Landwirtschaftsbetrieben unterwegs ist, denkt er über die Forderung von Anne Marie nach, die Geschichte seiner Kindheit zu schreiben. Am 24. August 1917 beginnt Rudolf seinen ersten Roman. Held des Buches ist der Gymnasiast Kai Goedeschal, ein sensibler, psychisch labiler Junge, der sich von Eltern und Lehrern unverstanden fühlt. Die autobiografischen Züge sind unverkennbar.
Rudolf setzt sich, um die Geschichte voranzutreiben, ein tägliches Arbeitspensum. Rowohlt, der das Buch erst später liest, folgt einer spontanen Eingebung – seine Freunde nennen es seine «Nase für Literatur» – und ermutigt den jungen Mann zum Weiterschreiben. Vielleicht spürt er, dass in ihm mehr steckt als diese expressionistische Pubertätsgeschichte.
Ditzen sieht den kommenden Ereignissen mit zwiespältigen Gefühlen entgegen. Einerseits ist er stolz darauf, dass bald ein richtiges Buch von ihm erscheint. Andererseits aber fragt er sich, wie die Eltern, Verwandten und Freunde diese Geschichte aufnehmen werden. Er beschließt das Pseudonym «Hans Fallada» anzunehmen, um unerkannt zu bleiben. Der Name stammt aus den Märchen der Brüder Grimm Hans im Glück und Die Gänsemagd, in dem der treue Schimmel Falada erscheint, der immer die Wahrheit sagt: «Dem treuen Schimmelpferd, das da hanget, legte ich noch ein ‹l› zu, und der Fallada war da.» Allerdings erweist sich das Geheimnis um den Autor, der eigentliche Zweck des Pseudonyms, als außerordentlich kurzlebig. Als Fallada seine Eltern in Leipzig besucht, sind diese da­rüber schon informiert.
Fallada trägt sich nun ernsthaft mit dem Gedanken, seine Stellung aufzugeben und freier Schriftsteller zu werden. Da er nicht über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügt, bittet er den Vater um Unterstützung. Der Vater willigt ein.
Die harte Kleinarbeit am Manuskript, das Feilen und Abwägen, Streichen und Vertiefen, ist Fallada zu anstrengend; er verliert bald die Lust dazu. Er lässt sich bei der Kartoffelanbaugesellschaft krankschreiben und bleibt im Bett. Eines Abends kommt Anne Marie Seyerlen zu Besuch, in Begleitung eines jungen Arztes. Sie sagt, dass er bald wieder auf die Beine kommen muss und dass er unbedingt etwas braucht, was ihn auf andere Gedanken bringt. Der Arzt verabreicht ihm Morphium.
Fallada ist seinen «kleinen Tod» gestorben. Immer unwichtiger wird ihm Anne Marie; er hat eine neue Geliebte gefunden: das Gift, das Bilder und Gestalten vorgaukelt. Bald kann auch Rudolf mit der Spritze umgehen, sein tägliches Quantum steigt. Er erfindet immer wieder neue Krankheiten, um eine Dosis Morphium beim Arzt zu erhalten.
Nach dem Tod seines Bruders Ulrich, der in Frankreich gefallen ist, fasst Fallada den festen Entschluss, sich in einem Sanatorium systematisch vom Morphium entwöhnen zu lassen. Im August 1919 meldet er sich in Tannenfeld zu einer Kur an, diese bleibt jedoch erfolglos. Er kehrt nach Berlin zurück.

Wanderung durch Deutschland und das Gefängnis
Als Der junge Goedeschal erscheint, ist der Autor längst nicht mehr Angestellter der Kartoffelanbaugesellschaft in Berlin, er befindet sich zu einer neuen Entziehungskur in Rinteln an der Weser. Diese, wie auch die Aufenthalte in Tannenfeld und Carlsfeld bei Halle, bleiben ergebnislos.
Fallada wechselt in der Folgezeit häufig die Stellen: Im Sommer 1919 ist er in Baumgarten, Pommern; im Herbst 1920 auf einem Lehrgut in der Nähe von Bad Doberan; im Sommer 1922 meldet er sich aus der Nähe von Fulgen; im Winter desselben Jahres arbeitet er auf einem Rittergut in Merzdorf.
Auf den ruhelosen Wanderungen gibt es nur einen Fixpunkt: Gudderitz auf Rügen, der Hof des Freundes Johannes Kagelmacher. Hier, in einem der verträumtesten Winkel der Insel Rügen, fühlt sich Fallada wohl. Er sagt 1924: «Nirgends bin ich so zu Haus.»
Als er 1923 nach Gudderitz kommt, schleppt er noch immer seine Rauschgiftsucht mit. Unter den Leuten auf Kagelmachers Hof findet sich immer einer, der ihm Geld leiht. Kagelmacher versucht, den Freund mit Hilfe von Alkohol von seiner Sucht zu befreien. Die Folge: Fallada ist von beiden abhängig.

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Anna und Rudolf Ditzen. Erste gemeinsame Urlaubsreise.

Fallada ist bei Kagelmacher als Rechnungsführer angestellt und schreibt in seinen freien Stunden an seinem zweiten Buch Anton und Gerda, das in wesentlichen Teilen die Probleme des ersten Romans wiederholt. Fallada hofft mit diesem zweiten Buch die Anerkennung zu finden, die seinem Erstling versagt blieb. Als er den Roman abgeschlossen hat, hält es ihn nicht länger auf Rügen, er verabschiedet sich von dem Freund und setzt seine Wanderung durch Deutschland fort.
Fallada findet eine neue Anstellung als Rendant in Neu-Schönfeld bei Bunzlau in Schlesien. Hier begeht er, um seinen durch Morphium und Alkohol arg strapazierten Etat aufzubessern, eine Unterschlagung. Er verschiebt eine größere Menge Korn an Städter. Rudolf Ditzen wird von einem Schöffengericht in Bunzlau zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt, ohne Bewährungsfrist. Er muss die Strafe auch nicht gleich antreten. Erst ein Jahr später wird er sie verbüßen. In der Zwischenzeit arbeitet Ditzen als Gutssekretär auf dem Rittergut Radach in der Neumark.
1923 ist bei Rowohlt Falladas zweiter Roman erschienen, wieder wird er vom Publikum nicht angenommen. Am 20. Juni 1924 tritt er seine erste Haftstrafe an, er wird sie im Gerichtsgefängnis Greifswald absitzen. So kehrt Rudolf Ditzen als Gefangener in seine Geburtsstadt zurück. Er geht mit dem festen Vorsatz ins Gefängnis, sich «unbedingt anständig» zu betragen, frei von der Sucht nach Morphium und Kokain. Das gelingt ihm auch. Ditzen erhält die Erlaubnis, in seiner Freizeit schreiben zu dürfen. So beginnt er ein Tagebuch, das psychologische Studie und Werkstattbericht in einem ist. Bald fragt er sich, ob es nicht an der Zeit wäre, neben dem Tagebuch auch einen Roman zu beginnen. Und schon am nächsten Tag entstehen die ersten zehn Seiten eines Romans. Aber bereits nach paar Monaten bricht Ditzen sowohl das Tagebuch als auch den Roman ab. Er ist erster Kalfaktor der Strafanstalt geworden und hat zum Schreiben keine Zeit mehr. Die Zeit vergeht schnell. Bald werden sich für Ditzen die Tore des Gefängnisses öffnen.
Nach seiner Entlassung findet Fallada eine Anstellung als Rendant in Lübgust, Kreis Neustettin; kurz darauf in Neuhaus, Holstein. Hier begeht er eine neue Unterschlagung. Am 18. September 1925 stellt er sich selbst der Polizei und wird vom Landgericht Kiel zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Diese zweite Strafe verbüßt er im Zentralgefängnis Neumünster. Während der Haftzeit sind keine nennenswerten Manuskripte entstanden.

Die Wende
Als Fallada im Februar 1928 aus dem Gefängnis entlassen wird, muss er all die Hindernisse überwinden, die sich vor ihm auftürmen: Wohnungssuche, Kampf ums Dasein, neue moralische Gefährdungen...
Hans Fallada ist nun 35 Jahre alt, mittellos, ohne Schulabschluss, ohne Beruf. Er lässt sich nach Hamburg entlassen, da er hofft, in einer Großstadt eher eine Stellung zu finden. Er arbeitet als Adressenschreiber: «Für das Tausend Adressen bekam ich im besten Falle vier Mark ... und so habe ich in diesen doch glücklichen Hamburger Tagen nur einmal die Woche, nämlich am Sonntag, warm essen können, sonst leistete ich mir zum Mittag einen halben Liter Milch und zwei Bücklinge.»
Zweimal in der Woche geht er zu den Logenabenden des Guttempler-Ordens, eines Abstinenzler-Vereins. Hier lernt er den jungen Arbeiter Hans Issel kennen und freundet sich mit ihm rasch an. Um die Miete einzusparen, wohnt er einige Zeit bei der Familie Issel, im Zimmer der Tochter Anna, die für ein paar Wochen zur Kur weg ist. Bald kehrt sie zurück.
Und das ist für Fallada die wichtigste Bekanntschaft seines Lebens: Anna Margarete Issel, von allen Suse genannt, ist 27 Jahre alt und Lagerarbeiterin. Er verliebt sich auf Anhieb in die junge Frau und verlässt kurz darauf Hamburg wieder, um in Neumünster bei der Zeitung «General-Anzeiger zu Neumünster» arbeiten zu können. Seine erste Aufgabe ist es, Abonnenten für diese Zeitung zu finden. Am 5. April 1929 heiratet er Suse in Hamburg. Sie lassen sich standesamtlich trauen.
Ab Januar 1928 kommt es in Schleswig-Holstein zu Massendemonstrationen der Großbauern, auf denen die Forderung nach Agrar- und Steuerreform laut wird. Diese Bewegung hat im Frühjahr 1928 ihren Ausgang bei den Großbauern genommen, die die ständig sinkende Kaufkraft der Städter für Milch, Fleisch und Gemüse am empfindlichsten zu spüren bekommen haben. Im August 1929 kommt es in Itzehoe und Neumünster nochmals zu großen Ansammlungen der Bauern. Diese Ereignisse werden für Fallada zu einem prägenden künstlerischen Impuls: Die Arbeit am Roman Bauern, Bonzen und Bomben beginnt.

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Karikatur von E. O. Plauen

Im Sommer 1929 begünstigt ein Zufall den weiteren Schaffensweg Hans Falladas. Er trifft, bei einem Ausflug mit Suse, unverhofft seinen ehemaligen Verleger Ernst Rowohlt wieder. Dieser holt ihn 1930 zurück nach Berlin und verschafft ihm eine Stellung. Er wird Mitarbeiter des Verlages, Leiter der Rezensionsabteilung. Hier entdeckt Fallada die neuen Schriftsteller der amerikanischen Literatur Hemingway, Lewis und Faulkner, deren deutsche Übersetzungen fast alle bei Rowohlt heraus­kommen. Sie begeistern und beeinflussen ihn.
In den Nachmittagsstunden schreibt er den Roman Bauern, Bonzen und Bomben zu Ende. Aber noch bevor das Buch erscheint, muss der Verlag Konkurs anmelden. Zur Konkursmasse gehören auch 11 000 Mark Zahlungsschulden an Fallada. Er erhält die Kündigung.
Am 14. März 1930 wird der Sohn Ulrich geboren. Unter dem unmittelbaren Eindruck seiner schwierigen materiellen Lage schreibt Fallada innerhalb von 16 Wochen den Roman Kleiner Mann – was nun? nieder, durch den das aufgelaufene Rowohlt-Schiff wieder flott werden soll.
Das Buch ist ein durchschlagender Erfolg. Zu denen, die das Buch wegen seiner Wirklichkeitsnähe loben, gehören Thomas Mann, Carl Zuckmayer, Hermann Hesse, Alfred Polgar, Robert Musil, Peter Suhrkamp. Die exzellente Schilderung des Lebens der Armen macht den Autor in wenigen Monaten zu einem reichen Mann.
Am 30. Januar 1933 kommt Hitler an die Macht und die nationalsozialistische Schreckensherrschaft beginnt. Wie viele Deutsche glaubt Fallada, dass die Nazis bald wieder abtreten werden. Er erkennt nicht, wie gefährlich die Lage ist. Selbst als sich der braune Terror gegen die deutsche Literatur richtet und am 10. Mai 1933 die Werke von 149 Schriftstellern öffentlich verbrannt werden, scheint er sich nicht zu beunruhigen. Sein Name steht nicht auf der «schwarzen Liste», seine Romane können weiter verkauft werden.
Als Suse wieder schwanger ist, zieht die Familie nach Berkenbrück bei Fürstenwalde. Kurz nach dem Umzug, am Ostersonntag 1933, wird Fallada in Berkenbrück von der SA verhaftet. Er wird in Schutzhaft genommen, weil er dringend verdächtig sei, an einer Verschwörung gegen die Person des Führers beteiligt zu sein. Durch Suses und Rowohlts energisches Eingreifen wird Fallada bereits nach 11 Tagen aus der Haft entlassen.
Nach Falladas Freilassung verlässt die Familie Berkenbrück und bezieht ihr neues Domizil mitten in Berlin. Hier fühlen sie sich wieder sicher.

Das Landleben in Carwitz
Am 18. Juli 1933 bringt Suse zwei Mädchen zur Welt, von denen eines tot geboren wird. Das andere erhält den Namen Lore. Während Suse noch im Krankenhaus bleiben muss, kümmert sich Rudolf um ein neues Haus, welches er dann in Carwitz bei Feldberg findet. Hier in Carwitz hofft Fallada auf Frieden, er nimmt es in Kauf, völlig abgeschottet zu leben und für die Welt da draußen gestorben zu sein. Unmittelbar nach dem Kauf des Grundstückes in Carwitz veranlasst Fallada die Arbeiten zum Umbau des Landhauses. Er mietet ein Zimmer im Hotel in Feldberg und setzt dort die Niederschrift des Romans Wer einmal aus dem Blechnapf frißt fort.
Am 9. November 1933 kann Fallada seinem Verleger diesen Roman präsentieren. Noch im selben Monat beginnt er, nun schon im eigenen Haus in Carwitz, ein neues Buch, das den Titel Wir hatten mal ein Kind trägt und dessen Niederschrift am 24. Februar 1934 beendet ist. Ende des Jahres wird es erscheinen.
Sein Blechnapf-Roman wird von der nationalsozialistischen Kritik als «Zuchthauspornografie» abgelehnt. Der NS-Schriftstellerverband erklärt Fallada am 12. September 1934 zum «unerwünschten Autor», dem es untersagt ist, seine Bücher im Ausland zu publizieren und Verträge mit ausländischen Verlagen abzuschließen, und verhängt ein Berufsverbot über ihn, das Rowohlt durch Beziehungen außer Kraft setzen kann. Der Roman, der trotz scharfer Kritik angenommen wurde, wird gut ver­kauft, und der Verlag ist zufrieden.
Fallada überlegt, ob er das Land verlassen sollte, so wie es viele seiner Kollegen schon getan haben. Aber er ist in dieser Hinsicht ein zutiefst mit seiner Heimat verbundener Schriftsteller. Er denkt, dass er mit kleinen Zugeständnissen, z. B. mit Änderungen nazifeindlicher Textstellen, einen Konflikt mit den Nationalsozialisten vermeiden kann.
Kagelmacher, der inzwischen völlig verarmt ist, wird für ein paar Monate in Carwitz aufgenommen. Nach einer durchzechten Nacht kommt es – wegen Nichtigkeiten – zu einem schweren Zerwürfnis mit Suse. Sie hat bisher alle Launen ihres Mannes still ertragen. Aber als er sich nun wieder an den Alkohol zu gewöhnen beginnt, schweigt sie nicht länger. Fallada flieht aus Carwitz und kehrt nach einer Woche völlig elanlos wieder zurück.
Am 16. März 1935 ist Fallada plötzlich verschwunden. Mit dem Zug ist er nach München gefahren, wo er im angetrunkenen Zustand ankam. Gleich nach der Ankunft wird er in eine Klinik gebracht, wo er von einem Psychiater behandelt wird. Vierzehn Tage hält Fallada sich in der Klinik auf. Suse reist ihm nach und begleitet ihn Ende März nach Hause. Aber er bleibt labil und anfällig.
Fallada organisiert seine Arbeit neu. Er wird nun vor allem an jenen Geschichten weiterschreiben, die politisch nicht verfänglich sind. Er nimmt sich den Roman Altes Herz geht auf die Reise wieder vor. Daneben entsteht Das Märchen vom Stadtschreiber, der aufs Land flog. Noch Ende 1935 erscheint das Buch bei Rowohlt.
Am 27. Juli 1936 beginnt Hans Fallada die aufregendste und gewaltigste Schreibarbeit seines Lebens. Er fängt einen Roman an, der später von den Literaturhistorikern als einer der bedeutendsten klassifiziert wird, die im faschistischen Deutschland entstehen. Der Titel des neuen Romans, Wolf unter Wölfen, ist mehr als ein Etikett oder flüchtiger Arbeitstitel. Er ist für Falladas Anliegen programmatisch: «Es ist eine hungrige Zeit, Wolfszeit.» Den Hintergrund des Romans bilden die Ereignisse des Inflationsjahres 1923. Ende September 1937 wird sein Roman herausgegeben. Für Fallada beginnt nun die gefürchtete Zeit zwischen der Niederschrift des Romans und der Reaktion des Publikums, der Kritiker und der Behörden. Er hofft, dass wenigstens bis Weihnachten «kein Blitz aus dem Himmel in den Wolf schlagen» möge. Anfang 1938 schlägt der Blitz doch ein: In der Zeitschrift «Bücherkunde» erscheint ein anonymer Artikel zum Roman, der sich frontal gegen den Roman, seinen Autor und «alle Stimmen zu Falladas Lobe» wendet. Dem ersten Blitz folgt ein ganzes Gewitter. Das Schicksal des «Wolfromans» ist besiegelt. Die Verkaufszahlen sinken schlagartig. Um Hans Fallada wird es still.
Das Buch, das Fallada unmittelbar danach beginnt, ist ein heiterer Roman. Er trägt den Titel Kleiner Mann – großer Mann, alles vertauscht. Damit will er an den Erfolg von Kleiner Mann – was nun? anknüpfen. Aber im November 1937 legt er den Roman wieder zur Seite und wendet sich einem anderen Projekt zu. Am 13. November schreibt er an seinen Verleger: «Ich habe heute morgen den Eisernen Gustav gestartet.» Schon am 28. Februar 1938 erhält Rowohlt das etwa 800 Seiten starke Manuskript. Das Buch erscheint im Jahre 1938 und wird verfilmt.
Am 3. April 1940 wird in der Familie Ditzen der jüngste Sohn Achim geboren. Außer bei Reisen zur Mutter oder zur Beisetzung von Tante Adalaide Ditzen verlassen Anna und Rudolf Ditzen kaum noch Carwitz. Im Sommer 1940 erreicht Fallada eine erschütternde Nachricht: Ernst Rowohlt hat das Land verlassen. Für Fallada ist die Abreise des Verlegers und Freundes ein schwerer Schlag.

Der Abstieg
Im März 1943 erhält Fallada einen offiziellen Auftrag vom Propagandaministerium, an einer Frankreichfahrt mit dem «Reichsarbeitsdienst» teilzunehmen und darüber zu schreiben. Vor und nach dieser Reise muss sich Fallada wieder ins Sanatorium Berlin-Westend zur Behandlung begeben.
Fallada wird mit der Zeit immer reizbarer und verschlossener. Er misstraut allen und jedem. Am meisten hat Suse unter der labilen Verfassung ihres Mannes zu leiden. Oft kommt es zum Streit; stets liegen Anlass und Ursache dazu ganz auf seiner Seite. Nach der Frankreichreise hat Fallada das Verhältnis mit der Haustochter Anneliese so offen fortgesetzt, dass es im Dorfe zu Gerede kommt. Als Suse dieser Klatsch, der ihr intimstes Eheleben berührt, zu Ohren kommt, reißt ihr die Geduld. Sie fühlt sich in ihrer Würde tief verletzt und jagt beide, den Mann und das Mädchen, aus dem Haus.

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Gedenkstein auf dem Carwitzer Friedhof

Von Berlin aus versucht er, sich bei seiner Frau zu entschuldigen, und erlebt dort das Gesicht des Krieges aus nächster Nähe, so die Schreckensnacht vom 14. zum 15. Februar 1944 mit pausenlosen Bombenangriffen auf die Stadt. Es folgen noch viele solche Nächte des Schreckens.
Kurz danach lernt Fallada in Feldberg Ursula (Ulla) Losch kennen, eine junge Frau, aus Berlin evakuiert. Er verliebt sich in sie, aber sie kann ihm keine Stütze sein, da sie selbst dem Alkohol und Morphium verfallen ist.
Am 5. Juli 1944 lässt er sich nach mehreren erneuten Versuchen, seine Frau zurückzuerobern, von ihr scheiden. Als er seine Sachen in Carwitz abholt, trifft er noch einmal auf Suse. Ihm ist, als habe er die Frau lächeln sehen. Hat er sich getäuscht, oder hat sie tatsächlich über ihn gelacht? Fallada ist überreizt und schießt aus dem Jagdgewehr auf das Haus, ohne zu zielen, ohne zu überlegen.
Noch in derselben Nacht wird Fallada in Gewahrsam genommen. Er wird zu 3 Monaten und 14 Tagen Haft verurteilt. Diese Strafe verbringt er in der Landesanstalt Strelitz. In dieser Zeit schreibt er den Roman Der Trinker. In diesem Buch denkt Fallada sein eigenes Schicksal bis zum bitteren Ende weiter. Es ist die Geschichte vom Zusammenbruch der Ehe des Erwin Sommer, nachdem dieser zum Trinker wurde. In den Roman fließen viele persönliche Erfahrungen aus verschiedenen Abschnitten seines Lebens ein.
Am 13. Dezember 1944 kehrt Fallada mit zwei schweren Koffern beladen, die seine Manuskripte enthalten, nach Carwitz zurück. Er will sich mit Suse aussöhnen und von Ulla Losch trennen. Die junge Frau hat er ein Vierteljahr nicht gesehen, sie hat ihn in Altstrelitz nicht besucht, auch geschrieben haben sie einander nicht. Fallada glaubt daher, dass es ihm leichtfallen wird, sich von ihr zu lösen.
Zu Weihnachten versöhnt er sich mit Suse, aber als er Ulla wiedersieht, sind seine Vorsätze wie weggeblasen. So verlobt sich Fallada noch an diesem zweiten Weihnachtsabend mit Ulla Losch. Am 1. Februar 1945 heiraten beide. Das Kriegsende erleben sie in Feldberg in Mecklenburg.
Die sowjetische Militärbehörde setzt Fallada als Bürgermeister der Stadt ein. Er ist als Bürgermeister nur noch drei Monate tätig. Es zieht ihn bald nach Berlin. Der Schriftsteller Johannes R. Becher kümmert sich um ihn. Er verschafft ihm eine Stelle als freier Mitarbeiter an der sowjetischen Zeitung für die deutsche Bevölkerung, der «Täglichen Rundschau». 1946 entsteht das autobiografische Buch Der Alpdruck. Becher ermutigt Fallada auch, ein dokumentarisches Buch über den kleinbürgerlich-proletarischen Widerstand im Dritten Reich zu schreiben. Jeder stirbt für sich allein wird Falladas letzter Roman. Es ist die Geschichte eines Berliner Ehepaares, das heimlich antinazistische Postkarten verbreitet und dafür zum Tode verurteilt wird.
Fallada stirbt am 5. Februar 1947 in einer Nervenklinik im Alter von 53 Jahren an Herzversagen. An seinem Grabe hält Becher eine Gedenkrede: «Er verfügte über die breiteste Skala menschlicher Empfindung. Nichts Menschliches, nichts Unmenschliches ist ihm fremd geblieben. Die verborgensten Gefühle schlug er an, und nichts Unbewusstes fehlte auf seiner Tastatur, und das Außergewöhnliche und Problematische wusste er verständlich und zugänglich zu machen in einer schlichten, volkstümlichen Sprache. Seine Liebe aber galt dem einfachen Leben und den kleinen Leuten.»

Hans Fallada
Zeittafel

1893 21. Juli: Hans Fallada (eigtl. Rudolf Ditzen) wird als Sohn des Reichsgerichtsrats Wilhelm Ditzen und dessen Frau Elisabeth (geb. Lorenz) in Greifswald geboren.
1911 Nach einem gescheiterten Selbstmordversuch wird Fallada in eine psychi­at­rische Klinik eingewiesen.
1913 Nachdem er das Gymnasium ohne Schulabschluss verlassen hat, beginnt er eine Lehre in der Landwirtschaft.
In den folgenden Jahren arbeitet er u. a. als Wirtschaftsinspektor, Journalist und Verlagslektor.
1917–1919 Fallada wird aufgrund seiner Alkohol- und Rauschgiftsucht mehrmals in Heilanstalten für Suchtgefährdete eingewiesen, in denen er sich vergeblichen Entziehungskuren unterzieht.
1920 Veröffentlichung seines ersten, noch vom Expressionismus geprägten Romans Der junge Goedeschal.
1923 Fallada muss sich wegen des Tatbestands der Unterschlagung vor Gericht verantworten und wird zu mehreren Monaten Haft verurteilt.
1926–1928 Erneuter Gefängnisaufenthalt wegen Betrugs.
1929 Heirat mit Anna Issel, die als «Lämmchen» in seine Prosa eingeht. Der Ehe entstammen drei Kinder.
Fallada wendet sich in dieser Zeit vermehrt sozialkritischen Themen zu und wird zu einem Vertreter der «Neuen Sachlichkeit». Er bemüht sich in seinen Werken um die Darstellung der Realität, beinahe im Stile einer dokumentarischen Literatur. Das bevorzugte Milieu seiner Romane wird das Kleinbürgertum, das unter den Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu leiden hat. Durch die einfache, leicht verständliche Sprache seiner Werke wird Fallada nicht nur zum Autor über, sondern besonders für diese Gesellschaftsschicht.
1931 Sein erster großer Roman Bauern, Bonzen und Bomben zeigt eine Kleinstadt während der Bauernunruhen Ende der 20er Jahre. Er beruht auf Falladas Erfahrungen als Gerichtsreporter beim «Landvolk-Prozess» 1929. In ihm zeichnet er ein realistisches Bild der Zustände und der Unzufriedenheit der Bevölkerung.
1932 Der Roman Kleiner Mann – was nun? bringt Fallada Weltruhm ein. Er schildert das Leben eines kleinen Angestellten, der unter der Weltwirtschaftskrise leidet und statt des erhofften sozialen Aufstiegs den Abstieg in Arbeitslosigkeit und Armut erlebt.
ab 1933 Fallada bewirtschaftet sein eigenes Gut in Carwitz (Mecklenburg), das er nach dem Erfolg seines letzten Buches erworben hat.
1934 In dem Roman Wer einmal aus dem Blechnapf frißt schildert er das Schicksal eines ehemaligen Strafgefangenen, der vergeblich versucht, in ein «normales» Leben zurückzufinden. Das Werk wird von der nationalsozialistischen Kritik abgelehnt.
1935/36 Fallada verzichtet zunächst auf eine klare politische Stellungnahme. Es erscheinen «neutral» gehaltene Werke wie Das Märchen vom Stadtschreiber, der einmal aufs Land flog (1935) oder Hoppelpoppel, wo bist du?.
ab 1937 Er veröffentlicht mit Wolf unter Wölfen und Der eiserne Gustav zwei zeitkritische Milieustudien, auf die dann aber bis 1945 vor allem Unterhaltungsliteratur folgt: Kleiner Mann, großer Mann – alles vertauscht (1939) und Der ungeliebte Mann (1940).
1941 Herausgabe seiner Autobiografie Damals bei uns daheim.
1943 Er ist «Sonderführer des Reichsarbeitsdiensts» in Frankreich.
1944 Rückkehr nach Carwitz.
Scheidung von seiner Frau.
Fallada wird wegen eines Mordversuchs an seiner geschiedenen Frau angeklagt und in eine Trinkerheilanstalt eingewiesen.
1945 Er übt für eine kurze Zeit das Amt des Bürgermeisters in Feldberg (Meck­lenburg) aus.
Übersiedlung nach Berlin. Hier arbeitet er auf Wunsch Johannes R. Bechers für die «Tägliche Rundschau».
Heirat mit der ebenfalls alkoholabhängigen Ursula Losch.
1947 Fallada findet zu seinem früheren, kritischen Stil zurück. Angeregt durch Becher, verfasst er den Widerstandsroman Jeder stirbt für sich allein. Er veranschaulicht hier die Machtlosigkeit des Einzelnen gegenüber dem Staat, aber auch den Mut Einzelner, zu ihren Werten zu stehen.
Erneuter Klinikaufenthalt aufgrund seiner Drogensucht.
5. Februar: Hans Fallada stirbt in Berlin.

Der Text ist entnommen aus: http://www.lerntippsammlung.de/Hans-Fallada.html
http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/deh/12290.html
Tom Crepon: Leben und Tode des Hans Fallada. Mitteldeutscher Verlag, Halle und Leipzig 1978.