Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №3/2010

Literatur

Alice Schwarzer
Warum gerade sie? Weibliche Rebellen

Romy Schneider
Schauspielerin

Sie starb am 29. Mai 1981, mit 43 Jahren, an «Herzversagen». Wir hatten uns sechs Jahre zuvor in Berlin kennengelernt. Ein paar Wochen später trafen wir uns erneut in Köln. Beide Begegnungen waren turbulent. Romy schien permanent aus dem vollen zu leben. An dem Abend in Berlin besorgte sie noch nach einem langen Drehtag einen Armvoll Champagnerflaschen und trank und diskutierte mit mir die Nacht durch, bis zum frühen Morgen. Auch in Köln, der Stadt, die sie so quälend an die spießigen 50er Jahre, den Wirtschaftswunder-Stiefvater Blatzheim und die gehaßte Mutter erinnerte, wurde es eine lange Nacht. Das Porträt erschien in der allerersten Ausgabe von Emma, im Februar 1977.

Eigentlich sollte es ein richtiges Interview werden. Romy Schneider über ihre Rollen, ihr Image, ihr Leben. Romy, der Bundesdeutschen liebste Verkörperung aller Frauenklischees in einer Person: Mit 15 die Jungfrau von Geiselgasteig. Mit 21 die «Hure» in Paris. Mit 28 die reuige Ehefrau und Mutter in Hamburg. Und heute der französischsprachige Weltstar mit Allüren und einem neun Jahre jüngeren Mann...
Denn es ist sicherlich nicht übertrieben zu sagen, daß sich am Verhältnis Deutschlands zu Romy die deutsche Einstellung zu Frauen überhaupt ablesen läßt. Sie, die in Paris «Romy la Grande» (Elle) und «die größte Schauspielerin Europas» (Nouvel Observateur) ist, ist in Berlin die verlorene Tochter, die in einer Art Haß-Liebe längst zu Freiwild erklärt wurde.
Da publiziert die «Bunte» die Intimplaudereien eines ehemaligen Romy-«Freundes». Mit Teleobjektiven geschossene Nacktfotos aus Romys Urlaub werden millionenfach gedruckt. – Denn Romy Schneider, 38 Jahre alt, Schauspielerin, zum zweitenmal verheiratet und Mutter eines Kindes, muß herhalten für so vieles: für die Situation der Frauen überhaupt, für die der Schauspielerinnen im besonderen, für die der Karrierefrau und, mehr noch, für die des Stars.
Über all das wollte ich mit Romy reden. Ich traf eine Frau, die mehr Fragen hat als Antworten; die in einer Phase ihres Lebens ist, in der sie das, was war und ist, in Frage stellt, aber noch nicht weiß, was sein wird.
Am ersten Abend hatten wir uns eigentlich nur getroffen, um uns mal kennenzulernen. Sie wollte sehen, ob sie «überhaupt mit mir kann». Wir waren zusammen essen, gemeinsam mit ihrer Freundin Christiane. Und plötzlich, nachts um eins, war Romy entschlossen: sie wollte mit mir reden. Jetzt. Sofort. Ganz schnell wurde mir klar, daß ich mit ihr nur eine Wahl hatte: Entweder ein formelles Interview, so eins, wie sie sie schon zu Hunderten geführt hat, und die sie zu recht aggressiv und arrogant machen vor Angst und Mißtrauen. Oder aber ein Gespräch, indem sie ein wenig Vertrauen faßt, und in dem ich nicht mehr Schreiberin bin, sondern ein Mensch, der ihr einfach zuhört, ohne zu fragen.
Wir haben viele, viele Stunden miteinander geredet – aber interviewt habe ich Romy nicht. Das war einfach nicht möglich. Und ich muß gestehen, daß mich noch nie in meinen zwölf Jahren als Journalistin ein Gegenüber so hilflos gemacht hat...

Aus: Alice Schwarzer: Warum gerade sie?
Weibliche Rebellen. 15 Begegnungen mit berühmten Frauen.
Frankfurt am Main: Luchterband Literaturverlag, 1989.
S. 183–190, 219–230.

Fortsetzung folgt

 

Der Abdruck folgt dem Original von 1989 und entspricht damit nicht den heute gültigen Rechtschreibregelungen.

Herz|ver|sa|gen, das; -s: Aufhören, Unterbrechung od. starke Verminderung der Herztätigkeit: an H. sterben.

tur|bu|lent <Adj.> [lat. turbulentus = unruhig, stürmisch, zu: turba = Verwirrung, Lärm]: 1. durch großes Durcheinander, große [sich in Lärm äußernde] Lebhaftigkeit, allgemeine Erregung, Aufregung, Unruhe gekennzeichnet; sehr unruhig, ungeordnet: ein -es Wochenende; -e Szenen spielten sich im Parlament, im Gerichtssaal ab; die Sitzung verlief äußerst t. 2. (Physik, Astron., Met.) durch das Auftreten von Wirbeln gekennzeichnet, ungeordnet: -e Strömungen.

aus dem Vollen leben, wirtschaften: aufgrund des reichlich Verfügbaren großzügig leben, wirtschaften.

Al|lü|re, die; -, -n <meist Plural> [frz. allure = Gang(art), Benehmen, zu: aller, Allee] (bildungsspr., oft abwertend): aus dem Rahmen fallende Umgangsform; auffallendes Benehmen, Gehabe: er ist ein Mensch ohne -n; seine -n beibehalten, ablegen, verlieren.

Frei|wild, das [eigtl. = zur Jagd freigegebenes Wild]: der Willkür anderer schutzlos preisgegebener Mensch.

her|hal|ten <st. V.; hat>: 1. etw. in Richtung auf den Sprechenden halten, sodass er es erreichen kann: kannst du bitte deinen Teller h.? 2. meist in Verbindung mit «müssen»: [anstelle eines anderen, von etw. anderem] zu, für, als etw. benutzt werden: sie muss für die anderen h.; etw. muss als Vorwand h.; sie musste wieder [als Zielscheibe des Spottes] h.

jmdn., etw. infrage/in Frage stellen: an jmdm., etw. zweifeln: er hat das ganze Projekt i./in F. gestellt; etw. infrage/in Frage stellen: etw. gefährden, ungewiss, unsicher machen; etw. anzweifeln: wegen der Erkrankung ist die ganze Aufführung i./in F. gestellt; die Anerkennung ihrer Leistungen wird keinesfalls i./in F. gestellt.

 

Alice Schwarzer

(* 3. Dezember 1942 in Wuppertal-Elberfeld)

ist eine der bekanntesten Vertreterinnen der neuen deutschen Frauenbewegung. Sie ist Gründerin und Herausgeberin der Frauenzeitschrift «Emma».
Alice Schwarzer wurde als uneheliches Kind geboren und wuchs bei ihren Großeltern auf. Beide Großeltern betrieben selbstständig ein kleines Tabakwarengeschäft, in dem auch Schwarzers Mutter immer wieder aushalf. Nach ihrer Lehre als Sekretärin zog Schwarzer 1963 nach Paris, wo sie ein Sprachenstudium begann. Später kehrte sie nach Deutschland zurück und war zwischen 1963 und 1969 als freie Journalistin aktiv, bevor sie nach Paris zurückkehrte.
Von 1970 bis 1974 arbeitete sie als freie Korrespondentin für verschiedene Medien in Paris und studierte gleichzeitig Psychologie und Soziologie. Sie gehörte mit Monique Wittig zu den Initiatorinnen der Pariser Frauenbewegung und trug deren Ideen auch nach Deutschland.
1971 erregte Schwarzer erstmals Aufsehen mit ihrer Aktion Frauen gegen den § 218.
Im Januar 1977 erschien die erste Ausgabe der von ihr gegründeten Zeitschrift «Emma». 1990 rief sie den Emma-Journalistinnen-Preis zur Förderung von Journalistinnen ins Leben, die sich mit feministischen Themen befassen.
Seit 1993 schreibt Schwarzer überwiegend Bücher, darunter Biografien von Petra Kelly und Gert Bastian oder das Leben von Marion Dönhoff. Bis heute veröffentlichte sie insgesamt 21 Bücher als Autorin und 16 als Herausgeberin.
Gemäß dem «Frauen-Ranking 2008» des Magazins «Cicero» ist Alice Schwarzer hinter der Literaturkritikerin Elke Heidenreich und vor der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek die «einflussreichste deutsche Intellektuelle». Grundlage der Rangliste bildet die Präsenz der Frauen in 160 führenden Zeitungen und Zeitschriften seit 1998 sowie über Verweise im Munzinger-Personenarchiv und im Internet.

Auszeichnungen: 1992: Dr.-Kurt-Neven-DuMont-Medaille der Westdeutschen Akademie für Kommunikation, 1996: Bundesverdienstkreuz am Bande, 1997: Schubart-Literaturpreis der Stadt Aalen, 1997: Frau des Jahres 1997 des Verbandes Deutscher Staatsbürgerinnen, 2003: Zivilcourage-Preis des Berliner CSD für ihr Lebenswerk, 2004: Goldene Feder der Bauer Verlagsgruppe (Ehrenpreis), 2004: Ritter der französischen Ehrenlegion, 2004: Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen, 2005: Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, 2005: Journalist des Jahres (Branchenzeitschrift «Medium-Magazin»), 2008: Ludwig-Börne-Preis.

Werke: Frauen gegen den § 218 (1971), Frauenarbeit – Frauenbefreiung (1973), Der kleine Unterschied und seine großen Folgen. Frauen über sich. Beginn einer Befreiung (1975), So fing es an – 10 Jahre neue Frauenbewegung (1981), Mit Leidenschaft (1982), Simone de Beauvoir heute – Gespräche aus 10 Jahren (1982), Warum gerade sie? Weibliche Rebellen (1989), Von Liebe + Haß (1992), Eine tödliche Liebe – Petra Kelly + Gert Bastian (1993), Marion Dönhoff – Ein widerständiges Leben (1996), So sehe ich das (1997), Romy Schneider – Mythos und Leben (1998), Der große Unterschied. Gegen die Spaltung von Menschen in Männer und Frauen (2000), Alice im Männerland. Eine Zwischenbilanz (2002), Liebe Alice, liebe Barbara (2005), Die Antwort (2007).