Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №3/2010

Wissenschaft und Technik

Der Universalmensch

Leonardo da Vinci leistete Außerordentliches als Künstler, Techniker und Wissenschaftler. Der Außenseiter der späten Renaissance war ein Meister des Unvollendeten.

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Leonardo da Vinci (spätere Kopie
eines Selbstporträts um 1510)

Bewundernswert und göttlich sei er gewesen, königlich und großherzig. Giorgio Vasari geizte nicht mit Superlativen in seiner 1568 publizierten Biografie Das Leben des Florentiner Malers und Bildhauers Leonardo da Vinci.
Der italienische Pionier der Kunstgeschichte rühmte seinen Helden überschwänglich: «Wohin er den Geist auch lenkte, verhalf ihm seine Begabung, die schwierigsten Dinge mit Leichtigkeit zur Vollendung zu bringen.»
Vasari gab den Ton an, der bis heute vorherrscht, wenn von Leonardo da Vinci die Rede ist. Goethe schwärmte von einem «Mustermenschen»; Freud vom «allseitigen Genie»; Jacob Burckhardt pries «den vollkommenen Menschen».
Als Maler war Leonardo da Vinci schon zu Lebzeiten eine Legende. Seine wissenschaftlichen Studien in Anatomie, Geologie oder Architektur fanden dagegen erst im 19. Jahrhundert Anerkennung, als Kunsthistoriker seine Arbeitsbücher und Skizzen entziffert hatten.
Mittlerweile sind es vor allem anderen die Haltung und die Weltsicht Leonardos, die faszinieren: seine experimentelle Leidenschaft; sein rastloser Drang, Wissen an die Stelle von Glauben zu setzen; schließlich der außergewöhnlich produktive Eigensinn eines Mannes, der als uneheliches Kind, als Linkshänder und als Homosexueller immer schon anders war als die anderen. Vor Augen tritt ein Mensch, der als Vorbild eines neuzeitlichen, autonomen Individuums erscheint.
Nur ein einziges Selbstbildnis Leonardos ist erhalten, ein im Alter von etwa 60 Jahren gezeichnetes Porträt: Ein Mann mit markanter Nase, buschigen Augenbrauen, wallend langem Haar, dichtem Vollbart und durchdringendem Blick.

Üppige Lobeshymnen, kärgliches Wissen
So üppig die Lobeshymnen auf ihn ausfallen, so kärglich ist das Wissen über seine Person. «Die ungeheuren Umrisse von Leonardos Wesen», bedauerte Burckhardt, «wird man ewig nur von ferne ahnen können.»
Wer war dieser Mann, der mit der Mona Lisa das bekannteste Gemälde der Welt schuf? Was trieb diesen Künstler an, in dem schon Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts das Muster eines Universalmenschen erblickten?
Unbestritten ist, dass Leonardo am 15. April 1452 in dem Ort Vinci in der Toskana geboren wurde. Sein Vater war ein einflussreicher Florentiner Notar, der in seinem Heimatort eine Bauerntochter geschwängert hatte.
Aufgrund dieser illegitimen Abkunft ist es Leonardo, nachdem sein Vater ihn nach Florenz holt, verwehrt zu studieren. Mit 17 beginnt er, die Malerei zu lernen, in der Werkstatt von Andrea del Verrocchio, einem soliden und anerkannten Künstler.
Dort malt Leonardo sein erstes bedeutendes Bild, die Verkündigung an Maria. Eine schnelle Karriere als Künstler ist Leonardo nicht vergönnt. Etwa zehn Jahre malt er bei und für Verrocchio. Eigene kleine Aufträge bekommt er vor allem dank der Verbindungen seines Vaters.
Wie seine Kollegen ist er von der antiken Idee der Vollkommenheit inspiriert, doch deutet sich schon an, was ihn von anderen Malern unterscheidet: sein Dämmerlicht, das Verschwommene auf seinen Bildern. «Sfumato», verraucht, nennen Kunstfreunde den Effekt, der durch das Verwischen der Farbe und das Bestreichen der Bildoberfläche mit nahezu transparenten Lasuren entsteht.
Der romantische Poet Charles Baudelaire wird einige Jahrhunderte später in seinem berühmten Lyrikband Die Blumen des Bösen über den Maler dichten: «Leonardo da Vinci, tiefer und düstrer Spiegel / wo zauberhafte Engel mit sanftem Lächeln / geheimnisträchtig uns erscheinen im Schatten / der Gletscher und der Pinien, die ihr Land umschließen.»

Leonardo musiziert auf einer Laute und brilliert als Sänger
Sigmund Freud malte sich Leo­nardo auf Grundlage der Schilderungen von Vasari so aus: «Groß und ebenmäßig gewachsen, von vollendeter Schönheit des Gesichts und von ungewöhnlicher Körperkraft, bezaubernd in den Formen seines Umgangs, ein Meister der Rede, heiter und liebenswürdig gegen alle; er liebte die Schönheit auch an den Dingen, die ihn umgaben, trug gern prunkvolle Gewänder und schätzte jede Verfeinerung der Lebensführung.»
Als Künstler hat Leonardo sich noch keineswegs durchgesetzt, als er 1482 nach Mailand geht, wo Herzog Ludovico il Moro herrscht. Mailand – eine der größten Städte Europas, dreimal größer als Florenz – liegt mit Venedig im Krieg. Da Ludovico mehr als zwei Drittel seines Etats für seine Feldzüge ausgibt, dient Leonardo sich ihm nicht als Maler an, sondern als Militäringenieur.
Er will, heißt es in einem Bewerbungsschreiben, «Eurer Herrschaft meine geheimen Erfindungen vorlegen». Darunter sind: «Eine außerordentlich leichte und feste Brücke. Eine endlose Vielzahl von Rammböcken. Eine Methode, Festungen zu zerstören, die auf einem Felsen gebaut sind. Eine Art Bombardement, das Schauer von kleinen Steinen schleudert und dessen Rauch den Feind in Schrecken versetzt.»
Zwar zeichnet Leonardo in Mailand allerhand Kriegsgerät, doch zunächst bekommt er den Auftrag, ein Altarbild von der Geburt Christi zu malen. Lange arbeitet er an einem monumentalen Reiterstandbild des Herzogs. Das Tonmodell findet große Bewunderung, doch die Skulptur wird nie gegossen, weil der Herrscher die Bronze für Kanonen braucht.
Leonardo musiziert auf einer Laute und brilliert als Sänger, der den Herzog und seinen Hof mit improvisierten Liedern erfreut. Er entwirft prunkvolle Dekorationen für öffentliche Umzüge. Gleichzeitig führt der das Leben eines frühen Bohemiens. «Obgleich er nichts besaß und nur wenig arbeitete», heißt es bei Vasari, «hielt er sich ständig Bedienstete und vor allem Pferde.»
Aber was ist künstlerische Arbeit? Leonardo begann in Mailand Arbeitsbücher zu führen; bis zu seinem Tode füllte er mit Akribie und Besessenheit diese Bücher mit Zeichnungen und Notizen. Etwa 7000 von einst rund 13 000 Seiten sind erhalten, jedoch in aller Welt verstreut.
Die Aufzeichnungen sind ganz unpersönlich gehalten und zeigen den Künstler als rastlosen Forscher. Sie offenbaren auch, dass Leonardo unsystematisch vorgeht und seine Themen nicht analytisch durchdringt.
Er bringt sich ein wenig Latein bei, die akademische Sprache der Zeit, und versucht, Aristoteles und Archimedes in lateinischen Übersetzungen zu lesen. Was ihm interessant erscheint, exzerpiert er ausführlich. Aber es ist eine Kunst für sich, seine Notizen zu entziffern – der Linkshänder schreibt spiegelverkehrt von rechts nach links.
Der uneheliche Sohn, mutterlos aufgewachsen, hat als Autodidakt den sozialen Aufstieg geschafft. Der kreative Eigensinn, der dies ermöglicht, wird dadurch weiter gestärkt.
Leonardo gehört zu den wenigen großen Künstlern, die sich ausführlich zu ihrer Arbeit geäußert haben. Aus acht Büchern, die in 936 Kapitel aufgeteilt sind, besteht sein Trattato della Pittura, eine Abhandlung über die Malerei, mit der er die Bildende Kunst gegen die seinerzeit höher angesehene Literatur verteidigen will. Der Maler erschafft die sichtbare Welt neu, führt Leonardo aus, und seine Vorstellungskraft ähnelt dabei jener Gottes. Folglich wird der Geist des Malers ein Abbild des Göttlichen.

Der Text ist entnommen aus: http://www.spiegel.de

Fortsetzung folgt