Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №22/2009

Wissenschaft und Technik

Ersatz-Herz aus der Zellenküche

Stammzellen gelten als künftige Wunderheiler: Kaputte Körperteile könnten durch frische aus dem Labor ersetzt, schwere Krankheiten heilbar werden. Doch wie baut man Nerven, Muskeln, Organe? Ein Laborbesuch mit erstaunlichen Einblicken in die mögliche Medizin der Zukunft.

Man sieht sie schon mit bloßem Auge. Doch erst unter dem Mikroskop enthüllen die kleinen gelblichen Punkte in der rosafarbenen Petrischale ihren vollen Zauber.
Die kleinen Bällchen zucken. Es sind frische Herzzellen einer Maus.
Vor wenigen Tagen waren sie noch Stammzellen. Aber Ina Gruh und ihre Mitarbeiter haben sie in die Bausteine eines Herzens verwandelt. Die Forscherin hat viele solcher Petrischalen in ihrem Brutschrank. Er steht in den Laboren des Lebao (Leibniz Research Laboratories for Biotechnology and Artificial Organs). Es ist ein Teil der Medizinischen Hochschule Hannover.
Um zu prüfen, wie gut die Qualität der Zellen ist, lässt Ina Gruh sie arbeiten. Sie züchtet die Zell-Bällchen zu einer Art Mini-Expander. Die werden dann in einen eigens dafür konstruierten Apparat eingespannt, der misst, mit welcher Kraft sie zucken.
Artificial organs – Organe aus der Retorte. Sie zu züchten ist das Fernziel der Forscher. Im nächsten Schritt wollen sie kaputte Organe wenigstens reparieren.

Wie macht man aus einer Stamm- eine Körperzelle?
Das Prinzip: Eine Körperzelle wird in ihren embryonalen Urzustand zurückversetzt, dann wird sie zu einer induzierten pluripotenten Stammzelle (iPS) reprogrammiert. Aus diesen zellulären Alleskönnern kann dann jedes beliebige Gewebe gezüchtet werden. Und zwar maßgeschneidert für einen Patienten. Der Vorteil: Solchermaßen gezüchtetes Gewebe würde vom Immunsystem des Patienten nicht – wie bei transplantierten Zellen oder Organen – als Fremdkörper behandelt werden.
Soweit die Theorie.
Aber wie macht man aus einer Stamm- eine Nervenzelle, um Parkinson-Patienten zu helfen? Wie eine Herzmuskelzelle für die Behandlung von Herzinfarkten? Und wie Bauchspeicheldrüsenzellen für Diabetiker? Die Liste ist lang, im menschlichen Körper gibt es mehr als 200 verschiedene Zelltypen.
Ulrich Martin, der das Lebao leitet, sagt: «Stammzellen in Gewebe zu differenzieren sei wie Kochen.» Jede Zelle hat ihr eigenes Rezept, und dieses muss man herausfinden. Einen Plan gibt es selten. «Oft ist es mehr ein Herumprobieren als eine gezielte Optimierung», sagt Martin.
Alles beginnt mit der Verschmelzung von Spermium und Ei. Eine Zygote entsteht, die allererste Zelle eines künftigen Lebewesens. Ein paar Teilungen später beginnen die Zellen schon, getrennte Wege zu gehen.
Jede Körperzelle besitzt zwar den kompletten Bauplan, hat aber alle jene Teile des Erbguts ausgeschaltet, die für ihre Aufgabe unwichtig sind.
Herauszufinden, wann was wie wo abgeschaltet wird, ist die Herausforderung der Biologie des 21. Jahrhunderts.

Nervenzellen sind einfacher als Lungenzellen
Die Köche aus Hannover aber wollen erst einmal kleinere Süppchen kochen. Klar ist: Die Zutaten sind Proteine und Hormone, sie steuern die Entwicklungsrichtung der Zellen. Doch sie zu kennen reicht nicht. Ein Koch kippt auch nicht alles auf einmal in eine Schüssel. Es kommt auf die richtige Dosierung und die richtigen Zeitpunkte an, wann man eine Zutat hinzufügt.
Interessant ist, dass sich manche Zellen leichter kochen als andere, um in Martins Bild zu bleiben. Eine Herzzelle herzustellen ist komplizierter als eine Nervenzelle. «Und Lungenzellen sind noch mal schwieriger», sagt der Forscher. Nervenzellen jedoch entstünden fast schon von selbst.
Erstaunlich – denn immerhin sind sie die Bausteine der komplexesten Struktur, die die Evolution je hervorgebracht hat: des Gehirns.
Ulrich Martin wundert das allerdings nicht. «Nervenzellen sind das Erste, was in der Entwicklung eines Embryos entsteht.» Schließlich braucht der Embryo eine ganze Menge davon – das Gehirn des Menschen besteht Schätzungen zufolge aus 100 Milliarden bis einer Billion Zellen. Der menschliche Körper hat etwa zehn bis hundert Billionen Zellen.
Dass Lungenzellen schwieriger herzustellen sind, könnte daran liegen, dass sie sich erst sehr spät im werdenden Menschen bilden. Der Embryo schwimmt im Fruchtwasser der Gebärmutter und erhält seinen Sauerstoff über die Nabelschnur. Die Lunge braucht er erst nach der Geburt.

«Für den Menschen brauchen wir größere Bioreaktoren»
Neben der mühevollen Suche nach den richtigen Rezepten sind es vor allem auch technische Schwierigkeiten, mit denen die Hannoveraner kämpfen. Die Zutaten sind teuer, und «die derzeit noch geringe Ausbeute ist das größte Problem», sagt Martin. Die wenigen schlagenden Zellen, die Ina Gruh in ihren Kulturschalen heran­züchtet, mögen für ein Mäuseherz genügen. Um menschliche Herzinfarktpatienten zu behandeln, würden diese Zellmengen bei Weitem nicht ausreichen.
Hier kommt Robert Zweigerdt ins Spiel. Er soll Zellen im Großküchenmaßstab kochen. «Wir arbeiten an Zwei-Liter-Bioreaktoren für Stammzellen der Maus», sagt Zweigerdt. «Und für den Menschen brauchen wir natürlich noch mal größere Reaktoren.»

In der Zellsuppe könnten noch Stammzellen sein
Eine völlig neue Medizin steht in Aussicht, die nicht mehr Symptome kurieren, sondern die Ursachen von Krankheiten beseitigen will. Nach dem Motto: Sie haben Diabetes? Insulinspritzen waren gestern – wir züchten Ihnen eine neue Bauchspeicheldrüse. Parkinson? Wir kochen Ihnen neue Nervenzellen. Sie hatten einen Unfall und sind querschnittsgelähmt? Lassen Sie sich nächste Woche einen Termin geben, dann haben wir Ihre neuen Rückenmarksstränge fertig.
Zweigerdt soll das Kochen auch effizienter und billiger machen. Vor allem die Proteinzutaten sind teuer. Für sie sucht er günstigere Alternativen. Dazu muss er Bescheid wissen in Zell- und Entwicklungsbiologie, die Biochemie der Steuerungsmoleküle während der Embryonalentwicklung kennen – wenn diese überhaupt schon bekannt sind.
Erste Erfolge hat er bereits: «Die Ausbeute an Herzmuskelzellen aus menschlichen Stammzellen betrug vor kurzem noch um die zehn Prozent», sagt er. Durch den Austausch nur einer Zutat konnte er sie auf 20 Prozent erhöhen – und der Prozess wurde dadurch auch billiger.
Aber nur aus Muskelzellen entsteht noch kein Herz. Die Mischung macht’s: «In einem richtigen Herzen sind nur etwa ein Fünftel der Zellen Muskelzellen», sagt Zweigerdt. Man braucht auch Bindegewebe und eine Blutversorgung. Also müssen die Köche die Rezepte für die richtige Mischung herausfinden.
Beim Kochen gibt es eine große Gefahr: In der Zellsuppe könnten einzelne Stammzellen sein, die sich nicht weiterentwickelt haben. Und die, erzählt Zweigerdt, darf man keinem Herzpatienten implantieren. Sie müssen aus dem Zellgemisch entfernt werden, sonst besteht Krebsgefahr.
Dafür hat Zweigerdt eine Methode: Er schleust den Stammzellen ein Antibiotika-Resistenz-Gen ein. Durch einen gentechnischen Trick wird es aber nur in den gewünschten Zellen aktiv. Gibt er dann das Antibiotikum auf die Zellsuppe, gehen alle unerwünschten Stammzellen zugrunde.

Werden die maßgeschneiderten Zellen doch abgestoßen?
Wolfram-Hubertus Zimmermann aus dem Klinikum-Komplex von Göttingen züchtet schon seit vielen Jahren Herzgewebe in der Petrischale. Die Technik für Ina Gruhs Expander-Ringe hat er mit Thomas Eschenhagen von der Universität Hamburg entwickelt.
Die raschen Fortschritte in der Stammzellforschung verfolgt Zimmermann mit Gelassenheit. «Wir sind keineswegs euphorisch über iPS-Stammzellen», sagt er.
Aber warum? Immerhin hat sich das andere Ende der Kette nun geschlossen – Zimmermann, der seit Jahren aus embryonalen Stammzellen Herzmuskelzellen züchtet, müsste sich doch darüber freuen, dass es nun möglich wäre, Herzmuskelgewebe maßgeschneidert für einen Patienten züchten zu können.
Zimmermann sagt lächelnd: «Das Problem ist die Abstoßung der Zellen. Es ist noch gar nicht klar, ob die reprogrammierten Zellen vom Organismus wirklich nicht als Fremdkörper angesehen werden.»
Theoretisch dürfte das nicht sein. Denn schließlich sind es Zellen aus dem Körper des Patienten. Doch praktisch weiß keiner derzeit genau, was wirklich alles beim Zellkochen passiert. «Es gibt Hinweise auf Abstoßungsreaktionen bei iPS-Zellen», sagt Zimmermann. «Und das beschäftigt die Immunologen schon jetzt.»
Ein weiteres Problem sieht er: Zeit. «Es dauert einfach zu lange, maßgeschneiderte Stammzellen herzustellen und daraus Gewebe zu züchten.» Zimmermann schätzt, dass der gesamte Prozess bis zu sechs Monate dauern könnte. «Für die Akutbehandlung eines Herzpatienten wäre das viel zu lange.»
Selbst wenn weitere Forschung und Verbesserung der Methoden den Vorgang noch weiter beschleunigen werden – eine Sache von Tagen oder gar Stunden wird Zellkochen wohl nie sein.
Zimmermann schlägt einen anderen Weg vor. Statt für jeden Patienten eigene Zellen heranzuzüchten, könnte man schon jetzt eine Art Zellbank anlegen, die die wichtigsten Typen bereithält: Herz, Leber, Niere, Lunge, Gehirn, Blut – mit unterschiedlichen immunologischen Profilen, ähnlich wie eine Blutbank Blut verschiedener Blutgruppen umfasst. Eine Abstoßungs­reaktion könnte man zwar nicht vollständig vermeiden, «die ist aber mit Immununterdrückern in den Griff zu bekommen». So würde man wertvolle Zeit sparen, bis maßgeschneidertes Gewebe des Patienten gezüchtet ist.
Viele Hürden sind noch zu nehmen auf dem Weg zum Organ aus der Retorte – auch finanzielle: «Die Industrie schreckt vor Zelltherapien zurück», sagt Zimmermann. Zu hoch erscheinen ihr noch die Risiken. Deshalb ist er mit Heilsversprechen vorsichtig. «In fünf Jahren werden wir noch kein Herz züchten können», sagt er. «Aber wir bemühen uns, es so schnell wie möglich zu schaffen.»

Von Jens Lubbadeh

Der Text ist entnommen aus:
http://www.spiegel.de