Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №19/2009

Wissenschaft und Technik

Herodes – König, Monster, Bauherr

Das Matthäus-Evangelium beschreibt Herodes als Kindermörder, der es auf Jesus abgesehen hatte. Historiker bezweifeln diese Darstellung. Gewalttätig war der Herrscher jedoch offenbar wirklich – von seinem Hof sind gnadenlose Machtkämpfe und verquere Bettgeschichten überliefert.

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Von Herodes angeblich angeordnete Kindstötung (Darstellung aus dem 14. Jahrhundert): Die Erzählung sollte die Geburt Jesu aufwerten.

Das Neue Testament gilt gemeinhin als «Gute Nachricht». Aber für einige überliefert es auch sagenhaft schlechte Botschaften: Über Herodes I., genannt Herodes der Große, jedenfalls enthält die Schrift einige wenige Sätze, die reichten, um ihn scheinbar auf ewig zum Kindermörder abzustempeln: «Als Herodes merkte, dass ihn die Sterndeuter getäuscht hatten, wurde er sehr zornig», so steht es im Evangelium des Matthäus, «und er ließ in Betlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten, genau der Zeit entsprechend, die er von den Sterndeutern erfahren hatte.» Das ist er also, Herodes, der monströse Verbrecher, der Urböse – und Jude dazu. So ging er in das kollektive Gedächtnis der Menschheit ein.
Geschichtsschreibung und ihre Deutung wird inzwischen filigran erforscht. Und so widerfuhr Herodes späte Wiedergutmachung. Heute sind sich viele Historiker in einem Punkt einig: Die Erzählung vom Kindermord sollte die Geburt Jesu noch aufwerten, stimmen aber dürfte sie nicht. Denn der jüdische Historiker Flavius Josephus, dessen Chroniken die Hauptquelle zu Herodes bilden, erwähnt die Mordgeschichte überhaupt nicht.
Und auch in Punkt zwei ist alter Glaube neuen Zweifeln gewichen. Ob der «König der Juden» wirklich Jude war, ist Interpreta­tionssache. Wahrscheinlich hatten seine Vorfahren – freiwillig oder gezwungen – den jüdischen Glauben angenommen, Herodes war als Jude erzogen worden, jedoch ohne direkt jüdischer Abstammung zu sein.
Klar ist in der Causa Herodes so viel: Er wurde circa 73 vor Christus geboren und starb 4 Jahre vor Christi Geburt. Er war ein machtbewusster Herrscher, König über Judäa, Samarien und Galiläa, über ein Gebiet, das im Norden weit über das heutige Israel hinausgeht. Aber er war nur Herrscher von römischen Gnaden, vielleicht vergleichbar mit einem Ostblock-Staatschef im Sowjetreich. Herodes verwaltete die ihm anvertrauten Gebiete im Auftrag Roms.
Aber was ist schon vergleichbar, was für den heutigen Betrachter der Person Herodes vorstellbar? Seine persönliche Lebensbilanz etwa? Zu ihr gehören sagenhafte zehn Ehen, darunter mit Frauen, deren Namen der Nachwelt nicht überliefert wurden. Aus den vielen angeblichen Verbindungen stammen unzählige Kinder. Einige brachten es zu trauriger Bekanntheit, eine Bekanntheit, die auch ein wenig erklärt, wie Herodes in den Ruf des Kindermörders geraten konnte. Er ließ drei seiner eigenen Söhne hinrichten, weil er ihnen Putschpläne und Intrigen vorwarf.
Geschichtsschreiber, auf die sich die Herodes-Forschung bezieht, haben vom Hof des Herrschers Erzählungen hinterlassen, die als Vorlage für Kriminalfilme dienen könnten. Von blindem Hass wird berichtet, von verqueren Liebes- und Bettgeschichten ist da die Rede, von Machtkämpfen und heimlichen Bündnissen, von Folter und immer wieder von Hinrichtungen auf Befehl Herodes’.
Eine der tödlichen Affären soll sich kurze Zeit vor dem Tod des Königs abgespielt haben, die sogenannte Adler-Affäre. Zwei jüdische Gesetzeslehrer sollen dazu aufgerufen haben, einen großen Adler vom Sockel zu reißen, den Herodes als Zeichen seiner Macht am jüdischen Tempel angebracht hatte. Für die Strenggläubigen, denen Herodes nie Jude genug war, offenbar ein Frevel. Als sich die Randalierer daranmachten, das Steinrelief in Stücke zu schlagen, griff die Tempelwache ein, 40 Personen wurden Herodes vorgeführt. Er machte ihnen den Prozess, ließ die Anstifter lebendig verbrennen und die Mittäter hinrichten.
Um Macht ging es in der Affäre, auch um die Macht, die ein Bauwerk symbolisierte. Das Verhältnis des Königs Herodes zu Prunkbauten, könnte man zynisch resümieren, war inniger als das zu seinen Frauen und Kindern. Der Anblick Roms muss ihn als Bauherrn geprägt haben. In dieser Hinsicht ist die Bezeichnung Herodes der Große keinesfalls eine Übertreibung.

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Mutmaßlicher Herodes-Sarkophag: Die Erzählungen über den König könnten als Vorlage für Kriminalfilme dienen.

Mit römischer Technik trieb er für die damalige Zeit gigantische Projekte voran: den Tempelbau in Jerusalem, Paläste, Festungen, Wasserleitungen, Hafenanlagen. Spuren der Bautätigkeit des Herodes sind bis heute überall im Heiligen Land erkennbar: der Palast des Herodes etwa am Nordhang von Masada am Toten Meer, dessen Reste im sommerlichen Abendlicht heute die Touristen faszinieren.
Von seinem Vater 47 vor Christus als Statthalter von Galiläa eingesetzt, hatte Herodes zu Beginn seiner Karriere vor gefährlichen Widersachern aus Jerusalem fliehen müssen. Damals reiste er erstmals übers Meer in die Ewige Stadt, deren imposante Bauten ihn so nachhaltig beeindruckten. Sie waren nicht nur Zeichen der Macht, sondern auch Symbole der Dauerhaftigkeit in einer Zeit voller Ungewissheiten, voller Angst vor tödlichen Intrigen.
Nach seiner Rückkehr aus Rom, wo er zum König von Judäa ernannt worden war, zog er in den Krieg gegen den Hasmonäer-Herrscher Antigonos und schlug seine Feinde vernichtend. Er eroberte Jerusalem zurück und konnte seinen Herrschaftsbereich ausdehnen. Er war jetzt auf dem Höhepunkt seiner Macht, er galt als guter Herrscher, bekämpfte Hungersnöte, senkte die Steuerlast, er brachte die Wirtschaft – speziell die Bronzeherstellung – voran, hielt eine Balance, die ihm als diplomatisches Geschick ausgelegt wurde. Er blieb stets loyal zu Rom und huldigte gar den heidnischen Göttern, was ihm daheim als Verrat am Judentum vorgeworfen wurde.
Pompös muss das Leben des Herodes zu Ende gegangen sein, mit einer prachtvollen Beisetzung in einem eigenen Mausoleum südlich von Jerusalem. Von einer gewaltigen Prozession wird berichtet, von einem Leichnam in Purpur, von Hunderten Dienern, die dem Trauerzug folgten.
2007 wurde seine Grabstätte auf dem Herodeion entdeckt, einem Hügel im Süden von Jerusalem, den der König für seinen Festungs- und Palastbau eigens hatte erhöhen lassen. Seitdem werden Funde ausgewertet, das Bild dieses bedeutenden Herrschers wird präzisiert. Aber die spektakuläre Entdeckung wurde zum Zankapfel der Politik. Denn die historische Stätte liegt im Westjordanland, im Gebiet der Palästinenser also. Und so streiten Israelis und Palästinenser darüber, wem das Erbe des Herodes wirklich zusteht. In dieser Hinsicht scheint sich über Tausende von Jahren im Heiligen Land wenig geändert zu haben.

Von Stefan Berg

Der Text ist entnommen aus: http://www.spiegel.de