Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №18/2009

Sonderthema

«Das Poetische hat immer recht …»
Theodor Fontane – Leben und Werk

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Theodor Fontane

Zeit seines Lebens ist Theodor Fontane im Zwiespalt zwischen Freiheitsbestrebungen und dem auferlegten gesellschaftlichen Korsett, in das er sich vor allem aufgrund finanzieller Sorgen pressen lässt. In den frühen Jahren, in denen man sein poetisches Talent nur erahnen kann – seine Veröffentlichungen bescheren ihm nur mäßigen Erfolg – besucht er die Schule des Lebens: Als approbierter Apotheker erhält der künftige Dichter Einblicke in die reale Alltags- und Arbeitswelt der kleinen Leute, die beste Voraussetzung für detaillierte Milieu- und Charakterstudien. Nach dem Apothekerdasein, dem Schreiben von Balladen, historischen Erzählungen, Reisebildern, Artikeln und Theaterrezensionen, wagt er einen Selbstversuch und lässt einen lang gehegten Traum Wirklichkeit werden: Fontane schreibt Romane. So ist ihm sein schriftstellerischer Erfolg erst im hohen Alter vergönnt, denn die Romane, für die er heute berühmt ist, stammen aus seinem letzten Lebensabschnitt.

«Lieber Vater.
Du bist kein Kater.
Du bist ein Mann,
der nichts Fettes vertragen kann,
Doch von den Russen hörst Du gern,
Wie sie den Polen den Weg versperrn ...»

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Theodor Fontanes
Geburtshaus in Neuruppin

So beginnt ein Geburtstagsbrief des kleinen Fontane an den Vater. Auch wenn er schon recht früh mit dem Verseschmieden begonnen und lange journalistisch gearbeitet hat, so sind die großen Romane erst nach seinem 60. Lebensjahr entstanden.
Henri Théodore Fontane ist am 30. Dezember 1819 in Neuruppin als erstes von fünf Kindern zur Welt gekommen. Der Vater Louis Henri und die Mutter Emilie Fontane, beide aus hugenottischen Familien stammend, gehörten zur «Französischen Kolonie» in Brandenburg-Preußen. Die Mutter, «eine schlanke zierliche Frau von schwarzem Haar, mit Augen wie Kohlen, energisch, selbstsuchtlos und ganz Charakter», und der Vater, ein «humoristischer, umgänglicher Visionär, Phantast, Plauderer und Geschichtenerzähler».
Louis Fontane liebte einen luxuriösen Lebensstil, rassige Pferde und das Glücksspiel. Leisten konnte er sich das freilich nicht. In der Hoffnung, seine prekäre finanzielle Situation zu verbessern, verkaufte er 1826 seine Apotheke in Neuruppin und zog mit der Familie nach Swinemünde, wo er die «Adler-Apotheke» übernahm.
Aus dem prosaischen Neuruppin ins poetische Swinemünde! So jedenfalls hat es der junge Fontane empfunden; der alte wird den Charme der mehr und mehr besonders bei den Berlinern in Mode kommenden Badeorte an der Ostsee in seinen Romanen Graf Petöfy und Effi Briest und in seiner Autobiografie beschreiben: «Überall da, wo gotische Giebel in ihrem finsteren, historischen Ernst aufragen, da verschwindet der heitere Flaggenschmuck in dem umherliegenden Dunkel; in den kleinen kaum hundert Jahre alten Städten aber, die keine Geschichte haben und in ihrer Kleinheit und Sauberkeit fast aussehen, als wären sie gestern aus der Spielschachtel genommen, in ihnen ist die Flagge die Hauptsache, das flatternde Band am Hut.»
Die im Alter vorgenommene literarische Rückbesinnung auf Kindheit und Elternhaus hat auch einen therapeutischen Nebeneffekt. Sie hilft Fontane, Krisen und Schreibblockaden zu überwinden: «Das Haus, zumal die eigentlichen Wohnräume waren, das mindeste zu sagen, anfechtbar, entzückend aber waren Hof und Garten ... Da spielten wir halbe Tage lang und legten Burgen an oder turnten am Reck oder brachen Planken aus dem Zaun und zogen auf Raub in die Nachbargärten. Schöner aber als alles das war für mich wenigstens, eine zwischen zwei Holzpfeilern angebrachte, ziemlich baufällige Schaukel. Der quer überliegende Balken fing schon an, morsch zu werden, und die Haken, an denen das Gestell hing, saßen nicht allzu fest mehr. Und doch konnt ich gerade von dieser Stelle nicht los und setzte meine Ehre darin, durch abwechselnd tiefes Kniebeugen und elastisches Wiederemporschnellen die Schaukel derartig in Gang zu bringen, dass sie mit ihren senkrechten Seitenbalken zuletzt in eine fast horizontale Lage kam. Dabei quietschten die rostigen Haken, und alles drohte zusammenzubrechen. Aber das gerade war die Lust, denn es erfüllte mich mit dem wonnigen und allein das Leben bedeutenden Gefühle: Dich trägt das Glück.»

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Emilie Fontane

Doch dass das Leben nicht nur von «Poesie», sondern vor allem von «Prosa» bestimmt wird, hat schon der 7-jährige Theodor begriffen. Die heftigen Streitigkeiten der Eltern verunsichern ihn einerseits, stärken aber andererseits auch seine Wahrnehmungsfähigkeit und sein Gespür für zwischenmenschliche Gefühls- und Verhaltensweisen. Das Dilemma des emotional überforderten Kindes, sein Hin- und Hergerissensein zwischen der starken Mutter und dem schwachem Vater – literarisch wie psychologisch – meisterhaft dargestellt: «Wenn ich dann an das Sofa herantrat und seine Hand streichelte, sah ich, dass er geweint hatte. Dann wusste ich, dass wieder eine ‹große Szene› gewesen war immer in Folge von fantastischen Rechnereien und geschäftlichen Unglaublichkeiten, um derentwillen man ihm doch nie böse sein konnte ... ich armes Kind stand, an der Tischdecke zupfend, verlegen neben ihm und sah, tief erschüttert, auf den großen, starken Mann, der seiner Bewegung nicht Herr werden konnte. Manches war Bitterkeit, noch mehr war Selbstanklage. Denn bis zu seiner letzten Lebensstunde verharrte er in Liebe und Verehrung zu der Frau, die unglücklich zu machen sein Schicksal war.»
Fontane richtete seinen Blick aber nicht nur auf die familieninternen Beziehungsmuster, die Problematik zwischen Vater und Mutter, sondern auch auf das soziale Umfeld. Die Zeit des «Vormärz» war die Zeit gesellschaftlicher und politischer Umwälzungen. Die Macht von Kirche und Adel bröckelte. Tradierte Werte verloren an Bedeutung: «In der Stadt, in der ich meine Knabenjahre verbracht hatte – Swinemünde – trank man fleißig Rotwein und fiel aus einem Bankrott in den anderen, und in unserm eignen Hause, wiewohl uns Katastrophen erspart blieben, wurde die Sache gemütlich gemacht, und mein Vater, um seinen Lieblingsausdruck zu gebrauchen, kam aus der ‹Bredouille› nicht heraus. Alles in allem hatte ich, wenn ich von meiner Mutter – die aber ganz ohne Ausnahme dastand – absehe – wenig geordnete Zustände gesehn.»
«Wenig geordnet» vollzieht sich auch Fontanes schulischer Werdegang. Von einem geregelten Schulbesuch kann nicht die Rede sein. Da die Kleinstadt kein angemessenes Bildungsangebot aufzuweisen hat, wird der 14-Jährige in einer Berliner Gewerbeschule angemeldet und beim Bruder des Vaters untergebracht.
August Fontane, eine «verkrachte Existenz» – die zwischen Malerei und Musik hin- und her dilettiert und offensichtlich wenig Neigung verspürt, sich einem bürgerlichen Broterwerb zu widmen. Aber ein Onkel, bei dem es sich aushalten lässt und bei der reizenden Tante Pinchen – mit dem Spitzentuch – allemal: «In den vielen Freistunden, die mein Onkel sich gönnte, saß er tagaus, tagein am Klavier und sang seine Figaro-Arie zum hundertsten Male, dann und wann eine Kusshand werfend oder sich unterbrechend, um einen reizenden Pudel – der natürlich auch Figaro hieß – durch den gekrümmten Arm springen zu lassen. Ich hockte auf einem kleinen Stuhl zwischen Ofen und Sofa, sah nach dem Spitzentuch mit den goldenen Nadeln und nach Figaro, der eben wieder durchsprang, und glaubte an die beste der Welten.»
So viel Lebensmut hat er nicht immer, sein Selbstbewusstsein ist ziemlich angeknackst. Fontane wird von Unsicherheit und Wut gebeutelt, besonders dann, wenn er an seine berufliche Zukunft denkt: «Ohne Vermögen, ohne Familienanhang, ohne Schulung und Wissen, ohne robuste Gesundheit bin ich ins Leben getreten, mit nichts ausgerüstet als einem poetischen Talent und einer schlecht sitzenden Hose.»

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Zeitgenössische Aufnahme der Adler-Apotheke in Swinemünde, die der Vater des deutschen Schriftstellers Theodor Fontane erwarb.

An die Förderung des «poetischen Talents» oder gar ein geisteswissenschaftliches Studium ist aus finanziellen Gründen nicht zu denken. Mag Fontane in den Berliner Lesecafés und Bibliotheken seinen Bildungshunger stillen und auch schon eigene Balladen zu Papier bringen ... für die Eltern liegt es nahe, dass der Sohn in die Fußstapfen des Vaters tritt. Eine preiswerte Lösung. Erst Apothekengehilfe, dann approbierter Apotheker 1. Klasse mit Stellen in Berlin, Leipzig und Dresden.
Verlorene Jahre? Keineswegs, denn der künftige Dichter erhält realistische Einblicke in die Alltags- und Arbeitswelt der kleinen Leute und studiert die «Geldsackgesinnung» der Bessergestellten. Er besucht sozusagen die Schule des Lebens, beste Voraussetzung für die stimmigen Milieu- und Charakterstudien seiner Bücher.
Die Aufspaltung in Apotheker und Autor wird Fontane zunehmend lästiger. Weiß er doch längst, was er am liebsten ausschließlich täte: Schreiben! An den Freund Bernhard von Lepel, der seine künstlerischen Ambitionen fördert – er hat ihn in den Literaturclub «Tunnel über der Spree» eingeführt – schreibt er: «Frage dich, was ich empfinden muss, wenn ich dem Lehrling zurufe: ‹Sputen Sie sich! Wiegen Sie genau! Denken Sie an die China-Pomade... Mein Gott, lassen Sie doch das schöne Kind nicht so lange warten; Sie sehen ja, sie hat Eile.› Darauf ergreif’ ich in heiligem Eifer selbst die Pomadenbüchse, wickle mit einer zarten Bemerkung die Salbe in doppeltes Papier, und überreiche irgendwelchem Saumensch, die Abends hinter den Haustüren abgeknutscht wird, pfiffig lächelnd ihre Haarschmiere.»
Fontane – trotz despektierlicher Schilderung – dem weiblichen Geschlecht alles andere als abgeneigt, hofft sein Glück mit dem «Abruzzenmädchen» zu finden. Emilie war noch ein Kind, als er sie im Hause des Onkels kennengelernt und dann aus den Augen verloren hatte. Der Beschreibung nach muss sie ihn an seine Mutter erinnert haben.
Jedenfalls sehnen sich beide nach emotionaler Zugehörigkeit. Die un­ehelich geborene und ständig herumgestoßene Emilie Rouanet und der von den ewigen Streitereien der Eltern traumatisierte Theodor Fontane.
«Die Kleine mittlerweile neunzehn Jahr alt geworden, war total verändert. Nicht bloß das Abruzzentum war hin, auch die mildere Form: das Südfranzösische, hatte sich beinah ganz verflüchtigt, und die tiefliegenden dunklen Augen, die mir, ohne schwarz zu sein, immer kohlschwarz erschienen waren, sahen jetzt, in dem hierlands üblichen Halbgrau, hell und lachend in die Welt hinein. Alles in allem, beweglich und ausgelassen, vergnügungsbedürftig und zugleich arbeitsam, war sie der Typus einer jungen Berlinerin, wie man sie sich damals vorstellte. Wir nahmen den alten herzlichen Ton gleich wieder auf, und die Leute wussten bald, was draus werden würde» ... und Fontane wohl auch. Ein Spaziergang mit Folgen. Wir schreiben den 8. Dezember 1845.
«Es war wenige Schritte vor der Weidendammer Brücke, dass mir dieser glücklichste Gedanke meines Lebens kam, und als ich die Brücke wieder um ebenso viele Schritte hinter mir hatte, war ich denn auch verlobt.»
Es sollte dann aber noch fünf Jahre dauern, bis das Paar vor den Traualtar treten konnte. Fontane wollte einigermaßen sicher sein, eine Familie ernähren zu können. Das Geld wird – wie im Elternhaus – ein Dauerthema bleiben. Zudem hatte er sich in den Kopf gesetzt, seine Existenz fortan mit Schreiben zu verdienen.
«Ein Apotheker, der anstatt von einer Apotheke von der Dichtkunst leben will, ist so ziemlich das Tollste, was es gibt», wird er sich im Alter eingestehen, doch vorläufig geht es vor allem um journalistische Arbeiten. Gedichtet wird hauptsächlich am Sonntag. Fontane verdingt sich als Korrespondent preußischer Zeitungen in London. England hieß sein Sehnsuchtsland – hier, in einer wirtschaftlich erstarkenden Gesellschaft, schienen parlamentarische Demokratie und soziale Gerechtigkeit besser verwirklicht zu sein als in Deutschland. Ideale, um die es auch im Vormärz und während der 1848er Revolution zu Hause gegangen war. Fontane hatte sogar zu den Barrikadenstürmern gehört. Wechselte dann aber bald zu einer gemäßigt konservativen politischen Haltung: «Es liegt mir an der Freiheit, nicht an ihrer Form im Staate. Ich will keine Republik, um sagen zu können, ich lebe in solcher. Ich will ein freies Volk... ich hasse nicht die Könige, sondern den Druck, den sie mit sich führen. Man spielt kein ehrliches Spiel, und darum will ich die Republik. Es gibt keine deutsche Einheit bei 37 Fürsten, und deshalb will ich sie noch einmal.»
Aus beruflichen Gründen war die Familie oft getrennt. Emilie Fontane fand sich allein gelassen mit den Geldsorgen, unsicheren Wohnverhältnissen und der wachsenden Kinderschar. Von den sieben Kindern, die den Fontanes während ihrer 48 Jahre dauernden Ehe geboren wurden, überlebten nur drei ihre Eltern.
«Ja, mein einziger Herzensmann, ich leide viel; gestern Abend um 7 Uhr hat der liebe Gott unseren kleinen Neugeborenen wieder zu sich genommen! Mein lieber, lieber Mann, es tut sehr weh und gewiss ist das Kind ein Stück vom Herzen der Mutter, denn das wehrt und sträubt sich sehr, ehe es den kleinen Liebling hergibt. Gestern Nachmittag erhielt der Kleine die Nottaufe, Fournier war sehr liebevoll, sprach schön und betete auch für den fernen Vater... Was dem kleinen Wurm gefehlt hat, werden wir wohl erst heut erfahren... ach, Theo komm nun zu Deiner armen Mila, ich will auch gefasst und ruhig sein, aber nun muss ich Dich wieder haben!»
Auch wenn Emilie Fontane lange nicht an den literarischen – sprich finanziellen Erfolg – ihres Mannes glauben konnte, so schrieb sie doch seine Entwürfe ins Reine – so gewissenhaft, wie sie auch ihr Haushaltsbuch führte. Natürlich bedeutete es ihr viel, wenn das Familieneinkommen durch eine feste Anstellung des Hausherrn – beispielsweise als Redakteur der «Kreuzzeitung» oder als Sekretär der Berliner Akademie der Künste – gesichert war. Als er diese Positionen kündigte, reagierte sie dementsprechend heftig: «Überrascht hat mich dieser Dein Schritt nicht; ich weiß seit lange, dass Du nach Freiheit schmachtest ... Jedes Gebundensein widerstrebt Deiner Natur, so lange die Dinge ruhig gehen, bist Du glücklich und zufrieden; kommet aber ein Anstoß, so verwirfst Du auch Alles ... Es ist dies der Fall mit mir seit beinah 20 Jahren. Sobald ich durch irgend etwas Dir unangenehm bin, sobald ich Dir entgegen stehe, sprichst Du von einer 20-jährigen, unerträglichen Ehe.»
«Meine liebe Frau, es ist im Großen und Kleinen dasselbe Lied. Du reizt mich bis aufs Blut und wunderst Dich hinterher, wenn ich heftig und bitter werde. Wenn Du Dich doch nicht in der Vorstellung verblenden wolltest, eine arme zurückgesetzte Kreuzträgerin zu sein... Du bist eine durch Deinen Mann, Deine Kinder, Deinen Lebensgang und Deine Lebensstellung unendlich bevorzugte Frau... Dass Du das Glück nach der Zahl der Geldrollen bemessen solltest, für so inferior halte ich Dich nicht, habe auch keine Ursache dazu.»
Szenen einer Ehe, aus denen Fontane Literatur macht: «Wie bei vielen Eheleuten, so stand es auch bei den Holkschen. Wenn sie getrennt waren, waren sie sich innerlich am nächsten, denn es fielen dann nicht bloß die Meinungsverschiedenheiten und Schraubereien fort, sondern sie fanden sich auch wieder zu früherer Liebe zurück und schrieben sich zärtliche Briefe.»
Ab 1870 ist Fontane Theaterrezensent der «Vossischen Zeitung» in Berlin. Und seine Kritiken mögen nicht oft unterhaltsamer als die Inszenierungen gewesen sein. Fräulein Buska aus dem Sommernachtstraum wird ganz nach Fontane’scher Manier zum Modell für Franziska Franz in seinem Roman Graf Petöfy... und damit wohl berühmter als sie es sich jemals hätte träumen lassen: «Aber welche Stimmen! Die eine, nicht ungefällig, aber soubrettenhaft, die andere ganz ‹Berliner Madam›, die mit Morgenhaube und eingeflochtenem Haar über den Gemüsemarkt schreitet. Und ... Oberon, der Elfenkönig! Der Menschheit tiefste Prosa fasst mich an. Gern heb ich hervor, dass Fräulein Buska Titania wie ein Stern leuchtete. Sie weidet wie ein Reh in dieser grünen Waldesdichtung, während Elfenkönig Oberon wie ein Sechzehnender durch die Gehege bricht ...»

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Theodor Fontanes Denkmal in Neuruppin

Schlecht ist schlecht. Und es muss gesagt werden. Das betrifft auch die Stücke berühmter Schriftsteller wie Karl Gutzkow. Selbst wenn der erprobte Autor und Wortführer des «Jungen Deutschland» schwerkrank gewesen sei, gäbe es ihm nicht das Recht, sein Publikum mit Unsinn zu verwirren oder zu langweilen: «Das Poetische – vorausgesetzt, dass man etwas anderes darunter versteht als meine Freundin Jenny Treibel – das Poetische hat immer recht, es wächst weit über das Historische hinaus.»
Nach dem Apothekerdasein, dem Schreiben von Balladen, historischen Erzählungen, Reisebildern, Artikeln und Theaterbesprechungen entschließt sich Fontane endlich, seinen Traum zu verwirklichen und nur noch Schriftsteller zu sein: «Der Roman ist für mich in dieser trostlosen Zeit mein einziges Glück, meine einzige Erholung. In der Beschäftigung mit ihm vergesse ich, was mich drückt...»
Theodor Fontane ist um die 60, als er beginnt, seine wichtigsten Romane zu vollenden: «Meine Situation ist in der Tat eine kritische. In Jahren, wo die meisten Schriftsteller die Feder aus der Hand zu nehmen (lassen) pflegen, kam ich in die Lage sie noch einmal recht fest in die Hand nehmen zu müssen, und zwar auf einem Gebiet, auf dem ich mich bis dahin nicht versuchte. Missglückt es, so bin ich verloren. Ich habe meine Schiffe verbrannt, und darf – wenn ich auch keine Siege feiere – wenigstens nicht direkt unterliegen. Meine Arbeit muss zum Mindesten so gut sein, dass ich auf sie hin einen kleinen Romanschriftsteller-Laden aufmachen und auf ein paar treue, namentlich auch zahlungsfähige Käufer rechnen kann.»
Um Auflagen und Honorare zu erhöhen, stimmt Fontane dem Vor-Abdruck des Romans Irrungen, Wirrungen in der Vossischen Zeitung zu. Es ist die Geschichte einer Liebe zwischen einem Grafen und einem einfachen Mädchen. Nach den vorherrschenden gesellschaftlichen Bedingungen eine unmögliche Verbindung. So wird er von seiner Familie zur standesgemäßen Heirat gezwungen. Und sie rettet sich in eine Vernunftehe.
Doch bevor es dazu kommt, verbringt das Liebespaar eine gemeinsame Nacht. Skandalös! Die Leser der «Vossischen Zeitung» sind empört, viele kündigen ihr Abonnement auf. Und einer der Verleger soll entnervt geseufzt haben: «Wird denn die grässliche Hurengeschichte nicht bald aufhören?»
Zweck des Romans sei – so Fontane: «Das Hohle, Phrasenhafte, Lügnerische, Hochmütige, Hartherzige des Bourgeoisstandpunktes zu zeigen, der von Schiller spricht und Gerson, das Kaufhaus, meint.»
Das mehr und mehr zur europäischen Metropole aufstrebende Berlin wird häufig zum Schauplatz Fontane’scher Romane. Beispielsweise in Frau Jenny Treibel, Irrungen, Wirrungen oder in Schach von Wuthenow. Hier kennt er sich aus. Macht stundenlange Spaziergänge. Unternimmt Wanderungen und Ausfahrten in die nahe und ferne Umgebung.

«Ein Vergnügen eigener Art
Ist doch eine Wasserfahrt,
Und ein Vergnügen (frage nicht wie)
Ist eine Berliner Landpartie.»

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Die Grabstelle von Theodor Fontane und seiner Ehefrau Emilie Fontane in Berlin-Mitte. Das Grab, das zu DDR-Zeiten im militärischen Sperrgebiet lag, konnte damals nur mit einer Sondergenehmigung besucht werden.

Landpartien bieten seinen Romanfiguren die Möglichkeit, sich näher zu kommen, ihr Verhältnis zu vertiefen oder festzustellen, dass ihre Gefühle füreinander erkaltet sind.
Einerseits ist Fontane, der Verfechter individueller Freiheit und Glückssuche, den «Herztönen» seiner Zeitgenossen auf der Spur, andererseits verliert er nicht die Bewahrung gesellschaftlicher Normen aus den Augen. Wer bestimmte Normen verletzt, muss mit den Konsequenzen seines Ausbruchs aus dem üblichen Lebensrahmen fertig werden. Auch Effi Briest, Fontanes wohl berühmteste Romanfigur, verheiratet mit einem wesentlich älteren Mann, erliegt den Avancen eines jüngeren Verführers bei einer Schlittenfahrt: «Effi schrak zusammen. Bis dahin waren Luft und Licht um sie her gewesen, aber jetzt war es damit vorbei, und die dunklen Kronen wölbten sich über ihr. Ein Zittern überkam sie, und sie schob die Finger fest ineinander, um sich einen Halt zu geben ... ‹Effi›, klang es jetzt leis an ihr Ohr, und sie hörte, dass seine Stimme zitterte. Dann nahm er ihre Hand und löste die Finger, die sie noch immer geschlossen hielt, und überdeckte sie mit heißen Küssen. Es war ihr, als wandle sie eine Ohnmacht an.»
«Ach, Effi! Alle Leute sympathisieren mit ihr und einige gehen so weit, im Gegensatze dazu, den Mann als einen ‹alten Ekel› zu bezeichnen. Das amüsiert mich natürlich, gibt mir aber auch zu denken, weil es wieder beweist, wie wenig den Menschen an der sogenannten Moral liegt und wie die liebenswürdigen Naturen dem Menschenherzen sympathischer sind... Vielleicht interessiert es Sie, dass die wirkliche Effi übrigens noch lebt, als ausgezeichnete Pflegerin in einer großen Heil­anstalt. Innstetten, in natura, wird mit Nächstem General werden. Ich habe ihn seine Militärcarrière nur aufgeben lassen, um die wirklichen Personen nicht zu deutlich hervortreten zu lassen.»
Auch wenn Fontane bis ins kleinste Detail die inneren und äußeren Befindlichkeiten der Menschen seiner Epoche schildert, so seien seine Werke doch zeitlos. Das schreibt Einer, der wie andere wichtige Autoren auch, den großen Dichter aus dem Königreich Preußen als literarischen Wegbereiter steht, Heinrich Mann: «Der moderne Roman wurde für Deutschland erfunden, verwirklicht, auch gleich vollendet von Theodor Fontane. Als Erster hier hat er wahrgemacht, dass ein Roman das gültige, bleibende Dokument einer Gesellschaft, eines Zeitalters sein kann, dass er soziale Kenntnis gestalten und vermitteln, Leben und Gegenwart bewahren kann noch in seiner sehr veränderten Zukunft.»
Als ihn die Feierlichkeiten anlässlich seines 70. Geburtstages zu überrollen drohten, zog der skeptische Fontane ein Lebensresümee: «Ich erwarte keine Liebe ... Ich will nur, solange ich atme, einfach sagen dürfen, wie ich die Dinge ansehe. Man lebt sich selbst, man stirbt sich selbst. Man ist den Menschen gar nichts – ihnen höchstens im Wege – und wenn sich drei Ausnahmen finden, so steht es auch mit diesen mau genug.»
Eine von Fontanes engsten Bezugspersonen wurde seine Tochter Mette. Die schwierige, oft an körperlichen Krankheiten und Gemütsverstimmungen Leidende und lange unverheiratet Gebliebene liebte den Vater abgöttisch und war oft in seiner Nähe. Auch an jenem 20. September 1898 in Berlin...
«Er hatte sich mit der Tochter lebhaft unterhalten. Verlangte von ihr einen Likör, den er, wenn auch selten, gern trank. Während sie das Glas holte, ging er in sein Schlafzimmer. Sein langes Verweilen dort beunruhigte sie. Und als sie die Tür öffnete, fand sie den Vater über dem Bett liegend. Ein schmerzloser, sanfter Tod.»

Autorin: Gabriele Bondy
Redaktion: Petra Herrmann
© Bayerischer Rundfunk

Theodor Fontane
Zeittafel

1819 Am 30. Dezember in Neuruppin in der Mark Brandenburg geboren, wo Fontanes Vater Apotheker war. Beide Eltern stammen von französischen Hugenotten ab.
1827 Übersiedlung nach Swinemünde, wo Fontane von Hauslehrern unterrichtet wird.
1832 Rückkehr nach Neuruppin. Zu Ostern Eintritt in die Quarta des Neuruppiner Gymnasiums.
1836 Beginn einer Apothekerlehre, die Fontane 1840 mit seinem Examen als Apothekergehilfe abschließt.
1840–1844 Verschiedene Stellen als Apothekergehilfe. Er schließt sich in dieser Zeit verschiedenen literarischen Vereinen an.
1844 Vom 1. April an dient Fontane als Einjährig-Freiwilliger im Berliner Gardegrenadierregiment «Kaiser Franz». Im Mai/Juni unternimmt er seine erste England-Reise. Ab September ist er ordentliches Mitglied des literarischen Sonntagsvereins «Tunnel über der Spree».
1845 Wiederaufnahme seiner Tätigkeit in verschiedenen Apotheken. 1847 erfolgt die Approbation zum Apotheker.
1848 Teilnahme an den revolutionären März-Ereignissen.
1849 Aufgabe des Apothekerberufs. Seine Laufbahn als freier Schriftsteller beginnt Fontane als Berliner Korrespondent der «Dresdner Zeitung».
1850 Am 16. Oktober Heirat mit Emilie Rouanet-Kummer. Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften des konservativen Lagers.
1855–1859 Im September geht Fontane als Leiter der «Deutsch-Englischen Korrespondenz» nach London. 1857 folgt seine Familie nach London. Es entstehen kulturgeschichtliche und politische Essays, Gedichte und Übersetzungen.
1859 Im Januar Rückkehr nach Berlin.
1860 Am 1. Juni Eintritt in die «Neue Preußische (Kreuz-) Zeitung» als Redakteur des England-Teils. Fontane wird von nun an in Berlin wohnen.
1862 Der 1. Band der Wanderungen durch die Mark Brandenburg erscheint.
1864–1870 Mit dem Ausbruch des Deutsch-Dänischen Kriegs beginnt die Phase der Kriegsgeschichtsschreibung. Verschiedene Reisen zu Kriegsschauplätzen.
1870 Fontane arbeitet (bis 1889) als Theaterkritiker für die «Vossische Zeitung».
1878–1898 Als erster Roman erscheint Vor dem Sturm (1878). In den nächsten 20 Jahren erscheint Fontanes Romanwerk – mit zwei autobiografischen Werken – in kontinuierlicher Folge: Grete Minde (1880), Elternklipp (1881), L’Adultera (1882), Schach von Wuthenow (1883), Graf Petöfi (1884), Unterm Birnbaum (1885), Cecile (1887), Irrungen, Wirrungen (1888), Stine (1890), Quitt und Unwiederbringlich (1891), Frau Jenny Treibel (1892), Meine Kinderjahre. Autobiografie (1894), Effi Briest (1895), Die Poggenpuhls (1896), Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiografie (1898).
1898 Fontane, der 1894 die Ehrendoktorwürde der Berliner Universität verliehen bekommen hatte, stirbt am 20. September in Berlin.

Der Text ist entnommen aus: http://www.br-online.de