Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №3/2009

Sonderthema

Charles Robert Darwin: zum 200. Geburtstag

Vor mehr als 170 Jahren brach der 22-jährige Charles Darwin auf Expedition von England in die südliche Hemisphäre auf. Nach seiner Rückkehr entwickelte er aufgrund seiner Tier- und Pflanzenfunde sowie seiner geologischen Studien die Evolutionstheorie. Die Veröffentlichung seines Werkes Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl traf nicht nur die katholische Obrigkeit tief ins Mark. Der Mensch, bisher als Zentrum des Universums und als Ebenbild Gottes auf Erden angesehen, sollte nunmehr gemeinsame Vorfahren mit anderen Lebewesen haben und sich erst im Laufe eines Entwicklungsprozesses verändert und differenziert haben? Plötzlich schien nicht mehr Gott allein verantwortlich für die Vielfalt der Arten auf Erden. Doch wie hat sich die Theorie des frevelnden Naturwissenschaftlers entwickelt?

img1

Galapagos – bedeutend für Darwins Theorie

Fitz Roy: Marssegel reffen! – Kurs Südsüdwest bei 200 Grad!
Steuermann: Kurs Südsüdwest bei 200 Grad.
27. Dezember 1831. His Majesty’s ship, die «Beagle», kämpft vor der englischen Küste gegen den Weststurm.
Fitz Roy: Mister Wickham, geht das nicht schneller?
Wickham: Den Kerlen steckt die Peitsche noch in den Knochen, Sir.
Fitz Roy: Hoffentlich.
Wickham: Aber am 25. Dezember, Sir –
Fitz Roy: Besoffen ist besoffen. Wird’s bald da oben! – Wir könnten längst auf See sein –
Wickham: Ich weiß, Sir ...
Fitz Roy: ... wenn wir nicht eine sturzbetrunkene Mannschaft gehabt hätten.
Wickham: Es war Weihnachten, Sir –
Fitz Roy: Wir sind hier nicht im Kirchenchor, Mr. Wickham, wir sind auf einem Kriegsschiff.
Auf einem Kriegsschiff mit drei Masten, zehn Kanonen, 66 Mann Besatzung und einem Kapitän mit absoluter Befehlsgewalt. Und irgendwo ist da auch noch ein Naturforscher an Bord, Charles Darwin. Zurzeit ist er allerdings seekrank und quält sich mit der Erinnerung an die Massenauspeitschung der betrunkenen Seeleute von gestern. Vielleicht fragt er sich, wie ausgerechnet er in diese Lage kommen konnte.
Charles Darwin, 22 Jahre alt, Sohn eines reichen und viel bewunderten Arztes. Aufgewachsen in Shrewsbury als fünftes unter sechs Geschwistern, unwillig zur Schule gegangen, unwillig zur Universität in Edinburgh, genug zu erben, um auch ohne Arbeit durchs Leben zu kommen. Bisher fast ein Versager – wenigstens in seinen eigenen Augen und in denen seines Vaters: «Verstehen Sie doch bitte, Vater, ich kann nicht Arzt werden, ich kann’s einfach nicht –»
Vater: Ich meide ja selbst gerne Operationen, aber –
Charles Darwin: Wie sie schreien! Frauen, Kinder, bei vollem Bewusstsein!
Vater: Und da hast du das Studium einfach hingeworfen?!
Charles Darwin: Wenn ich’s Ihnen sage: Ich musste aus dem Saal laufen!
Vater: Du bist sehr weich, Charles. – Und was nun?
Vier Jahre ist das nun her. Inzwischen hat Darwin Theologie studiert – mehr aus Verlegenheit als aus Berufung. Nebenbei hat er leidenschaftlich Käfer gesammelt, an einer geologischen Expedition teilgenommen, und Professor Henslow, sein Vorbild und Freund in Cambridge, kennt ihn von zahllosen Spaziergängen als interessierten Amateurbotaniker. Aber eine solide Ausbildung auf einem dieser Gebiete fehlt ihm bis heute. Wie kommt also ausgerechnet er als Naturforscher auf die «Beagle»? – Darwins Enthusiasmus für seine naturwissenschaftlichen Steckenpferde muss Eindruck gemacht haben. Als der Kapitän der «Beagle», Robert Fitz Roy, einen Naturforscher sucht, empfiehlt Professor Henslow seinen jungen Freund – und der ist begeistert. Ein Onkel überredet den widerstrebenden Vater, und damit ist die Angelegenheit entschieden: Darwin wird an einer mehrjährigen Expedition teilnehmen, die in erster Linie dazu dient, die südlichen Küsten Südamerikas genau zu vermessen. Jahrzehnte später urteilt Darwin: «Die Reise auf der ‹Beagle› ist bei Weitem das bedeutungsvollste Ereignis in meinem Leben gewesen und hat meine ganze Karriere bestimmt.»
Darwins Karriere zum wohl berühmtesten Naturforscher seiner Zeit beginnt also an diesem 27. Dezember, in einer engen Kabine auf der «Beagle». Er teilt sie mit dem 26-jährigen Kapitän.
Fitz Roy: Puh! – Seekrank, Mister Darwin?
Charles Darwin: Geht schon, Sir!
Fitz Roy: Sie sehen miserabel aus. Verzeihen Sie. – Sie sollten nicht lesen, das verschlimmert die Sache.
Charles Darwin: Ich muss aber.
Fitz Roy: Es gibt kein Buch, das man lesen muss. Höchstens – Sie wissen ja!
Charles Darwin: Die Bibel, aye, aye, Sir. – Oh!
Fitz Roy: Warten Sie, ich knüpfe Ihnen Ihre Hängematte auf!
Charles Darwin: Sir! Das ist nicht Ihre Sache! Sir!
Fitz Roy: Lassen Sie nur! – Ist das ein Roman?
Charles Darwin: Nein. Lyell: Prinzipien der Geologie. Eine Empfehlung von Professor Henslow.
Fitz Roy: Ihrem Freund und Lehrer aus Cambridge, nicht wahr? – So, sie hängt. Und jetzt krabbeln Sie mal hoch und hinein!
Charles Darwin: Danke, Sir. Sie machen mich verlegen, ernstlich! Ich weiß gar nicht ...
Fitz Roy: Geologie also. Ich dachte immer, da sei alles klar?
Charles Darwin: Man hat ja lange angenommen, die Urgebirge seien in sechs oder sieben Tagen entstanden und das Übrige habe dann die Sintflut getan.
Fitz Roy: So heißt’s in der Bibel.
Charles Darwin: Man kann auch anders denken.
Fitz Roy: Kann!
Charles Darwin: Gewiss, Sir. Man muss nicht.
Fitz Roy: Und dieser – dieser Laleigh?
Charles Darwin: Lyell ... er meint: Alle geologischen Erscheinungen sind durch dieselben Kräfte entstanden, die auch heute noch wirksam sind.
Fitz Roy: Moment mal –
Charles Darwin: Durch Vulkanismus, Ablagerungen, Erosion – also Wind, Wellen – Oh! Danke, geht schon.
Fitz Roy: Das klingt nicht eben so, als sei dieser Herr – sagen wir: besonders bibelfest.
Charles Darwin: Er hat zumindest gute Gründe.
Fitz Roy: Gründe! Der letzte und einzige Grund, Mister Darwin, ist die Schöpferkraft Gottes.
Charles Darwin: Sie haben natürlich recht.
Fitz Roy: Und Sie wissen so gut wie jedermann, dass die Erde im Jahre 4004 vor Christus geschaffen wurde.
Charles Darwin: Ja?
Fitz Roy: Ein paar Jahre hin oder her, darüber will ich nicht streiten. Aber dass die Bibel recht hat, falls Sie da irgendwelche Zweifel hegen sollten, sehen Sie schließlich an den Spuren der Sintflut.
Charles Darwin: Das ist ein Punkt.
Fitz Roy: Sehen Sie, Muscheln, Seetiere, wohin man schaut, auch auf den höchsten Bergen.
Charles Darwin: Lyell meint, es hat gar keine Sintflut gegeben, auch nicht mehrere, keine Katastrophen, er nimmt unendlich langsame Entwicklungen an, mehrmals hätten sich Land und Meer gehoben und gesenkt, fast so wie diese verwünschten Wellen. Entschuldigung. Oh!
Fitz Roy: Für mich grenzt das an Gotteslästerung, Mister Darwin. Und gerade Sie als Theologe –
Charles Darwin: Ich sage ja nicht –
Fitz Roy: Sie spielen aber mit dem Gedanken. Nur ihr augenblicklicher Zustand, Mister Darwin, hindert mich, noch deutlicher zu werden. Wir sprechen uns noch!
Auch in den folgenden Wochen, Monaten und Jahren glaubt Fitz Roy manchmal deutlich werden zu müssen – zum Beispiel als Darwin seine Abscheu über die Sklaverei ausdrückt –, aber im Großen und Ganzen kommen die beiden Kabinengenossen gut miteinander aus. Etwa ein Jahr später, am 28. Februar 1832, erreicht die «Beagle» die Küste von Brasilien. Darwin schreibt in sein Tagebuch: «Selbst Entzücken ist nur ein schwacher Ausdruck zur Wiedergabe der Gefühle eines Naturforschers, der zum ersten Male allein in einem brasilianischen Walde gewandert ist. Für jemand, der Naturgeschichte liebt, bringt ein Tag wie dieser tieferes Vergnügen mit sich, als er je wieder zu erleben hoffen kann.»

img2

Die «Beagle» in der Magellanstraße

Doch Darwin schwelgt nicht nur in Begeisterung – er arbeitet, arbeitet von nun an wie ein Besessener. Er beobachtet und deutet geologische Formationen, sammelt Pflanzen und Tiere, untersucht sie, präpariert sie, notiert Auffälligkeiten mit einer Genauigkeit, die immer wieder erstaunt. Die fertigen Präparate müssen in dem sowieso schon engen Schiffsraum untergebracht werden. Der für die Schiffsordnung zuständige erste Offizier John C. Wickham gerät über diese Aufgabe bald in Verzweiflung. Zwar schickt Darwin seine Sammlungen immer wieder kistenweise mit anderen Schiffen nach England, aber er bringt von seinen Exkursionen auch unentwegt neues Material mit. Diese Exkursionen führen ihn tage-, ja manchmal wochenlang ins Landesinnere. Er genießt das ungebundene Leben zu Pferd, mit dem einen oder anderen zufälligen Reisegefährten – und mit einigen angeheuerten Gauchos – Indianermischlingen – als Führern: «In der Unabhängigkeit des Gaucho-Lebens liegt ein großer Genuss – jeden Augenblick das Pferd halten lassen zu können und zu sagen: ‹Hier wollen wir die Nacht zubringen.› Die Totenstille der Ebene, die Wacht haltenden Hunde, die Zigeunergruppe der Gauchos, welche sich ihre Betten rings um das Feuer machten – alles das hat in meiner Erinnerung ein scharf gezeichnetes Bild hinterlassen, welches ich niemals vergessen werde.»
Reisender: Und die Gauchos, Mr. Darwin, sind wirklich zuverlässig?
Charles Darwin: Soweit man da überhaupt sicher sein kann.
Reisender: Wissen Sie, erst kürzlich hat man wieder einen Yankee gefunden – Taschen leer, Kehle – ssst – durch. Gauchos, sagt man.
Charles Darwin: Da kommt gerade einer rüber zu uns. Oder? Nein.
Reisender: Was ich noch fragen wollte, Mr. Darwin, neulich –
Charles Darwin: Psssst!
Reisender: Indianer?
Charles Darwin: Die Luft trägt hier weit, und man weiß nie.
Reisender: Neulich, die Knochen, die Sie ausgegraben haben –
Charles Darwin: Urwelttiere. Sind längst ausgestorben.
Reisender: Es war gespenstisch, Knochen über Knochen, riesengroß. Und wieso ausgestorben?
Charles Darwin: Käpt’n Fitz Roy meint, sie seien nicht durch die Tür der Arche Noah durchgekommen, weil sie so groß waren. Die Sintflut hat sie dann erledigt. Psst! Nichts.
Reisender: Und was denken Sie? Ich meine, zu den Knochen?
Charles Darwin: Angeschwemmt, in Sandbänken abgesackt, es gibt viele Erklärungen. Aber deswegen ist natürlich nicht gleich die ganze Art ausgestorben.
Reisender: Wodurch denn dann?
Charles Darwin: Ihre Umwelt hat sich verändert. Die Spuren davon sind deutlich sichtbar, hier, überall, rings um uns.
Reisender: Hier?
Charles Darwin: Die Ebene, auf der wir gerade lagern, ist gesunken. Langsam, unaufhaltsam –
Reisender: Und dann?
Charles Darwin: Dann – ist das Meer gekommen.
Reisender: Huhh!
Charles Darwin: Pssst! Bleiben Sie liegen! So schnell geht das nicht.
Reisender: Sie können einem aber Angst machen!
Charles Darwin: Das dauert Jahrhunderttausende, wirklich!
Reisender: Ich wache morgens nur ungern mit einer Qualle im Mund auf –
Charles Darwin: Keine Sorge, gut’ Nacht!
Reisender: Keine Wache heute?
Charles Darwin: Die Hunde passen schon auf.
Reisender: Und die Gauchos?
Charles Darwin: Scheinen in Ordnung.
Reisender: Gut’ Nacht.
Darwin verschwendet wenig Aufmerksamkeit auf das Gefährliche und Abenteuerliche seiner Erlebnisse. Er konzentriert sich auf seine wissenschaftlichen Beobachtungen. Erst Jahre später erkennt er, dass sie sich wie Mosaiksteinchen zu einem unerwarteten Ganzen fügen. Da sind erstens die geologischen Erkenntnisse.
Lyell hat recht, langsame Entwicklungen, nicht Katastrophen erklären die geologischen Formationen, die Darwin untersucht. Da sind zweitens die Fossilfunde riesenhafter ausgestorbener Tierarten. In welcher Beziehung stehen diese Tierarten zu denen von heute? Könnte man den Gedanken der Entwicklung nicht von der Geologie auch auf die Biologie übertragen? Andere Beobachtungen weisen in dieselbe Richtung – aber Darwin erlaubt sich noch keine Spekulationen. Noch ist er sich mit Kapitän Fitz Roy einig, der nach der herrschenden Lehre der Kirche die Arten für konstant hält – für unwandelbar, so, wie Gott sie einst geschaffen hat.
Fitz Roy: Wissen Sie, Mr. Darwin, das ist das Schöne an Ihrer Tätigkeit: Sie beweist, je mehr sie fortschreitet, dass die Bibel recht hat.
Charles Darwin: Ich denke auch –
Fitz Roy: Unter uns gesagt: Deshalb war ich so an einem Naturforscher auf der «Beagle» interessiert. Die Naturwissenschaft beweist schließlich nichts Geringeres als die Existenz Gottes.
Charles Darwin: Wie meinen Sie das?
Fitz Roy: Sehen Sie, jedes Lebewesen ist geradezu wunderbar auf seine Umwelt abgestimmt. Fähigkeiten, Bedürfnisse, Umwelt – alles passt zueinander. Der Fisch mit seinen Flossen passt ins Wasser, der Vogel in die Luft, und diese Abstimmung geht bis ins kleinste Detail. Wer in dieser herrlichen Harmonie die planende, ordnende Hand Gottes übersieht, muss blind sein.
Darwin, der Theologe, denkt nicht daran, dieses Weltbild anzutasten. Doch unvoreingenommen beobachtet, sammelt, notiert Darwin, der Naturforscher, weiter, Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Längst hat die «Beagle» die Südspitze des Kontinents umrundet. Charles Darwin lernt die kannibalischen Feuerländer kennen, erlebt ein Erdbeben und registriert die geologischen Folgen.
Fast nur durch Selbststudium wird Darwin in diesen Jahren zum besten Kenner seiner Zeit über alles, was die Geologie Südamerikas anbetrifft. Doch trotz der vielen neuen Einsichten, die er gewinnt – es drängt ihn immer stärker zurück nach Hause. Seine überaus herzlichen und offenen Briefe nach Hause klingen immer ungeduldiger: «Es ist zu herrlich, sich auszumalen, dass ich im nächsten Herbst in Shrewsbury die Blätter fallen sehe und das Rotkehlchen singen hören werde. ... Ich bezweifle, dass jemals ein Schulbub so sehr seine Ferien herbeisehnte als ich mich sehne, auch alle wiederzusehen.»
Alle an Bord, auch der Kapitän, empfinden wie er. Fast vier Jahre dauert die Reise nun schon, zwei Jahre mehr als ursprünglich geplant. Am 17. September 1835, fünf- bis sechshundert Meilen vom Kontinent entfernt, erreicht die «Beagle» endlich ihr letztes Ziel, zumindest in diesen Gewässern: die Galapagos-Inseln. Darwin ist enttäuscht. Bewuchs und Tierwelt scheinen dürftig. Erst nach einigen Tagen, nachdem er verschiedene Inseln besucht hat, wird er stutzig. Und sein Erstaunen vertieft sich, als er ordnet und vergleicht, was er hier gesammelt hat.
Charles Darwin: Was besonders merkwürdig ist, Sir, weil Sie danach fragen ... Nun, die Tier- und Pflanzenwelt auf den Galapagos ist wirklich das Merkwürdigste, was ich bisher auf der ganzen Reise erlebt habe.
Fitz Roy: Uninteressant, finde ich, völlig uninteressant.
Charles Darwin: So ging’s mir anfangs auch. Das Meiste, was hier wächst und atmet, kam mir so bekannt vor – und es hat tatsächlich nahe Verwandte auf dem südamerikanischen Kontinent. Erstaunlich ist nur, dass sehr viele Arten, die hier vorkommen, nur hier vorkommen, auf den Galapagos. Es gibt sie nirgends sonst.
Fitz Roy: Da haben Sie also Raritäten in Ihre Sammlung bekommen. Meinen Glückwunsch!
Charles Darwin: Um die Seltenheit geht’s mir gar nicht, Sir ... Bedenken Sie: Warum hat Gott ausgerechnet diese gottverlassenen Inseln – Verzeihung – warum hat er ausgerechnet diese Inseln ausgesucht, um hier neue Arten zu schaffen?
Fitz Roy: Mr. Darwin, wir wollen uns bitte nicht in die Gedankengänge des Höchsten versetzen.
Charles Darwin: Verzeihung. Die Seltsamkeiten gehen aber noch weiter. Es gibt hier eine außerordentliche Vielzahl von Arten oder Unterarten, die sich nur in winzigen Kleinigkeiten unterscheiden, und zwar leben diese Arten nach Inseln getrennt.
Fitz Roy: Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen!
Charles Darwin: Jede Insel, Sir, beherbergt danach eine ganz eigene Tier- und Pflanzenwelt. Auf dieser Insel haben die Finken zum Beispiel dicke Schnäbel, auf jener dünne, auf der dritten mittelstarke. Nochmals gefragt: Warum hat Gott auf jeder dieser Inseln eine eigene Artenwelt geschaffen? Warum gerade hier und sonst nirgends?
Fitz Roy: Tja, und warum nun, Mr. Darwin?
Charles Darwin: Ich frage nur. Und was hat es zu bedeuten, dass alle diese Arten so nahe miteinander verwandt sind? Haben sie miteinander etwas zu tun? Ein bisschen weitläufiger verwandt sind sie mit südamerikanischen Arten. Spielt die Entfernung da irgendeine Rolle?
Fitz Roy: Und Mr. Darwin, wir haben noch mindestens ein Jahr Zeit, uns auf unserer Heimfahrt über alle diese Dinge zu unterhalten.
Charles Darwin: Ein Jahr!
Fitz Roy: Ein Jahr, in dem sich Ihre Gedanken sicher wieder beruhigen werden.
Darwins Gedanken beruhigen sich nicht. Im Gegenteil. Sind die Arten – fragt er sich und schreibt diese Frage erstmals auf – sind die Arten vielleicht gar nicht konstant, entwickeln sie sich auseinander, wenn sie – zum Beispiel durch geografische Besonderheiten – getrennt werden, wie etwa durch eine Insellage? Ist er, Darwin, auf den Galapagos-Inseln auf eine Art natürliches Laboratorium zur Erzeugung verschiedener Arten gestoßen? Alle seine Beobachtungen passen in dieses Bild.
Aber eine Hauptfrage bleibt noch offen: Wenn die Arten sich entwickeln – warum tun sie das, und nach welchem Gesetz? – Vielleicht ergeben sich Gesichtspunkte dazu, wenn er und verschiedene Fachleute zu Hause seine Sammlungen systematisch auswerten? Zu Hause – fast fünf Jahre nach dem Aufbruch, am 2. Oktober 1836 legt die «Beagle» wieder in England an. Für Darwin beginnt damit ein völlig neuer Lebensabschnitt. Die Entdeckungsreisen, die er von nun an in seinem weiteren Leben unternimmt, führen ihn – äußerlich gesehen – nicht über den Umkreis von Arbeitstisch, Gewächshaus, Taubenschlag und täglicher Spazierrunde hinaus. Zurückgezogen lebt er ab 1842 mit Frau und Kindern auf einem Landsitz in Down bei London. Sein Vermögen erlaubt ihm eine Existenz als Privatgelehrter.
Veröffentlichungen über geologische Fragen, über die Tierfamilie der Rankenfüßler, später über verschiedene botanische Themen sichern ihm die Hochachtung zahlreicher Wissenschaftler. Nur ein enger Kreis von Freunden weiß, dass Darwin sich mit einer Theorie der Entwicklung der Arten befasst.
Charles Darwin: Sehen Sie diese Schwanzform?
Lyell: Scheint ein wenig kürzer als bei den anderen.
Charles Darwin: Eine Varietät, eine Rasse, wie immer man das in diesem Fall bezeichnen will. Aber was passiert, wenn ich und nachfolgende Züchter dieses Merkmal immer mehr herauszüchten?
Lyell: Der Schwanz wird immer kürzer –
Charles Darwin: Vielleicht entsteht eine neue Art. Alle unsere Haustiere müssen so entstanden sein. Und was der Mensch als Züchter in wenigen Jahrtausenden vermochte, lieber Lyell, das treibt die Natur seit jeher, und sie hat dafür ungeheure Zeiträume zur Verfügung, und ein riesiges Experimentiergebiet.
Lyell: Aber wie? Ich meine, der Züchter weiß, worauf er hinauswill. Glauben Sie neuerdings wieder an eine ordnende göttliche Hand?
Charles Darwin: Sie wissen, das ist vorbei, für mich persönlich jedenfalls.
Lyell: Aber – wie?
Charles Darwin: Es ist zur Erklärung auch kein Glaube nötig. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen, als ich Malthus las.
Lyell: Malthus? Warten Sie – «Die Menschheit vermehrt sich in geometrischer Progression, die Nahrungsmittelproduktion kann aber nur in arithmetischer Progression gesteigert werden» –, stimmt’s?
Charles Darwin: Einfacher gesagt: Die Fortpflanzungsfähigkeit des Menschen übersteigt das Nahrungs­angebot bei Weitem. Jetzt übertragen Sie das mal auf die Pflanzen- und Tierwelt!
Lyell: Ich bemühe mich –
Charles Darwin: Ein einziges Tier, sagen wir: eine Schneckenart, legt 50 000 Eier. Angenommen, alle kommen durch, dann haben wir in der übernächsten Generation eine Milliarde 250 Millionen Schnecken.
Lyell: Ja, schon –
Charles Darwin: Unmöglich. Binnen Kurzem gäbe es nur noch Schnecken auf der Welt. Dasselbe bei Fröschen, bei Insekten, bei jeder Tier- und Pflanzenart. Überall können nur wenige überleben, entweder weil die Nahrung nicht ausreicht oder aus anderen Gründen. Und jetzt frage ich Sie: Wer sind diese wenigen, die überleben?
Lyell: Ist das nicht eine Frage des Zufalls?
Charles Darwin: Im Einzelfall vielleicht, nicht aber im statistischen Durchschnitt über Jahrmillionen hinweg.
Lyell: Wer überlebt also?
Charles Darwin: Sagen wir: die Geeignetsten. Die am gesündesten sind, die am besten in ihre jeweilige Umwelt passen, die sich am erfolgreichsten mit ihren Feinden auseinandersetzen, die das Nahrungsangebot am besten nutzen ...
Lyell: Faszinierend. Aber was hat das mit Evolution zu tun?
Charles Darwin: Bei den Nachkommen gibt es immer, oder wenigstens ab und zu, kleine Abänderungen. Das ist das eine. Das andere: Die Umwelt verändert sich ständig. Die Abänderungen, die am besten mit diesen Umweltveränderungen zurechtkommen, sind am erfolgreichsten. Sie pflanzen sich fort, die weniger angepassten Tiere gehen zugrunde oder sterben zumindest langfristig aus. Die Natur trifft eine Auslese, nüchterner und grausamer als jeder Züchter.
Lyell: Lamarck hat also Unrecht?
Charles Darwin: Der gute alte Lamarck. Kommt es Ihnen nicht auch komisch vor, wenn er sagt: Die Giraffe bekommt ihren langen Hals, weil sie immer nach Blättern in hohen Bäumen angelt?
Lyell: Mein lieber Darwin, ich weiß nicht, wie lange wir uns jetzt schon kennen –
Charles Darwin: Ihre Prinzipien der Geologie jedenfalls kenne ich seit der «Beagle»-Expedition, und ich kann gar nicht sagen, wie viel ich diesem Werk verdanke.
Lyell: Wollen Sie also einem alten Freund einen Gefallen tun?
Charles Darwin: Gern.
Lyell: Veröffentlichen Sie. Arbeiten Sie Ihre Skizzen aus! Veröffentlichen Sie, ich beschwöre Sie, bevor Ihnen jemand zuvorkommt!
Was Lyell befürchtet, ist längst dabei, Wirklichkeit zu werden. Darwins unbekannter Konkurrent heißt Alfred Russel Wallace. Gegenüber Darwin hat er zwei Handicaps: Er ist 14 Jahre jünger, und er muss sich seinen Weg als Naturforscher erst hart erkämpfen. Doch während Darwin noch immer immenses Material für sein auf fünf oder sechs Bände angelegtes Werk über seine Theorie zusammenträgt, erscheint 1855 von Wallace bereits ein Artikel, in dem der Autor plausibel macht, dass die Arten nicht konstant sind. (Eine Erklärung für diese Tatsache fehlt. Drei Jahre später hat Darwin eben angefangen, seine Theorie in einem auf fünf oder sechs Bände angelegten Werk darzulegen; da trifft bei ihm ein persönliches Schreiben von Wallace ein sowie ein Aufsatzmanuskript. Es enthält, in zusammengefasster Form, exakt Darwins eigene Gedanken, die er seit nunmehr 21 Jahren mit zäher Beharrlichkeit verfolgt.) Darwin ist entsetzt. Sofort schreibt er an Lyell: «Wenn Wallace meine handschriftliche Skizze vom Jahre 1842 hätte, hätte er keinen besseren Auszug machen können! Selbst seine Ausdrücke stehen jetzt als Überschriften über meinen Kapiteln.»
Was tun? Keine Veröffentlichung Darwins belegt, dass er den Evolutionsgedanken konkret verfolgte. Kann er sich nun dem Verdacht aussetzen, von Wallace abzuschreiben? Charles Darwin betont: «Ich würde viel lieber mein ganzes Buch verbrennen, als dass er oder irgendjemand anders denken sollte, ich hätte mich in einer elenden Weise benommen.»
Auf Rat seiner Freunde hin lässt Darwin sowohl den Artikel von Wallace veröffentlichen als auch einen Auszug aus seinem eigenen Manu­skript. Er fügt einen Brief bei, der bezeugt, dass ihn das Thema schon länger beschäftigt. Wird Wallace sich damit zufrieden geben? – Wallace wird. Er gibt sich nicht nur zufrieden, er wird später zu einem geradezu selbstlosen Verfechter des sogenannten Darwinismus.

img3

Diese bekannte Darwin-Karikatur, erschienen
im
Hornet magazine 1871

Immerhin zwingt die Konkurrenz Darwin nun dazu, sein geplantes Riesenwerk zu kürzen. Es wird dadurch lesbarer, und auch der wissenschaftliche Titel Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der bevorzugten Rassen im Kampf ums Dasein scheint nicht abzuschrecken. Als das Buch am 24. November 1859 erscheint, ist es noch am selben Tag vergriffen. Seine Wirkung ist durchschlagend. Es wird diskutiert, verrissen, hoch gelobt. Am spektakulärsten treffen die feindlichen Lager bei einer halböffentlichen Sitzung einer wissenschaftlichen Fördergemeinschaft in Oxford zusammen. Für Darwin tritt sein Freund Thomas Huxley in die Schranken, für Darwins Gegner vor allem Bischof Samuel Wilberforce: «Meine Damen und Herren. Ich habe das außerordentliche Vergnügen, heute auch die Vertreterinnen des schönen Geschlechts begrüßen zu dürfen, obwohl das Thema dem Vergnügen ja nicht gerade dient. Genauer gesagt: Diese neumodische Lehre ist un-er-träg-lich!»
Unerträglich scheint vor allem eine Andeutung Darwins zu sein, seine Theorie werde auch Licht auf die Abstammung des Menschen werfen. Eine halbe Stunde lang spricht Bischof Wilberforce nach Aussage eines Zeugen «mit unnachahmlicher Lebendigkeit, Leerheit und Unfairheit»: «Enden möchte ich aber mit einer einfachen Frage. Und gerade Sie, verehrter Professor Huxley, müssen diese Frage erwartet haben: Ist es Ihnen eigentlich gleichgültig, Sir!, ob Ihr Großvater ein Affe gewesen ist oder nicht? Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!»
Huxley: «Gott hat Sie in meine Hände gegeben, Bischof! Auf die Frage Eurer Lordschaft genügt ein Satz: Falls mein Großvater ein Affe gewesen ist, wäre ich in genau derselben Lage wie Euer Lordschaft. Im Übrigen – im Übrigen – im Übrigen würde ich mich viel mehr dann eines Vorfahren schämen, wenn er, sagen wir, sich mit Dingen beschäftigte, von denen er nichts versteht, von denen er aber spricht, die er mit seinem Redeschwall verdunkelt, um die Zuhörer von der wirklichen Frage abzulenken und um ihren religiösen Vorurteilen zu huldigen.»
Die Kritik an Darwin huldigt allerdings nicht nur Vorurteilen. Sieben Jahre bevor Gregor Mendel die Vererbungslehre entdeckte, zeigt die Evolutionstheorie noch manche Schwächen. Auch ernsthafte Forscher sind darüber irritiert. Darwin selbst nützt seine letzten beiden Lebensjahrzehnte fernab von aller Polemik zu zahlreichen weiteren Arbeiten, unter anderem über die Abstammung des Menschen, und ergänzt und verändert teilweise seine Evolutionstheorie. Nicht alles davon kann später von der Forschung bestätigt werden. Seine beiden Hauptthesen jedoch: «Die Arten verändern sich» und «Diese Veränderung ist ein Ergebnis der natürlichen Auslese, eines Kampfes ums Dasein, den der Bestangepasste gewinnt» – diese Hauptthesen sind heute so gut wie wenig andere biologischen Theorien belegt.
Darwin ringt sein Riesenwerk einer äußerst anfälligen Gesundheit ab. Seit seiner großen Reise leidet er an zahlreichen Beschwerden, deren Ursachen den Ärzten verborgen bleiben. Am 19. April 1882 stirbt Darwin, hoch angesehen, 73-jährig, an Angina Pectoris. In Westminster Abbey wird er beigesetzt, wenige Meter von Sir Isaac Newton entfernt. Unter den engen Freunden, die nach alter Sitte das über den Sarg gespannte Leichentuch halten, ist auch Alfred Russel Wallace.

Autor: Fitz Dumanski
Redaktion: Renate von Walter
© Bayerischer Rundfunk

Der Text ist entnommen aus: http://www.br-online.de