Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №24/2008

Das liest man in Deutschland

Drei Engel für ein Wohlstandsgeschöpf

Mit fünfzig Jahren schrieb Katharina Faber ihren ersten wilden Roman. Jetzt, nach ihrem dritten Buch, ist eine großartige Autorin zu entdecken.

Wenn die Toten sich einmischen in unsere irdischen Angelegenheiten, wird es ernst. Denn die Wiederkehrenden künden vorzugsweise von unserer Schuld. Ihre Reden gelten dem nicht Bewältigten. Das gilt von der Orestie des Aischylos über den Hamlet bis zu Stewart O’Nans literarischem Edelhorror im Roman Halloween. Vorläufiger Höhepunkt einer langen Tradition der Gothic Novel. Und selbst der «realistische» Erzähler Uwe Timm lässt in seinem Roman Halbschatten die Toten des Berliner Invalidenfriedhofs erzählen.
Man kann in diesem weiten Sinn natürlich jede Literatur, die diesen Namen verdient, als Totenrede verstehen und hätte damit einen umfassenden Horizont für ihre tragisch-religionsnahen Züge. Doch überraschenderweise geht es gelegentlich auch heiter-gelassen mit den redenden Toten. Sibylle Lewitscharow hat es kürzlich vorgeführt in ihrem Roman Consummatus. Hier sind die teuren Toten – alte angelsächsische Pop-Ikonen plus Nico – ein zittriger Hauch nur, der die Materie streift, das Aufblitzen des Lichts im Zellophan des Zigarettenpäckchens.
Nicht viel anders ist es im neuen Roman der Schweizer Erzählerin Katharina Faber, Fremde Signale. Natürlich sind die im Titel gemeinten Zeichen jene, die von den Toten an die Lebenden gesandt werden: fremd, kaum wahrnehmbar, marginal in den Zeichenstürmen eines lebendigen Alltags. Was muss sich der zum Engel avancierte oder auch herabgestimmte, auf jeden Fall längst tote Boris alias Bob Tomba anstrengen, um seiner Mutter einzuwispern, mit fast keiner Stimme, dass es ihm gut gehe, ihrem mit dreizehn Jahren an Krebs gestorbenen dicken und intelligenten Bob! Und wie müssen die drei engelhaften Toten ihre Kräfte zusammennehmen, sich konzentrieren im Wortsinn, um ihre wichtigste Aufgabe zu erfüllen: das Zürcher Großbürgerkind Katharina zu beschutzengeln. Das nämlich ist die Aufgabe jener drei netten Untoten Bob, Linette und Michail, des Amerikaners, der Französin und des Russen, die Katharina Faber zu den Erzählern ihres Romans gemacht hat. Aufpassen auf die eine Lebende in diesem Fall, und ansonsten bleibt ihnen viel Zeit, das eigene vergangene Leben zu memorieren.
Drei Tote also wachen über eine Lebende von deren Geburt in Zürich 1952 bis zur späteren Krebs­erkrankung und einem schweren Autounfall. Kaum zufällig heißt die so Beschützte Katharina Faber und teilt mit der Autorin selben Namens so gut wie alle Lebensdaten. Was beim Leser wiederum eine ganz normale Neugier auf das wilde Leben einer Tochter aus reichem Hause weckt, die spät zu schreiben anfängt und Romane über ihr wild-verwegenes Leben verfasst. Doch da haben wir die Rechnung ohne den Eigensinn der Toten gemacht. Die drei sind nämlich alle im Leben zu kurz Gekommene, ihr Leben ist zu kurz gekommen, buchstäblich. Sie starben mit dreizehn, mit fünfzehn und mit sechzehn Jahren. Und das bisschen eigene Leben ist ihnen gleichwohl so gut wie ein ganzes und großes und also Erzählstoff ohne Ende. Sodass wir nach der Lektüre der Fremden Signale ungleich mehr wissen über den im Zweiten Weltkrieg im russischen Jaroslawl von einem Deutschen erschossenen Michail Sledin, über das arme Bauernmädchen Linette aus der südfranzösischen Provinz der Vorrevolutionszeit und über den Jüngsten, Bob, der fast schon erlebt hatte, was es heißt, sich zu verlieben, als er mit dreizehn starb.

Das Schwere wird leicht, die Herzen erheben sich, Heiterkeit macht sich breit
Die drei zutiefst lebensversehrten Toten sind Erzähler und Gegenfiguren jenes vom Schicksal begünstigten Wohlstandsgeschöpfes Katharina Faber. Doch wieso, in drei Teufels Namen, sind ihre Geschichten von solch grundleichter Heiterkeit? Wieso erheben die erzählenden Engel die Herzen der Leser (ganz leicht nur, zart wie ein Hauch in Zellophan), statt sie zu beschweren mit dem Schicksal von Weltkrieg, Krebs und Ausbeutung?
Es liegt an den schnellen Wechseln der Szenen und Episoden, die ja auch Wechsel von Jahrhunderten und Mentalitäten sind. Es liegt am Panorama, das vorbeizieht, ohne dass man in einen Schmerz ganz und gar eintauchen müsste; es liegt an der Jugendlichkeit der Erzählstimmen, an ihrer Naivität... Ja, so ist es, aber darüber hinaus liegt es auch und wesentlich an einer philosophischen Grundhaltung, die nichts Negatives kennt. Selbst der größte Schrecken ist Teil der Welt, so wie die Toten Teil der Welt sind. Es gibt nur einen umfassenden Weltinnenraum und deshalb keine Instanz mehr, die uns schuldig sprechen könnte; der gute Gott nicht (der nicht vorkommt, so wenig wie der böse) und nicht die teuren Toten. Die Welt ist ein einziges großes Konzert von Stimmen.
Diese Haltung verdankt Katharina Faber vielleicht auch einem erfahrungs-, exzess- und schmerzensreichen Leben, in dem sie Ärztin war und Krebspatientin und erst mit fünfzig Jahren ihr erstes Buch veröffentlicht hat. 2001 erschien ihr Roman Manchmal sehe ich am Himmel einen endlos weiten Strand. Hinter diesem von Rimbaud geliehenen Titel versteckt sich die Rede einer Frau, die sich in ihren eigenen Mörder verliebt. Und auch ihre Erzählungen werden immer wieder unterbrochen, korrigiert und konterkariert von den Stimmen der Toten ihres Lebens. Der Roman ist ungleich stürmisch-chaotischer als Fremde Signale, sozusagen rimbaudnäher, eine poetische Suada, die zu überhören dem deutschsprachigen Literaturbetrieb nicht gut zu Gesicht steht.
Mit einem Messer zähle ich die Zeit heißt das zweite Buch Katharina Fabers, eine Sammlung von Erzählungen, uneinheitlich, manchmal manieriert, und doch finden sich auch hier jene wilden, an Abwesende und Tote oder auch an Stürme, Wasser und Felsen gehefteten pantheistischen Reden. Nach der Lektüre dieser drei Bücher der Katharina Faber weiß man, dass hier nicht eine artistische Fertigkeit nach und nach mit Fleiß und Talent erworben wurde, sondern dass sich ein Strom Bahn gebrochen hat. Jetzt kommt es darauf an, ihn in Form zu halten. In diesem Sinne ist Fremde Signale schon ein eher diszipliniertes, formkonzentriertes Buch. «Readable», gut lesbar, wie man heute sagen zu müssen glaubt. Und hätte doch ein wenig mehr der Freiheit des «endlos weiten Strandes» vertragen können.

Von Hubert Winkels

Katharina Faber: Fremde Signale. Roman. Bilger Verlag, 2008.

Der Text ist entnommen aus: http://www.zeit.de