Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №22/2008

Das liest man in Deutschland

Eine Fülle Funken

Zum 75. Jahrestag der Bücherverbrennung widmet sich Volker Weidermann den weit über hundert «verbrannten» Dichtern

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Von Studenten erwartet man eigentlich brennende Neugier auf Lesestoffe aller Art, doch 1933 brannten die deutschen Hochschüler darauf, dem nationalsozialistischen Gedanken auf direktem Wege Platz zu schaffen. Die «Deutsche Studentenschaft» organisierte eigenmächtig eine «Reinigung» der Bibliotheken und Büchereien von «undeutschem» Geist, indem sie die so diffamierten Bücher für eine feierliche Verbrennung sammelte. Erst sehr spät sprang Joseph Goebbels auf den fahrenden Zug auf. Die Studenten folgten weitestgehend der Liste Wolfgang Herrmanns, der 98 deutsch- und 37 fremdsprachige Autoren oder einzelne Werke entsprechend bewertet hatte. Sogar die bei der Verbrennung zu sprechenden Worte wurden per Rundschreiben vom 9.5. festgelegt: «Gegen Klassenkampf und Materialismus / Für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung / Marx, Kautsky.» Bei Nennung der Namen flogen die Werke ins Feuer, und die umstehende Menge, die das Ganze als Volksfest sah, johlte. Allein in Berlin wurden in der Nacht vom 10.5.1933 etwa 20 000 Bücher verbrannt.
Solche Fanale gab es in der Geschichte schon öfters, doch selten trennte sich ein Volk so umfassend und so blindwütig von Autoren, die zum Teil internationalen Ruhm besaßen. Allerdings gingen die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg noch radikaler vor, als sie auf ihre Listen auszusondernden Schriftguts zwischen 1000 (bei den Amerikanern) und 15 000 (bei den Russen) Werke setzten.
Zum 75. Jahrestag der Bücherverbrennungen im Deutschen Reich hat nun der Feuilletonleiter der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» Volker Weidermann sein Buch der verbrannten Bücher vorgelegt, um die «Vergessenen dem Vergessen zu entreißen, ihr Leben, ihre Bücher den Lesern von heute wieder nahezubringen. Den Sieg der Bücherverbrennung in eine Niederlage zu verwandeln, die Bücher von damals in einem neuen Licht leuchten zu lassen und die dramatischen Geschichten zahlreicher Schriftstellerleben neu zu schreiben, Leben in der Entscheidung, Leben auf der Flucht, Leben, durch die jene Nacht im Mai wie ein Riss hindurchging. Ein Riss, der niemals ganz zu heilen war.»
Das Ziel ist ehrenwert. Schließlich brannten nicht nur die Bücher Berühmter wie Bertolt Brecht, Heinrich Mann, Stefan Zweig, Alfred Döblin, Joseph Roth, Lion Feuchtwanger, Franz Werfel, Joachim Ringelnatz und Johannes R. Becher. Neben ihnen stößt der Leser bei Weidermann auf viele weniger bekannte Personen und Schicksale, die Romanstoffe abgäben und früh als solche dienten. Man denke nur an Klaus Manns oder Friedrich Hollaen­ders berührend kluge Exilromane Der Vulkan und Menschliches Treibgut. Bei Weidermanns Helden geht es oft um Verrat, Prinzipientreue, Zusammenbruch und erbitterten Widerstand, aber auch um lächerliche Kleinmütigkeit und vertrackte Liebesgeschichten, nicht zuletzt um unsichere Leben, die kaum Spuren hinterlassen und gerade deshalb bewegen. Wandlungsgeschichten begegnen einem sehr oft, nicht nur vom Kommunisten zum Nationalsozialisten. Immer wieder gibt es wahre Wechselgenies, die sich alle paar Jahre neu erfanden, allerdings nicht nur aus Opportunismus.
In der Regel bekommen die Autoren etwa eine gute Seite, denn Weidermann will alle, wirklich alle erwähnen, die auf der ersten Liste standen. Extreme sind Bertha von Suttner mit achteinhalb Zeilen und Hans Heinz Ewers mit fünf Seiten. Außer erbitterten Nazigegnern finden sich auch Literaten, die nur mit einem Jugendwerk oder gleichsam «aus Versehen» verbrannt wurden, aber so nazibegeistert waren, dass sie – teils mit höchstem Segen – weiter schreiben durften, wie Erich Ebermayer oder Waldemar Bonsels, dessen Biene Maja immer noch berühmt ist.
Am schönsten ist es, die Begeisterung des Sammlers und Lesers Weidermann zu spüren, der nach langer Recherche ganz subjektiv etwa hundertvierzig Anläufe unternimmt, um pointiert einen Menschen und sein Werk zu fassen. Gut gewählte Zitate beleben und belegen, manches Porträt besticht, einige Plädoyers stören auf. Weidermann schwelgt in Anekdoten und schreibt dabei einen durchweg angenehmen, allerdings auf die Dauer zu feuilletonistischen Stil. Das Flapsige, die Ironie, der Spott oder die Ellipse fallen ihm einfach zu oft als Auflockerung der vielen Daten und Fakten und Titel ein. Urteilsstark, wie er ist, macht Weidermann kurzen Prozess mit vielen Autoren. Wie steht es um Günther Birkenfeld? «An diesem Mann gehen wir schnell vorbei.» Hermann Kesten? «Seine Romane – und er hat vierzehn geschrieben – taugen nicht viel.» Die Vergessenen holt er oft nur ans Licht, um ihnen mangelnde Qualität zu bescheinigen: «Auch die Bücher von Adrienne Thomas (1897–1980) sind stark gefühlt und schwach geschrieben.» Bei Albrecht Schaeffer, der immerhin Hans Henny Jahnn und Arno Schmidt begeisterte, fragt sich Weidermann nur: «Und warum sollte man das heute noch lesen?»
Aber mit genau diesem Ziel, uns die Bücher nahezubringen, trat Weidermann doch voller Pathos an! Es grenzt an Unanständigkeit, die damals Verbrannten in der Einleitung pauschal zu preisen, um sie anschließend abzuwatschen und wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen. Seine frische, freche, kritische Herangehensweise verträgt sich schlecht mit der versprochenen Rettung, und das umso weniger, als die Auswahl sehr zufällig ist. Auf der von ihm ausgewählten Liste, die sich selbst nicht als vollständig verstand, fehlen höchst wichtige Leute wie Erich Mühsam, der bereits von den Nazis verhaftet worden war, und viele andere, deren Werke auf weiteren Listen auftauchten oder ohne solche aussortiert wurden. Nicht einmal die Autoren, die am 10. Mai 1933 hervorgehoben wurden, tauchen bei Weidermann auf. So hatte die «Deutsche Studentenschaft» darum ersucht, bei der Verbrennung beispielhaft die Namen Karl Kautsky, Karl Marx, Theodor Wolff, Sigmund Freud und Imago-Schule, Werner Hegemann, Georg Bernhard und Carl von Ossietzky zu nennen, die alle bei Weidermann fehlen; ein Register übrigens ärgerlicherweise auch.
Da sich noch Fehler und Irrtümer einschleichen, man an einigen Stellen Jürgen Serkes bahnbrechendes Buch Die verbrannten Dichter durchspürt, die Zufälligkeit oft als Ordnungsprinzip dient, wächst der Unmut. Wäre als Antwort auf die Schwarze Liste nicht eine Empfehlungsliste mit den lieferbaren Titeln schön gewesen? Eine Liste der Bücher, die man neu auflegen sollte? Eine Liste der wichtigsten Titel, auf die sich Weidermann stützte? Ist das wirklich zu akademisch? Ach, und ein etwas weniger hässlicher Einband wäre wünschenswert, damit vielleicht doch mehr Menschen das im schillernden Sinn aufregende Buch in die Hand nehmen, in dem ja «Borsdorffer neben Pferdeäpfeln liegen», wie der «verbrannte» Kritiker Alfred Kerr einmal über den «verbrannten» Dramatiker Hermann Essig schrieb.

Von Rolf-Bernhard Essig

Volker Weidemann: Das Buch der verbrannten Bücher. Kiepenheuer & Witsch Verlag, 2008

Der Text ist entnommen aus: http://www.literaturkritik.de