Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №21/2008

Wissenschaft und Technik

Grenzen des Wachstums

In den letzten Jahrhunderten sind die Deutschen – und viele andere Völker – immer größer geworden. Jetzt scheint der Höhenflug zumindest in Europa zu Ende zu gehen.

Der preußische Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. (1688 bis 1740) war stolz auf seine «Langen Kerls»: Wohlproportioniert und vor allem hochgewachsen mussten die Mannen seines Potsdamer Leib-Bataillons sein. 188 Zentimeter war die Mindestgröße.
Damit würde heute niemand mehr groß Eindruck schinden. Jeder durchschnittliche deutsche Wehrpflichtige erreicht knapp 180 Zentimeter. Fast ein Viertel der jungen Soldaten misst mehr als 185 Zentimeter. In den vergangenen 150 Jahren sind die deutschen Rekruten 15 Zentimeter in die Höhe geschossen.
Vor allem im 20. Jahrhundert haben die Deutschen an Körpergröße zugelegt. Diese «Akzeleration» trifft beide Geschlechter und alle Bevölkerungsschichten. Den Trend belegen unter anderem die Daten des Sportwissenschaftlichen Instituts der Universität Karlsruhe: Seit 1920 werden dort Studenten vermessen. In diesen fast 90 Jahren sind die männlichen Studenten um 11,5, die weiblichen um 8 Zentimeter gewachsen. In Jena werden seit 100 Jahren Schulkinder systematisch gemessen. Ergebnis: Die 14-jährigen Schulmädchen heute sind im Schnitt 16 Zentimeter größer als ihre Altersgenossinnen zur Zeit des Kaiserreichs. Mit durchschnittlich 163 Zentimetern sind sie sogar länger, als es die erwachsenen Frauen vor 40 Jahren in Deutschland waren.
Obwohl die Tendenz für alle gilt, gibt es Unterschiede: Norddeutsche sind im Schnitt immer noch zwei Zentimeter größer als Süddeutsche und Akademiker länger als Arbeiter, wobei sich der früher sehr deutliche Abstand verringert hat. Auch die Ostdeutschen, die zu DDR-Zeiten kleiner waren als die Brüder im Westen, haben aufgeholt.
Doch der letzte Mikrozensus ergab: Noch immer misst ein Mecklenburger einen Zentimeter weniger als ein Niedersachse. Die Anthropologen sprechen von einem «säkularen Trend der Akzeleration». «Nicht nur in Deutschland, in ganz Europa, den USA, Australien, Japan und Neuseeland sind die Menschen in den letzten 100 Jahren immer größer geworden», bemerkt Anthropologie-Professor Georg Kenntner.
Der Sportwissenschaftler an der Universität Karlsruhe hat auf vielen Kontinenten das Längenwachstum der Menschen untersucht und dabei beobachtet, dass die Akzeleration je nach Land zu einem anderen Zeitpunkt anfing. In den USA begann sie Anfang des 19. Jahrhunderts. In der Alten Welt setzte der Schub zuerst bei den Nordeuropäern ein, Mittel- und Südeuropäer folgten. Die Europäer legten dann dermaßen zu, dass die Nordamerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Vorsprung einbüßten. «Insgesamt gesehen ist die Zunahme im 20. Jahrhundert historisch beispiellos, auch wenn es in früheren Epochen durchaus Schwankungen in der Körperhöhe gab», resümiert Kenntner.
Das Längenwachstum vollzog sich in einer Wellenbewegung. Jenaer Anthropologen haben anhand von Skeletten im Mittelelbe-Saale-Gebiet die mittlere Körpergröße von Männern und Frauen seit der Jungsteinzeit, dem Neolithikum, rekonstruiert.
In der Bandkeramik-Zeit, etwa 4500 v. Chr., brachte es ein durchschnittlicher Mann auf knapp 166 Zentimeter, eine Frau auf etwa 157 Zentimeter. Bis zum 8. nachchristlichen Jahrhundert wurden die Menschen in diesem Gebiet immer größer, bis zum 12. Jahrhundert schwankten die mittleren Körperhöhen. Im anschließenden Hochmittelalter bis ins 14. Jahrhundert hinein schrumpften die Menschen wieder. In der Neuzeit (ab dem 16. Jahrhundert) blieben die Menschen zunächst klein. Selbst bei Rekrutenmessungen im Jahr 1890 brachte es der durchschnittliche deutsche Jüngling nur auf 167 Zentimeter. Erst danach setzte die säkulare Akzeleration ein.
Die teilweise massiven Schwankungen in der Körperhöhe führt Kenntner auf das jeweilige sozioökonomische Umfeld zurück: «Positiv sind die Werte in den Phasen der besseren Lebensbedingungen, stark abfallend in Zeiten des Notstandes.»
Bis 1500 zum Beispiel waren die männlichen Isländer mit 172 Zentimetern relativ groß, in den nächsten 300 Jahren schrumpften sie um fünf Zentimeter, bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts legten sie dann wieder 10 Zentimeter zu und erreichten knapp 177 Zentimeter: Island wurde vor allem im 17. und 18. Jahrhundert von Naturkatastrophen, schweren Hungersnöten und Epidemien heimgesucht.
Denselben Zusammenhang sieht Kenntner bei den Holländern. Heute sind sie die längsten Europäer – zu Beginn des 19. Jahrhunderts gehörten sie zu den Kleinsten. 1850 erreichte ein gutes Drittel der Rekruten nicht die geforderte Minimalgröße von 157 Zentimetern. 1900 blieben nur noch vier Prozent unter die Mindestanforderung von 157 Zentimetern: Holland war bis zur ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts das wirtschaftlich führende Land Europas. Anfang des 19. Jahrhunderts stürzte es in eine schwere Krise, die zum Staatsbankrott führte und Tausende von Holländern ins Elend trieb.
Einen umgekehrten Trend fand Kenntner in Südamerika: Im 20. Jahrhundert musste in Chile die Mindestgröße für das Militär ständig gesenkt werden. «Sonst hätten die gar nicht mehr genügend Leute bekommen», meint Kenntner. Als Ursache für die schwindende Körpergröße der Chilenen vermutet er wiederum Mangelernährung.
Eine aktuelle südkoreanische Untersuchung stützt die historischen Befunde: Das kommunistische Nordkorea hat immer wieder massive Schwierigkeiten, seine Bevölkerung zu ernähren. Ein 20-jähriger Nordkoreaner misst knapp 1,59 Meter, das ist so viel wie vor rund 50 Jahren, als das Land sich nach dem Korea­krieg abschottete. Im wirtschaftlich prosperierenden Südkorea sind Gleichaltrige 6, in Japan gar 13 Zentimeter größer.
Zwar sieht Kenntner grundsätzlich einen Zusammenhang zwischen «Änderungen in der sozioökonomischen Struktur eines Landes» und der Körpergröße seiner Bewohner. «Dennoch kann keine einzelne These das Phänomen global erklären. In unterschiedlichen Regionen gibt es unterschiedliche Ursachen.»
Seit der Leipziger Schularzt Ernst Walther Koch die Akzeleration in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts entdeckte, gab es immer wieder neue Theorien über die Gründe des Phänomens. Koch war ein Vertreter der «Heliogenen Theorie». Er sah im veränderten Freizeitverhalten seiner Zeitgenossen, die verstärkt frische Luft und Sonne suchten, die Hauptursache für die zunehmende Körperhöhe. Der Einfluss der Sonne wirke sich positiv auf das Wachstum aus. Genau das Gegenteil behauptete der Kinderarzt Carl Bennholdt-Thomsen. Er hatte festgestellt, dass Stadtbewohner größer waren als Landbewohner und postulierte deshalb: Die Städter seien durch den Lichtmangel aufgeschossen, «vergeilt». Durch ihre höhere vegetative Sensibilität seien sie insgesamt reizempfindlicher.
Der Meteorologe Kurt Treiber vertrat die sogenannte Wellentheorie: Radiowellen würden die menschliche Haut reizen und so eine verstärkte Ausschüttung von Wachstumshormonen bewirken. Widukind Lenz, Professor für Pädiatrie, war überzeugt, dass die Menschen größer geworden seien, weil der Anteil des Eiweißes an der Ernährung ständig zugenommen habe. Andere Wissenschaftler sahen im steigenden Zuckerkonsum, in der zunehmenden Bevölkerungsvermischung oder in den besseren Kommunikationsmöglichkeiten die wachstumsfördernden Elemente.
Monokausale Erklärungen werden heute abgelehnt, die Wissenschaft stellt aber einen engen Zusammenhang zwischen Wachstum und Qualität der Lebensbedingungen her. Der Jenaer Anthropologe Konrad Zellner stellt klar: «Das Körperhöhenwachstum ist ein Indikator für die sozioökonomische Situation einer Gesellschaft. Armut wirkt sich negativ auf die körperliche Entwicklung von Kindern aus. Dagegen fördern ausreichende Ernährung, eine gute medizinische Versorgung und verbesserte hygienische Bedingungen eindeutig das Wachstum. Generell ist genetisch ein gewisser Spielraum vorgegeben. Vom jeweiligen Lebensstandard hängt dann ab, in welcher Weise die genetischen Anlagen realisiert werden.»
Kenntner verweist in diesem Zusammenhang auf amerikanische Untersuchungen, nach denen die Körpergröße zu 75 Prozent von genetischen Anlagen abhängt und nur zu 25 Prozent von Umwelteinflüssen.

Fortsetzung folgt

Der Text ist entnommen aus: http://www.bild-der-wissenschaft.de