Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №18/2008

Sonderthema

Stimmen über Walther Rathenau

Es gibt jedoch geschichtliche Gestalten, bei denen man das Gefühl hat, sie hätten zur falschen Zeit gelebt. Zu einer Zeit, in der sie sich nicht zu dem entfalten konnten, was in ihnen lag. Nicht weil sie mit ihrer Zeit in Konflikt gerieten – das könnte von jedem großen Mann gesagt werden, auf welchem Gebiet auch immer – sondern weil sie für diese Konflikte nicht gemacht waren und sie deshalb auch nicht suchten ... Er besaß eine Aufnahmefähigkeit, die genial genannt werden müsste, wenn die Begriffe «genial» und «aufnahmefähig» sich nicht gegenseitig ausschließen würden. Er sog die kulturellen Errungenschaften seiner Zeit und seiner Umgebung wie ein Schwamm in sich auf, mit einer Perfektion, die beängstigend war. Er diskutierte mit Philosophen, Politikern, Industriellen und Naturwissenschaftlern auf deren Spezialgebieten als vollkommen gleichwertiger Partner. Er beantwortete Verse Gerhart Hauptmanns mit eigenen Versen. Er unterhielt einzelne nicht durchschaubare Freundschaften mit Frauen. Aber auch das war vielleicht nur eine Angleichung an die Sitten seiner Zeit, so etwas gehöre dazu. ... Er war ein Meister der praktischen Anpassung. Innerlich distanzierte er sich von seiner eigenen Anpassung. Er beherrschte die kritische Analyse. Er hatte Visionen. Seine sozialen und wirtschaftlichen Vorstellungen waren deutlich auf die Zukunft gerichtet. Die von ihm vertretene Außenpolitik war nicht zum Scheitern verurteilt, sie kam nur zu früh. Und er wusste, dass sie verfrüht war. ... Nichts enthüllt jedoch gerade die Schranken der Gesellschaft in diesen Jahren so sehr, nicht auch die Problematik des ganzen Ordnungssystems als dies: Dass durch sie ein Geist wie Rathenau zur Zerrissenheit gezwungen wurde.
Herrmann von der Dunk: Walther Rathenau (1867–1922), Ein Leben zwischen Anpassung und Kritik. Freienwalder Hefte 2, Akademische Verlagsanstalt 1999, S. 38/39.

Rathenau hat seltsamerweise noch nicht die große Bio­grafie gefunden, die er verdient. Er gehört ohne jeden Zweifel zu den fünf, sechs großen Persönlichkeiten dieses Jahrhunderts. Er war ein aristokratischer Revolutionär, ein idealistischer Wirtschaftsorganisator, als Jude deutscher Patriot, als deutscher Patriot liberaler Weltbürger, und als liberaler Weltbürger wiederum ein Chiliast und strenger Diener des Gesetzes.
Sebastian Haffner: Geschichte eines Deutschen.