Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №10/2008

Sonderthema

Rahel Varnhagen von Ense: Der Lebensweg

«Ich liebe unendlich Gesellschaft und bin ganz überzeugt, dass ich dazu geboren, von der Natur bestimmt und ausgerüstet bin. Ich habe unendlich Gegenwart und Schnelligkeit des Geistes, um aufzufassen, zu antworten, zu behandeln. Großen Sinn für Naturen und alle Verhältnisse, verstehe Scherz und Ernst und kein Gegenstand ist mir bis zur Ungeschicklichkeit fremd, der dort vorkommen kann. Ich bin bescheiden und gebe mich doch preis durch Sprechen und kann sehr lange schweigen und liebe alles Menschliche, dulde beinah alle Menschen.»

Zeit ihres Lebens litt Rahel Varnhagen, geborene Levin, unter dem doppelten Handicap, das sie als Frau und als Jüdin von allen existierenden Stätten der Ausbildung und von den meisten Berufen ausschloss, aber dennoch gelang es ihr, eine umfassende Ausbildung zu erreichen.

Rahel Varnhagen von Ense

In Berlin führte sie zwischen 1790 und 1806 und noch einmal ab 1819 bis zu ihrem Tod im Jahre 1833 Salons, in denen sich die Prominenz der damaligen Zeit traf, und der Brief als Literaturform verdankt ihr entscheidende Impulse. Noch heute werden ihre Briefe gerne gelesen, an denen zunächst die eigentümliche Sprache und eine teilweise fehlerhafte Orthografie auffallen, die sich nicht mit einer mangelhaften Bildung erklären lassen. Abgesehen davon, dass die Orthographie um 1800 noch nicht so standardisiert war wie jetzt, hat sie selbst ihre Orthographie ihrem regen, fortwährend kombinierenden Geist zugeschrieben, der es ihr nicht erlaubte, Worte ruhig hinzusetzen, und den Grund für ihre unorthodoxe Sprache in ihrer sozialen Stellung gesehen.

Graf Salm, der im Oktober 1801 ihren ersten Salon besuchte, schrieb, sie sei «weder groß noch schön, aber fein und zart gebildet, von angenehmem Ausdruck, ein Zug von überstandenem Leiden ... gab diesem Ausdruck etwas Tiefrührendes, doch ließ ihr reiner und frischer Teint, zusammenstimmend mit ihren dunklen und lebhaften Augen, die gesunde Kraft nicht verkennen, welche in dem ganzen Wesen vorherrschte. Aus diesen Augen fiel ein Blick auf mich, ein Blick, der bis in mein Innerstes drang, und dem ich kein schlechtes Gewissen hätte bieten mögen ...»

Ihr Vater Markus Levin war Kaufmann und Juwelier. Er gehörte zu den etwa ein Dutzend Juden in Berlin, denen Friedrich II. das sie halbwegs mit anderen Bürgern gleichstellende Generalprivilegium verliehen hatte. Diesem Gunstbeweis war die Beteiligung an einer vom König ausdrücklich gewollten Manipulation vorausgegangen, die darin bestand, Geldstücke mit reduziertem Silber- und Goldgehalt zu prägen und zu vertreiben, was entscheidend zu Preußens Sieg im Siebenjährigen Krieg beitrug.

Als Rahel Levin geboren wurde, war ihr Vater bereits 48 Jahre alt. Die Mutter Chaie war wesentlich jünger als ihr Mann. In 20 Ehejahren wurden fünf Kinder geboren. Von Anfang an unterwarf sie sich der Herrschaft des Ehemanns, den sie – ebenso wie später ihre Söhne – häufig auf Geschäftsreisen begleitete. Wurden die Kinder krank, so wurden sie von Bediensteten und einer Freundin der Levins versorgt, und gegenüber der väterlichen Tyrannei hatten die Kinder bei der Mutter keinen Schutz zu erwarten. «Angeschrien. Überschrien, beseitigt, unberücksichtigt, die ganze lange Jugend hindurch», schreibt Rahel später über diese Zeit, und auch: «Eine gepeinigtere Jugend ... erlebt man nicht, kränker war man nicht, dem Wahnwitz näher auch nicht.»Aber der Vater hatte auch eine andere Seite, die sie prägte. Carola Stern, Rahels Biografin, schreibt über ihn: «Er öffnet sein Haus Menschen freier Denkungsart, Künstlern und Adligen, die seinen Kredit und seine Unterhaltung schätzen, und er bricht mit Traditionen und religiösen Bräuchen, die das jüdische Haus dem Andersgläubigen verschließen und seine Bewohner von der übrigen Gesellschaft isolieren. Nicht nur ihren ungewöhnlichen Verstand, Scharfsinn und ihr blitzschnelles Begreifen, auch ihre Aufgeschlossenheit für die nichtjüdische Welt, ihren Emanzipationswillen verdankt Rahel Levin zu einem Gutteil ihrem Vater. Überall im jüdischen Bürgertum um 1800 öffnen die aufgeklärten Väter, nicht die Mütter, den Weg ins nichtjüdische Kultur- und Geistesleben.»

«Judenherberge» am Rosenthaler Tor in Berlin

Rahel, die mit ihrem Vorwitz und ihrer Zungenfertigkeit die Gäste amüsiert habe, sei das Lieblingskind des Vaters gewesen, meint Carola Stern. Rahels erster Salon, der sich seit dem Jahre 1790 – dem Todesjahr des Vaters – im elterlichen Haus etablierte, knüpfte zumindest teilweise an den Kreis an, der sich auch im Hause ihres Vaters zu dessen Lebzeiten getroffen hatte.

Die im Judentum innerhalb der jüdischen Gemeinden vorhandene Tradition des Lernens – die Frauen generell verschlossen war – hatte sich in den vorangegangenen Jahrhunderten fast ausschließlich auf Studien des Talmuds bezogen. Studium beschränkte sich auf die traditionellen jüdisch-religiösen Bereiche. Moses Mendelssohn, der später zum Oberhaupt der Berliner Aufklärung wurde, hatte sich seine Kenntnisse – deutsche Sprache, Mathematik und Latein – noch weitgehend im Geheimen erwerben müssen. Sein ins Deutsche übersetzter, aber in hebräischer Schrift gedruckter Pentateuch wurde richtungweisend für die die deutsche Sprache erlernenden Juden und bedeutete Annäherung an die deutsche Kultur. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann eine kleine Anzahl meist wohlhabender Juden, zu denen auch die Familie Levin gehörte, ins deutsche Kulturleben einzutreten. Bildung wurde von zentraler Bedeutung und spielte eine ebenso wichtige Rolle in der Verbürgerlichung und Verdeutschung des Berliner Judentums wie der unter Friedrich II. einsetzende wirtschaftliche und soziale Aufstieg der jüdischen Oberschicht.

Im Jahre 1778 wurde eine jüdische Freischule für arme – männliche – Kinder gegründet, in der sie neben Deutsch, Französisch und Hebräisch auch Grundlagen in Rechnen, Schreiben, Zeichnen und Geographie sowie berufsbezogene Fächer wie Buchhaltung und kaufmännische Kenntnisse erwerben sollten.

Mädchen wurde neben Hand- und Hausarbeiten Lesen und Schreiben, gewöhnlich in hebräischer Schrift, beigebracht. Außerdem erwarben sie Kenntnisse in Französisch und Deutsch, waren jedoch weitgehend auf sich selbst gestellt, abhängig von der Bereitwilligkeit ihrer Eltern zum Engagieren von Hauslehrern und auf Freunde, Brüder und Ehemänner angewiesen.

Rahel selbst hat geschrieben: «Mir wurde nichts gelehrt; ich bin wie in einem Walde von Menschen erwachsen.» Da Levins mit den ersten Berliner Familien engen Kontakt hatten, kann aber vermutet werden, dass Rahel eine für Mädchen überdurchschnittliche Ausbildung erhielt. Beide Eltern konnten deutsch schreiben. Der Vater begeisterte sich für das Theater und weckte das Interesse dafür auch bei seinen Kindern.

Es ist bekannt, dass Rahel deutsch und französisch sprechen und schreiben lernte, dazu die hebräische Schrift. Sie hatte auch Musik- und Klavierunterricht, wobei ihr grundlegende Kenntnisse vermittelt worden sein müssen, denn sie schrieb später über Johann Sebastian Bach: «Mein Musikunterricht bestand in lauter Musik von Sebastian, und allen Bächen, und der ganzen Schule, also wir, von der Zeit, kennen das alles genau.»

Abendgesellschaft um 1826

Der Ausbildungsgang der Töchter reicher Juden, die modern erzogen wurden, war nicht institutionalisiert wie derjenige der männlichen Kinder. Die Bildung konnte je nach Veranlagung und Umständen erweitert oder vertieft werden – was Rahel in den 90er Jahren mit beträchtlicher Mühe getan hat. Sie bildete sich in Deutsch, Französisch, Englisch, Literatur, Philosophie und Musik weiter. Fichte, Rousseau und vor allem Goethe beeinflussten sie nachhaltig.

Rahel litt von frühester Jugend an unter Rheumatismus und musste fast jeden Sommer in Kurbäder fahren, wo sie teilweise interessante Kontakte knüpfte und vertiefte. 1795 reiste sie zur Kur nach Teplitz und begegnete in Karlsbad erstmals Goethe. Goethe nannte sie später ein Mädchen von außerordentlichem Verstand, das immer denkt, und von Empfindungen. Goethe bewunderte die reizvolle Mischung von Gefühl und Denkkraft, er huldigte ihrer Originalität. Weitere Treffen mit Goethe fanden in den Jahren 1815, 1825 und 1829 statt.

Seit 1790 fanden sich im Salon im elterlichen Haus im Laufe der Jahre Friedrich und August Schlegel, Ludwig und Friedrich Tieck, Friedrich Gentz, Fouqué, Brentano, Schleiermacher, Fichte, die Gebrüder Humboldt, Prinz Louis Ferdinand und viele andere Adlige, Künstler und Intellektuelle, Vertreter aller Bereiche, Gelehrte und Künstler, Schriftsteller, Politiker und am Geistesleben Interessierte ein, um literarische und philosophische Probleme zu diskutieren, aber auch um Dichterlesungen, Konzerte und Vorträge zu hören.

Rahel Levin war nicht die Einzige, die in Berlin einen Salon führte. Allerdings waren es vor allem jüdische Frauen, was nicht allzu überraschend ist, wenn man sich überlegt, dass Frauen und Juden die beiden Gruppen waren, die vom gesellschaftlichen Leben weitgehend ausgegrenzt waren. Rahel, die das Judentum als Belastung empfand, legte großen Wert auf Kontakte zum Adel und auf Anerkennung durch solche, die ihrerseits anerkannt waren, aber es ist zweifelhaft, wieweit diese sie anerkannt bzw. als ebenbürtig betrachtet haben. So beliebt Rahels Salon war, so selbstverständlich war es doch für einen Großteil ihrer Besucher – ausgenommen Prinz Louis Ferdinand und wenige andere –, dass sie in deren Häusern nicht willkommen war.

In Berlin waren Rahel Levin und die etwas ältere Henriette Herz starke Konkurrentinnen. Beider Salons waren Zentren einer Geselligkeitsstruktur und entzweiten sich bald in Gruppen und Parteien. Auch Dorothea Veit, Moses Mendelssohns Tochter, führte in Berlin einen Salon.

Rahels Salon, den sie selbst um 1800 als «Republik des freien Geistes» bezeichnete, unterschied sich dennoch von denen der anderen. Für sie zählte nicht der Rang, und manche – wie etwa Gentz, Wilhelm von Humboldt und Brentano – störten sich an der «Wahllosigkeit» von Rahels Gesellschaft. Rahel interessierte sich für die Menschen. Im Jahre 1809 schrieb sie: «Nichts muss in uns brachliegen, am wenigsten Menschenverkehr ... was macht denn sonst wohl das eigentlichste Wesen des Menschen aus ... als dass er andere Wesen, die Angesicht tragen, dafür annimmt, und sie behandelt wie sich selbst; wann kann er das besser, als im vielfältigsten, reichhaltigsten, häufigsten Umgang aller Art mit ihnen.»

Der französische Graf Salm, der im Oktober 1801 in Rahels Salon zu Gast war, beschrieb die Gastgeberin wie folgt: «Mit welcher Freiheit und Grazie wusste sie um sich her anzuregen, zu erhellen, zu erwärmen! Man vermochte ihrer Munterkeit nicht zu widerstehen! Und was sagte sie alles! Ich fühlte mich wie im Wirbel herumgedreht, und konnte nicht mehr unterscheiden, was in ihren wunderbaren, unerwarteten Äußerungen Witz, Tiefsinn, Gutdenken, Genie, oder Sonderbarkeit und Grille war. Kolossale Sprüche hörte ich von ihr, wahre Inspirationen, oft in wenig Worten, die wie Blitze durch die Luft fuhren und das innerste Herz trafen. Über Goethe sprach sie Worte der Bewunderung, die alles übertrafen, was ich je gehört hatte.»

Auch Clemens von Brentano, der ausgeprägt judenfeindlich war, konnte sich Rahels Eindruck nicht entziehen. 1804 schilderte er einen Besuch: «Ich war gestern bei der berühmten Mademoiselle Levi, die einen nicht unangenehmen Ton in ihrer Gesellschaft hat, es könnte etwas sehr Angenehmes sein, wenn es nicht eine wahre Sudelküche des Gesprächs wäre ... sie ist ohne Anspruch, erlaubt dem Gespräch jede Wendung bis zur Unart, bei welcher sie jedoch nur lächelt, sie selbst ist äußerst gutmütig und doch schlagend witzig. Dass Prinz Louis Ferdinand und Fürst Radziwill zu ihr kommen, erregt vielen Neid, aber sie macht nicht mehr daraus, als ob es Lieutenants oder Studenten wären, mit so viel Geist und Talent wie jene würden ihr die­se eben so willkommen sein.»

Neben der sozialen spielte Rahels Salon auch eine kulturelle und literarische Rolle. Viele Autoren und Theaterleute waren unter den Besuchern, und Gespräche über Literatur und Theater nahmen einen beträchtlichen Raum ein. Rahel Varnhagen gehörte auch zu denen, die Goethes Bedeutung schon Ende des 18. Jahrhunderts erkannte, als er noch weitgehend in der Masse anderer Schriftsteller unterging.

Die Niederlage Preußens und der Einzug Napoleons in Berlin im Jahre 1806 lösten Rahels ersten Salon auf. Hinzu kam, dass die Wirtschaftskrisen und die angespannte Geschäftslage ihrer Brüder auch zur Einschränkung ihres Lebensstandards führten. In ihrem Zuhause hatte Rahel Levin auch nach dem Tod ihres Vaters zunächst noch das materiell-sorglose Leben eines Mitglieds der jüdischen Oberschicht geführt. Relativ früh hatte sie die Mitverantwortung für ihre Geschwister und die Haushaltsführung übernommen, wenn die Eltern auf Reisen gingen. Nach dem Tod des Vaters blieb sie vorübergehend das eigentliche Familienoberhaupt, das der Mutter die Erziehung der jüngeren Geschwister abnahm, bis die Mutter darauf drängte, dass diese Rolle auf den ältesten Sohn Markus überging.

Damit war Rahel ihrem jüngeren Bruder unterworfen, der das väterliche Handels- und Bankgeschäft übernahm und damit auch zum Verwalter des beträchtlichen Vermögens wurde. Bei der Mutter, die den Sohn als Familienoberhaupt betrachtete, hatte sie keinen Rückhalt, und die Brüder hatten vermutlich nicht allzu großes Interesse, ihre beiden Schwestern zu unterhalten, sondern hätten die Verantwortung recht gerne an Ehemänner abgetreten. Für Rahel war die Situation nicht angenehm. Während die jüngere Schwester Rose sich ohne Schwierigkeiten verheiraten ließ, scheiterten solche Pläne bei Rahel, obwohl es grundsätzlich wohl auch ihren Vorstellungen entsprach, zu heiraten und Kinder zu haben. Rahel entsprach allerdings nicht dem herkömmlichen Schönheitsideal und Frauenbild. Hannah Arendt, eine weitere Biografin, beschreibt sie unter Verwendung eigener Zitate Rahels wie folgt: «Sie hat etwas ‹unangenehm Unansehnliches, ohne dass man besonders auffallende Difformitäten im Einzelnen gleich entdeckte›. Klein von Gestalt, mit zu kleinen Händen und Füßen, im Gesicht eine Disproportion zwischen Ober- und Unterpartie, unter der klaren Stirn und den schönen durchsichtigen Augen das zu lange Kinn, das nicht durchgebildet ist, als sei es an das Gesicht nur angehängt. An ihm, meint sie, drückt sich ihre ‹schlechteste Eigenschaft› aus, eine ‹zu große Dankbarkeit und zu viel Rücksicht für menschlich Angesicht›. Das Gleiche erscheint ihrer Umwelt als Niveau- oder Geschmacklosigkeit. Auch dies weiß sie: ‹Ich habe keine Grazie; nicht einmal die, einzusehen, woran das liegt; außerdem, dass ich nicht hübsch bin, habe ich auch keine innere Grazie ... ›»

Karl August Varnhagen von Ense

Zwei langjährige Liebesbeziehungen endeten unglücklich. Die Beziehung mit Karl Graf von Finckenstein begann 1795 und wurde fünf Jahre später beendet. Rahel hoffte auf die Heirat nicht nur als Ausweg aus der Familienabhängigkeit, sondern vor allem auch als Weg aus dem Judentum. Allerdings übersah sie wohl, dass im preußischen Adel schon die Heirat mit einer Bürgerlichen als Verletzung der Standesehre galt. Zwar hatten auch zur damaligen Zeit vereinzelt christliche Adelsfamilien Jüdinnen als Schwiegertöchter – nach vollzogener christlicher Taufe – akzeptiert, aber die waren entweder besonders hübsch oder besonders reich, und beides traf für Rahel nicht zu.

Carola Stern beschreibt die Situation so: «Eine Bürgerliche jüdischen Geblüts, ein nicht mehr unschuldiges, von Natur aus unansehnliches, bereits leicht verblühtes schwächliches Geschöpf, manchmal derb und burschikos, eine Frau, die Anspruch auf Ebenbürtigkeit gegenüber einem Mann erhebt und sicherlich nicht einmal gebären kann. Die und das Geschlecht der Finckensteins – ein aberwitziger Gedanke!»

Karl Graf von Finckenstein erkannte selbst, dass er ihr intellektuell unterlegen war – ebenso wie dies auch ihr späterer Ehemann Karl August Varnhagen eingeräumt oder anerkannt hat –, aber bei aller Bewunderung – oder vielleicht gerade deshalb – hatte er nicht vor, sich offiziell zu ihr zu bekennen. Als sie das begriff, beendete sie die Beziehung. Ebenfalls unglücklich endete ihre Beziehung zu dem spanischen Gesandtschaftssekretär Don Raphael d’Urquijo, die von 1802 bis 1804 dauerte. Vier Jahre später – im Alter von 37 Jahren – lernte sie den 14 Jahre jüngeren Karl August Varnhagen kennen, den sie dann sechs Jahre später heiratete. Wenige Tage vor der Trauung wurde sie durch Friedrich Schleiermacher protestantisch getauft. Varnhagen, der 1808 noch Medizin studierte, legte sich 1811 das Adelsprädikat «von Ense» zu und nahm 1814 im Dienste Hardenbergs am Wiener Kongress teil. Ab 1816 war er als preußischer Geschäftsträger am badischen Hof in Karlsruhe tätig. Rahel Varnhagen sah sich als Diplomatengattin dem Ziel der gesellschaftlichen Anerkennung um einiges näher, wenngleich sie die Zwänge beklagte, die für sie als Frau mit der Ehe verbunden sind, und sie – obwohl sie getauft war – vom badischen Hof nicht eingeladen wurde. Ihr Mann behauptete zwar später, sie habe sich der «geputzten Lächerlichkeit» unter Hinweis auf Kränklichkeit bewusst entzogen, doch sie selbst hat in einem Brief geschrieben, dass sie sich mit dem Hinweis auf Kränklichkeit lediglich bei denen entschuldigt habe, die sie bei der Neujahrscour im Schloss vermisst hätten; tatsächlich aber sei sie nicht eingeladen worden und habe sich dadurch «bitter auf meine Vergangenheit ... verwiesen» gefühlt.

Drei Jahre später wurde Karl August Varnhagen ohne Angabe von Gründen von seinem Posten abberufen. Zu dieser Zeit breiteten sich Judenverfolgungen über ganz Deutschland aus, und die «Karlsbader Beschlüsse» verschärften die Unterdrückung aller freiheitlichen und demokratischen Bestrebungen. Varnhagens berufliche Situation blieb jahrelang ungeklärt. Gemeinsam ließen sich beide in der Französischen Straße in Berlin nieder, wo Rahel ab 1819 ihren zweiten Salon etablierte. Hier gehörten zu den Besuchern unter anderem Heine, Hegel, Eduard Gans und Leopold Ranke.

Neben Rahels Salons ist vor allen Dingen Rahels Briefwechsel zu erwähnen, aus dem sich ihre anonymen Veröffentlichungen zu Lebzeiten ebenso ergeben haben wie das, was nach ihrem Tod veröffentlicht worden ist. Rahel war als Briefschreiberin kein Einzelfall. Um 1800 traten zahlreiche Frauen als Schriftstellerinnen und Autorinnen hervor. Der Brief mit seiner familiengeschichtlichen Tradition entwickelte sich zu einer literarischen Gattung. Im Regelfall waren allerdings Teezirkel, Dinners, Bälle und Reisen die aufregendsten Ereignisse, um die sich das Leben der schreibenden Frauen drehte. Rahel Varnhagen unterschied sich von den anderen Briefschreiberinnen schon dadurch, dass sie den Brief zu ihrem fast ausschließlich literarischen Mittel machte und über philosophische und gesellschaftliche Einsichten ebenso schrieb wie über Literaturkritik, Malerei oder Kunst. Mehr als 10 000 Briefe – und zwar alle an echte Adressaten und nicht fingiert – dürfte Rahel im Laufe ihres Lebens geschrieben haben. Ein typisches Kennzeichen ihrer Briefe ist der ausgesprochene Gesprächs­charakter, ein anderes die Vielfalt der besprochenen Themen und die Originalität ihrer Gedanken.

Auch ihre Veröffentlichungen waren Teile ihrer Briefe, die allerdings anonym oder unter ihrem christlichen Vornamen «Friederike» erfolgten. 1812 erschien im «Morgenblatt für gebildete Stände» ihr Beitrag Über Goethe. Bruchstücke aus Briefen, vier Jahre später im «Schweizerischen Museum» Rahels Bruchstücke aus Briefen und Denkblättern. 1821 wurden Briefe von Rahel und ihrem Freundeskreis über Goethes Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre im «Gesellschafter» veröffentlicht, und in der Zeitschrift «Die Waage» erschienen anonym Auszüge aus Rahels Briefen. Die letzte Veröffentlichung zu Lebzeiten erschien unter dem Titel Aus Denkblättern einer Berlinerin im Jahre 1829 in Fouqués Zeitschrift «Berlinische Blätter für deutsche Frauen».

Am 7. März 1833 starb Rahel Varnhagen. Vier Monate später erschien – herausgegeben von ihrem Mann Karl August Varnhagen von Ense – das Buch Rahel. Ein Buch des Andenkens an ihre Freunde.

Der Text ist entnommen aus: http://www.mynetcologne.de/~nc-frankeir/varnhagen.htm