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Sonderthema

Wolfram von Eschenbach – der große Dichter und Epiker des Mittelalters

Wolfram von Eschenbach, der mittelhochdeutsche Epiker der staufischen1 Klassik, zählt zu den bedeutendsten Dichtern des Mittelalters. Dennoch fehlt jede als objektiv geltende zeitgenössische Angabe zu seiner Biografie. Im Gegensatz zu den Minnesängern, von denen nicht wenige aus dem höheren Adel stammten, waren die meisten höfischen Epiker offenbar niederer Herkunft. Sie wurden nie in Chroniken erwähnt und auch in keiner Zeugenliste der Urkunden genannt. Somit erschließt sich alles, was wir über sein Leben zu wissen meinen, aus Selbstaussagen in seinen Dichtungen und wenigen Äußerungen anderer Autoren.
Früher wurden die kommentierenden Ich-Aussagen in seinen Werken unkritisch als autobiografische Zeugnisse gelesen, um daraus die Lebensgeschichte des Dichters zu rekonstruieren. Heute ist die Literaturwissenschaft in diesem Punkte weitaus vorsichtiger.
Alles, was das epische Ich über sich selbst aussagt, wird zunächst als Ausgestaltung der Erzählerrolle betrachtet. Ob diese Aussagen darüber hinaus autobiografische Bedeutung haben, lässt sich nur schwerlich feststellen. Für die Namen von Personen und Orten, die historisch nachweisbar sind, wird selten auf historische Auswertung verzichtet. Vor allem ist hierbei zu beachten, dass die Selbstaussagen in Prologen, Epilogen und Exkursen eine andere Sprechebene bezeugen als Aussagen im Erzählzusammenhang.

Wolfram von Eschenbach; Autorbild als Ritter im Codex Manesse
Wolfram von Eschenbach; Autorbild als Ritter im Codex Manesse

Nach allem, was aus seinem Œuvre erschlossen werden kann, ist seine Lebens- und Schaffenszeit zwischen 1170 und 1220 anzusetzen. Als gesichert gilt der Name des Dichters – wie er sich selbst mehrfach nennt (und von anderen Autoren bestätigt wird): Wolfram von Eschenbach. Wovon er seine Herkunftsbezeichnung ableitete, war lange Zeit umstritten. Mittlerweile gilt Obereschenbach (seit 1917 Wolframs-Eschenbach) südöstlich von Ansbach als allgemein anerkannter Geburtsort. Für dieses fränkische Städtchen spricht, dass Wolfram eine Reihe von im Umkreis liegenden Ortschaften erwähnt. Dazu kommt, dass der Dichter bereits im 13. Jahrhundert mit der Stadt in Verbindung gebracht wurde. Zumindest ist dort seit 1268 eine adlige Familie von Eschenbach bezeugt, die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ausstarb. Alles deutet darauf hin, dass sich die Herren von Eschenbach auf den berühmten Dichter zurückverfolgten. Somit waren sie es wohl auch, die im 14. Jahrhundert im Obereschenbacher Frauenmünster ein Kenotaph2 für den Dichter errichten ließen. Vermutlich verschwand das heute nicht mehr vorhandene Kenotaph während des barocken Umbaus der Kirche.
Im Übrigen lässt sich die einzige Aussage, die er über seine Herkunft gemacht hat, nur schwer mit Obereschenbach vereinbaren. In seinem Parzival bezeichnet er sich selbst als Bayer. Das fränkische Eschenbach hat jedoch bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts niemals zu Bayern gehört! Diesen Widerspruch aufzulösen, wird daher vermutet, Wolfram gehörte einem bayrischen Dienstadelsgeschlecht der Eschenbacher Freiherren an.
Jedoch sind über seinen Stand nur Vermutungen möglich. Die beinahe selbstverständliche Annahme des 19. Jahrhunderts, dass er Ritter gewesen wäre, ergibt sich aus dem Mittelalterbild der Romantik und spiegelt eher damalige gesellschaftliche Wunschvorstellungen wider. Doch selbst in der neueren Literaturgeschichte wird er so bezeichnet. Die Manessische Handschrift3 zeigt ihn zwar als Ritter; auch betiteln ihn Zeitgenossen mit hêrre. Zudem scheinen manche Selbstzeugnisse seine Ritterbürtigkeit zu belegen.
Da eine Adels- oder Ministerialfamilie von Eschenbach zu Wolframs Zeiten nicht belegt ist, entbehrt seine oftmalige Einordnung als Ministerial jeglicher Grundlage. Es ist offen, ob der Dichter tatsächlich ein Vorfahre der seit 1268 in Eschenbach bezeugten Familie war. Ebenfalls sagt das hêrre nichts aus, da der Herrentitel um 1200 bereits als Höflichkeitsform benutzt wurde.
Diese Unsicherheit über Wolframs Standesverhältnisse ist jedoch keine Ausnahme. Die meisten Epiker waren Berufsdichter ungewisser Herkunft, die auf die Gunst hoher Gönner angewiesen waren. Erst die verklärende Sicht der Nachwelt ließ sie in hohe Ränge aufsteigen. So wurde z. B. Walther von der Vogelweide zum Geheimrat König Philipps von Schwaben stilisiert.
Nach den Selbstaussagen war Wolfram Analphabet. Doch ist es zweifelhaft, ob diese als autobiografisch anzusehen sind. Eher scheint er einen Topos4 aus der geistlichen Literatur verwandt zu haben. Dort heißt es: «Ich weiß nichts von Buchstaben», worin die Nichtigkeit des weltlichen Wissens gegenüber der göttlichen Inspiration zum Ausdruck kommt. Selbst in Wolframs Bekenntnis zur Unbildung zeigt sich also seine Vertrautheit mit lateinischer Bildungstradition! Des Weiteren findet sich in den Epen eine Vielzahl von Bildungsgut seiner Zeit aus Medizin, Kosmologie, Astronomie, Naturkunde und Geografie. Zudem bezeugt er ein genaues Verständnis schwieriger theologischer Fragestellungen.
In diesem Zusammenhang muss das mittelalterliche Bildungswesen betrachtet werden. Als Gebildeter (litteratus) galt nur, wer eine Schule besucht hatte, Latein lesen und schreiben konnte und es bis zum Trivium5 gebracht hatte – in der Regel nur Geistliche. Jedoch kamen ungebildete Laien an den Höfen oftmals mit Schriftkultur in Berührung. So konnten viele adlige Frauen lesen und schreiben sowie das Latein des Psalters, ohne eine Schule besucht zu haben. Vielleicht war bei Wolfram ebenfalls der Fall. Er muss sein Wissen zudem nicht durch eigene Lektüre erworben haben. Er hat sich mehrfach auf Gewährsleute und mündliche Überlieferung berufen. Auf die­se Weise konnte auch ein interessierter Laie zu gelehrtem Fachwissen gelangen. Ebenfalls vertraut war Wolfram mit der Literatur seiner Zeit, was die eingestreuten, meist witzigen Zwischenbemerkungen über seine Dichterkollegen belegen.
Die im 12./13. Jahrhundert im Auftrag der weltlichen Höfe dichtenden Epiker mussten Französisch verstehen, da damals ein großes Interesse an französischer Gesellschaftskultur und Dichtung bestand. Durch seine Übertragungen spielte er als Vermittler französischer Werke eine große Rolle. Viele bis dahin in Deutschland unbekannte Wörter hat er eingeführt. Wie und wo ein Mann aus Franken, der wohl nur in Bayern und Thüringen gedichtet hat, seine Sprachkenntnisse erwerben konnte, ist allerdings unklar.

Rathaus der Stadt Wolframs-Eschenbach mit Wolframs Denkmal
Rathaus der Stadt Wolframs-Eschenbach mit Wolframs Denkmal

Im Ganzen ist Wolframs Sprache um vieles farbiger und persönlicher als die seiner Zeitgenossen. Im Grundbestand ist sie fränkisch mit bairischen Eigenheiten, doch weisen Lautformen und Syntax mündliche Freiheiten auf. Seine Wortwahl wird durch eine Vorliebe für seltene Wendungen, bildhafte Ausdrücke und ausgefallene Neubildungen – manchmal aber auch Antiquiertes6 aus der Helden­epik – bestimmt. Darüber hinaus gebrauchte er manch flandrisch-niederfränkische Wörter, die sich durch ihren von der zweiten Lautverschiebung unberührten Konsonantismus zu erkennen geben und als höfisch-vornehm galten.

Die Literatur jener Zeit ist durch den wachsenden kulturellen Anspruch des weltlichen Feudaladels geprägt. War Dichtung bis dahin vorwiegend Privileg der Geistlichkeit und diente damit klerikalen Interessen, so bahnte sich nun ein Umschwung an. Das Selbstgefühl des weltlichen Adels, der sich die französische Feudalkultur zum Vorbild nahm, sollte auch in der Literatur zum Ausdruck gebracht werden. Die dichterischen Werke wurden nicht gelesen, sondern mit kunstvoller Rhetorik vor Publikum auf den Adelssitzen vorgetragen. Somit arbeiteten die höfischen Epiker im Auftrage fürstlicher Mäzene, die meist Einfluss auf die Stoffwahl nahmen und ihnen dafür alle notwendigen Mittel stellten. Dabei ist nicht nur der Unterhalt für Dichter und Schreiber zu bedenken. Auch das Besorgen der französischen Textvorlage und des Pergaments verursachte hohe Kosten.

Denkmal in Wolframs-Eschenbach, gestiftet 1860 von König Maximilian II. von Bayern

Denkmal in Wolframs-Eschenbach, gestiftet 1860 von König Maximilian II. von Bayern

Wolfram hat seine Gönner allerdings nie explizit genannt. Es wurde versucht, eine Reihe der in der ersten Hälfte des Parzival erwähnten Adelsnamen auf einen fränkisch-bayri­schen Gönnerkreis hin zu deuten. Dies bleibt aus vielerlei Gründen jedoch sehr vage. Als gesichert gilt Landgraf Hermann I. von Thüringen. Unter ihm wurde der Thüringer Hof zum Mittelpunkt höfischer Dichtung. Mit anderen war Walther von der Vogelweide dort tätig, den Wolfram auch als einzigen zeitgenössischen Dichter in seinen Werken erwähnt.

Unter den Epikern seiner Zeit nimmt Wolfram eine Sonderstellung ein. Nicht nur im Sprachstil, auch in Reim- und Verstechnik sticht er heraus. Er war mit den neuen Techniken der Versfüllung, des Kadenzenbaus und der Reimreinheit, die sich um 1190 durchgesetzt hatten, vertraut. Im Parzival sind vier zweiteilige, aus Hebung und Senkung bestehende Kurztakte, zu einer Verszeile zusammengefasst, die durch den Reim mit einer anderen Zeile paarig zusammengeschlossen ist. Allerdings hat er auf die technischen Feinheiten weniger Gewicht gelegt als die anderen Dichter. Manchmal scheint er geradezu bewusst gegen die Regeln verstoßen zu haben. Auch kam es ihm mehr auf den Klangeffekt als die Reinheit des Reimes an. Die auffälligste metrische Eigenheit ist das Überspielen der Versgrenze durch die Syntax. Häufig endet der Satz erst nach der ersten Hebung im nächsten Vers. Dies hat den Effekt des Aufreißens von Gegensätzen oder des Zusammenziehens von eigentlich Getrenntem.

Wolframs künstlerische Eigenheit zeigt sich auch in seiner Erzählweise. Ständig drängt sich der Erzähler hervor. Er nennt Personen und Orte aus seinem Erfahrungsbereich, kommentiert die Handlung und unterhält sich mit den Zuhörenden, indem er Fragen an sie stellt oder an ihr Urteil appelliert. Damit schafft er eine zweite Erzählebene, die das Publikum zu Mitspielenden macht. Der Wechsel der Ebenen erfolgt oftmals sprunghaft und erscheint willkürlich. Das wichtigste Darstellungsmittel dieser erzählerischen Subjektivität ist die Komik, die darauf zielt, durch unerwartete Wendungen zu überraschen.
Das überlieferte Œuvre Wolframs besteht aus drei epischen Werken – Parzival (24 810 Verse), Willehalm (13 988 Verse) und Titurel (170 Strophen) – sowie neun Liedern. Bei Letzteren handelt es sich um vier herkömmliche «Minne-» und fünf «Tagelieder». Sicherlich hat er noch mehr gedichtet, aber offenbar gab es im 13. Jahrhundert von diesen keine zuverlässige Sammlung.

Zumindest über die Reihenfolge der Werke lässt sich eine sichere Aussage machen. Im Parzival spricht Wolfram selbstbewusst von seiner Lyrik. Daraus lässt sich schließen, dass er zu Beginn dessen Abfassung bereits als Minnesänger bekannt war. Des Weiteren nimmt er im Prolog des Willehalm auf den Parzival Bezug, sodass dieser älter sein muss. Wahrscheinlich ist der Titurel sein letztes Werk.

Als Hauptquelle für den Parzival gilt die – auf ca. 1180–1190 datierte und Torso gebliebene – Li Conte del Graal des Chrétien de Troyes7. Die Partien, die diesem Werk entsprechen, sind mit 18 000 Versen fast doppelt so umfangreich. Dies zeigt, dass sich Wolfram aus seiner Begabung heraus – entgegen dem zeitgenössischen Ideal – keinesfalls dem Zwang einer getreuen Nachdichtung unterordnete. So gibt Wolfram allen Figuren, die in seiner Vorlage namenlos bleiben, einen Namen und gestaltet sie stärker aus. Für die über die Li Conte del Graal hinausgehenden Teile ließ sich nie eine andere geschlossene Vorlage nachweisen. Wolfram beruft sich selbst auf einen gewissen Kyot, der die ganze Geschichte viel richtiger und vollständiger als Chrétien erzähle. Eine solche Quelle ließ sich jedoch nie nachweisen. Zudem sind die Angaben dermaßen fantastisch, dass die tatsächliche Existenz Kyots unwahrscheinlich ist. Vielmehr war es Wolframs Absicht, seine stofflichen Freiheiten mit einer erfundenen Autorität zu decken – wenn er nicht gar die gelehrten Literaten mit einer fingierten Quelle verspotten wollte.

Auch wenn der Parzival bei den epischen Werken den Anfang macht, ist er dennoch nicht in einem Zuge entstanden. Zumindest nach dem VI. Buch muss es eine längere Arbeitsunterbrechung gegeben haben. Höchstwahrscheinlich gab es aber noch weitere Unterbrechungen. Zudem zeigen sich Spuren kleiner Hinzufügungen und Überarbeitungen.
Umstritten war lange, ob die Vorstellung vom Gral aus christlicher oder keltischer Tradition stamme. Heute wird angenommen, dass Chrétien einem keltischen Motiv neue christliche Deutung gab. Bei ihm ist er eine goldene Schüssel, die dazu dient, dem Gralskönig eine geweihte Hostie zu bringen. Die bekannte Identifizierung mit dem Abendmahlskelch Christi ist sekundär. Wolfram wandelt den Gral in einen nicht näher beschriebenen Edelstein um. Auf die Erde wurde er von Engeln gebracht und in die Obhut der Titurel-Familie gegeben. Sündern und Sünderinnen ist er zu schwer; eine reine Jungfrau vermag ihn federleicht zu tragen. Nur Unwissende finden ihn; systematische Suche bleibt erfolglos. Der Gral kann alle gewünschten Speisen und Getränke hervorbringen. Er besitzt lebensverlängernde Kraft. Manchmal offenbart er durch Schriftzeichen Gottes Willen. Die Herkunft dieser Gralsvorstellung ist bis heute ungeklärt.

Im Prolog des Willehalm heißt es, dass der Thüringer Landgraf Wolfram mit der Geschichte bekannt gemacht habe. Somit wird das Werk am Hofe Hermanns I. gedichtet worden sein. Im letzten Buch rühmt Wolfram die Freigebigkeit, die jener sein Leben lang besessen habe. Da diese Bemerkung dessen Tod voraussetzt, muss dieses Buch nach 1217 verfasst worden sein. Dass das Werk ganz unvermittelt abbricht, hängt wohl mit dem Verlust des Gönners zusammen.

Der Willehalm gehört zum Stoffkreis der französischen Heldenepik. Es gab einen ganzen Epenzyklus, der von Guillaume d’Orange und seinen Kämpfen gegen die heidnischen Sarazenen unter den Nachfolgern Karls des Großen erzählte. Im Blickwinkel der französischen Heldenepik des 12. Jahrhunderts erscheint das Königtum allerdings in einem erbärmlichen Zustand, wohingegen das Heldentum der großen Reichsfürsten herausgestrichen wird. Wahrscheinlich hat diese politische Tendenz Wolframs Auftraggeber zur Stoffauswahl veranlasst. In welcher Gestalt ihm die aus diesem Epenzyklus stammende Quelle vorlag, ist dabei unsicher. Noch deutlicher als beim Parzival ist dieses unvollendete Epos kunstvoll komponiert. Zudem hat er die Handlung gestrafft und den Titelhelden in den Mittelpunkt gerückt. Auch hat Wolfram das Verwandtschaftsmotiv bedeutend ausgebaut. Der Krieg zwischen Heiden und Christen ist zunächst einmal ein Krieg unter Verwandten. Da dieser aber zudem als Kreuzzug dargestellt wird, handelt es sich in zweiter Linie doch um einen Glaubenskrieg. Dennoch hat er keinen aggressiven oder missionarischen Charakter. Er ist lediglich auf Verteidigung des christlichen Glaubens und des Heiligen Römischen Reiches ausgerichtet. Der Willehalm ist demnach kein Dokument der Kreuzzugsverherrlichung. Es ist kaum denkbar, dass dieses Werk eine dafür werbende Funktion haben sollte. Zu deutlich sind Skepsis und Distanz, mit denen der Erzähler das Geschehen auf dem Schlachtfeld kommentiert. Im Allgemeinen ist die starke Zurückhaltung Wolframs gegenüber Gewaltdarstellungen auffällig. Den Schrecken des Heidenkrieges wird der Gedanke an Liebe und Versöhnung entgegengestellt. So lässt Wolfram Gyburc in dessen großer Toleranzrede den christlichen Anspruch bezweifeln, ob Heiden schon allein wegen ihrer Nichtchristlichkeit bekriegt werden dürften. Sie seien ja ebenfalls Gottes Kinder und dürften deshalb nicht wie Vieh hingeschlachtet werden. Damit geht er über das hinaus, was sich in der Literatur bis dahin an Vorstellungen vom edlen Heiden findet.

Das Epos bricht mit der Abreise des von Willehalm freigelassenen Heidenkönigs Matribleiz ab. Es bleibt reine Spekulation, ob Wolfram seine Dichtung noch bis dahin hätte führen wollen, wo nach der französischen Überlieferung der Titelheld nach dem Tod Gyburcs ins Kloster geht. Nach allem, was wir über den Dichter wissen, erscheint dies aus seiner religiösen Auffassung heraus als unwahrscheinlich.

Der Titurel war das erste höfische Epos in Strophenform. Auch hierin bricht Wolfram die gängige Ästhetik, denn bis ins 12. Jahrhundert war strophisches Erzählen ein Kennzeichen der Heldendichtung. Wolfram hat sich für den Titurel wohlmöglich am Nibelungenlied orientiert. Eine direkte Quelle des Stoffes ist unbekannt. Da aus den Angaben Hermann I. von Thüringen bereits als verstorben vorauszusetzen ist, muss das Werk um 1220 entstanden sein. Warum die Arbeit daran abgebrochen wurde, ist nicht bekannt.

Erhalten haben sich zwei Textstücke, ein kürzeres mit 39 und ein längeres mit 131 Strophen. Der irreführende Titel stammt aus dem Mittelalter. Damals wurden literarische Werke derweil nach der ersten vorkommenden Person benannt. So erzählt der Titurel in Wahrheit die Geschichte von Sigune und Schionatulander, deren Ende den Zuhörenden als bereits aus dem Parzival bekannt vorausgesetzt wird.

Im Mittelpunkt des Titurel steht die Liebesthematik – die wahre Liebe bis zum Tod. Liebe wird als eine allgewaltige Kraft geschildert, die auf Erden wohne, im Himmel ein reines Geleit zu Gott gebe und überall anwesend – außer in der Hölle – sei. Jedoch zeigt sich auch, dass das Anliegen dieser allmächtigen Liebe keinesfalls die Beglückung sei. Möglicherweise ging es Wolfram auch um das Aufweisen der Tragik, dass das Befolgen des rechten Weges keinesfalls Leid verhindert.

All diese religiösen Aspekte in Wolframs Œuvre werfen auch die Frage nach seinem religiösen und ethischen Wertekosmos auf. Er lässt sich durchaus in die sich ausprägende Laienbewegung am Ende des 12. Jahrhunderts einordnen. Hierbei ging es der volksreligiösen Erneuerungsbewegung vor dem Hintergrund des klerikalen Überlegenheitsanspruches um das Ringen nach dem rechten Wege zur Heilsgewissheit. Gerade dessen immer schroffer werdender Bruch mit urchristlichen Tugenden führte viele Menschen zum Nachdenken über die Widersprüche zwischen Kirchenlehre und Realität. Die sich bildenden – von urchristlichen Idealen ausgehenden – Laienbewegungen versuchten, ohne eine Vermittlerrolle von Kirche und Priestertum einen unmittelbaren Weg zu Gott und dessen Lehren zu finden. Zugleich handelte es sich um die Frage, wie sich die weltlich-höfischen Wertvorstellungen und die christlichen Glaubensgrundsätze zueinander verhalten. Wolfram hat darauf mit dem Bekenntnis geantwortet, dass es das höchste Ziel des Menschen sei, vor Gott Gnade zu finden – und zugleich Achtung vor der Welt zu erringen. In Parzivals Gralskönigtum wird dieses Ziel beispielhaft erreicht. Dieser harmonische Gedanke steht aber gerade in Widerstreit zur Idealsicht der Kleriker, nach der der Mensch nicht nach dem Glanze der Welt schauen dürfe, sondern der Weg zu Gott allein weltablehnend-asketisch zu sein habe. In Wolframs moderner und vermittelnder Sichtweise können jedoch beide Wege zur Gottesgnade führen.

Wolfram von Eschenbach war bereits zu Lebzeiten ein gefeierter Dichter. Kein anderer hat so stark auf die Literatur der nächsten Jahrhunderte gewirkt. So gibt es beispielsweise etwa siebzig deutsche «Tagelieder» aus dem 13. und 14. Jahrhundert, von denen nur wenige sich nicht durch Wolfram beeinflusst zeigen. Viele der Zeitgenossen sahen wegen seiner Eigenart, die sich so gar nicht in den Kanon der bestehenden ästhetischen Leitsätze fügen wollte, im Parzival eine literarische Pioniertat. Es gab zahlreiche Versuche, seinen Stil nachzuahmen und die unvollendeten Werke zu ergänzen. So wurde der fragmentarische Willehalm bereits Mitte des 13. Jahrhunderts von Ulrich von Türheim fortgesetzt. Einige Jahrzehnte später dichtete Ulrich von Türlin eine Vorgeschichte dazu, sodass insgesamt ein Textkorpus von über 60 000 Versen entstand, der im Spätmittelalter als Zyklus gelesen und verbreitet wurde. Das anonyme Epos Lohengrin (1283–1290) schreibt den Schlussbericht des Parzival aus. Einige spätere Dichter haben ihre Werke direkt unter Wolframs Namen verfasst. Der Jüngere Titurel Albrechts von Schafenberg galt bis ins 19. Jahrhundert als Wolframs Werk. Obwohl Albrecht an einer Stelle sogar seine fingierte Autorenmaske lüftet, erkannte erst August Wilhelm Schlegel, dass nur die zwei Fragmente authentisch sind.

Darüber hinaus ist Wolfram als Teilnehmer am Sängerwettstreit auf der Wartburg bereits im 13. Jahrhundert selbst zu einer literarischen Gestalt geworden. Im Rätselspiel des Wartburgkriegs tritt er als Gegner Klingsors, des Zauberers aus dem Parzival, auf. Die Meistersinger verehrten ihn als einen Mitbegründer ihrer Kunst und nahmen ihn in die Reihe der zwölf alten Meister auf. Allein vom Parzival sind 86 vollständige Handschriften und Bruchstücke erhalten; im Jahre 1477 erschien dieser in Straßburg zum ersten Mal im Druck – ein Zeichen dafür, in welch hohem Ansehen Wolframs Werke bis in die Zeit Kaiser Maximilians I. standen. 1833 erschien die wissenschaftliche Ausgabe von Wolframs Dichtungen durch Karl Lachmann, die bis heute grundlegend ist.

1 Staufer (Hohenstaufen), schwäb. Adelsgeschlecht (Anfänge: 1. Hälfte des 11. Jh.), benannt nach dem Stammsitz (Burg Stoph bzw. Stauf). Friedrich I., Sohn Friedrichs von Büren († um 1055), wurde von Heinrich IV. 1079 zum Hzg. von Schwaben ernannt und mit dessen Tochter Agnes vermählt. 1138 konnte Konrad III. seine Wahl zum König durchsetzen. Unter Friedrich I. Barbarossa und Heinrich VI. gelangte die Dynastie auf den Höhepunkt ihrer Geltung. Der Erbanfall Siziliens und der Machtverfall des Königtums im stauf.-welf. Thronstreit (1198–1214/15) verlagerten das Schwergewicht ihrer Herrschaft; die glanzvolle Regierung Friedrichs II. konnte den Niedergang der Dynastie nicht verhindern. Mit der Enthauptung des letzten S., Konradin (1268), in Neapel starb das Geschlecht aus.

2Ke|no|taph, Ze|no|taph, das; -s, -e [lat. cenotaphium < griech. kenotáphion, zu: kenós = leer u. táphos = Grab]: leeres Grabmal zur Erinnerung an einen Toten, der an anderer Stelle begraben ist.
3Manessische Handschrift: der Codex Manesse (auch Manessische Liederhandschrift, Große Heidelberger Liederhandschrift oder Pariser Handschrift) ist die umfangreichste und berühmteste deutsche Liederhandschrift des Mittelalters. Heute wird sie in der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt. Die Manessische Liederhandschrift enthält ausschließlich dichterische Werke in mittelhochdeutscher Sprache. Sie entstand um 1300 in Zürich, wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Sammeltätigkeit der Zürcher Patrizierfamilie Manesse, nach der sie auch ihren heutigen Beinamen trägt. Der Kodex gilt als repräsentative Summe des mittelalterlichen Laienliedes und bildet für den «nachklassischen» Minnesang die Haupt- und weithin die einzige Quelle. Die insgesamt 138 Miniaturen, welche die Dichter der Werke in idealisierter Form bei höfischen Aktivitäten darstellen, gelten als bedeutendes Dokument ober­rheinischer gotischer Buchmalerei.
4To|pos, der; -, Topoi [griech. tópos, eigtl.= Ort, Stelle] (Literaturw.): festes Schema, feste Formel, feststehendes Bild o. Ä.
5Tri|vi|um, das; -s [lat. trivium = Kreuzung dreier Wege, zu: tri- = drei- u. via = Weg, Straße]: Gesamtheit der drei unteren Fächer (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) im mittelalterlichen Universitätswesen.
6an|ti|quiert <Adj.> (abwertend): veraltet; altmodisch, überholt: ein -es Frauenbild; diese Verordnung ist völlig a.; a. denken.
7Chrétien (C[h]restien) de Troyes, * Troyes (?) um 1140, † vor 1190, altfrz. Epiker. Verfasste bed. höf. Versepen, deren Stoff er dem breton. Sagenkreis entnahm und mit höf. und fantast. Elementen sowie mit Themen aus dem provenzal. Frauendienst verband. Seine Werke (Érec et Énide, entstanden um 1170; Lancelot, um 1177–81; Yvain, um 1177–81; Perceval, um 1181–88) haben auch die mhd. Epik (u. a. Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach) nachhaltig beeinflusst.

Der Text ist entnommen aus:
http://www.ceryx.de/literatur/ls_wolfram.htm