Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №20/2007

Literatur

Herta Müller: Barfüßiger Februar

(Fortsetzung aus Nr. 16, 17, 18, 19/2007)

Die große schwarze Achse

Vor den Leuten war eine Wand aus Tuch, ein Bühnentuch. Und vor dem Bühnentuch war die Bühne. Und auf der Bühne stand der Jäger. Er hatte einen grünen Anzug an. Er sagte: «Mein Herzog», und hielt ein großes rotes Herz in der Hand.

Die Kantorin hob das Kinn zu hoch. Ihr Mund stand offen. Sie bewegte die Lippen und griff sich ins Haar. Als die Stimme des Herzogs am lautesten war, blinkte in ihrem Mund ein Zahn.

Der Sänger kam auf die Bühne. Er drückte das Kinn auf die Geige und spielte und sang: «Du schwarzer Zigeuner, komm spiel mir was vor.» Meine Tante hatte feuchte Augen und drückte sich die Finger auf den Mund. Mein Onkel blies ihr einen großen grauen Rauchvogel ins Haar. Seine Backenknochen bewegten sich.

Ich legte meine Kette ins Gras, damit sie das Lied nicht durchrasselt und stellte mich neben den offenen Kreis, neben das Bühnentuch. Der Agronom steckte die Hand in die Rocktasche und ich sah diese Hand wie den Bauch eines Fischs unterm Stoff. Der Agronom schaute über die Geige des Sängers am Gesicht der Verkäuferin vorbei auf den Hals der Kantorin. Ihre Waden waren von den Hosenbeinen des Briefträgers bedeckt.

Genoveva schaute ihr Gesicht im Wasserspiegel eines runden Blechtrogs an. Der Blechtrog war mit grünen Pappelzweigen eingeflochten und war im Wald ein See.

Genoveva schloß die Augen. Sie streifte ihren Ehering vom Finger, schaute ihr Kind an und ließ den Ring ins Wasser fallen. Sie saß lange gebückt vor dem See und weinte.

Leni stand in der zweiten Reihe neben der Schneiderin meiner Mutter. Die trug ein erbsengrünes Kleid mit einem weißen Spitzenkragen. An Mutters Kleidern nähte sie die Brusteinnäher jedesmal zu tief. So waren Mutters Kleider alle welk, und welk waren darunter ihre Brüste. Leni schaute in den tiefen Brustausschnitt der Genoveva, Leni war, seitdem ihr Vater an der großen schwarzen Achse drehte, schwarzeingeschlossen in ein Trauerkleid. Sie zupfte an den Knöpfen ihrer Trauer und flüsterte der Schneiderin etwas ins Ohr. Und an dem Brustausschnitt vorbei, floß ihr der Augenwinkel zu Ionels Gesicht. Ihr seidnes Kopftuch hatte einen schwarzen Zipfel. Der erschreckte sich, als er den weißen Spitzenkragen streifte. Die Schneiderin verzog den Mund. Ionel wippte mit der Quaste seiner Kappe vor der Stirn des Schmieds.

Der Herzog bückte sein Gesicht über den See und ließ die Hände ins Wasser sinken. Der Schmied befeuchtete seine Lippen am Flaschenhals. Die Mütze des Briefträgers war ihm ins Gesicht gerutscht. Der Schirm fraß seine Stirn. Der Schnurrbart fraß seinen Mund.

Der Herzog hielt einen Fisch in der Hand und schnitt den weichen Bauch mit einem kleinen Messer auf. Das Messer hatte einen weißen Griff. Im Bauch des Fisches war der Ehering der Herzogin.

Ich hörte hinterm Bahndamm Kühe gehen. Ihr Muhen war vom Abend langgedehnt und müde war es von der Weide. Meine Kette lag neben einem großen Schuh. Der Briefträger warf einen Zigarettenstummel neben sie. Der glühte wie ein Auge.

Der Sänger kam vors Bühnentuch. Er drückte das Kinn auf die Geige. Er spielte und sprach: «Das rote Herz war nicht das Herz unserer Herzogin. Es war das Herz eines Hundes.»
Der Briefträger riß die Mütze vom Kopf und schwenkte sie in der Luft. Seine Stirn leckte sein Haar bis auf den Hinterkopf. Ich schwenkte mein Taschentuch und schaute seinem Wind und seinem weißen Flügel nach.

Der Sänger sang ein Lied von schönen Fraun. Sein Mund verweichte auf der Geige. Der Schmied hob die Flasche an die Lippen und schloß sein buntes Augenlicht, das noch nicht ausgeronnen war. Er lächelte und schluckte. Ionels Quaste stand im Klang der sanftbesungnen Liebe in seiner leeren Augenhöhle und war ein wollnes Auge. Der Schmied hob die Hand und rief: «Meister, sing uns La Paloma.» Der Sänger klimperte, bis er das Lied in seinen Fingern und auf seinen Lippen fand. Mein Onkel wiegte den kahlen Kopf und klatschte. Und meine Tante zerrte mit krummen Fingern an seinem Ärmel und zischelte: «Du Narr.»

Aus: Herta Müller: Barfüßiger Februar. Rotbuch Verlag, Berlin 1987. S. 5–23.


Trog, der; -[e]s, Tröge [mhd. troc, ahd. trog, zu Teer in dessen eigtl. Bed. «Baum, Eiche» u. eigtl.ÿ= hölzernes Gefäß; (ausgehöhlter) Baumstamm]: 1. großes, längliches, offenes Gefäß, das je nach Verwendungszweck meist aus Holz od. Stein gefertigt ist: ein großer, hölzerner T.; der T. eines Brunnens; den Teig in einem T. (Backtrog) kneten; den Schweinen das Futter in die Tröge schütten. 2. (Geol.) lang gestrecktes, durch Senkung entstandenes Becken, das mit Sedimenten angefüllt ist. 3. (Met.) Gebiet tiefen Luftdrucks innerhalb der Strömung auf der Rückseite eines sich abbauenden Tiefdruckgebiets.

bü|cken, sich <sw.ÿV.; hat> [mhd. bücken, Intensivbildung zu biegen]: den Oberkörper beugen, sich nach unten beugen: sich nach etw., zur Erde b.; in gebückter Haltung.

zup|fen <sw. V.; hat> [spätmhd. zupfen, H. u., viell. verw. mit Zopf u. eigtl.ÿ= Flachs, Hanf raufen]: 1. vorsichtig u. mit einem leichten Ruck an etw. ziehen: an jmds. Bart z.; er zupfte nervös an seiner Krawatte; <auch mit Akk.-Obj.:> sie zupfte ihn am Ärmel. 2. lockern u. mit einem leichten Ruck [vorsichtig] herausziehen, von etw. trennen: Unkraut z.; er zupfte sich ein Haar aus dem Bart; sich die Augenbrauen [mit der Pinzette] z. (durch Entfernen störender Haare in eine bestimmte Form bringen). 3. bei einem Saiteninstrument mit den Fingerspitzen an den Saiten reißen u. sie so zum Erklingen bringen: die/an den Saiten z.; die Klampfe z.

Zip|fel, der; -s, - [spätmhd. zipfel, zu mhd. zipf, Zipf]: 1. spitz od. schmal zulaufendes Ende bes. eines Tuchs, eines Kleidungsstücks o.ÿÄ.: die Z. des Tischtuchs, der Schürze, des Kissens; ein Z. (kleines Endstück) von der Wurst ist noch übrig; Ü der Ort liegt am äußersten Z. des Sees. 2. (fam.) Penis.

wip|pen <sw. V.; hat> [aus dem Niederd. < mniederd. wippen (=ÿmhd. wipfen)ÿ= springen, hüpfen]: a) auf einer Wippe, einer federnden Unterlage o.ÿÄ. auf u. ab schwingen: die Kinder wippten auf dem überstehenden Brett; er ließ das Kind auf seinen Knien w.; b) sich federnd, ruckartig auf u. ab bewegen: auf den Zehen, in den Knien w.; c) federnd, ruckartig auf u. ab, hin u. her bewegen, schwingen lassen: mit dem Fuß w.; der Vogel wippt mit dem Schwanz; <selten auch mit Akk.-Obj.:> er begann langsam das Bein zu w.; d) in federnde, ruckartige, auf u. ab, hin u. her schwingende kurze Bewegungen geraten: ihre Brüste wippten bei jedem Schritt.

Zi|ga|ret|ten|stum|mel, der: Stummel einer gerauchten Zigarette. Stum|mel, der; -s, - [mhd. stumbel, zu ahd. stumbal = verstümmelt, verw. mit Stumpf]: übrig gebliebenes kurzes Stück (von einem kleineren länglichen Gegenstand): die Kerzen sind bis auf kurze S. heruntergebrannt; mit dem S. eines Bleistifts schreiben; der Aschenbecher ist voller S. (Zigarettenstummel).