Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №18/2007

Sonderthema

Prinzessin Therese von Bayern: Forschungsreisende – Wissenschaftlerin – Schriftstellerin

Diese ebenso temperamentvolle wie energische Mutter übernahm selbst die Erziehung und zum Teil auch den Unterricht ihrer Tochter und der drei Söhne – was in Fürstenfamilien jener Zeit alles andere als eine Selbstverständlichkeit war. Ihr Erziehungskonzept stützte sich auf solche Grundsätze wie Selbstbeherrschung, Wahrhaftigkeit, Anspruchslosigkeit und mitleidsvolle Hilfsbereitschaft.

Der Vater Prinz Luitpold von Bayern verlangte von seinen Kindern soldatischen Gehorsam. Therese, deren inniges Verhältnis zu ihrem Vater ein umfangreicher Briefwechsel bezeugt, scheint diese auf unbedingter Pflichterfüllung gegründeten Erziehungsprinzipien ihrer Eltern voll akzeptiert zu haben, denn noch im hohen Alter bedauerte sie ausdrücklich, dass Frauen ohne ein weibliches Militärjahr die Möglichkeit erschwert wäre, lebensnützliche Disziplin zu erlernen.

Trotz der elterlichen Strenge wuchs Therese mit ihren drei Brüdern, Ludwig (dem späteren Ludwig III.), Leopold und Arnulf, in einer liebevoll-warmherzigen familiären Atmosphäre auf, was sich wohl nicht zuletzt dem selten guten Einvernehmen zwischen den Eltern verdankt. So wurde «der zwanzigste Hochzeitstag zwischen Eltern und Kindern mit besonderer Innigkeit begangen».

Das Fest allerdings sollte – wie Therese es formuliert – «der Schwanengesang werden eines seltenen ehelichen und häuslichen Glückes, eines harmonischen Familienlebens, wie es sich nicht häufig finden wird».

«In meinem Herzen ging etwas entzwei, das nie mehr ganz wurde»

Denn schon zehn Tage später, am 26. April 1864, starb die über alles geliebte Mutter mit nur 39 Jahren nach langem qualvollem Lungenleiden. Für die 13-jährige Therese war dieser Verlust unsagbar schmerzlich, eine psychische Last, an der sie umso schwerer trug, als die Mutter ihr auf dem Sterbebett die Verantwortung und stellvertretende Fürsorge für Vater und Brüder übertragen hatte. Da Prinz Luitpold nicht wieder geheiratet hat, erfüllte Therese diese «Kindespflicht» während 48 Jahre – bis zum Tod des Prinzregenten im Jahre 1912.

Der Verlust der Mutter stürzte Therese in einen bedrohlichen Zustand von Schwermut und Verzweiflung: «In meinem Herzen ging etwas entzwei, das nie mehr ganz wurde und ich stand mit dreizehn Jahren einer Lebensaufgabe gegenüber, die mich zu erdrücken drohte.»

Therese war ein höchst sensibles, eher scheu und verschlossen wirkendes empfindsames Kind, aber trotzig aufbegehrend und zielbewusst, wenn ihr Unrecht geschah.

Ihre Leidenschaftlichkeit und ihren Seelenschmerz verbarg sie hinter einer Maske von anerzogener Beherrschtheit: «Ahnt denn ein Mensch, dass ich manchmal meine, die inneren Leiden zerreißen mich, während ich lächle und heiter erscheine?»

Ausgeliefert einem vom Vater und den Brüdern männlich geprägten Umfeld sehnte sie sich lebenslang nach empathischer Nähe einer Vertrauten, bei der sie Verständnis für ihre innere Verlassenheit und ihre lähmenden Selbstzweifel finden könnte.

Ihre Erzieherinnen erfüllten dieses Bedürfnis nur selten, sodass Therese ihre Zerrissenheit nur ihrem Tagebuch anvertrauen konnte, das seit ihrem 10. Lebensjahr ihr intimster Gesprächspartner war. In ihm auch hält sie tiefgläubige innige Selbst- bzw. Zwiegespräche mit Gott, vor dem sie rückhaltlos ihre existenziellen Abstürze beichtet, und von dessen gnädigem Walten sie sich die Erlösung aus tiefsten seelischen Nöten immer wieder erfleht.

«Ich danke Gott immer dafür, dass ich nicht geheiratet habe»

Dieser Mangel an mütterlicher Vertrautheit war für Therese umso schwerer zu ertragen, als sie seit ihrem 15. Lebensjahr eine heimliche, aussichtslose Liebe zu ihrem Vetter Prinz Otto von Bayern hegte. Auf dem Sterbebett hatte die Mutter ihrer befreundeten Schwägerin Marie, der Witwe des nur wenige Woche zuvor verstorbenen Königs Max II., die Fürsorge für ihre junge Tochter ans Herz gelegt. Daher verbrachte Therese von da an jedes Jahr längere Zeit auf der Burg Hohenschwangau, dem Sommerwohnsitz der Tante, zusammen mit deren beiden Söhnen, König Ludwig II. und Otto. Zwischen ihr und dem um zwei Jahre älteren Otto, der früh schon Anzeichen einer psychischen Erkrankung zeigte, entwickelte sich sehr bald schon eine enge kindliche Freundschaft. Diese Zuneigung war für Therese der Beginn einer ebenso leidenschaftlichen wie unerfüllten – und darum wohl einzigen – Liebe ihres Lebens. Beharrlich widerstand sie den bedrängenden Wünschen von Vater und Brüdern, die immer wieder von Neuem versuchten, sie mit einem standesgemäßen prinzlichen Gemahl in eine liebesleere Konvenienz-Ehe zu nötigen. Immer wieder drohten ihr die Brüder: «Du musst heiraten, sonst fällst du uns allen zur Last!» Thereses Kommentar dazu: «Ich werde betrachtet als etwas Unangenehmes, das man ernähren muss und dessen man gerne loswerden möchte.»

Allen ihr höchst lästigen Versuchen der Ehe-Vermittlung teilte sie 1880 eine deutliche Absage, indem sie das Amt der «Obersten Vorsteherin und Äbtissin» des «Königlichen Damenstifts zur heiligen Anna in München» übernahm. Dieses Damenstift, eine weltliche Institution, wurde 1784 als Versorgungsinstitut für adelige alleinstehende Frauen gegründet und traditionsgemäß von unverheirateten Wittelsbacher Prinzessinnen geführt. Rückblickend gestand Therese ihrem Tagebuch: «Ich kann in vollster Wahrheit sagen, ich danke Gott immer dafür, dass ich nicht geheiratet habe … Ich war fast vom Anfang meiner Neigung an so gewöhnt an deren Unerfüllbarkeit zu denken, dass fast gleichzeitig mit dem Bewusstsein meiner Liebe ich mit dem Bewusstsein vertraut wurde, überhaupt nicht heiraten zu können.»

So blieb Therese ihrer unerfüllbaren Liebe über 52 Jahre treu. Sie litt unter diesem Verhängnis umso mehr, als sie standhaft bemüht blieb, ihre Neigung vor der Umwelt zu verbergen – aus Angst, man würde ihr den Kontakt zu Otto ganz verwehren. Noch schwieriger wurde ihre Situation, als 1886 nach dem Tod des im Starnberger See ertrunkenen Königs Ludwig II. ihr Vater als nächster Regierungsanwärter die Regentschaft für den aus Krankheitsgründen nicht regierungsfähigen Otto übernahm, womit er zugleich auch als Vormund über dessen Schicksal zu bestimmen hatte. Die plötzliche öffentliche Anteilnahme an den Lebensumständen des rechtmäßigen Königs Otto I., der unter ärztlicher Aufsicht im Schloss Fürstenried «verwahrt» wurde und an dessen Namenstag die ganze Stadt beflaggt war, stürzte Therese in immer größere Bedrängnis. Ihre Bitte, sich als Krankenschwester zu seiner Betreuung ausbilden zu lassen, wurde abgeschlagen. Erst nachdem sie seiner Mutter, ihrer verehrten Tante Marie, auf deren Totenbett versprochen hatte, lebenslang um den verwaisten Sohn besorgt zu sein, erhielt sie offiziell die Erlaubnis zu regelmäßigen Besuchen in Fürstenried, die sie bis zu seinem Tod im Jahre 1916 wahrnahm. Die minutiös in ihrem Tagebuch verzeichneten Begegnungen mit dem zunehmend verwirrteren Patienten vermitteln uns ein beklemmendes Bild sowohl seiner Krankheit als auch der beängstigend unaufgeklärten psychiatrischen Behandlungsmethoden des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

«Begabt mit ausgezeichneten Talenten und seltener Wissbegierde…»

Doch zurück zu den Wurzeln von Thereses geistiger Entwicklung, zu ihren autodidaktischen und akademischen Studien. Um etwas «Ordentliches» zu werden, verfolgt sie schon früh mit ungewöhnlicher Hingabe alle ihr gebotenen intellektuellen Anregungen: Lernen, Lesen und Studieren halfen ihr, die immer wiederkehrenden Selbstzweifel und düsteren Stimmungen «in ihrem ernsten Charakter zu paralysieren».

Therese war ein ungewöhnlich begabtes, provozierend wissensdurstiges und ehrgeiziges Kind, dessen schier unstillbare Leselust sich nur dadurch bändigen ließ, dass man ihr hin und wieder die Bücher versteckte. Märchen und schöngeistige Literatur waren in der sorgfältigen mütterlichen Lektüreauswahl ohnehin nicht vorgesehen, stattdessen konzentrierte sich das Angebot auf religiöse Literatur, Geschichtsbücher, geografische Beschreibungen und Reiseberichte. Auf diese Weise lernte Therese schon früh die Werke Alexander von Humboldts und Carl Friedrich von Martius’ kennen, deren Lektüre in ihr nachhaltig die Sehnsucht nach der südamerikanischen Tropenwelt weckte. In diese Zeit ihrer Kindheit reichen auch die Anfänge zurück ihrer Lust am Sammeln von Pflanzen, Tieren und Steinen.

Anstelle von bürgerlicher Schulbildung profitierte sie – gemeinsam mit dem jüngeren Lieblingsbruder Arnulf – vom Privatunterricht im Leuchtenberg-Palais am Odeonsplatz, für den namhafte Gelehrte verpflichtet wurden.

Das Unterrichtsprogramm der 10-jährigen Prinzessin, das an allen sieben Wochentagen stattfand, umfasste Religion, Französisch, Deutsch, Geschichte – und dazu tägliches Klavierüben. Mathematik-Unterricht gestattete der konservative Vater erst der 27-Jährigen – und dies auch nur unter der Bedingung, kein Wort darüber verlauten zu lassen. Noch rigoroser galt das Verbot hinsichtlich Latein, das die spätere Naturwissenschaftlerin dringend gebraucht hätte für ihre Studien und Publikationen, doch dieser Wunsch war für eine Angehörige des weiblichen Geschlechts in der damaligen Zeit ein skandalöses Begehren. Ähnliche Widerstände regten sich gegen ein Studium weniger üblicher Fremdsprachen wie Russisch und Dänisch. Diese nicht eben leicht zu erlernenden Sprachen mochte sie am liebsten. Im Laufe der Jahre eignete sich Therese nach und nach elf europäische Sprachen an: Italienisch, Französisch, Englisch, Spanisch, Dänisch, Neugriechisch, Russisch, Portugiesisch, Schwedisch, Holländisch und Tschechisch. Sie drang in die Feinheiten der Sprachstrukturen, aber auch in die Mentalität eines Volkes ein, indem sie alle verfügbare Literatur des jeweiligen Landes in der Originalsprache las, schöngeistige Werke, vor allem aber wissenschaftliche Abhandlungen aus der Geografie und Ethnografie, der Botanik und Zoologie.

Die Brüder hänselten sie – sehr zu ihrem Unwillen – als «Blaustrumpf», bei ihnen und in ihrer Umgebung fand sie wenig Verständnis oder gar Förderung ihrer Leidenschaft für Bücher, Wissenschaft und fremde Sprachen. Sie aber ließ sich nicht beirren und konnte auf diese Weise die literarischen Klassiker und alle wissenschaftliche Literatur im Original lesen und sich auf ihren späteren Reisen ohne Dolmetscher mühelos in der jeweiligen Landessprache verständigen.

Auch ihre musischen Interessen und Begabungen wurden nachhaltig gefördert, neben dem frühen Klavierunterricht erhielt sie Zeichen- und Malunterricht. Zahlreiche erhaltene Skizzen von ihren Reisen legen davon Zeugnis ab.

Großer Wert lag von früh an auf körperlicher Ertüchtigung, mit 10 Jahren notiert sie in ihrem Tagebuch, dass sie im Turnsaal des Leuchtenberg-Palais «am Barren und am Reck turnt, über das Seil springt und an den Sprossen hinaufklettert» und sich deshalb dabei so wohl fühlt, weil sie dann … im «Matrosenanzug ohne Crinoline» sein darf: «Dann ist es erst recht lustig, weil ich mich frei bewegen kann.»

Bedenkt man die damalige Leibfeindlichkeit der katholischen Kirche, so überrascht es, dass man im Hause Wittelsbach auch weibliche Mitglieder in diese körperlichen Exerzitien einbezog. Wandern, Schwimmen, Rudern, Segeln, Schlittschuhlaufen, Radfahren und vor allem Reiten erwiesen sich als eine gute Vorbereitung für jene körperliche Gewandtheit und Stählung, die es ihr auf den späteren Reisen ermöglichte, große Strapazen und Entbehrungen mit Leichtigkeit zu ertragen, und dies sogar noch in vorgerücktem Alter wie z. B. bei der Ersteigung des Ätna im Jahr 1913.

Als 1868 das Polytechnikum, der Vorläufer der heutigen Technischen Universität, gegründet worden war, setzte sich Therese bereits in jungen Jahren mit ihrem Wunsch durch, Privatunterricht bei den dortigen Professoren in Mineralogie, Experimentalphysik und Chemie nehmen zu dürfen. Auch besuchte sie die speziellen, sogenannten «Damenkurse» über Geografie, Paläontologie und Völkerkunde, die die Königlich Bayerische Akademie anbot.

«Ich will meinen freien Willen nützen zu ernster Beschäftigung»

Hatten diese unermüdlichen und für ihren Stand ungewöhnlichen akademischen Anstrengungen ihre Wurzeln vor allem in ihrem starken Wissensdrang, so bewirkten sie doch zugleich eine Ablenkung und mähliche Erlösung aus einer immer deutlicher zutage tretenden depressiven Grundstimmung. Denn der frühe Verlust der Mutter und ihre aussichtslose Bindung an Otto ließen Therese schon in jungen Jahren in einen psychisch bedrohlichen Zustand abgleiten, in dem nur ihre tiefe, gottergebene Frömmigkeit sie davor bewahrte, ihrer Schwermut und Todessehnsucht nachzugeben: «Ich habe Gott gebeten, er möge meinen Verstand nicht in Brüche gehen lassen, damit dieser Kummer meinem Vater erspart würde: wegen meiner selbst habe ich nicht darum gebeten, denn es gibt Fälle, in welchen die Gedanken eines Wahnsinnigen eine geringere Qual sind als die eines vernünftigen Menschen.»

Ausgeliefert einer verständnislosen Umwelt beklagt sie immer wieder das nutzlose Brachliegen ihrer körperlichen und geistigen Kräfte, den Mangel an einem selbstbestimmten Wirkungskreis, und nicht zuletzt die Einsamkeit ihres ziellosen Studierens: «Bei mir vergeht ein Tag wie der andere mit stiller Arbeit, es kömmt mir vor, als wäre ich mit meinem Tintenfass verheiratet …»

Erlösung aus der lähmenden Diskrepanz ihrer Gefühle sucht und findet sie glücklicherweise in ebenso intensiven wie dauerhaften Freundschaften, vor allem in der sensiblen Beziehung zu ihrer gleichaltrigen, wie sie tief religiös veranlagten russischen Cousine Prinzessin Olga, der späteren Königin von Griechenland. Um die geliebte Jugendfreundin nur irgendwo in der Welt, und sei es nur für wenige Tage oder gar Stunden, zu treffen, scheute sie lebenslang keine noch so langwierige und beschwerliche Reise.

Entscheidend aber für ihre Erlösung aus einem «verfehlten Leben» war die Begegnung mit der ebenso temperamentvollen wie geistreichen Lady Charlotte Blennerhassett, einer zutiefst gläubigen Katholikin, eminent begabt und vielseitig gebildet, die im Laufe ihres Lebens eine stattliche Reihe historischer Biografien veröffentlicht hat. In dieser zugleich intellektuell wie lebenspraktisch begabten Privatgelehrten und Mutter von drei Kindern hatte Therese eine Freundin gefunden, mit der sie alles besprechen konnte: Politik, Literatur, Wissenschaft, Lebensphilosophie, schriftstellerische Tätigkeit, Gemütsangelegenheiten, Familienereignisse. Lady Charlotte bestärkte Therese in ihren literarischen und schriftstellerischen Neigungen und regte sie an, sie sollte «durch Studieren nicht immer nur aufnehmen, sondern das geistig Aufgenommene auch verarbeiten und die Mitmenschen durch Wiedergabe daran teilnehmen lassen».

Therese fühlte sich Lady Charlotte für diese erste Anregung zum geistigen Schaffen zu lebenslangem Dank verpflichtet: «Ohne sie wäre ich nie zu dem gekommen, was mein weiteres Leben ausgefüllt und mir unsagbaren Genuss und vollkommene Befriedigung gewährt hat.»

Prinzessin Therese gelingt die «Selbstbefreiung» aus den Fesseln höfischer Kontrolle und depressiver Grundstimmung, indem sie sich mehr und mehr besinnt auf ihren «freien Willen», ihn will sie nutzen zu ernster Beschäftigung, denn «Müßiggang» war ihr von jeher «ein Gräuel». Wie zur eigenen Bekräftigung vermerkt sie in ihrem Tagebuch an verschiedenen Stellen: «Ich will kein ‹unnützes Möbel› sein … Ich will etwas Ordentliches werden … Ich will Kampf, ich will Gedankenreichtum, ich will eine unerschöpfliche Gefühlswelt, ich will Leidenschaft …»

«Freiheit, Freiheit war es, wonach ich leidenschaftlich lechzte»

Dies alles verwirklicht sich für sie in der Realisierung einer neuen Lebensaufgabe, der geglückten Symbiose von Forschen, Reisen, Sammeln und Schreiben. Zugleich bedeutet dieser Aufbruch in die Selbstbestimmung aber auch eine Lösung aus antiquierten Standesvorschriften. So durfte sie z. B. zu Lebzeiten des Vaters sich nur «mit dem blau livrierten Lakaien hinter sich durch die Straßen Münchens bewegen». Anlässlich des alljährlichen Ortswechsels von ihrem Sommersitz bei Lindau nach München, beschreibt Therese leicht sarkastisch, wie sie auf Anordnung ihres Vaters unter «herrlicher Escorte nach München begleitet wurde, wie eine Gefangene, die man von einem Gefängnis zu einem anderen übersiedeln macht».

Nur zögernd willigte daher der besorgte Vater in eine Vergnügungs- und Studienreise ein, auf der die 25-jährige Therese ihren älteren Bruder Leopold und dessen Frau Gisela nach Tunis, Algerien, Portugal und Spanien begleiten durfte. Die väterliche Erlaubnis zu dieser Nordafrika-Reise gründete sich vor allem in der Hoffnung, Therese möge in der Vielzahl der zu erwartenden Kontakte einen ihr genehmen Prinzgemahl finden. Dieser fürsorglich-autoritäre Wunsch des Vaters erfüllte sich nicht, wohl aber der von Therese nach Selbstbestimmung in einer befriedigenden Lebensaufgabe: Denn nun endlich fand sie den Mut, sich als Schriftstellerin der Öffentlichkeit zu stellen. Die auf dieser Reise entstandenen Notizen bildeten 1880 die Grundlage für ihre erste Buchveröffentlichung, die zum erlösenden Wendepunkt ihrer inneren und äußeren Existenz wurde: «Nun hatte ich das meiner geistigen Veranlagung angemessene Arbeitsfeld gefunden … es erschloss sich mir eine wissenschaftliche Tätigkeit, welche ausschlaggebend und bis in mein hohes Alter restlos beglückend für mich wurde.»

Abgesehen von elf Griechenlandreisen zu ihrer königlichen Freundin Olga, die sie stets in geschickt geplante geografische und kulturelle Abstecher in verschiedene Balkanstaaten einzubetten verstand, hatten ab 1880 alle größeren Reisen dezidierten Forschungscharakter.

Als Lebensideal in der Jugend aufgestellt: Reisen in ferne Länder

Ihre erste selbstverantwortliche Reise ohne familiäre Beaufsichtigung unternahm Therese im Sommer 1881 durch Skandinavien. Selbstverständlich hatte sie zuvor die notwendigen Sprachen gelernt und sich wissenschaftlich ein Jahr lang anhand intensiver Lektüre früherer Polarforscher gründlich auf diese Expedition vorbereitet.

Um nicht als bayerische Prinzessin erkannt und behandelt zu werden, und um sich so einen authentischeren Einblick in fremdes Leben verschaffen zu können, wohl auch aus pekuniären Erwägungen, reiste sie incognito, mit einem Pass, ausgestellt auf den Namen «Gräfin Elpen».

Bereits ein Jahr später unternahm sie eine ebenso gründlich vorbereitete Expedition durch Russland, die sie bis in die Kirgisensteppe hinein führte. Ihr vordringliches Ziel war es dabei, die damals herrschenden gesellschaftlichen Vorurteile gegenüber Russland durch eigene Anschauung zu überprüfen. Großen Anreiz bot dazu eine Panrussische Ausstellung in Moskau, die ihr auf umfassende anschauliche Weise einen Überblick über die russische Kultur und Industrie zu bieten vermochte.


Wichtigstes Ziel ihrer Sehnsüchte aber war seit Kindertagen, seit ihrer Lektüre von Reisebeschreibungen aus den Tropen, das Fernziel Südamerika: Mit 38 Jahren wagte sie ihre erste Expedition nach Brasilien, wobei sie zu großen Teilen den Spuren der Münchener Naturforscher Spix und Martius folgte, die bereits 1817 im Auftrag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und mit königlicher Unterstützung das Land am Amazonas ausgiebig erforscht hatten. Zur Vorbereitung dieser Reise hatte sie an die 600 Publikationen ausgeschöpft. Und so reiste sie – per Schiff, Kanu, zu Pferd oder zu Fuß – von der Mündung des Amazonas landeinwärts, dann die Ostküste hinunter bis nach Petropolis und Rio de Janeiro.

Um möglichst viel ethnographisches Vergleichsmaterial zur wissenschaftlichen Auswertung dieser Brasilienreise zu gewinnen, unternahm sie fünf Jahre später eine viermonatige Studienreise nach Nordamerika, das sie von Kanada bis Südmexiko, von der Ost- bis zur Westküste durchquerte. Neben einem Besuch der klassischen Naturwunder und einschlägiger Museen galt ihr Interesse vor allem der Weltausstellung in Chicago, die ihr eine nicht mehr wiederkehrende Gelegenheit bot, ihre Kenntnisse über die indianischen Ureinwohner zu vertiefen. Seltsamerweise aber wurde Therese weder mit diesem Land Amerika noch mit seiner Sprache warm, «diesem entsetzlichen Amerikanisch, das kein Christenmensch versteht», und ein zwölftägiger Ritt durchs Gebirge war für sie nur deshalb interessant, weil sie meinte, im Bayerischen Wald zu sein.

Inzwischen als Wissenschaftlerin öffentlich anerkannt und ehrenvoll ausgezeichnet, unternahm Therese im Jahr 1898 ihre größte und aufwendigste Expedition, diesmal – weitgehend den Spuren Alexander von Humboldts folgend – in den Westen von Südamerika: Die gefahrenreiche Route führte durch die Kleinen Antillen nach Kolumbien, dann mit einem Dampfer den Rio Magdalena hinauf bis nach Ecuador.

Einem Ausflug zum Fuße des Chimborazo folgte die Weiterreise nach Peru, dann über den Titicaca-See nach Bolivien, und weiter südwärts nach Chile bis Valparaiso, von dort eine gewagte Überquerung der schneebedeckten Anden nach Argentinien.

Auf diesen abenteuerlichen Reisen quer durch die südamerikanischen Tropen fanden für Therese alle langgehegten Wünsche auf überwältigende Weise Erfüllung: ihre Forschungslust, ihre Tropensehnsucht und ihr Freiheitsdrang.

Bei aller Nüchternheit, die ihre wissenschaftlichen Publikationen auszeichnen, artikulierte sie aber auch zutiefst empfundene Emotionen: «Endlich hatten wir den Urwald erreicht, dessen unentweihtes Gebiet wir zum ersten Male betreten sollten. Es geschah dies in jener feierlich-erwartungsvollen Stimmung, welche den noch nicht ganz in Prosa des Lebens untergegangenen Menschen jedes Mal beseelt, wenn ein Traum seiner Jugend oder auch seiner reiferen Jahre nach langen, vergeblichen Wünschen endlich der Verwirklichung entgegengeht ... Die unberührte Natur trat uns in ihrer ganzen, überwältigenden Größe entgegen, durch keinen Hauch der Kultur gestört. Hier lebte, hier wucherte alles wie es wollte, wie es war, ehe menschliche Wesen der Erde ihren Willen aufgezwungen. Und jetzt, da es Nacht und man gesammelteren Sinnes, sprach der Tropenzauber nur um so mächtiger zu Gemüt. So konnten wir uns nicht satt sehen an all der einzigen Herrlichkeit, standen auf Deck unbeweglich, beobachtend und genießend.»

«Ein volles Jahr beanspruchten die Vorstudien und Vorbereitungen»

Zeitpunkt und Ausdehnung ihrer Reisen war stets beeinflusst von Rücksicht auf den seit 1886 regierenden Vater, denn Luitpold verzichtete nur ungern auf die ihn unterstützende Anwesenheit seiner einzigen Tochter. Diese zeitliche Beschränkung machte eine gründliche und ökonomische Terminplanung nötig durch eine minutiöse Erkundung der Reiseroute mit allen Zwischenstationen und potentiellen Sammelorten, durch einen Vergleich der Schiffs- und Bahngesellschaften und ihrer Fahrpläne sowie der je landesüblichen Transportmittel – und dies weitgehend ohne Hilfe unserer heutigen technischen Kommunikationsmittel.

Mit generalstabsmäßiger Sorgfalt wurde stets die umfangreiche Expeditionsausrüstung zusammengestellt: Die Liste der notwendigen Utensilien war endlos: Jagdgeräte, Verpackungsmaterialien, Messapparate, Küchengerätschaften, Chemikalien zur Konservierung der Sammelbeute, nicht zu vergessen die jeweils klimagemäße persönliche Garderobe.

Therese steht zwar mit ihren Forschungs-Expeditionen in der Tradition des reisenden männlichen vermögenden Adels: Aber sie war eine Frau, und «vermögend» im standesüblichen Sinne war sie auch nicht, da ihr Vater als Prinzregent sein Leben lang nicht über die Einnahmen des Königs verfügte, für den er die Regentschaft führte. Und obwohl sie über eine monatliche Apanage, über Zinsen aus dem Erbe ihrer Mutter und ihres Großvaters Ludwig I. verfügte, war sie trotz größter Sparsamkeit auf die finanzielle Unterstützung durch das Münchener Königliche St. Anna-Damenstift angewiesen, was durch minutiöse Reiseabrechnungen dokumentiert ist.

Da der Vater streng darauf hielt, dass sie stets standesgemäß reiste, wurde auf die Zusammensetzung der jeweils dreiköpfigen Reisebegleitung große Sorgfalt verwendet. Die strikte Aufgabenverteilung innerhalb der Gruppe entsprach nicht immer geschlechtsspezifisch geprägten Rollenvorgaben: Dem «Kavalier» oblag die Jagd mit der Büchsflinte, der «Diener» unterstützte Therese beim Sammeln, erledigte das Abbalgen der erbeuteten Tiere und war verantwortlich für den komplizierten Transport der Sammelfunde nach Europa. Die «Hofdame» war für die Handhabung der Plattenkamera zuständig, für das Einnähen der Fische in Leinwand sowie für die leibliche Versorgung der Gruppe. Denn als Therese einmal für die Bewachung des Kochtopfes zuständig war, beschäftigte sie sich nebenbei so konzentriert mit der Niederschrift ihrer botanischen Beobachtungen – dass die Suppe überkochte und die Hälfte des ohnedies kärglichen Mahles ungenießbar geworden war. Thereses Kommentar dazu: «Kulinarische und wissenschaftliche Tätigkeit vertragen sich schlecht.»

Therese selbst übernahm das Bestimmen, Präparieren und Etikettieren der Beute-Tiere, überdies war sie allein zuständig für das Herbarium und für die Auswahl ethnografischer und anthropologischer Gegenstände. Außerdem dokumentierte sie wichtige Eindrücke mittels einer erst 1887 erfundenen Rollfilm-Kamera und gehört damit zu den Pionieren der Reisefotografie. Eigenhändig angefertigte Landschafts-Skizzen der bereisten Gegenden verwendete sie später zur Illustration ihrer Publikationen. Und nach noch so anstrengenden Reisetagen hielt sie bei Kerzenschein bis tief in die Nacht hinein die Tageseindrücke in ihrem Reisejournal fest.

Ihre Tagebuchaufzeichnungen geben einen anschaulichen Einblick in die oftmals extremen Expeditionsbedingungen in unbekannte Regionen: «Wohlausgerüstet saßen wir zu Maultier. Ich hatte einen kleinen photographischen Apparat, meinen Feldstecher und eine Kartentasche umgehängt. In letzterer befanden sich, außer den nötigen Karten, die Papiertüten und Zange zum Schmetterlingsfang, die Medizin und die Binden gegen Schlangenbiss. An meiner Sattelgabel war eine rechteckige flache Tasche aus Pflanzenfasergeflecht befestigt, wie man solche in allen indianischen Ländern antrifft. Sie hatte den Zweck, das kleine Herbarium und unterwegs gesammelte Gegenstände zu bergen. Unser Diener trug den großen photographischen Apparat um die Schultern hängend und hatte außerdem eine Vogelflinte und ein Schmetterlingsnetz aufgeschnallt. Die beiden anderen Reisegefährten führten die mit nötigem Kognak oder Tee gefüllten Aluminiumflaschen.»

Als verantwortungsbewusste Reiseleiterin war sie um das Wohl ihrer Mitreisenden stets einfühlsam besorgt; so wählte sie in Kolumbien selbstlos den harten Steinboden als Schlafstätte, um dem kranken Diener die Pritsche zu überlassen – ein deutliches Zeichen dafür, dass die Prinzessin – fernab von höfischer Etikette – souverän genug war, traditionelle Geschlechts- und Standesrollen umzukehren.

Ihr Reisestil, der vor keinerlei Strapazen zurückschreckte, verlangte von allen Mitgliedern der Gruppe eine ausgezeichnete körperliche Kondition, ein eisernes Durchhaltevermögen, und das bei Verzicht auf jeglichen Komfort. Zehnstündige Ritte in einem «bei der Kavallerie üblichen Marschtempo» waren keine Seltenheit, ebenso wie Nachtlager mit mehreren fremden Personen oder sogar mit Tieren in einem Raum, der laut, kalt, feucht, manchmal voll Ungeziefer war. Weder extreme Hitze und Kälte noch eine Lungenentzündung, schwere Malariaanfälle und Höhenkrankheiten, ein Sturz ins sechs Grad kalte norwegische Eismeer, ein zerbrochener Gepäckkarren oder ein Rippenbruch bei einem Pferdesturz konnten Prinzessin Therese in ihrem rastlosen Reisetempo bremsen. Denn: die Ziele ihres wissenschaftlichen Erkundigungstriebes waren hochgesteckt.

Thereses botanische, zoologische und ethnografische Funde: Grenzgängerin zwischen Fachdisziplinen

Während Therese als wissenschaftliches Ziel ihrer Brasilienreise lapidar angibt, «zur Tier- und Pflanzengeografie ergänzend beizutragen», präsentiert sie sich auf der zweiten Südamerika-Reise als mutige Grenzgängerin zwischen den verschiedenen Disziplinen, denn sie plant, «möglichst viel botanische, zoologische, anthropologische und ethnographische Gegenstände für die bayerischen Staatsmuseen zu sammeln».

Dies mag zunächst nach einem unverdächtigen Vorwand klingen, der Enge der familiären Standesvorschriften zu entkommen und die Sehnsucht nach Freiheit in unberührter Natur mit wissenschaftlichen Ambitionen zu tarnen. Doch mit ihrem ausgeprägten ethnologischen Interesse steht Therese ganz in der Wittelsbacher Reise- und Sammeltradition. Dieser Tradition verdankt die «Münchener Königliche Ethnographische Sammlung» den Grundstock ihres Reichtums an außereuropäischen Kulturgütern.

Alles, was in der Tier- und Pflanzenwelt aus irgendeinem Grund unbekannt und auffällig war, wurde von Therese eingefangen oder botanisiert. Dabei sammelte sie zunächst eher zufällig und spontan – immer in der Zuversicht, dass die Funde später einmal ihren Platz im wissenschaftlichen Klassifikationssystem finden werden. Was in den meisten Fällen ja auch nach mehrjährigen Recherchen erwartungsgemäß gelang.

So umfasst das botanische Material, das Therese auf ihren verschiedenen Reisen gesammelt hatte, 841 Herbarbelege aus mehr als 90 Pflanzenfamilien und aus über 400 Gattungen. Verschiedene der von ihr erstentdeckten Pflanzen sind mit ihrem Namen in die internationale botanische Nomenklatur eingegangen, indem sie zu ihrer lateinischen Gattungsbezeichnung den Zusatz Theresiae erhielten. Nach ihrem Tod gingen alle Funde an die Münchener Botanische Sammlung.

Auch einige Exemplare ihrer zoologischen Ausbeute wurden von zeitgenössischen Naturwissenschaftlern als neue Arten klassifiziert, so unter anderem ein kolumbianischer Harnischwels, ein Bockkäfer aus Ecuador und eine Singzirpe aus Trinidad.

Aber Therese erbeutete Tiere nicht nur als ausgestopfte Museumsobjekte. So fand z. B. ein Krallenaffenpärchen elf Jahre lang eine neue Heimat in ihrem privaten Zoo in der Residenz. Hier konnte sie ihrer Neugier als Verhaltensforscherin nachgehen und Intelligenz, logisches Vermögen und psychisches Verhalten ihrer exotischen Mitbewohner studieren.

Aus der Perspektive spezialisierter Einzelwissenschaften mag Thereses universalistischer Sammeleifer heute befremdlich erscheinen – zur vorletzten Jahrhundertwende war dieses aufs Geratewohl Sammeln durchaus üblich. Schließlich sammelte sie keine Jagdtrophäen, sondern Belegexemplare für die Wissenschaft. Die Museen jener Zeit waren auf möglichst vollständige Sammlungen bedacht. Heute sind die Lebensräume von Tieren und Pflanzen mancherorts von der völligen Ausbeutung und Zerstörung bedroht. Die Sammlung und vollständige Erfassung der biologischen Vielfalt und ihrer spezifischen Lebensräume ist daher oberstes Naturschutzgebot. Prinzessin Therese hat auf ihre Weise dazu nachhaltig beigetragen.

«Damals waren solche Ehrungen für Frauen noch etwas ganz Unerhörtes»

Am 22. Dezember 1897 verlangten hochangesehene Professoren der Ludwig-Maximilians-Universität, in der Residenz von der Wittelsbacher Prinzessin Therese in corpore empfangen zu werden. Anlass der feierlichen Audienz: Als erster Frau der Universität München wollten sie Ihrer königlichen Hoheit die Ernennung zum Doctor phil. hon. causa verkünden.

Das Ehrendiplom spiegelt deutlich das am Geschlecht orientierte Gefälle der Jahrhundertwende: In köstlich verschrobenem Latein preist das Dokument vierundzwanzig Zeilen lang wortgewandt vier männliche Amtsträger: zwei Herrscher (den König und den Prinzregenten) und zwei akademische Repräsentanten (den amtierenden Rektor und den Dekan). Erst dann folgt in kargen drei Zeilen die Würdigung der «durchlauchtigsten und überaus gelehrten Frau Theresia», der «wegen glänzender, in vortrefflichen Büchern erwiesener Kenntnis auf dem Gebiet der Naturwissenschaft» die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät verliehen wird.

Inwieweit Therese dieses aufgeklärte Signal nicht nur ihrer Gelehrtheit, sondern auch ihrem fürstlichen Stand verdankt, sei dahingestellt. Die Prinzessin reagierte bescheiden und mit der gebührenden Verunsicherung, wie sie in jener Zeit vom weiblichen Geschlecht erwartet wurde. Sie gesteht, sie hätte sich «aus Verlegenheit und Beschämung am liebsten in den Boden verkrochen». Denn «damals waren solche Ehrungen für Frauen noch etwas ganz Unerhörtes und es schien mir, als wäre ich vor der ganzen Welt bloßgestellt, als wären gewaltsam aller Augen auf mich gerichtet worden und als hätte man mich, ohne zu wollen, lächerlich gemacht».

Drei Bücher hatte Therese bereits publiziert, als sie fünf Jahre zuvor, 1892, zum ersten – und bis heute einzigen – weiblichen Ehrenmitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ernannt wurde. Der damalige Präsident Max von Pettenkofer – offensichtlich ohne Berührungsängste vor gelehrten Frauen – hatte die Prinzessin vorgeschlagen. Nach einigen Kontroversen über die generelle Zulassung weiblicher Mitglieder wurde sie aufgenommen – in Anerkennung ihrer Forschungen in Anthropologie, Zoologie und Botanik.

Diese beiden akademischen Ehrungen sind umso überraschender, als zum damaligen Zeitpunkt in Bayern die Tore der Universität für Frauen noch verschlossen waren. 1872 – Prinzessin Therese war gerade im studierfähigen Alter – hatte der Münchener Anatom Theodor von Bischoff aus dem angeblich unterschiedlichen Gewicht weiblicher und männlicher Gehirne den Schluss gezogen, dass «dem weiblichen Geschlechte nach göttlicher und natürlicher Anordnung die Befähigung zur Ausübung der Wissenschaften und vor allen der Naturwissenschaften» fehle. Noch peinlicher reagierte Max Planck 1896 auf eine Umfrage zum Frauenstudium. Sein Urteil war: «Amazonen, auch auf geistigem Gebiet, sind naturwidrig.» Zu diesem Zeitpunkt bereitete Prinzessin Therese gerade ihre zweite große Forschungsreise nach Südamerika vor.

Neidvoll hatte Therese zusehen müssen, wie ihre Brüder ganz selbstverständlich ihren Universitäts-Studien nachgingen. Daher war es für sie eine große Genugtuung, «nach langen Bitten ihrem Vater die Erlaubnis zum Frauenstudium abgerungen» zu haben: 1903 endlich setzte Prinzregent Luitpold sein «Genehmigt» unter eine ministerielle Entscheidung, die die Öffnung der bayerischen Universitäten für Frauen besiegelte – ein äußerst progressiver Akt, den Preußen erst mehrere Jahre später vollzog.

Therese als Stifterin und Mäzenin der Münchener Museumspolitik

Anders als in ihrer eher ungezielten Sammeltätigkeit in Botanik und Zoologie verfolgte sie auf ihrer zweiten Südamerika-Expedition den Erwerb von anthropologisch-prähistorischen Objekten nach einer klar ersichtlichen Systematik. Sie orientierte sich an den Lücken in den Münchener Sammlungen, weil vorauszusehen war, dass «in Bälde diese Naturvölker und mit ihnen ihre Erzeugnisse unwiederbringlich verloren sein werden». So sammelte sie
u. a. in Ancon auf Totenfeldern und in Ruinenstädten Überreste der präkolumbianischen Indianer, und es gelang ihr, neben 34 altindianischen Schädeln eine Mumie samt Grabbeilagen freizulegen und nach München transportieren zu lassen.

Besonderen Dank schuldet die Münchener Ethnologie ihr für ihre Initiative als Mäzenin, mit der sie die wertvolle Privatsammlung peruanischer Altertümer des deutschstämmigen Augenarztes Dr. Gaffron in den Besitz des Völkerkundemuseums brachte. Trotz schier unüberwindlich scheinender administrativer und finanzieller Schwierigkeiten gelang es ihrer königlichen Hartnäckigkeit, drei fränkische Industrielle davon zu überzeugen, ihr die für damalige Verhältnisse exorbitant hohe Kaufsumme von 150 000 Mark für die über 1500 Objekte zu überlassen. Die erwartete Gegengabe vonseiten der Regierung ließ nicht auf sich warten: die Sponsoren wurden unverzüglich zu «Kommerzienräten» ernannt bzw. mit dem Michaelsorden 4. Klasse belohnt. Therese vermachte die wertvolle Sammlung von Textilien, Schmuck und Keramik dem widerwilligen Völkerkundemuseum, das wegen angeblicher räumlicher Unzulänglichkeiten andere Prioritäten setzen wollte. Der bei dieser Transaktion übergangene, nicht ganz zu Unrecht gekränkte Konservator Max Buchner bezeichnete den unwillkommenen Erwerb der Sammlung in seinen Memoiren als «peruanisches Gewitter, geleitet von einer Prinzessin, die bereits gefeiert war als bairische Pallas Athene».

Die ersten Präsentationen ihrer reichhaltigen Privatsammlung hat Therese nach eigenen Vorstellungen selber veranstaltet, zunächst im alten Münchener Rathaus, dann in drei Räumen der Königlichen Residenz und ab 1912 im Leuchtenberg-Palais. Ihre über 2500 Objekte zählenden Funde nord- und südamerikanischer Indianer vermachte sie vollständig den Münchener Sammlungen, was durchaus keine Selbstverständlichkeit war, wie der Nachruf aus der Akademie der Wissenschaften betont: «Wie unwiderstehlich wäre für fast alle von uns die Versuchung gewesen, in der Zeit der Not durch Verkauf einiger wertvoller Stücke sich die Geldmittel für eine behaglichere Gestaltung der wenigen Lebensjahre, die noch bevorstanden, zu sichern. Aber Prinzessin Therese ertrug lieber Entbehrung.»

Von «Th. v. Bayer» zu «Therese Prinzessin von Bayern, Dr. ph. h. c.»

Den systematischen Forscherdrang der Prinzessin Therese bezeugen die gründliche Auswertung und Katalogisierung ihrer Reisefunde, vor allem aber die minutiösen Schilderungen ihrer Eindrücke in ausführlichen, mit präzisen Anmerkungen versehenen Reiseberichten: Ihre Publikationsliste zählt an die 30 Titel, darunter vier umfängliche, von der zeitgenössischen Gelehrtenwelt mit Anerkennung aufgenommene Publikationen über ihre Reisen nach Skandinavien, Russland und Südamerika mit einem Gesamtumfang von über 2000 Seiten.

Der Stil ihrer Bücher orientiert sich deutlich an Reisebüchern männlicher Gelehrter, indem sie ihre naturwissenschaftlichen Funde und Bewertungen sachlich und mit akribischer Genauigkeit präsentiert. Gleichzeitig aber gelingen ihr bei schwärmerischen Naturbeschreibungen Passagen von bezwingender poetischer Anschaulichkeit. Ein besonderes Lesevergnügen stellt sich immer dann ein, wenn sie unvorhergesehene Reiseunbillen lakonisch und mit trockenem Humor kommentiert.

Aufschlussreich für ihre Entwicklung von der noch unsicher experimentierenden Prinzessin zur selbstbewussten Gelehrten ist der Wandel ihrer Autorschaft: So veröffentlicht sie ihre beiden ersten Bücher über Russland und den Polarkreis (1885 und 1889) unter dem «gläsernen» geschlechtsverhüllenden Pseudonym Th. von Bayer.

Erst nach den offiziellen Ehrungen durch Akademie und Universität präsentiert sie sich auf den Titelblättern als «Therese Prinzessin von Bayern», auf dem zweiten Südamerika-Buch dann sogar mit dem Zusatz des Ehrendoktortitels, was man durchaus als Beleg eines gestärkten wissenschaftlichen Selbstbewusstseins deuten darf. Auch die Dankesbezeugungen im Vorwort an fünfzehn namentlich genannte akademische «Herren» und an zehn wissenschaftliche Institutionen in europäischen Metropolen zeigen, dass sie sich nunmehr als selbstverständliches Mitglied einer übergreifenden akademischen Gelehrtenwelt versteht.

Der geistige Verkehr mit Gelehrten wirkte ungemein anregend

Selbst wenn die akademischen Ehrungen, die Therese zuteil wurden, nicht ganz zu trennen sind von der Rücksicht auf ihren gesellschaftlichen Rang als Frau aus königlichem Hause, so spiegelt sich ihre öffentliche Akzeptanz als Naturforscherin und Privatgelehrte doch deutlich sowohl in zahlreichen Rezensionen ihrer Reisebücher als auch in ausgiebiger Korrespondenz mit Fachgelehrten aus vielen Ländern der Welt, worunter sich auch Zeugnisse eines Gedankenaustauschs mit anderen reisenden Frauen finden. Als (in der Regel stets erstes weibliches) Ehrenmitglied in rund zwanzig wissenschaftlichen Gesellschaften und Akademien des In- und Auslandes nahm sie regelmäßig an Kongressen in Anthropologie, Ethnologie, Amerikanistik und Psychologie teil.

Als Therese anlässlich des Jubiläums zum dreißigjährigen Bestehen der Münchener Geografischen Gesellschaft eine durch eigene Fotografien reich dokumentierte Ausstellung anthropologischer Funde kuratiert hatte, stellt der Festredner stolz fest: «Längst ist der Name Ihrer Kgl. Hoheit als gelehrter Schriftstellerin wie als selbstständiger Forscherin auf dem Gebiet der Naturwissenschaft weit über Bayerns Grenzen hinaus in die ganze gebildete Welt gedrungen; eine Prinzessin von solch hoher wissenschaftlicher Bildung besitzt nur Bayern.»

Doch erst als der unverheiratet gebliebene Vater im Jahr 1912 mit 91 Jahren starb, war es Therese im Alter von 63 Jahren endlich möglich, ihr gesellschaftliches und wissenschaftliches Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs vereitelte eine vierte geplante große Reise, diesmal um die ganze Welt, für die sie bereits jahrelange wissenschaftliche und praktische Vorbereitungen geleistet hatte. Die «complizierte Reiseausrüstung für extreme Klimaunterschiede» wartete in Genua vergeblich auf ihre Verschiffung.

«Mir ist es, wie wenn ringsum ein schwarzer Vorhang herabgezogen wäre»

Mit Kriegsbeginn meidet Prinzessin Therese die Hauptstadt München und siedelt ganz in ihre vom Vater ererbte Lindauer Villa Amsee über, wo sie bislang nur in den Sommermonaten Zuflucht für ungestörtes Forschen und Schreiben gesucht hatte.

Und was man wohl kaum bei einem männlichen Forscher antreffen würde, war für Therese selbstverständlich: Sie verzichtete von nun an fast ganz auf wissenschaftliche Tätigkeiten und widmete sich karitativen Aufgaben: Mit der ihr eigenen Entschlossenheit und Tatkraft richtete sie in einem Nebengebäude ihres Hauses ein Lazarett ein, kümmerte sich um Hinterbliebene und Schwerverletzte, besuchte Krankenhäuser und half Gefangenen auf beiden Seiten mit ihren Sprachkenntnissen bei der Korrespondenz. Obwohl sie gesundheitlich auf Grund eines Lungenleidens zunehmend schwächer wurde, nahm sie für sich keine Ausnahme von den allgemeinen Lebensmittelbeschränkungen in Anspruch.

Nach Kriegsende bis zu ihrem Tod war sie unermüdlich damit beschäftigt, ihren umfangreichen Nachlass zu sichten, zu ordnen und zu ergänzen. So zeichnet sie unter Rückgriff auf frühere Notizen und Briefe auf über 700 handschriftlichen Seiten mit kalendarischer Genauigkeit ihr äußeres Leben auf, möglicherweise als Grundlage gedacht für eine geplante Autobiografie.

Prinzessin Therese starb am 19. September 1925 in Lindau. Ihr reichverzierter Sarg ruht in der Wittelsbacher Gruft der Theatertinerkirche.

«Ich bleibe ein Wesen eigener Art»

Es stellt sich abschließend die Frage, ob Therese als Forschungsreisende und Schriftstellerin, als aktives Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften, Ehrenmitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Ehrendoktorin der Münchner Universität, als beispielgebende Vorreiterin für Frauen in der Wissenschaft gelten kann? Antwort ist: Ja, denn mögen die Widerstände gegen ihre wissenschaftliche Tätigkeit auf Grund von Herkunft, Vermögen und Zeitumständen sich in mancherlei Hinsicht von den Schwierigkeiten unterscheiden, die selbst im 21. Jahrhundert der akademischen Karriere von Frauen noch so häufig den Weg verstellen, so verdankt sie ihre Anerkennung als autodidaktische Gelehrte dennoch Kräften und Eigenschaften, die für Frauen – heute mehr denn je – Voraussetzung sind zum akademischen Aufstieg: ein unbezähmbarer Wissensdurst, eine ungeteilte Konzentration auf ein als wichtig erkanntes Lebensziel (in ihrem Fall: Forschen, Sammeln, Schreiben) sowie eine klaglose Bereitschaft zum Überwinden jeglicher Widerstände und Behinderungen, von denen sie – vor allem auf Grund ihrer Doppelexistenz als Forschungsreisende und höfische Repräsentationsfigur – nicht verschont geblieben ist.

Das Lebenswerk der gelehrten Prinzessin präsentiert sich als eine faszinierend vielschichtige, noch längst nicht hinreichend «ausgeleuchtete» Fundgrube für mancherlei neue, differenziertere Einblicke in Münchener Kulturtradition und bayerische Wissenschaftsgeschichte.

Hadumod Bußmann,

Dr. phil.; Ehem. Akademische Direktorin und Dozentin für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität München, Initiatorin der Therese von Bayern-Stiftung, Peregrinus-Preisträgerin der Bayerischen Akademie der Wissenschaften


Prinzessin Therese von Bayern
Zeittafel

12. November 1850 Geboren in München.

1875 Erste Reise zusammen mit dem Bruder Leopold und dessen Frau nach Tunis, Algerien, Portugal und Spanien.

1880 Ausflug nach Tunis.

1881 Erste selbstverantwortliche Reise nach Skandinavien.

1882 Expedition durch Russland.

1885 Reiseeindrücke und Skizzen aus Russland.

1888 Erste Expedition in die brasilianischen Tropen.

1889 Über den Polarkreis.

1892 Ehrenmitglied der Geografischen Gesellschaft in München; Ehrenmitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

1893 Studienreise nach Nordamerika.

1897 Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München: Doctor phil. hon. causa; Korrespondierendes Mitglied der Geografischen Gesellschaft in Lissabon. Meine Reise in den Brasilianischen Tropen.

1898 Ehrenmitglied der Geografischen Gesellschaft in Wien; größte und aufwendigste Expedition durch das nördliche und westliche Südamerika.

1900/1901 Ehrenmitglied der Anthropologischen Gesellschaft in Wien.

1902 Einiges über die Pueblo-Indianer.

1908 Reisestudien aus dem westlichen Südamerika.

1913 Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte in Berlin.

1920 Ehrenmitglied der Anthropologischen Gesellschaft in München.

19. September 1925 Gestorben in Lindau.

Der Text ist entnommen aus:
http://www.br-online.de/wissen-bildung/thema/muenchner-gelehrte/08-therese-muenchen.xml