Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №8/2007

Literatur

Wulf Kirsten: Die Schlacht bei Kesselsdorf

In vier Marschsäulen wälzt sich der unübersehbare Strom der preußischen Armee, vom Fürsten von Anhalt befehligt, zu Fuß und zu Pferde über die vereisten und verharschten Wege auf den Elbhöhen, die sich von Dorf zu Dorf winden, eines abgelegener als das andere. Tiefes Hinterland im Winterschlaf. Von den elendesten Knochen- und Achsenbrechern geädert. Die Radgeleise tief ausgefahren, die Gefälle ausgewaschen. Viele der Brücken und Brückchen so heruntergekommen, daß jedem ein Stoßseufzer der Erleichterung entfährt, der sie heil passiert hat. Hätte nicht der Frost für einen festen Grund gesorgt, wäre überhaupt kein Durchkommen. Es bleibt auch so noch anstrengend genug, auf den Unebenheiten des gefrorenen Schlammes zügig auszuschreiten. Knirschend splittert unter den Hufen das Eis, das die mit Lehmbrühe gefüllten Schlaglöcher bedeckt. Der Winter hat der Landschaft eine dünne Schneedecke übergeworfen.

Den endlosen Marschkolonnen fahren alle verfügbaren Zimmerleute voraus. Zweihundert Arbeiter müssen ihnen zur Hand gehen. Auf zwanzig Wagen liegen Balken, Pfosten, Bohlen, Pfähle, Bretter, Bauklammern und alles, was an Handwerksgerät beim Wege- und Brückenbau vonnöten ist: Hacken, Schaufeln, Spaten, Äxte, Beile, Schrotsägen, Rammen, Vorschlaghämmer, Brechstangen, Hebebäume. Brücken sind befahrbar zu machen, Übergänge zu schaffen, Ausweichstellen einzurichten, Hohlwege freizuschaufeln. Droht eine Steigung das Tempo zu drosseln, greifen sogleich vier Hände in jeden Speichenkranz, damit der Zug nicht ins Stocken gerät und die Marschordnung nicht durcheinandergebracht wird. Die sich unausgesetzt an Forsche und Lautstärke überbietenden Zurufe der Kutscher feuern die Geschützgespanne an und halten sie in Schwung. Obendrein knallen und schmitzen die Peitschen. Nüstern, Nasen und Münder blasen den Frostrauch in die scharfe Dezemberluft, der sich über dem Heereszug zu langgestreckten Dunstwolken ballt. Aus den dampfenden Tierleibern werden die letzten Kraftreserven herausgeschunden. Gebieterischer noch als den abgeäscherten Gäulen sitzt den Musketieren und Füsilieren die Fuchtel im Nacken. Offiziere und Korporale treiben zur Eile. Kaum daß sie den Mannschaften eine kurze Verschnaufpause gönnen. Nur nicht stehenbleiben. Bewegung ist das einzige Mittel, den Frost zu ertragen. Den Soldaten, die in Kolonne marschieren, bleibt nicht mal die Zeit, ein flatterndes Huhn zu greifen und zu köpfen, wenn es durch eines der winterstarren ärmlichen Bauerndörfer geht, die beim Anblick der gefräßigen Raupe vor Angst erschrecken und sich am liebsten in eine Ackerfurche ducken würden.

Die Fouragekommandos sorgen dann schon noch dienstfertig genug dafür, daß alles seine militärische Ordnung hat. Sie räumen aus und nehmen mit, was nicht niet- und nagelfest ist. Die Armee hat einen großen Magen, der Tag für Tag aufs neue gefüllt werden muß. Kein Korn bleibt in den Dielenritzen, keine Schütte Stroh in der Scheune, kein Büschel Heu in der Raufe. Ketten, Riemenzeug, leere Säcke, volle nicht minder, Woilache, Leinwand, selbst Wagenschmiere und Pferdefluid schleppen die umsichtigen Beschaffungsexperten mit sich fort, ohne sich im mindesten von den Klagen der Bauersleute beeindrucken zu lassen, die nicht wissen, wie sie über den Winter kommen sollen. So viele Verstecke gibt es gar nicht, um in der Eile alle Vorräte beiseite zu schaffen. Zum Glück ist wenigstens das Wintergetreide bereits eingesät und kann nicht mehr requiriert werden.

In Schlachtordnung hatten die Truppen letzte Nacht mehr schlecht als recht auf freiem Felde biwakiert. Zwischen den Ortschaften Naustadt und Röhrsdorf. Weiter waren sie an dem Tage von Meißen aus nicht gekommen. Der Berg auf die Elbhöhen über Siebeneichen hatte mehr Zeit und Kräfte gekostet als vorgesehen. Ohne Stollen an den Eisen wären die Zugpferde auf der Steile überhaupt nicht vorwärts gegangen. Die Zelte boten zwar einigen Schutz vor dem eisigen Wind, der aus dem Osten blies. Dennoch fehlte es in dieser nur auf Sommerfeldzüge eingerichteten Behausung ganz entschieden an Wärme. Die hölzernen Zeltpflöcke wollten sich nicht ins gefrorene Erdreich schlagen lassen. Sie zerbrachen oder prallten zurück. Wie sonst hätte man die eisige Nacht überstanden, wenn nicht im straff gespannten, sicher stehenden Zelt. So wie jedes militärische Detail im preußischen Heer aufs genaueste und ökonomischste ausgeklügelt war, herrschte auch ein strenges Zeltbaureglement, in dem jeder Handgriff vorgeschrieben war. Selbst unter den extremen Bedingungen, wie sie der Winter stellte, durfte davon nicht um ein Jota abgewichen werden. Und mit eiserner Selbstverständlichkeit, an der zu zweifeln niemand beigefallen wäre, fußte auch das Zeltreglement auf den allgemein üblichen hierarchischen Strukturen. Die kleinen Zelte der Gemeinen aus grobem Leinen mit Lederbesatz waren nicht abgefüttert. Der spartanische Schlafraum war für sechs Mann berechnet, meist wurden jedoch sieben hineingepfercht. Die Schlafordnung schrieb vor, in zwei Reihen zu schlafen, Fuß gegen Fuß geschichtet wie die Ölsardinen. Kein Quadratzentimeter zuviel. Das Äußerste an Sparsamkeit. Auf dem Boden etwas Stroh, über den müden Marschierern die gemeinsame Zeltdecke, nicht viel größer als die Grundfläche.

Fortsetzung folgt


be|feh|li|gen <sw.ÿV.; hat> (Milit.): über jmdn. (eine Gruppe von Menschen), etw. die Befehlsgewalt, das Kommando, die Führung haben: eine Einheit b.

ver|har|schen <sw. V.; ist>: a) harsch, zu Harsch werden: der Schnee verharscht, ist verharscht; b) durch Bildung von Schorf zuheilen: die Wunde verharscht. harsch <Adj.> [aus dem Niederd. < mniederd. harskÿ= rau, hart, zu einem Verb mit der Bed. «kratzen, reiben»]: 1. a) (selten) rau, eisig: ein -er Wind; b) (von Schnee) vereist, mit einer Eiskruste überzogen: eine -e Skipiste. 2. (geh.) unfreundlich, barsch: -e Kritik; mit -en Worten wies sie den Vorschlag zurück; sich h. über etw. äußern.

zü|gig <Adj.>: 1. schnell u. stetig, ohne Stockung: ein -es Tempo; z. fließender Verkehr; die Vorbereitungen gehen z. voran. 2. (schweiz.) zugkräftig: ein -es Schlagwort.

Schlag|loch, das: Loch, aufgerissene Stelle in der Straßendecke.

von|nö|ten <Adj.> [älter: von nöten (Dativ Pl. von Not), mhd. von not]: in der Verbindung v. sein (nötig, dringend erforderlich sein): Eile, größere Sorgfalt ist v.

dros|seln <sw.ÿV.; hat>: 1. (veraltend) jmdm. die Kehle zudrücken; würgen: er drosselte ihn von hinten mit einem Strick. 2. a) in der Leistung herabsetzen, kleiner stellen: die Heizung d.; ein gedrosselter Motor; b) die Zufuhr von etw. verringern: den Dampf d.; c) herabsetzen, einschränken: das Tempo, die Einfuhr, die Produktion d.

oben|drein <Adv.>: überdies, außerdem, noch dazu: das Kind hat mich o. noch ausgelacht.

Fuch|tel, die; -, -n [älterÿ= breiter Degen; dann: Schlag mit der flachen Klinge (als Strafe beim militärischen Drill), zu fechten]: 1. (früher) breiter Degen. 2. <o.ÿPl.> (ugs.) strenge Zucht, Herrschaft: unter jmds. F. sein; jmdn. unter der, seiner F. haben (jmdn. streng beaufsichtigen). 3. (landsch.) zänkische, herrschsüchtige Frau.

ver|schnau|fen <sw. V.; hat>: eine kleine Pause bei etw. einlegen, um Atem zu holen, Luft zu schöpfen: sie setzte sich, um ein wenig zu v.; <auch v. + sich:> warte, ich muss mich kurz v.

Woi|lach, der; -s, -e [russ. vojlokÿ= Filz, älterÿÿ= Satteldecke < turkotat. oilykÿ= Decke]: wollene [Pferde]decke.

re|qui|rie|ren <sw. V.; hat> [spätmhd. requiriren < lat. requirereÿ(2. Part.: requisitum)ÿ= nachforschen; verlangen, zu: re-ÿ= wieder, zurück u. quaerereÿ= [auf]suchen; erstreben; verlangen]: 1. [für militärische Zwecke] beschlagnahmen: Lebensmittel für die Truppe r. 2. (Rechtsspr. veraltet) ein anderes Gericht, eine andere Behörde um Rechtshilfe ersuchen.

bi|wa|kie|ren <sw.ÿV.; hat>: im Freien übernachten.

Pflock, der; -[e]s, Pflöcke [mhd. pfloc, H.ÿu.]: unten angespitzter Stock, Stab, Pfahl o.ÿÄ., der eingeschlagen wird, damit etw. daran befestigt werden kann: sie befestigten das Zelt an, mit Pflöcken; *einen P., einige/ein paar Pflöcke zurückstecken müssen (ugs.; geringere Forderungen, Ansprüche stellen; urspr. wohl von einem Pflug gesagt, bei dem die Höhe der Pflugschar mit einem Stellpflock umgestellt werden konnte).

straff <Adj.> [spätmhd. straf = streng, hart]: 1. glatt, fest [an]gespannt od. gedehnt, nicht locker od. schlaff [hängend]: ein -es Seil; sie hat eine -e Haut; eine -e Haltung; das Gummiband ist s.; die Saiten sind s. gespannt; die Zügel s. anziehen; die Reifen s. aufpumpen; sie trug ihr Haar s. zurückgekämmt, s. gescheitelt. 2. [gut durchorganisiert u.] keinen Raum für Nachlässigkeiten, Abschweifungen, Überflüssiges o.ÿÄ. lassend: eine -e Leitung, Hierarchie; der Betrieb ist s. organisiert.

hi|nein|pfer|chen <sw.ÿV.; hat>: in einen Raum o.ÿÄ. pferchen: die Tiere in einen zu kleinen Stall h.


Wulf Kirsten

(* 21. Juni 1934 in Klipphausen bei Meißen) ist ein deutscher Lyriker, Prosaist und Herausgeber.

Nach einer Lehre als Handelskaufmann arbeitet der Sohn eines Steinmetzen als Buchhalter, Sachbearbeiter und Bauarbeiter und legt 1960 an der Arbeiter- und Bauern-Fakultät (ABF) Leipzig sein Abitur ab. Von 1960 bis 1964 absolviert er ein Lehramtsstudium für Deutsch und Russisch in Leipzig. Die Studienzeit ist vor allem geprägt durch eine intensive Beschäftigung mit Literatur sowie durch die Tätigkeit als freier Mitarbeiter für das «Wörterbuch der obersächsischen Mundarten» (Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig), für das Kirsten mehr als tausend Belege aus seiner Heimat sammelt. In die Zeit des Studiums fallen erste ernsthafte Schreibversuche.

Für kurze Zeit arbeitet Kirsten nach seinem Studienabschluss als Lehrer, bevor er 1965 seine Tätigkeit als Lektor für den Aufbau Verlag in Weimar beginnt. Allein oder mit Kollegen gibt er eine Vielzahl von Bänden heraus, die durch genaue Recherche und kundige Kommentierung bestechen.

Seine schriftstellerische Arbeit widmet Kirsten vor allem der Lyrik, aber auch der Prosa. Zwischen 1968 und 1977 erscheinen mehrere Gedichtbände, 1984 ein Band mit zwei Prosatexten. Das schmale Reclam-Bändchen Die Erde bei Meißen (1986) versammelt in chronologischer Reihenfolge den Großteil der zwischen 1961 und 1982 entstandenen Gedichte. Für diese Publikation wird Kirsten im Jahre 1987 der renommierte Peter-Huchel-Preis verliehen. Kirsten wird damit erstmals auch im Westen Deutschlands von einem breiteren Publikum als Lyriker wahrgenommen. Im gleichen Jahr entschließt sich Kirsten für ein Dasein als freier Schriftsteller, betätigt sich aber auch weiterhin als Lektor und Herausgeber.

In der Umbruchzeit von 1989/90 engagiert sich Kirsten im Weimarer neuen Forum, zieht sich jedoch bald ernüchtert aus der Politik zurück. Seit 1992 erscheinen Kirstens Bücher im angesehenen Zürcher Ammann Verlag. Seit Beginn der 90er Jahre wird Kirsten mehr und mehr als bedeutender deutscher Gegenwartsautor wahrgenommen und gewürdigt, was sich nicht zuletzt in einer Vielzahl von Auszeichnungen und Mitgliedschaften ausdrückt. Wulf Kirsten lebt und arbeitet in Weimar.

Werke: Poesiealbum 4. Wulf Kirsten (1968), satzanfang. gedichte (1970), Ziegelbrennersprache. Gedichte (1974), der landgänger. Gedichte (1976), Die Schlacht bei Kesselsdorf – Ein Bericht. Kleewunsch – Ein Kleinstadtbild (1984), der bleibaum. gedichte, (1977), die erde bei Meißen. gedichte (1986), Winterfreuden. Zwei Prosatexte (1987), Stimmenschotter. Gedichte (1993), Textur. Reden und Aufsätze (1998), Die Prinzessinnen im Krautgarten. Eine Dorfkindheit (2000), Der Berg über der Stadt. Zwischen Goethe und Buchenwald (2003), Erdlebenbilder. Gedichte aus fünfzig Jahren. 1954–2004 (2004), Steinmetzgarten. Das Uhrmacherhaus. Zwei Erzählungen (2004).

Auszeichnungen: Förderungspreis Literatur der Akademie der Künste Berlin 1971; Johannes-R.-Becher-Preis 1985, Peter-Huchel-Preis 1987, Heinrich-Mann-Preis 1989; Stadtschreiber Salzburg 1993; Weimar-Preis 1994; Hermann-Hesse-Stipendium Calw 1996; Stadtschreiber Dresden 1999; Ehrendoktorwürde der Friedrich-Schiller-Universität Jena 2003; Eichendorff-Preis der Wangener Gesellschaft für Literatur und Kunst 2004; Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung 2005.

Aus: Wulf Kirsten: Die Schlacht bei Kesselsdorf. Ein Bericht. Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1984. S. 7–17.