Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №8/2007

Das liest man in Deutschland

Die Deutschen – schwedenselig, verzagt und beinbehaart

Warum haben die Deutschen ständig Angst um den Verlust ihrer Seele? Die Amis fahren doch auch BMW und lesen ihren Kindern Grimms Märchen vor – ohne sich zu ängstigen. Buchautor Eric T. Hansen hat mit «Planet Germany» eine kleine vergleichende Seelenkunde entwickelt.

Leute, die Deutschland nicht mögen, gibt es zuhauf. In neun von zehn Fällen sind es Deutsche, die einen weiten Bogen um alles machen, das sie als «typisch deutsch» verachten. Vor allem die sogenannten Sekundärtugenden: Disziplin, Pünktlichkeit, Sauberkeit.

Dann gibt es Deutsche, die Deutschland dermaßen mögen, dass uns alle anderen mal gern haben können – ob sie es wollen oder nicht. Diese Deutschen haben mit den anderen Deutschen sehr viel gemeinsam. Sie können das Deutschsein zwar nicht definieren – am Ende ist es der gut zubereitete Schweinebraten – aber ihr ganzes Denken kreist um die Frage: Wer sind wir? Was sind wir? Und warum? Meistens reicht ein Sieg in einem Fußballspiel der Champions-League, um ihre Endorphine zu aktivieren, während eine Niederlage sie ins mentale Abseits treibt.

Und dann gibt es eine dritte Kategorie: Nichtdeutsche, die sich darauf spezialisiert haben, den Deutschen das Deutschsein zu erklären. Michael Moore hat es eine Weile sehr erfolgreich getan, Alfred Grosser tut es immer wieder. «Ihr könnt ruhig ein bisschen stolz auf Euch sein», sagen sie, «deutsche Denker haben den Computer, den Spreizdübel und die Thermoskanne erfunden, und ein deutscher Kanzler hat Euch vor den Folgen des Abenteuers im Irak bewahrt. Tragt ihn mit Stolz, den deutschen Kopf!»

Flirt mit der Bratwurst

Das könnte, auf den ersten Blick, auch die Botschaft von Eric T. Hansen sein, wie er so da steht mit einem Deutschland-Schal um den Hals und mit einem Frankfurter Würstchen unter einem halben Brötchen flirtet. Unvorstellbar, dass sich der sensible Woody Allen für so etwas hergeben würde, der elegante Philip Roth oder der introvertierte Bob Dylan. Hansen dagegen sieht wie ein robuster Missionar aus, und – Überraschung! – er ist einer. Ein Mormone, den seine Kirche nach Deutschland zum Missionieren geschickt hat. Statt aber Seelen für das Reich Gottes zu retten, rettete er sich, trat aus der Kirche der Heiligen der Letzten Tage aus, zog nach Berlin und wurde Journalist.

Mag sein, dass der Unterschied zwischen einem Missionar und einem Journalisten nicht so groß ist, wie es der gemeine Sachverstand suggeriert. Worüber beide verfügen müssen, ist eine gute Beobachtungsgabe und das Talent, komplexe Geschichten auf einen Kern zurückführen zu können. Hansen kann beides. Auf seinen Erkundungen in der «Heimat des Hawaii-Toasts», wie sein «Planet Germany» heißt, lernt er eine junge Deutsche kennen, die ihm von ihren Erfahrungen als Austauschschülerin in den USA erzählt. Entgegen den Empfehlungen ihrer Gastgeber unterließ sie es, sich die Beine zu rasieren, und litt lieber ein Jahr lang unter Sticheleien. «Warum hast du dir nicht einfach die Beine rasiert?», fragt Hansen. «Wenn ich das getan hätte, wäre ich nicht mehr ich selbst gewesen», antwortet die junge Frau.

Und aus dieser beiläufigen Bemerkung entwickelt Hansen eine kleine vergleichende Seelenkunde. Warum die Deutschen ständig Angst um den Verlust ihrer Seele haben, während die Amis BMWs fahren, ihren Kindern Grimms Märchen vorlesen und täglich Sushi essen, ohne sich um ihre Seelen zu ängstigen. Um die überaus beliebte Theorie der «McDonaldisierung» der Bundesrepublik zu überprüfen, macht er sich eines Tages auf den Weg und zählt innerhalb einer kurzen Zeit «78 Möglichkeiten, mich irgendwie mit Essen zu versorgen», davon 33 türkische, 29 deutsche, acht asiatische, fünf italienische, zwei griechische, eine persische und eine – amerikanische. Worauf er bis zur Erfindung der Thüringer Bratwurst im Jahre 1613 zurückgeht und bilanziert: «McDonald’s hat Deutschlands Esskultur nicht verändert. Im Gegenteil, der Hamburger hat sich ziemlich brav in eine bereits bestehende Fast-Food-Landschaft eingeordnet. Es gibt weniger eine McDonalisierung als eine McDonald’s-Phobie.»

Deutschland lebt längst hinter schwedischen Gardinen

Das ist die Methode Hansen: Statt sich aufzublasen, lässt er bei anderen die Luft raus, demontiert das Selbstverständliche und bietet mit breitem Grinsen eine Pointe an, die nicht nur überraschend, sondern auch überzeugend ist. Er sieht, was andere nicht sehen. Während die Deutschen gegen ihre Amerikanisierung ankämpfen, sind sie längst zu einer schwedischen Kolonie geworden. Sie kaufen bei IKEA und H&M ein, lesen Henning Mankell, schauen sich daheim schwedische Pornos an, fahren Volvo und kopieren das schwedische Sozialmodell. Und nichts mache den Mentalitätsunterschied zwischen den Amerikanern und den Deutschen deutlicher, sagt Hansen, als die Antwort auf die Frage, ob Erfolg im Leben durch Umstände bestimmt wird, «die außerhalb unserer Kontrolle liegen». 32 Prozent der Amerikaner sind dieser Ansicht, bei den Deutschen sind es 68 Prozent. «Ich wette, hätte man diese Umfrage unter Leibeigenen im Mittelalter gemacht, wäre der Prozentsatz ähnlich.»

Ähnlich absurd, aber für die «deutsche Seele» ebenso charakteristisch, findet Hansen, sei die Forderung der «Musiker in eigener Sache» nach der Einführung einer gesetzlichen Quote für «deutschproduzierte Musik» im Radio gewesen. Worauf der Bundestag «jovial» beschloss, alle Sender um eine «Selbstverpflichtung» zu bitten. Er hätte ebenso einen Brief an den Nikolaus schreiben und ihn bitten können, für Schnee an Weihnachten zu sorgen.

«Dass die Popkünstler davon ausgingen, der Staat sei für den Fortgang ihrer Karrieren zuständig», sei schon «skurril genug» gewesen; dass der Staat es nicht anders sah, «kann nur eines heißen: Er sieht sich nicht als Staat, sondern als Vaterersatz.» Sogar die kommunistische RAF wollte «einen Staat, der die Gesellschaft so lange reguliert, bis es keine Ungerechtigkeit mehr gibt»; das amerikanische Ideal sei dagegen ein Staat, «der die Gesellschaft so wenig reguliert, dass er keine Ungerechtigkeit» verursacht.

Zu viele Nazis oder zu wenig?

Empfindliche Gemüter könnten all das als «German-Bashing» missverstehen. Was unangemessen wäre. Denn Hansen mag die Deutschen schon deswegen, weil sie ganz anders als die Amis sind, die er auch mag, obwohl er sie schon länger kennt. Was die Deutschen auszeichnet, ist die Vielfalt der Gefühle gegenüber der eigenen Geschichte, diese Mischung aus Aggressivität, Naivität und Ratlosigkeit. «Hätte Hitler sich die Zeit genommen, mal im Alten Testament zu blättern, hätte er gewusst, man schubst die Juden nicht herum, ohne dass es Konsequenzen hat», schreibt Hansen mit subtiler Ironie, die er ein paar Seiten später noch steigert: «Die Deutschen sind sich sicher, dass hierzulande was nicht stimmt, aber sie können sich nicht entscheiden, ob das daher kommt, dass es zu viele Nazis gibt oder zu wenig.»

Das sind Sätze, auf die manche Leser aggressiv, naiv und ratlos reagieren werden. «Wie meint der das?» Ganz einfach: So wie er es sagt. Ein wenig inländerfeindlich wird Hansen nur, wenn er sich die deutsche Alltagskultur vornimmt – die Politiker-Runden im Fernsehen, die jedes Thema zu Tode diskutieren, die «mittelständische Phantasiewelt», der man im «Tatort» begegnet, «in der ein überschaubares Verbrechen von einem guten Menschen mit Herz und Verstand gelöst wird», deutsche Komödien wie «Goodbye Lenin». Freilich: «Die deutsche Wirklichkeit ist noch radikaler: Ein ganzes Land gaukelt sich selbst pausenlos eine heile Welt vor.» Was Hansen dagegen maßlos beeindruckt, ist die Tatsache, dass es 6177 Museen in Deutschland gibt, nicht nur das Deutsche Museum in München und das Zeughaus in Berlin, sondern auch das Holzwurmmuseum in Quedlinburg, betrieben vom Eigentümer einer Schädlingsbekämpfungsfirma. Der Mann hat eine Schwäche für Würmer, er experimentiert aber auch mit Termiten, obwohl es in Deutschland keine gibt. Noch nicht. Freilich, die Erderwärmung macht auch vor Deutschland nicht halt, «wir werden hier bald Termiten haben».

Und das ist immerhin ein Beispiel für eine realistische und zukunftsorientierte Haltung, wie man sie in Deutschland nicht alle Tage findet.

Von Henryk M. Broder

Eric T. Hansen: «Planet Germany. Eine Expedition in die Heimat des Hawaii-Toasts». Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2006.

Der Text ist entnommen aus:
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,464663,00.html