Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №5/2007

Sonderthema

Georg Trakl: Zum 120. Geburtstag des Dichters

Georg TraklGeorg war ein Kind wie wir anderen auch, fröhlich, wild und gesund. Es ging uns sehr gut; wir hingen sehr an der französischen Gouvernante und an unserem Vater. Die Mutter kümmerte sich mehr um ihre Antiquitätensammlungen als um uns. Sie war eine kühle, reservierte Frau; sie sorgte wohl für uns, aber es fehlte die Wärme. Sie fühlte sich unverstanden, von ihrem Mann, von ihren Kindern, von der ganzen Welt. Ganz glücklich war sie nur, wenn sie allein mit ihren Sammlungen blieb – sie schloss sich dann tagelang in ihre Zimmer ein. Wir Kinder waren etwas unglücklich darüber, denn je länger ihre Leidenschaft dauerte, desto mehr Zimmer wurden für uns tabu.
Friedrich Trakl,
Auszüge aus einem Interview über das Elternhaus und den Bruder

Ich verstehe sie (Trakls Dichtung) nicht; aber ihr Ton beglückt mich. Es ist der Ton des wahrhaft genialen Menschen.
Ludwig Wittgenstein

Georg Trakl, ein Lyriker des deutschsprachigen Expressionismus, eine der stärksten Stimmen seiner Generation, ein Prophet der Endzeit – aber auch ein Dichter sinnlicher Traumvisionen voller Schönheit. Die Schreckenszeit, die er mit düsterer Bildkraft beschwor, der Krieg und die Zerstörung zerbrachen ihn schließlich ...

«Sein Werk, aus reinster Lyrik bestehend, ... ist von mythischer, magischer Schönheit.» Mit dieser Eloge1 charakterisiert Otto Basil, ein Biograf Georg Trakls, seine Dichtung. Zu Georg Trakls singulärer, geheimnisvoller und tragischer Gestalt ist ebensoviel geschrieben wie spekuliert worden. «Trakls kurzes Erdendasein ist an äußeren Ereignissen arm, dafür um so reicher an innerlichen Erlebnissen.» So scheinbar zutreffend diese Basils Aussage ist, so sehr ist bei Trakl die Trennung von innerem und äußerem Erleben eigentlich widersinnig.

Die Familie Trakl

Die Wurzeln der Familie Trakl lagen mütterlicherseits in Böhmen, in der Umgebung von Prag, väterlicherseits im deutschsprachigen Westungarn in der Umgebung der Stadt Ödenburg.

Der Großvater väterlicherseits – Georg «Trackel» – war der so genannte «Wirtschaftsbürger» (Stadtbürger mit Landbesitz). In der beruflichen Laufbahn des Großvaters lag bereits die berufliche Karriere des Vaters von Georg Trakl, Tobias Trakl, als erfolgreicher Eisenhändler begründet. Tobias war das jüngste von 13 Kindern und zog im Laufe seiner Berufsausbildung nach Wiener Neustadt, wo er sich bessere Berufschancen erwartete. Tobias Trakl war, so Basil, «ein Kleinbürger, der sich durch Fleiß, Tüchtigkeit und unter Glücksumständen in die großbürgerliche Sphäre hinaufgearbeitet hatte».

Maria Halik, die Mutter von Georg Trakl, war die zweite Frau von Tobias Trakl. Sie war wie die erste Frau, die an Kindbettfieber starb, aus dem böhmischen Raum nach Wiener Neustadt zugewandert. Nach einer ersten, sehr kurzen Ehe heiratete sie schließlich ihren Trauzeugen Tobias Trakl, der aus seiner ersten Ehe einen Sohn – Wilhelm Maximilian – in diese Ehe mitbrachte. Zugunsten der zweiten Eheschließung wechselte Maria Halik vom katholischen zum protestantischen Glauben über. Bereits vor der Hochzeit war ihr gemeinsamer Sohn Gustav geboren, der allerdings mit etwa zwei Jahren starb.

Georg Trakls GeburtshausDaraufhin übersiedelten sie nach Salzburg. Gründe für diesen Ortswechsel waren sicherlich die Umstände der Eheschließung, schließlich der Tod Gustavs. Allerdings dürften auch wirtschaftliche Gründe die Übersiedlung mitbedingt haben. Salzburg war zur gleichen Zeit wichtiger Umschlagplatz für Eisen aus der Steiermark und Kärnten, das ins Deutsche Reich exportiert wurde. Von dieser Gunstlage Salzburgs profitierte schließlich auch Tobias Trakl, der hier in kurzer Zeit eine neue Existenz aufbaute und bald angesehener Bürger der Stadt wurde. Er bekam 1898 das «Bürgerrecht» verliehen; dieses bekamen nur Bürger ab einer bestimmten Einkommensstufe.

Auch nach der Übersiedlung nach Salzburg blieben die engen familiären Verbindungen in dem Wiener Raum und nach Ödenburg aufrecht. Georg Trakl dürfte Ödenburg besonders geliebt haben, denn nach einem Besuch dort schrieb er seine erste veröffentlichte Prosa Traumland, die offenbar einmalig in ihrer Art ist, weil er darin mehrfach das Wort «Glück» verwendet, was in seinen späteren Dichtungen nicht mehr vorkommt. Überhaupt ist dieser Text sehr stark von autobiografischen Inhalten geprägt, die das «Leiden an der Vergänglichkeit» besonders deutlich erkennen lassen.

Salzburg war zu jener Zeit eher durch geringere Mobilität geprägt. Wohnqualität, hygienische Versorgung und Infrastruktur waren in Salzburg zu dieser Zeit sehr schlecht. Auch in religiöser Hinsicht zeigte Salzburg mit 98 Prozent Katholikenanteil ein anderes Gesicht als der protestantisch geprägte Großraum Wien und Westungarn, wo der Liberalismus bereits einen Höhepunkt erreicht hatte. Diese religiöse Spaltung prägte das Leben Georg Trakls entscheidend mit. Aber auch das Ambiente und der heraufdämmernde Untergang der k. u. k. Monarchie beeinflussten Georg von klein auf. Hinzu kommt als Umwelteinfluss die museale Stimmung einer verfallenden Prunkstadt. Der Spätherbst des Reiches fand eine sichtbarliche Wiederholung in der herbstenden Kultur der schönen alten Stadt rund um den Mönchsberg.

Kindheit und Jugend

Georg Trakl wurde am 3. Februar 1887 geboren. Er war das vierte von sechs Kindern in der Familie.

Tobias Trakl, Georg Trakls VaterAb 1890 wurden die Kinder zur Unterstützung der stark depressiven Mutter, die sich mehr ihrer teuren Antiquitätensammlung als ihren Kindern widmete, von einer französischen Gouvernante aus dem Unterelsass, Marie Boring, 14 Jahre lang betreut. Sie galt als strenge Katholikin, richtete auch in starkem Maße ihre Erziehung danach aus und trug so insbesondere für Georg Trakl zu einem religiösen Konflikt in der Familie bei. Er besuchte schließlich den Religionsunterricht in der evangelischen Pfarre, wo er außerdem seinen späteren Freund und Förderer Erhard Buschbeck kennen lernte.

Während seine Umgebung ihn als gesundes, lebhaftes und kräftiges Kind beschreibt, das gut behütet aufwuchs, will Trakl bereits mit fünf Jahren einen Selbstmordversuch verübt haben. Sein Umfeld fasste dieses Ereignis, bei dem er in einen Teich hineingeraten war, als «Geistesabwesenheit» auf. Auch weitere Vorfälle sind überliefert, bei denen er sich einem Pferd und einer Straßenbahn in den Weg geworfen haben soll. Man schließt daraus auf eine Abneigung gegenüber «heftiger Bewegung».

1897 wurde Georg Trakl in das kaiserlich-königliche Staatsgymnasium aufgenommen, die Schule des «gehobenen Bürgertums», nachdem er die Aufnahmeprüfung aus Religion, Rechnen und Deutsch erfolgreich bestanden hatte. Als einziger Protestant hatte er gleich eine gewisse Sonderstellung in der Klasse. Im Laufe seiner Schulzeit wurde er immer zurückgezogener, seltsamer, scheuer. Die vierte wie die siebte Klasse musste er wiederholen. Nach dem Misserfolg in der siebten Klasse verließ er dann die Schule, ob aus «Überdruss» oder «Überforderung», blieb eine offene Frage.

Der Umgangston in der Schule war sehr streng und das Lehrer-Schüler-Verhältnis sehr distanziert. Dieser strengen, steifen Erziehung widersetzten sich viele aus der Klasse, Georg Trakl verhielt sich diesbezüglich eher zurückhaltend, obwohl auch er darunter sehr litt. Georg Trakl verließ 1905 das Gymnasium und hatte mit einer Apothekerausbildung begonnen.

Die Jugend Georg Trakls war sehr stark von seinem schulischen Misserfolg geprägt. Der gesellschaftliche Druck, besonders von Seiten der Eltern, zu einer akademischen Berufsausbildung und einem ordentlichen «Brotberuf» belasteten das psychische Befinden in dieser Zeit erheblich. Für seine dichterischen Fähigkeiten fand er kaum Verständnis.

Von Mitschülern wurde Georg Trakl als «Sonderling» beschrieben, mit gebückter Haltung, nachdenklich, mit grübelndem Blick, manchmal verloren, manchmal starrsinnig, widerspenstiger Spott in seinen Mienen, ein «Wurschtikus», aber «viel vifer2 als wir alle und uns weit voraus».

Georg Trakls MutterSeine Lehrer sagten über ihn, er sei schwierig, für ihn sei der Unterricht nur dann interessant, wenn er zu «oppositionellen Äußerungen veranlasst werde», was seiner ständigen inneren Auflehnung gegen alles «Normative» in seinem Leben und der ganzen Gesellschaft entsprach. Aus seiner düster-pessimistischen Haltung heraus und dem übersteigerten Bedürfnis zur Opposition war auch seine Vorliebe für Werke von Henrik Ibsen und Friedrich Nietzsche zu erklären, die allerdings in den Augen der Lehrer damals als «Jugendverderber» galten. Auch die katholische Kirche äußerte sich negativ über die Verwendung solcher Werke im Unterricht in der Schule. Dennoch war Trakl ein großer Nietzsche-Verehrer, der sich – wie er – gegen die «Unwahrhaftigkeit seiner Zeit», gegen die «verlogene Gesellschaftsmoral und das Erstarrtsein in oft gedankenloser Gewohnheit» auflehnte. Allerdings war das Verhältnis Trakls zu Nietzsche ein ambivalentes, und aus der starken Bejahung konnte ebenso rasch Ablehnung werden.

Eine besondere Vorliebe entwickelte Trakl für die Werke von Dostojewski: «Es waren wohl in erster Linie das Antibürgerliche in Verbindung mit einer radikalen christlichen Religiosität und das Gefühl des Mitleids mit den Erniedrigten, die Trakl an Dostojewski fasziniert haben.» Stark angesprochen haben ihn außerdem Friedrich Hölderlin, Hugo von Hofmannsthal und die französischen Dichter Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Paul Verlaine.

Trakls Deutschunterricht war allerdings – dem damaligen Bildungsauftrag entsprechend – ganz auf die deutsche Klassik ausgerichtet, österreichische Autoren wurden nur in geringer Zahl besprochen, die «Moderne» wurde ausgelassen. Die ganze Klasse galt als recht lesefreudig, wobei Georg Trakl seine «literarischen Identifikationsmöglichkeiten» vor allem außerhalb der Schule suchte, wie die hohen Rechnungen aus Buchläden erkennen ließen.

Der ständige innere Konflikt des «Sich-Nicht-Verstanden-Fühlens», der Mangel an gefühlvollen Beziehungen, liebevoller Zuwendung auch von elterlicher Seite – sein Vater soll ein lebensfroher, ausgeglichener Mensch, der «ruhende Pol» in der Familie, aber auch Respektperson gewesen sein, mit hohen Ansprüchen an die berufliche Karriere, die ihm wenig Zeit für die Familie ließ. Zum Ausgleich liebte er, in einem Café Tarock zu spielen oder sich des Abends ein Glas Wein zu gönnen. Die Mutter war offenbar sehr gefühlskalt, sensibel und in der Ehe unglücklich, zog sich deshalb immer mehr zurück, war depressiv und widmete sich bevorzugt ihrer teuren Antiquitätensammlung – das trieb Georg Trakl schließlich in Suchtverhalten, zunächst mit Süßigkeiten, dann Zigaretten und Alkohol, Chloroform, schließlich starken Beruhigungstabletten (damals Veronal) und letztendlich Kokain. Er kämpfte lange Zeit bewusst gegen sein Suchtverhalten, allerdings ohne Erfolg.

Die Geschwister Trakl

Wie sein jüngster Bruder Fritz erwähnte, habe Georg schon sehr früh mit Drogen begonnen. Die Mutter war drogenabhängig, ebenso seine Schwester Grete, zu der er ein besonders enges Verhältnis hatte. Außerdem war es damals in literarischen Kreisen «nicht unüblich», Drogen einzunehmen, um gewisse Gefühlskomponenten zu verstärken. Für Trakl dürfte es aber mehr die Fluchtmöglichkeit vor der Realität gewesen sein, die ihn in die «Abhängigkeit» getrieben hat, und weniger der Drang, die innere Erlebniswelt zu erweitern oder das Rauscherlebnis in der Gruppe, um etwa «Stärke» zu zeigen. Anfangs zog er sich zur Drogeneinnahme immer allein zurück, nicht selten wurde er irgendwo auf einem Spaziergang mit Chloroformvergiftung gefunden. Später wurde ihm exzessiver Alkoholkonsum auch in der Gesellschaft – nicht selten mit Schnaps – zur Gewohnheit, er war dabei aber lange Zeit relativ unauffällig in seinem Auftreten und Verhalten. So konnte er seine innere Spannung mildern, seine Selbstsicherheit steigern und die großen Berührungsängste abbauen.

Ein rastloser junger Geist

Der junge Georg TraklMit 15 Jahren hat Georg Trakl erste Verse geschrieben. In der Schule soll er oft vom Katheder aus Gedichte vorgetragen haben oder desgleichen einmal in der Stadt gegenüber dem Café «Tomaselli» gemacht haben.

Immer häufiger schloss er sich in dieser Zeit dann literarischen Zirkeln an. Er beteiligte sich an der Gründung eines Dichterzirkels, der sich erst «Apollo», später «Minerva» nannte. Das Vorlesen eigener Werke war nur eine der Aktivitäten dieses Zirkels von Jugendlichen. Sie demonstrierten ihre Verachtung für die bürgerliche Lebensweise, besuchten Bordelle und probierten Drogen.

In diesen Kreisen suchte er auch seine engsten Freunde. Er war dort als eifrig, verlässlich, aber zugleich auch «sonderlich» bekannt. Besonders empfindlich soll er auf Kritik reagiert haben, wurde dann oft trotzig, zog sich zurück und zeigte bisweilen sogar absolutes Desinteresse an seinen eigenen Arbeiten.

Wie bereits erwähnt, bevorzugte er vor allem Autoren, die die «Ideale des bürgerlichen Erwerbslebens radikal» anzweifelten und verurteilten, Ideale, mit denen er in der Familie aufgewachsen war. Er versuchte diesen Protest dann auch äußerlich zu zeigen, z. B. durch «pomadisiertes Haar, lange Koteletten», «modische Anzüge», besuchte «demonstrativ Bordelle». Hauptventil, um seinem Unmut über die «spießbürgerliche Erwachsenenwelt» Platz zu schaffen, war aber seine dichterische Tätigkeit. Trakl arbeitete an seinen Gedichten und dramatischen Szenen. Zwei dieser Szenen, Totentag und Fata Morgana, kamen 1906 im Salzburger Stadttheater zur Aufführung. (Beide Stücke gelten als verschollen). 1908 veröffentlichte die «Salzburger Volkszeitung» eines seiner Gedichte.

GretlDie Familie sah ihn immer mehr als Sonderling und «Spinner». Seine verschiedentlich geäußerten Selbstmordabsichten führten erst recht in der Familie zur Verunsicherung und Ratlosigkeit. So drängte insbesondere der Vater – geprägt durch die profitstrebende Geschäftswelt – auf die Ausbildung zum Apotheker – das war der einzige akademische Beruf, der ohne Abitur möglich war. Allerdings: Angesichts von Selbstversuchen mit Drogen und Chloroform sowie geäußerten Selbstmordversuchen während der letzten Schuljahren war das Ganze eine bedenkliche Entscheidung.

1905 begann Georg dann in der Apotheke «Zum weißen Engel» seine Ausbildung und sah als angenehme Begleiterscheinung die Möglichkeit, hier leicht an Drogen zu kommen. Seinen Dienst verrichtete er laut Aussage des Dienstgebers zuverlässig und ordentlich, wenn er ihn auch als «Traumulus» bezeichnet. Georg Trakl schloss die Apothekerausbildung ab, verbrachte aber die längste Zeit seiner beruflichen Tätigkeit beim Militär, der Offiziersrang hatte ebenfalls in der Familie Statuspflicht. Außerdem gab die strenge, disziplinierte Ordnung beim Militär Georg Trakl in seiner unsicheren existenziellen Situation (finanzielle Schwierigkeiten) starken Halt von außen.

Aufenthalt in Wien

1908 übersiedelte Georg Trakl im Rahmen seiner «Berufsausbildung» nach Wien und begann einen wichtigen neuen Lebensabschnitt mit dem Studium an der dortigen Universität. Er fühlte sich anfangs hoffnungslos überfordert von der «Reizflut» dieser Großstadt. In Briefen an seine Schwestern in Salzburg drückt er dieses Unbehagen aus und auch sein Heimweh nach Salzburg, «das er über alles liebt». In dieser Gemütsverfassung erschienen ihm die Wiener als ein Volk, das «eine Unsumme dummer, alberner und auch gemeiner Eigenschaften hinter einer unangenehmen Bonhomie verbirgt». Allerdings änderte sich dieses Wienbild in Abhängigkeit von seiner Stimmung. Nach drei Jahren bezeichnete er Wien z. B. nach einem Aufenthalt in Salzburg als Stadt, «wo ich mir wieder selbst gehören darf, was mir hier» – in Salzburg – «nicht verstattet ist».

In Wien suchte und fand der begabte junge Mann mit dem unruhigen Geist Anschluss an eine Gruppe Gleichgesinnter: Der «Akademische Verband für Literatur und Musik», mit seinen avantgardistischen Aktivitäten, lud ihn zur Mitarbeit ein.

In Wien fand Trakl allmählich zu seinem eigenen poetischen Stil und bot mit Unterstützung seines Schulfreundes Erhard Buschbeck seine Manuskripte Verlagen und Zeitschriften an. Trotz der Bemühungen Buschbecks fand sich kein Verlag für das Werk. Einige Gedichte aus jener Zeit wurden allerdings von Zeitschriften wie «Merker» und «Ton und Wort» veröffentlicht.

Gleichzeitig wurden die Jugendwerke gesichtet und zu einer «Sammlung 1909» zusammengefasst, die er jedoch nicht zur Veröffentlichung vorsah. Der Kunstwert dieser wenig eigenständigen Produkte ist gering. Alles, was vorher war, wird, von den Gipfeln der Spätdichtung her angeblickt, zum bloßen Vorspiel, zu einem Präludium der Melancholie.

Während seiner Zeit in Wien begegnete Georg Trakl u. a. auch Oskar Kokoschka, Arnold Schönberg und Adolf Loos, mit denen er sich sehr stark solidarisierte. Adolf Loos widmete er sein Gedicht Sebastian im Traum. Unter diesem Titel wurde nach seinem Tod ein zweiter Gedichtband veröffentlicht.

Salzburg, Innsbruck und wieder Wien

Nach der Sponsion3 zum Magister der Pharmazie trat Trakl im Oktober 1910 den militärischen Präsenzdienst als Einjährig-Freiwilliger an und wurde 1911 zum «Landwehrmedikamenten-Akzessisten4» der Reserve ernannt. Die darauf folgenden Jahre waren geprägt von finanziellen Schwierigkeiten und der vergeblichen Suche nach einer bürgerlichen Existenz. Vorübergehend ging er in die Apotheke «Zum weißen Engel» zurück und absolvierte anschließend sechs Monate Probedienst in der Apotheke eines Garnisonsspitals in Innsbruck, brach aber nach einem Monat ab und wurde in die Reserve zurückversetzt. Gesundheitlich und materiell verschlechterte sich seine Situation zusehends5; er litt häufig unter Depressionen, trank und konsumierte Drogen.

In dieser Innsbrucker Zeit war es für Trakl von entscheidender Bedeutung, dass er von der Familie Ludwig von Fickers in ihrem Haus in Mühlau aufgenommen wurde und dort auch finanzielle Unterstützung erhielt. Ludwig von Ficker war Herausgeber der Innsbrucker Kulturzeitschrift «Der Brenner». Diese Halbmonatsschrift stellte ein bedeutendes Forum für neuere Literatur dar. Von Ficker begeisterten die Arbeiten Trakls. Er veröffentlichte fortan regelmäßig seine Gedichte und freundete sich mit ihm an. Arbeiten wie Musik im Mirabell, Kleines Konzert, Vorstadt im Föhn entstanden um diese Zeit. Ludwig von Ficker wurde zum engsten Freund und wichtigsten Förderer des dichterischen Erbes Georg Trakls.

In dieser Zeit kam eine Verbindung mit Karl Kraus zustande, in dessen Zeitschrift «Die Fackel» Trakl ebenfalls publizierte. 1913 erschien im Leipziger Kurt Wolff-Verlag, einem führenden Organ des Expressionismus, seine Sammlung Gedichte, der 1915 die zweite, Sebastian im Traum, folgte.

Über seine Einstellung zu Innsbruck schrieb Trakl seinem Freund Erhard Buschbeck: «Ich hätte mir nie gedacht, dass ich diese für sich schon schwere Zeit in der brutalsten und gemeinsten Stadt würde verleben müssen, die auf dieser beladenen und verfluchten Welt existiert. Ich glaube nicht, dass ich hier jemanden treffen könnte, der mir gefiele, und die Stadt und Umgebung wird mich, ich bin dessen sicher, immer abstoßen.» Diese Einstellung änderte sich aber ebenfalls im Verlauf seines dichterischen Schaffens in Innsbruck. Bevor er nämlich am 24. August 1914 mit einem Militärtransport in Richtung Lemberg an die Front fuhr, schenkte er seinem Freund Ficker einen Sonderdruck seiner Gedichte Das Gewitter, Der Abend, Die Nacht mit folgender Widmung: «Dem Lande Tirol, das mir mehr als Heimat war.»

Auch sein letzter Brief, den er kurz vor seinem Tod an Ficker schrieb, enthält diesen positiven Eindruck von Tirol: «Nochmals die herzlichsten Grüße an Tirol, Sie und alle Teuren ...»

Vor dem Krieg

Im August 1913 reiste Georg Trakl zur Erholung mit der Familie von Ficker für ein paar Tage nach Venedig. Zurück in Innsbruck, arbeitete er an einem Selbstportrait, das ihn als Maske im Mönchsgewand darstellt, und bereitete die einzige öffentliche Lesung seiner Werke, die er gemeinsam mit Robert Michel abhielt, vor. Während die oberflächlichen Umstände sich ein wenig besser für Trakl entwickelten, wuchs seine innere Unruhe, seine Selbstzweifel, sein Selbsthass.

In einem Brief von Juni 1913 beschrieb er sich selbst als lieblosen, harten und feigen Menschen und sehnte den Tag herbei, «an dem die Seele in diesem unseligen, von Schwermut6 verpesteten Körper nicht mehr wird wohnen wollen und können, an dem sie diese Spottgestalt aus Kot und Fäulnis verlassen wird, die ein nur allzu getreues Spiegelbild eines gottlosen und verfluchten Jahrhunderts ist».

Mitte März 1914 fuhr Trakl nach Berlin, um seine Schwester Gretl nach einer Fehlgeburt – ihr ging es körperlich und psychisch sehr schlecht – zu unterstützen. Wie aus einem Brief an seinen Freund Ludwig von Ficker hervorgeht, stürzte ihn dieser Aufenthalt in eine besonders große Verzweiflung, die er als «sprachlosen Schmerz» bezeichnete und in die früheste Fassung des Gedichtes Abendland einfließen ließ. Diese Fassung kürzte und veränderte er aber, weil offenbar zu starke biografische Züge den Inhalt bestimmten, und so widmete er dieses Gedicht einer Bekannten – Else Lasker-Schüler –, die er in dieser Zeit in Berlin kennen gelernt hatte. Die neue Fassung war schließlich geprägt von «apokalyptischen Visionen», in denen er sein Großstadtbild zeichnete. Else Lasker-Schüler schrieb nach Trakls Tod einige Gedichte über ihre Begegnung mit ihm, u. a. folgende Zeilen: «Georg Trakl erlag im Krieg von eigener Hand gefällt./ So einsam war es in der Welt./ Ich hatt ihn lieb.»

Trakls Gesundheit war zu diesem Zeitpunkt durch Alkohol und Drogenkonsum sehr angegriffen. Briefe an seine Freunde drückten Verzweiflung, dunkle Vorahnungen und Ausweglosigkeit aus. Daran änderte auch die großzügige Spende von 20 000 Kronen des Wiener Kunstmäzens Ludwig Wittgenstein wenig, die Trakl schlagartig der materiellen Sorgen enthob.

Spannungen und Rastlosigkeit einer Generation verschafften sich weiterhin Ausdruck in seinen Gedichten, die durchdrungen sind von Sinnlichkeit und Geist und die sich immer mehr dem Leid, der Dunkelheit, der Zerstörung zuwandten.

Der Weltkrieg und das Ende

Der Dichter Georg TraklDie letzte «Reise» Georg Trakls führte dann am 24. August 1914 von Innsbruck aus an die Front nach Galizien. Die Sanitätseinheit, der er angehörte, wurde erstmals eingesetzt in der Schlacht bei Grodek (8.–14. September 1914). Nach dieser Schlacht musste Trakl 90 Schwerverwundete in einer Scheune medizinisch versorgen, ohne ärztliche Hilfe und Medikamente. Er betreute zwei Tage, fast ohne Unterbrechung, diese hilflosen, schreienden, blutenden, sterbenden Soldaten. Er wurde in dieser verhängnisvollen Situation mehrfach Zeuge von Selbstmorden und versuchte schließlich, weil er mit diesen Schrecken nicht fertig wurde, sich selbst das Leben zu nehmen.

Seine Kameraden hinderten ihn daran, daraufhin wurde er am 8. Oktober 1914 in das Garnisonsspital nach Krakau eingewiesen. Dort erhielt er am Ende Oktober Besuch von seinem Freund Ludwig von Ficker, den er neben anderen in seiner Verzweiflung dringend um Hilfe gebeten hatte. Später schrieb er an den Freund: «Wie denken Sie? Ich fürchte nämlich, wegen jenes Vorfalls» – seines Selbstmordversuchs – «vor ein Kriegsgericht gestellt und hingerichtet zu werden. Verzagtheit, wissen Sie, Äußerung der Mutlosigkeit vor dem Feind – ich muss darauf gefasst sein. Ich bin seit fünf Tagen hier im Garnisonsspital zur Beobachtung meines Geisteszustandes. Meine Gesundheit ist wohl etwas angegriffen und ich verfalle recht oft in eine unsägliche Traurigkeit. Hoffentlich sind diese Tage der Niedergeschlagenheit bald vorüber.»

Trakl verstarb am 3. November 1914 in Krakau an einer Überdosis Kokain – in freiwilliger Absicht, wie sein Verhalten und seine dokumentierten Aussagen kurz vor seinem Tod vermuten lassen.

Er wurde nach seinem Tod zunächst auf dem Rakoviczer Friedhof in Krakau in aller Stille – ohne Anwesenheit der Familie – beigesetzt. Eine Überführung des Leichnams nach Salzburg war offenbar – bedingt durch die großen finanziellen Schwierigkeiten der Familie – zu dieser Zeit nicht möglich und wurde deshalb wahrscheinlich auch nicht veranlasst.

1925 ließ dann Ludwig von Ficker die sterblichen Überreste seines Freundes auf den Friedhof in Mühlau bei Innsbruck überführen, wo Georg Trakl gemeinsam mit ihm, seinem treuesten Freund, bis heute ruht.


1Elo|ge, die; -, -n [frz. éloge < lat. elogium = Grabinschrift < griech. elegeion] (bildungsspr.): überschwängliches Lob; Lobrede.

2vif [frz. vif < lat. vivus = lebendig] (schweiz., sonst veraltend): aufgeweckt, wendig, rührig: eine -e Geschäftsführerin; seine Freundin ist sehr v.

3Spon|si|on, die; -, -en (österr.): [akademische Feier zur] Verleihung des Magistertitels.

4Ak|zes|sist [lat.-nlat.] der; -en, -en: (veraltet) Anwärter [für den Gerichts- u. Verwaltungsdienst].

5zu|se|hends : in so kurzer Zeit, dass die sich vollziehende Veränderung [fast] mit den Augen wahrgenommen werden kann: z. abnehmen, größer werden; sich z. erholen; ihre Stimmung hob sich z.

6Schwer|mut, die; -: durch Traurigkeit, Mutlosigkeit u. innere Leere gekennzeichneter lähmender Gemütszustand: sie verfiel, versank in S.


Georg Trakl
Zeittafel

1887 3. Februar: Georg Trakl wird als Sohn des Eisenhändlers Tobias Trakl und dessen Frau Maria Catharina (geb. Halik) im österreichischen Salzburg geboren.

1892 Geburt seiner Schwester Margarethe. Die Geschwister verbindet eine tiefe Liebe, die bis zu Trakls Tod andauert. Die Beziehung ist prägend für sein schriftstellerisches Werk.

ab 1900 Trakl beginnt mit dem Schreiben von Gedichten.

1902 Erste Drogenerfahrungen. Seinen Lehrern fällt er als menschenscheuer Schüler auf.

1905 Trakl wird nicht versetzt und verlässt die Schule mit der Mittleren Reife.

1905–1908 Er absolviert eine Apothekerlehre. Nebenher widmet er sich weiter dem Schreiben.

1906 Im Salzburger Stadttheater werden Trakls Theaterstücke Totentag. Dramatisches Stimmungsbild in einem Akt und Fata Morgana. Tragische Szene aufgeführt. Weil diese Stücke sich als erfolglos erweisen, vernichtet er die Manuskripte später selbst.

1908–1910 Studium der Pharmazie in Wien.
Neben dem Studium interessiert er sich für Literatur und Musik ebenso wie für Architektur und Malerei.

1910–1914 Trakls bedeutendste Dichtungen entstehen. Er gilt heute als einer der außergewöhnlichsten österreichischen Lyriker und zählt neben Georg Heym, Ernst Stadler und Franz Werfel zu den wichtigsten deutschsprachigen Frühexpressionisten.
In seinen Gedichten verknüpft Trakl Gedanken und Bilder von Verfall, Einsamkeit und Tod mit formaler und klanglicher Schönheit. Insbesondere seine späten Gedichte (1912–1914) sind von einer apokalyptischen Grundstimmung geprägt und vermitteln das Gefühl einer nahenden Katastrophe.

1912 Er ist probeweise als Militärapotheker in Innsbruck tätig. Die Stelle ist eine von vielen, die er seit 1910 angetreten hat. Aber auch dieser Versuch, durch einen bürgerlichen Beruf Halt im Leben zu finden, scheitert. Trakl verfällt in der Folgezeit auch aufgrund seiner anhaltenden Drogenexzesse immer wieder in Depressionen, ist ständig in Geldnöten und auf die Hilfe von Freunden angewiesen.

ab 1912 In der von seinem Freund und Gönner Ludwig von Ficker herausgegebenen kulturpolitischen Innsbrucker Monatsschrift «Der Brenner» erscheint das Gedicht Vorstadt im Föhn. Nachdem er bereits zuvor vereinzelt Gedichte in Zeitschriften veröffentlicht hat, erscheinen alle zukünftigen lyrischen Werke zuerst im «Brenner». Er knüpft auch Kontakte zu Karl Kraus, der in der Zeitschrift «Die Fackel» ebenfalls Gedichte von ihm herausgibt. Außerdem Bekanntschaft mit Else Lasker-Schüler und Oskar Kokoschka.

1913 Der Verleger Kurt Wolff gibt einen Gedichtband von Trakl in der Reihe «Der jüngste Tag» heraus.

1914 August: Trakl meldet sich als Freiwilliger zum Ersten Weltkrieg und wird noch im selben Monat als Medikamentenakzessist (Sanitätsoffizier) an der Ostfront im galizischen Grodek (heute: Ukraine) eingesetzt. Er erträgt jedoch die Gräuel des Kriegs nicht, erleidet einen Nervenzusammenbruch und wird in das Lazarett Krakau eingeliefert, wo er auf seinen Geisteszustand hin untersucht wird. Während seines Lazarettaufenthalts schreibt er die Gedichte Grodek, Im Osten und Klage, die das Unheil des Kriegs widerspiegeln.
3. oder 4. November: Georg Trakl befürchtet eine Anklage vor dem Kriegsgericht aufgrund seines Zusammenbruchs. Aus dieser Verzweiflung heraus tötet er sich durch eine Überdosis Kokain selbst.

1915 Im Nachlass wird die Gedichtsammlung Sebastian im Traum veröffentlicht.

Der Text ist entnommen aus:
http://land.salzburg.at/schule/europaservice/polen/010-trakl.htm