Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №4/2007

Literatur

Rainer Kerndl: Eine undurchsichtige Affäre

(Fortsetzung aus Nr. 05, 06/2007)

Er hatte mir beredtsam sein Bedauern ausgedrückt und meinen Ärger mit einem geplatzten Geschäft verglichen, in das man eine erhebliche Summe investiert habe. Ich hatte einen verständnisvollen Menschen gefunden. Freilich auch einen, der die Tücken des Geschäftslebens kannte und nicht willens war – «Wie sollte man sonst überleben, ist es nicht so?» –, eine erlittene Fehlinvestition als unwiderruflich hinzunehmen.

Der Teppich unter meinen nackten Füßen lag wieder brav und still, wie es sich für einen Bettvorleger gehört. Inzwischen stand die Sonne direkt vor meinem Balkon und brannte auf dem nackten Rücken. Die fünf Minuten, die ich mir gegeben hatte, waren längst vorbei. Ich tappte hinüber zum Bad. Gewohnheitsgemäß – wie schnell man sich aufs Unzulängliche einstellt, das einem daheim sofort zum Ärger Anlaß gegeben hätte – hielt ich die Hand unter die Brause, ehe ich den Hahn voll aufdrehte. Ich bin ohne kalte Dusche bis um die Mittagszeit ein ungenießbarer Bursche, hasse aber siedend heißes Wasser auf der Haut, wenn sie das Gegenteil erwartet, und in diesem Hotel, das hatten mich die paar Tage gelehrt, mußte man mit allem rechnen.

Das Wasser war kalt und kam, vermutlich der späten Vormittagsstunde wegen, nicht so zaghaft plätschernd wie sonst. Beim Rasieren fiel mir wieder das runde glatte Gesicht Ahmed Toubis ein, der gewiß auf seine Rasur größte Sorgfalt verwendete. Ich grinste mich in dem wasserverschmierten Spiegel an: Meine Zähne waren seit Jahren nicht die besten mehr, was will man erwarten von einem, der auf die fünfzig marschiert, trotzdem fand ich mein hageres Spiegelkonterfei auch ohne goldenen Glanz im Gebiß um einiges erträglicher als die Gesichtslandschaft Ahmed Toubis, in der sich ungeachtet flinker Beweglichkeit nicht die Spur abzeichnete von dem, was hinter seiner Stirn vorging. Und auf ein geruchsneutralisierendes Mundwasser, bester Mr. Whisky-Partner von heute nacht, bin ich so wenig angewiesen, wie Sie vermutlich nie eins benutzt haben.

Die Fröhlichkeit war krampfig und schwand schnell dahin. That’s the day after the night before, sagen die Leute im Herkunftsland des schottischen Whiskys, wenn sie sich fühlen, wie mir’s zumute war. Ich befand mich an dem Punkt, an dem ich stets anzukommen pflegte nach solchen Nächten: bei der «bohrenden Frage, ob ich mich zu meinen Ungunsten benommen hatte, bevor der Film völlig gerissen war. Irgendwo hatte ich gelesen, daß solche Selbstquälereien von einem labilen Charakter zeugen, und auch, daß mir das jetzt einfiel, gehörte zum Programm. Ich war überhaupt nicht mit mir einverstanden.

Mißmutig tappte ich zurück ins Zimmer, stand nackt zwischen meinen wirr über den Boden verstreuten Sachen und starrte vor mich hin. Sei nicht ungerecht, Jochen Altenstedt, gestern abend warst du froh, einen gefunden zu haben, mit dem du deine miese Stimmung vergessen konntest. Da hast du Ahmed Toubi ganz passabel gefunden. Mach jetzt nicht ihn verantwortlich, wenn dein Ölkopf ein lädiertes Gewissen beherbergt.

Wenn er wenigstens nicht so penetrant aus dem Maul gestunken hätte! Und dieser protzige Wohlstandsflimmer im Zahngehege! Tatsächlich, Ringe hatte der Kerl auch noch an den Pfoten gehabt, zwei oder sogar drei. Ein aufdringlicher, widerlicher, ekelhafter Bursche, machen wir uns nichts vor.

Ich bückte mich und angelte meine Hose heran, zog sie ungelenk hoch. Ein unsympathischer Zeitgenosse, alles was recht ist und bei Licht betrachtet.

Aber ich werde seinen Vorschlag akzeptieren.

Ich ging zum Balkon, stieß die Holzläden völlig auf und trat hinaus. Der Lärm der Straße samt der Hitze, die sich schon zwischen den Häusern staute, schlugen wie eine Woge über mir zusammen. Ich mußte mich einen Augenblick gegen die Mauer lehnen. Auf dem Flachdach gegenüber klopfte eine alte Frau Decken aus, räumte Schlafmatratzen zusammen. Am Geländer des Minaretts bastelte einer an dem herabhängenden Lautsprecher; gegen die gleißende Sonne war er nur als dunkle Kontur wahrzunehmen. Auf der engen Kreuzung vor dem Hoteleingang quirlte das übliche Chaos von kreuz und quer stehenden, fahrenden, kurvenden Autos, deren Chauffeure es mit viel Hupen und Handzeichen immer wieder fertigbrachten, sich dem Wirrwarr einzufügen oder zu entwinden. Ein Erfurter Verkehrspolizist hätte nach einer Stunde Aufsicht über das total regelwidrige Treiben vermutlich den Beruf gewechselt. Ein paar Soldaten unterbrachen ihr rhythmisches Singen und Händeklatschen und beugten sich über die Ladewand des Militär-LKWs, um mit Gebärden und Zurufen das irrsinnige Durcheinander der lackglänzenden Blechkarossen zu kommentieren, erhielten nicht minder heiteren Bescheid vom Fahrer eines riesigen Buick, der in anderen Breiten längst nach der Polizei geschrien und den Militärkraftfahrer einen Idioten geschimpft hätte. Man arrangierte sich, ließ sich nicht auf die hundert Anlässe für Ärger und Hektik ein, die anderswo den Leuten mit abendländischer Gewißheit Kreislauf, Galle und Magenschleimhäute verwüsten. Hier kam man aus miteinander, möglichst jeder sollte seinen Nutzen und keinen Schaden haben.

So hatte auch Ahmed Toubi heute nacht sein Angebot definiert. «Sie tun mir einen Dienst und sich selbst, Mr. Ältenschtitt – ist der Name so richtig? Es ist nicht angenehm, seinen Namen falsch ausgesprochen zu hören.»

Ich ging zurück ins Zimmer und suchte mein Hemd. Es lag jenseits des zweiten, unbenutzten Bettes. Während ich es langsam überzog, versuchte ich, die Sache nüchtern zu betrachten, Toubi war Importeur für Lebensmittel. «Lebensmittel im weitesten Sinne, Mr. Ältenschtitt, Sie verstehen», hatte er strahlend hinzugesetzt und demonstrativ das Whiskyglas erhoben. Da die Einfuhr hochgradiger Luxusgüter aus Devisengründen limitiert sei – «Die Herren bei der Behörde haben ihre Anweisungen, man darf es ihnen nicht zu schwer machen, ist es nicht so?» –, Toubi aber gerade einen größeren Warenposten von seinem libanesischen Partner übernehmen könnte, wäre ihm an einem Teilhaber auf Zeit sehr gelegen, auf wenige Tage, genau genommen, gerade eben für die Zeit, um hier in Damaskus und drüben in Beirut ein paar Papierchen zu unterschreiben, Frachtbriefe und Zolldeklarationen, das wäre alles.

[...]


er|heb|lich : beträchtlich; ins Gewicht fallend: ein -er Schaden, Unterschied, Nachteil; e. weniger verdienen; sie wurde e. verletzt.

Tü|cke, die; -, -n [mhd. tücke, tucke, eigtl.ÿ= Handlungsweise, Tun, entweder Pl. od. feminine Bildung von mhd. tucÿ= Schlag, Stoß; (arglistige) Handlung(sweise)]: 1. hinterhältig-heimtückische Boshaftigkeit: jmds. T. fürchten; sie ist, steckt voller T.; Ü er fürchtete die T. des Schicksals; *die T. des Objekts (ärgerliche Schwierigkeit, die sich unvermutet beim Gebrauch von etw. zeigt; erstmals im Roman «Auch einer» von F.ÿTh. Vischer [1807þ1887]). 2. heimtückische Handlung: es gibt keine T., zu der sie nicht fähig wäre; Ü er war allen -n des Meeres ausgesetzt. 3. nicht ohne Weiteres erkennbare, verborgene Eigenschaft (einer Sache), die einen in ärgerliche, gefährliche Situationen bringen kann: der Motor hat [seine] -n.

un|wi|der|ruf|lich : nicht zu widerrufen, endgültig feststehend: meine Entscheidung ist u.

tap|pen [zu frühnhd. tappe, mhd. tapeÿÿ= Tatze, Pfote, H. u.]: a) sich mit leisen, dumpf klingenden Tritten [unsicher u. tastend] vorwärts bewegen : barfuß durchs Zimmer t.; im Dunkeln in eine Pfütze t.; Ü in eine Falle t.; b) (von Füßen, Schritten) ein dumpfes Geräusch verursachen : er ging mit tappenden Schritten; c) (veraltend) unsicher tastend nach etw. greifen : nach dem Schalter t.

un|zu|läng|lich (geh.): nicht zulänglich: -e Kenntnisse; unsere Versorgung war u.; man hat unsere Bemühungen nur u. unterstützt. zu|läng|lich (geh.): genügend, ausreichend, hinreichend: er hat keine -en Kenntnisse, Erfahrungen; etw. z. unterstützen.

zag|haft [mhd. zag(e)haft]: in ängstlicher, unsicherer Weise zögernd; nur zögernd vorgehend, handelnd: -e Annäherungsversuche; z. lächeln, an die Tür klopfen; nur z. reagieren; Ü die -e Belebung der Konjunktur.

Kon|ter|fei [auch: —´-], das; -s, -s, auch: -e [zu frz. contrefaitÿ= nachgebildet, zu: contrefaire = nachmachen, nachbilden < spätlat. contrafacere] (veraltet, noch altertümelnd od. scherzh.): Abbild, Bild[nis] (bes. eines Gesichts): an den Wänden hingen die -s seiner Ahnen.

vgl.: Film|riss, der: 1. plötzliches Reißen eines Films. 2. (ugs.) plötzlich auftretender Verlust des Erinnerungsvermögens; Blackout: einen F. haben (sich plötzlich nicht mehr an etw. erinnern).

la|bil [spätlat. labilisÿ= leicht gleitend, zu lat. labiÿ= gleiten]: 1. nicht festgefügt, sondern zur Veränderung, zu Schwankungen neigend, unbeständig, leicht störbar: eine -e politische Situation; ein -es Gleichgewicht (Physik; Gleichgewicht, das bei Veränderung der Lage nicht erhalten bleibtÿ); das Wirtschaftssystem erwies sich als l. 2. a) (Med.) zu Störungen, Krankheiten neigend, schwankend, anfällig: eine -e Konstitution; sein Kreislauf ist sehr l.; b) (Psych.) leicht das seelische Gleichgewicht verlierend, Stimmungen unterworfen, nicht in sich gefestigt: ein [psychisch] -er Mensch; er ist ein -er Charakter.

lä|die|ren [lat. laedereÿ= verletzen]: a) in einer das Aussehen beeinträchtigenden Weise beschädigen: einige Möbelstücke waren beim Umzug lädiert worden; b) [äußerlich] verletzen: man hat ihn bei diesem Spiel ziemlich, stark lädiert; leicht lädiert aussehen; Ü ein lädiertes Selbstwertgefühl.

pe|ne|trant [frz. pénétrant, 1.ÿPart. von: pénétrer < lat. penetrare, penetrieren]: a) (bes. von Gerüchen) in unangenehmer Weise durchdringend, hartnäckig: p. riechendes Parfüm; b) (abwertend) in unangenehmer Weise aufdringlich: ein -er Mensch; p. moralisieren.

un|ge|lenk (geh.): steif u. unbeholfen, ungeschickt (bes. in den Bewegungen); ungewandt: ein -er Mensch; eine -e Schrift; sich u. bewegen, ausdrücken.

glei|ßen [a: mhd. glizen, ahd. gliz(z)an, urspr. wohl = blank, glatt sein, verw. mit gelb; b: spätmhd. glissen, vermischt aus mhd. gelichesen (Gleisner) u. glizen, gleißen (a)]: (dichter.) stark u. spiegelnd [metallisch] glänzen: die Sonne gleißt über der Küste; gleißendes Licht; gleißend hell.

Wirr|warr, der; -s [lautspielerische verdoppelnde Bildung zu wirren]: wirres Durcheinander: ein W. von Stimmen, Vorschriften; der W. (die chaotischen Zustände) im Ministerium; er empfing uns inmitten eines fürchterlichen -s (einer fürchterlichen Unordnung).

ge|le|gen [2: mhd. gelegen, ahd. gelegan, urspr.ÿ= angrenzend, benachbart, dann = verwandt u. passend, geeignet]: 1. liegen. 2. in einem günstigen Augenblick [geschehend, eintretend]; zu jmds. Absichten passend: zu -er Stunde; dein Besuch ist, kommt mir sehr g.

Aus: Rainer Kerndl: Eine undurchsichtige Affäre. Mitteldeutscher Verlag, Halle – Leipzig 1981. S. 5–15.