Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №9/2008

Sonderthema

Homo faber. Ein Bericht (1957)

«Ich glaube nicht an Fügung und Schicksal, als Techniker bin ich gewohnt, mit den Formeln der Wahrscheinlichkeit zu rechnen», mit diesen Worten präsentiert sich Max Frischs Protagonist Walter Faber als typischer Vertreter der technisierten Welt und des damit verbundenen Glaubens an die völlige Berechenbarkeit des Lebens. Er setzt Wahrscheinlichkeit gegen Fügung, Zufall gegen Schicksal, Mathematik und Technik gegen Mystik und Natur und macht sich damit zum «Homo faber», zum «Menschen als Verfertiger», der die Welt mithilfe der Technik beherrscht.

Doch durch eine Reihe von tragischen Ereignissen, schicksalhaften Zufällen bekommt sein rein rational geprägtes, technokratisches Weltbild scharfe Risse. Sein Denken entpuppt sich als verantwortungslos und unmenschlich. Mit seiner Überheblichkeit, das ganze Leben kalkulieren zu können, zeigt sich Walter Faber als moderner Ödipus, der meint, aus eigener Kraft seinem Schicksal entgehen zu können. Beide, der antike Ödipus und der moderne Techniker Faber, laden Schuld auf sich.

Um Fabers Technikgläubigkeit als unhaltbares Denkgebäude zu entlarven, wählte Max Frisch die Form des Berichts, der eine sachliche und rationale Darstellung erwarten lässt. Der Ingenieur selbst erzählt seine Geschichte, indem er vergangene Ereignisse und Zusammenhänge rekonstruiert. Diese Aufzeichnungen erscheinen in erster Linie als «Selbstrechtfertigung», als verzweifeltes Anliegen, sich und Hanna von seiner Unschuld am Tod der Tochter zu überzeugen. Hier spricht der rationale Techniker Homo faber, der sich allerdings oftmals selbst entlarvt. Diese Rückblicke mischen sich mit aktuellen Tagebuchaufzeichnungen des todkranken Faber, der hier zugunsten eines mystischen Lebensgefühls immer mehr von seinem absoluten Vernunftdenken abkehrt.
Wie kein zweites deutschsprachiges Werk hat Max Frischs Roman die fortschreitende Technisierung der modernen Welt und die damit einhergehende Technikgläubigkeit entlarvt. Homo faber wurde seit seinem Erscheinen 1957 in über 40 Sprachen übersetzt. Aufgrund seiner noch immer aktuellen Thematik gehört das Buch auch heute noch in den Schulen zur vorgeschriebenen Lektüre. Es ist Max Frischs meistgelesenes Werk.

Kurzinhalt
Der für die UNESCO tätige 50-jährige Ingenieur Walter Faber muss als Insasse eines Flugzeugs in der mexikanischen Wüste notlanden. Dort schließt er Bekanntschaft mit dem Düsseldorfer Herbert Hencke, der sich als Bruder seines ehemaligen Freundes Joachim entpuppt. Er erfährt, dass Joachim seine ehemalige Geliebte Hanna geheiratet hat, die damals ein Kind von Faber erwartete. Sie hatte sich von ihm getrennt und war zu einer Abtreibung entschlossen gewesen.

Faber beschließt seine Reiseroute zu ändern, um Herbert auf der Suche nach seinem in Guatemala verschollenen Bruder zu helfen. Schließlich finden sie ihn erhängt in seiner Hütte im Urwald. Ziemlich überstürzt bucht Faber, zurückgekehrt nach New York, eine Schiffsreise nach Europa. An Deck trifft er auf die junge Sabeth, eine Harvard-Studentin. Das Mädchen weckt Jugenderinnerungen und der Ingenieur verliebt sich in sie. Gemeinsam reisen sie durch Frankreich, Italien und Griechenland, wo Sabeth ihre Mutter besuchen will.

Auf der Fahrt stellt sich heraus, dass die junge Frau Fabers Tochter ist. Sabeth selbst hält nach wie vor Joachim für ihren Vater und Faber ist gerne bereit, ihr zu glauben. Die inzestuöse Liebesgeschichte endet dramatisch, als Sabeth am Strand von einer Schlange gebissen wird, vor dem ihr zu Hilfe eilenden Faber zurückweicht und einen Hang hinabstürzt. Rasch wird gegen den Schlangenbiss ein Gegengift verabreicht, doch Sabeth stirbt dennoch am Tag darauf an den Folgen einer Schädelfraktur. Faber hatte es versäumt, die Ärzte auf den Sturz hinzuweisen.
Nach dem Tod der gemeinsamen Tochter beschließt Faber, seinen Beruf aufzugeben und zu Hanna nach Athen zu ziehen. Als er wegen ständiger gesundheitlicher Probleme schließlich eine Klinik aufsucht, bekommt er die Diagnose «Magenkrebs» und steht seinem eigenen Tod gegenüber.

Max Frisch: Homo faber
(Auszug)
[...] Hanna hatte Deutschland verlassen müssen und studierte damals Kunstgeschichte bei Professor Wölfflin, eine Sache, die mir ferne lag, aber sonst verstanden wir uns sofort, ohne an Heiraten zu denken. Auch Hanna dachte nicht an Heiraten. Wir waren beide viel zu jung, wie schon gesagt, ganz abgesehen von meinen Eltern, die Hanna sehr sympathisch fanden, aber um meine Karriere besorgt waren, wenn ich eine Halbjüdin heiraten würde, eine Sorge, die mich ärgerte und geradezu wütend machte. Ich war bereit, Hanna zu heiraten, ich fühlte mich verpflichtet gerade in Anbetracht der Zeit. Ihr Vater, Professor in München, kam damals in Schutzhaft, es war die Zeit der sogenannten Gräuelmärchen, und es kam für mich nicht in Frage, Hanna im Stich zu lassen. Ich war kein Feigling, ganz abgesehen davon, dass wir uns wirklich liebten. Ich erinnere mich genau an jene Zeit, Parteitag in Nürnberg, wir saßen vor dem Radio, Verkündung der deutschen Rassengesetze. Im Grunde war es Hanna, die damals nicht heiraten wollte; ich war bereit dazu. Als ich von Hanna hörte, dass sie die Schweiz binnen vierzehn Tagen zu verlassen habe, war ich in Thun als Offizier; ich fuhr sofort nach Zürich, um mit Hanna zur Fremdenpolizei zu gehen, wo meine Uniform nichts ändern konnte, immerhin gelangten wir zum Chef der Fremdenpolizei. Ich erinnere mich noch heute, wie er das Schreiben betrachtete, das Hanna vorwies, und sich das Dossier kommen ließ, Hanna saß, ich stand. Dann seine wohlmeinende Frage, ob das Fräulein meine Braut sei, und unsere Verlegenheit. Wir sollten verstehen: die Schweiz sei ein kleines Land, kein Platz für zahllose Flüchtlinge, Asylrecht, aber Hanna hätte doch Zeit genug gehabt, ihre Auswanderung zu betreiben. Dann endlich das Dossier, und es stellt sich heraus, dass gar nicht Hanna gemeint war, sondern eine Emigrantin gleichen Namens, die bereits nach Übersee ausgewandert war. Erleichterung allerseits! Im Vorzimmer nahm ich meine Offiziershandschuhe, meine Offiziersmütze, als Hanna nochmals an den Schalter gerufen wurde, Hanna kreidebleich. Sie musste noch zehn Rappen zahlen, Porto für den Brief, den man fälschlicherweise an ihre Adresse geschickt hatte. Ihre maßlose Empörung darüber! Ich fand es einen Witz. Leider musste ich am selben Abend wieder nach Thun zu meinen Rekruten; auf jener Fahrt kam ich zum Entschluss, Hanna zu heiraten, falls ihr je die Aufenthaltsbewilligung entzogen werden sollte. Kurz darauf (wenn ich mich richtig erinnere) starb ihr alter Vater in Schutzhaft. Ich war entschlossen, wie gesagt, aber es kam nicht dazu. Ich weiß eigentlich nicht warum. Hanna war immer sehr empfindlich und sprunghaft, ein unberechenbares Temperament; wie Joachim sagte: manisch-depressiv. Dabei hatte Joachim sie nur ein oder zwei Mal gesehen, denn Hanna wollte mit Deutschen nichts zu tun haben. Ich schwor ihr, dass Joachim, mein Freund, kein Nazi ist; aber vergeblich. Ich verstand ihr Misstrauen, aber sie machte es mir nicht leicht, abgesehen davon, dass unsere Interessen sich nicht immer deckten. Ich nannte sie eine Schwärmerin und Kunstfee. Dafür nannte sie mich: Homo Faber. Manchmal hatten wir einen regelrechten Krach, wenn wir beispielsweise aus dem Schauspielhaus kamen, wohin sie mich immer wieder nötigte; Hanna hatte einerseits einen Hang zum Kommunistischen, was ich nicht vertrug, und andererseits zum Mystischen, um nicht zu sagen: zum Hysterischen. Ich bin nun einmal der Typ, der mit beiden Füßen auf der Erde steht. Nichtsdestoweniger waren wir sehr glücklich zusammen, scheint mir, und eigentlich weiß ich wirklich nicht, warum es damals nicht zur Heirat kam. Es kam einfach nicht dazu. Ich war, im Gegensatz zu meinem Vater, kein Antisemit, glaube ich; ich war nur zu jung wie die meisten Männer unter dreißig, zu unfertig, um Vater zu sein. Ich arbeitete noch an meiner Dissertation, wie gesagt, und wohnte bei meinen Eltern, was Hanna durchaus nicht begriff. Wir trafen uns immer in ihrer Bude. In jener Zeit kam das Angebot von Escher-Wyss, eine Chance sondergleichen für einen jungen Ingenieur, und was mir dabei Sorge machte, war nicht das Klima von Bagdad, sondern Hanna in Zürich. Sie erwartete damals ein Kind. Ihre Offenbarung hörte ich ausgerechnet an dem Tag, als ich von meiner ersten Besprechung mit Escher-Wyss kam, meinerseits entschlossen, die Stelle in Bagdad anzutreten sobald als möglich. Ihre Behauptung, ich sei zu Tode erschrocken, bestreite ich noch heute; ich fragte bloß: Bist du sicher? Immerhin eine sachliche und vernünftige Frage. Ich fühlte mich übertölpelt nur durch die Bestimmtheit ihrer Meldung; ich fragte: Bist du bei einem Arzt gewesen? Ebenfalls eine sachliche und erlaubte Frage. Sie war nicht beim Arzt gewesen. Sie wisse es! Ich sagte: Warten wir noch vierzehn Tage. Sie lachte, weil vollkommen sicher, und ich musste annehmen, dass Hanna es schon lange gewusst, aber nicht gesagt hatte; nur insofern fühlte ich mich übertölpelt. Ich legte meine Hand auf ihre Hand, im Augenblick fiel mir nicht viel dazu ein, das ist wahr; ich trank Kaffee und rauchte. Ihre Enttäuschung! Ich tanzte nicht vor Vaterfreude, das ist wahr, dazu war die politische Situation zu ernst. Ich fragte: Hast du denn einen Arzt, wo du hingehen kannst? Natürlich meinte ich bloß: um sich einmal untersuchen zu lassen. Hanna nickte. Das sei keine Sache, sagte sie, das lasse sich schon machen! Ich fragte: Was meinst du? Später behauptete Hanna, ich sei erleichtert gewesen, dass sie das Kind nicht haben wollte, und geradezu entzückt, drum hätte ich meinen Arm um ihre Schultern gelegt, als sie weinte. Sie selber war es, die nicht mehr davon sprechen wollte, und dann berichtete ich von Escher-Wyss, von der Stelle in Bagdad, von den beruflichen Möglichkeiten eines Ingenieurs überhaupt. Das war keineswegs gegen ihr Kind gerichtet. Ich sagte sogar, wie viel ich in Bagdad verdienen würde. Und wörtlich: Wenn du dein Kind haben willst, dann müssen wir natürlich heiraten. Später ihr Vorwurf, dass ich von Müssen gesprochen habe! Ich fragte offen heraus: Willst du heiraten, ja oder nein? Sie schüttelte den Kopf, und ich wusste nicht, woran ich bin. Ich besprach mich viel mit Joachim, während wir unser Schach spielten; Joachim unterrichtete mich über das Medizinische, was bekanntlich kein Problem ist, dann über das Juristische, bekanntlich auch kein Problem, wenn man sich die erforderlichen Gutachten zu verschaffen weiß, und dann stopfte er seine Pfeife, Blick auf unser Schach, denn Joachim war grundsätzlich gegen Ratschläge. Seine Hilfe (er war Mediziner im Staatsexamen) hatte er zugesagt, falls wir, das Mädchen und ich, seine Hilfe verlangen. Ich war ihm sehr dankbar, etwas verlegen, aber froh, dass er keine große Geschichte draus machte; er sagte bloß: Du bist am Zug! Ich meldete Hanna, dass alles kein Problem ist. Es war Hanna, die plötzlich Schluss machen wollte; sie packte ihre Koffer, plötzlich ihre wahnsinnige Idee, nach München zurückzukehren. Ich stellte mich vor sie, um sie zur Vernunft zu bringen; ihr einziges Wort: Schluss! Ich hatte gesagt: Dein Kind, statt zu sagen: Unser Kind. Das war es, was mir Hanna nicht verzeihen konnte. [...]

[...] Es ist mir heute noch ein Rätsel, wieso Hanna und Joachim geheiratet und wieso sie mich, Vater des Kindes, nie haben wissen lassen, dass dieses Kind zur Welt gekommen ist.

Ich kann nur berichten, was ich weiß.

Es war die Zeit, als die jüdischen Pässe annulliert wurden. Ich hatte mir geschworen, Hanna keinesfalls im Stich zu lassen, und dabei blieb es. Joachim war bereit, Trauzeuge zu sein. Meinen bürgerlichen und besorgten Eltern war es auch recht, dass wir nicht eine Hochzeit mit Droschken und Klimbim wollten; nur Hanna machte sich immer noch Zweifel, ob es denn richtig wäre, dass wir heirateten, richtig für mich. Ich brachte unsere Papiere aufs zuständige Amt, unsere Eheverkündigung stand in der Zeitung. Auch im Fall einer Scheidung, so sagte ich mir, blieb Hanna jedenfalls Schweizerin und im Besitz eines Passes. Die Sache eilte, da ich meine Stelle in Bagdad anzutreten hatte. Es war ein Samstagvormittag, als wir endlich – nach einem komischen Frühstück bei meinen Eltern, die dann das Kirchengeläute doch vermissten! – endlich ins Stadthaus gingen, um die Trauung zu vollziehen. Es wimmelte von Hochzeiten wie üblich an Samstagen, daher die lange Warterei, wir saßen im Vorzimmer, alle im Straßenanzug, umgeben von weißen Bräuten und Bräutigams, die wie Kellner aussahen. Als Hanna gelegentlich hinausging, dachte ich nichts Schlimmes, man redete, man rauchte. Als endlich der Standesbeamte uns rief, war Hanna nicht da. Wir suchten sie und fanden sie draußen an der Limmat, nicht zu bewegen, sie weigerte sich in das Trauzimmer zu kommen. Sie könne nicht! Ich redete ihr zu, ringsum das Elfuhrgeläute, ich bat Hanna, die Sache ganz sachlich zu nehmen; aber vergeblich. Sie schüttelte den Kopf und weinte. Ich heirate ja bloß, um zu beweisen, dass ich kein Antisemit sei, sagte sie, und es war einfach nichts zu machen. Die Woche darauf, meine letzte in Zürich, war abscheulich. Es war Hanna, die nicht heiraten wollte, und ich hatte keine Wahl, ich musste nach Bagdad, gemäß Vertrag. Hanna begleitete mich noch an die Bahn, und wir nahmen Abschied. Hanna hatte versprochen, nach meiner Abreise sofort zu Joachim zu gehen, der seine ärztliche Hilfe angeboten hatte, und in diesem Sinn nahmen wir Abschied; es war ausgemacht, dass unser Kind nicht zur Welt kommen sollte.

Später hörte ich nie wieder von ihr.

Das war 1936.

Ich hatte Hanna damals gefragt, wie sie Joachim, meinen Freund, nun finde. Sie fand ihn ganz sympathisch. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass Hanna und Joachim einander heiraten. [...]

Aus: Max Frisch: Homo faber. Ein Bericht. Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt/M. 1991. S. 45–48, 56/57.

Der Text ist entnommen aus: http://www.xlibris.de/Autoren/Frisch/Werke/Homo%20faber http://www.xlibris.de/Autoren/Frisch/Kurzinhalt/Homo%20faber