Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №6/2008

Hauslektüre im Deutschunterricht

Didaktisierungsvorschlag zum Buch «Das Austauschkind» von Christine Nöstlinger

I. Schorichina ,
Moskau ;
N. Bunjajewa

Fortsetzung aus Nr. 06, 09–16, 18–22, 24/2007;01–05/2008

Lesetext
Kapitel 13

Dienstag, 25. August
Ich fragte die Mama, ob wir Jasper nicht ganz bei uns behalten könnten. Die Mama schüttelte den Kopf. «Wenn sie ihn nicht einmal dieser Mary gelassen haben», sagte sie, «geben sie ihn uns doch auch nicht!» «Aber sie mögen ihn doch nicht!», sagte ich. «Das sagt Jasper», sagte meine Mutter. «Die Mrs. Pickpeer sieht das anders! Unter Garantie! Auf ihre Art mag sie ihn sicher! Bille sagt ja auch, ich hab nicht die richtige Art, euch zu mögen!»
Ich sagte der Mama, dass sie sich über Billes Reden doch nicht grämen soll. «Die meint das nicht so!», sagte ich.
Die Mama seufzte. «Und außerdem», sagte sie, «ist da noch was...» Sie zögerte. «Es gibt nämlich noch ein Problem mit Jasper. Er...» Sie stockte. «Er...» Sie schwieg.
«Was ist denn mit ihm?», drängte ich. Wir saßen bei diesem Gespräch in der Küche und schälten große Erd­äpfel für Pommes frites. Gerade als die Mama herumzögerte und dann verstummte, kam Bille in die Küche. «Um was geht’s denn?», fragte sie. Die Mama drehte den Erdapfel, den sie geschält hatte, in der Hand herum und betrachtete ihn, als hätte sie noch nie einen Erdapfel gesehen. Dann schaute sie auf und sagte zu Bille: «Er liebt dich, Bille!» «Sowieso!», sagte Bille, nicht ohne Stolz.
«Nicht sowieso», sagte die Mama, «er will sich mit dir verloben!»
«Heiliger Strohsack!», murmelte Bille und sank auf den Mistkübel nieder und saß dort wie auf einem sehr großen Nachttopf. Noch nie hatte ich meine Schwester ratloser gesehen.
«Das war auch ein Grund, warum er nicht mehr leben wollte», sagte die Mama, «weil er annimmt, du verlobst dich nicht mit ihm.»
«Er ist doch noch ein Kind», sagte die Bille. «Er ist bloß ein Jahr jünger als du», sagte die Mama. «Was tun wir denn da?», fragte Bille. «Weiß ich nicht», sagte die Mama. «Er hat mir jedenfalls aufgetragen, dich zu fragen, ob du dich mit ihm verloben willst. Und das habe ich jetzt ausgerichtet!» Bille sprang vom Mistkübeltopf auf. «Ja, hast du ihm denn nicht gesagt, dass er zu jung für mich ist, und überhaupt...»
«Nein», sagte die Mama. «Es war ein großer Vertrauensbeweis von ihm, dass er mir das gesagt hat. Und überhaupt bin ich froh, dass er noch lebt!» «Wie kommt er denn bloß auf so eine Idee?», rief Bille und die Mama legte einen Finger an die Lippen und deutete zu Jaspers Zimmer hin.
«Warum soll er nicht auf so eine Idee kommen?», sagte sie dann. «Irgendjemanden, den er liebt und der ihn liebt, den braucht er halt zum Weiterleben. Wo es jetzt die Mary nicht mehr für ihn gibt, ist seine Wahl eben auf dich gefallen. Ist doch nahe liegend, dass er nicht den Ewald oder mich dafür aussucht!» Ich holte tief Luft und sagte zur Bille: «Dann verlob dich eben mit ihm!» Bille starrte mich entgeistert an.
«Am Samstag fliegt er eh schon weg», sagte ich. «Vier verlobte Tage wirst du doch aushalten!» Bille schüttelte den Kopf und sagte, erstens werde sie sich überhaupt nie verloben, und wenn sie sich doch verloben werde, dann nur mit einem Mann und keinem Kind, und der Mann müsse ihren Wünschen entsprechen, sehr groß sein und schwarze Haare haben und eine braune Haut und grüne Augen. Den Blödsinn wollte ich mir nicht weiter anhören, daher unterbrach ich Bille. Ich sagte: «Sehr fein! Unlängst hast du der Mama vorgehalten, sie kann nur Menschen lieben, die sich wohl verhalten! Aber du bist ja noch ärger. Du kannst nur die lieben, die schön aussehen! Sonst könntest du auch den Jasper lieben, einfach so, weil er der Jasper ist, der geliebt werden will!» «Er spinnt!», sagte Bille zur Mama. Die Mama sagte: «Jasper fährt ja wirklich am Samstag. Bis dahin ist es tatsächlich nicht lange...» «Ja, meinst du etwa auch...?» Bille setzte sich wieder auf den Mistkübel.
«Ich weiß nicht», sagte die Mama. «Aber schaden täte es niemandem. Und ihm würde es vielleicht helfen. Es wäre ja keine richtige Verlobung. Er ist ja wirklich noch ein Kind. Für ihn ist das – glaube ich – einfach so eine Art Versicherung. Verstehst du?» «Nein», sagte Bille.
«Er hat gesagt, dann ist er nämlich mit uns verwandt», sagte die Mama. Sie nahm wieder einen Erdapfel und schälte. «Aber wahrscheinlich ist es ein Blödsinn!», murmelte sie.
«Kein Blödsinn ist es», sagte ich. «Die Mama hat recht.» Ich meinte zu kapieren, wie sich Jasper das in seinem leicht verquerten Hirn vorstellte. Weil er mit Mary nicht verwandt war, hatte er nicht bei ihr bleiben können. Und durfte sie nicht mehr besuchen. Jetzt wollte er zu uns eine Art Verwandtschaft herstellen. Logo! So musste das sein!
«Soll ich vielleicht mit ihm Küsschen tauschen, damit er sich sicher genug fühlt», keifte Bille, «und seine Geliebte werden?»
«Bille!» Die Mama hätte sich vor Entsetzen fast in den Finger geschnitten. «Red nicht so! Ich bin sicher, der Jasper will gar keine Küsschen! Und mehr schon gar nicht! Mit Liebe, wie du das meinst, hätte das nichts zu tun!»
«Aber nächsten Sommer will er ja wiederkommen, was ist dann?», fragte Bille. Es klang etwas weniger keifend. «Ein Jahr ist lang», sagte die Mama. «Da kann sich viel ändern. Bei einem wie Jasper muss man froh sein für jedes Jahr, das er heil übersteht.» «Jetzt macht kein Theater», sagte ich, «wir braten einen Waschkorb voll Pommes frites und verkohlen eine Batterie Fische auf dem Grill und legen das weiße Tischtuch auf und eine rosa Rose zu jedem Teller, und ich kauf zwei Ringe, die steckt ihr euch an die kleinen Finger – und die Verlobung hat sich!» «Das muss ich mir überlegen», sagte Bille. «Tu das!», sagte die Mama. «Und wenn du nicht willst, Bille, macht es auch nichts! Glaub nicht, dass ich es von dir erwarte. Es kommt ganz auf dich an!» Ich verstand überhaupt nicht, warum die zwei wegen einer Fish-and-Chips-Orgie mit Ringwechsel so ein Getue machten.
Am Abend im Bett sagte mir Bille, sie habe sich entschieden. «Ich verlobe mich», sagte sie. «Aber wenn er dann nächsten Sommer wiederkommt und mich heiraten will, weil er schon fünfzehn vorbei ist, dann könnt ihr schauen, wie ihr mich aus dem Schlamassel rausholt! Und eines sag ich dir: Niemand darf davon etwas erfahren! Wenn du das in der Schule erzählst, dann bring ich dich um!»
Ich schwor auf Vater-Mutter-Kind-tot-blind, dass ich keiner Menschenseele und keiner Maus von der Verlobung etwas sagen werde.

Mittwoch, 26. August
Bille sagte der Mama, dass sie zur Verlobung bereit sei. Die Mama sagte es dem Papa. Der Papa sagte es Jasper. Ich weiß nicht, in welcher Sprache und mit welchen Worten er Jasper die Botschaft überbrachte. (Hinterher sagte der Papa jedenfalls, so blöd sei er sich sein Lebtag lang nicht vorgekommen.)
Jasper erschien nach Erhalt der positiven Meldung ruhig und gelassen zum Mittagessen; so als ob gar nichts Besonderes passiert wäre. Vielleicht, dass er noch ein wenig mehr futterte als sonst.
Am Nachmittag fuhren wir an die Alte Donau segeln. Aber kaum waren wir auf dem Wasser, begann es stark zu regnen. Wir ruderten zurück. Und kaum waren wir wieder am Ufer, hörte es zu regnen auf. Dreimal machten wir das so. Dann reichte es uns. Wir gaben das Boot zurück und fuhren in den Prater.
Der Papa und Jasper flipperten wie die Wilden. Bille und ich hatten keine Flipperlust. Wir warteten auf einer Bank vor der Spielhölle. Bille war fast ein bisschen beleidigt, weil sich Jasper kaum um sie scherte. In heißer Liebe entbrannte Knaben, sagte sie, habe sie sich eigentlich etwas anders vorgestellt.

Donnerstag, 27. August
Wir feierten Verlobung. Und so, wie sich das abspielte, verlobten wir uns eigentlich alle miteinander! Wir aßen unheimlich viel, nicht nur Pommes frites und Kohlefisch, auch Torte und Kuchen und Würstel. Und der Papa machte eine Flasche echten Champagner auf, von dem wir je ein Achtel bekamen.
Jasper, der Dödel, verwechselte eine Verlobung mit einer Blutsbrüderschaft. Er wollte sich mit seinem Bauchmesser in den Finger schneiden und forderte dasselbe von Bille, um dann seinen Finger an ihren zu halten. Als ich ihm jedoch die zwei Ringe übergab – für die ich den Rest meines Zeugnisgeldes auf die Budel eines Juweliers gelegt hatte –, war er auch zufrieden. Dann sangen wir viele Lieder. Englische und Wienerlieder, Operetten und Schlager und Kinderlieder, alles durcheinander gemischt. Als wir gerade einen Kanon einstudierten, klingelte das Telefon, und die Dame, die unter uns wohnt, fragte an, ob wir etwa wahnsinnig geworden seien. Da merkten wir erst, dass es schon weit über Mitternacht war, und gingen ins Bett.
Aber lange noch hörten Bille und ich durch die Wand durch den Jasper singen. «O du lieber Augustin», sang er.
Bille kicherte und sagte, ihr Verlobter habe einen Superbariton. Dann hörte sie zu kichern auf und sagte bekümmert, eigentlich sollten wir nicht lustig sein, weil der Jasper ein armer Kerl ist und die ganze Sache sehr traurig.
«Traurig sein hilft ihm auch nicht», murmelte ich und klopfte gegen die Wand. Ich wollte dem Jasper auf diese Weise mitteilen, er möge das Singen einstellen, damit nicht wieder die Dame von unterhalb anklingelt. Jasper missverstand mich, sang weiter und klopfte dabei retour. Im Takt.
Prompt klingelte das Telefon wieder. Aber diesmal war es der Herr aus dem fünften Stock. Der Papa sagte ihm, dass wir seit fast zwei Jahrzehnten untadelige Mieter seien und er es empörend finde, wenn man dann – bei einmaliger Lärmbelästigung – gleich angeschnauzt werde. Da entschuldigte sich der Herr aus dem fünften Stock.
Alles in allem war die Verlobung wirklich ein stimmungsvoller Abend.

Freitag, 28. August
Bille, Jasper und ich schliefen schrecklich lange. Die Mama weckte uns nicht. (Nachher sagte sie einmal, am liebsten wäre es ihr gewesen, Jasper hätte den ganzen letzten Tag bei uns verschlafen.)
Wir standen gegen Mittag auf. Jasper sortierte seine Steinsammlung und verpackte sie. Die Mama hatte Jaspers sämtliche Kleidungsstücke gewaschen und bügelte sie. Und verpackte sie in den froschgrünen Koffer und die Reisetasche. Dabei tat sie sich schwer, weil Jasper allerhand Leiberln und die Flossen und sonstigen Kram dazubekommen hatte.
Der Papa war den ganzen Tag weg. Mit einem Freund fischen. Weil so trübe Stimmungen, hatte er gesagt, die hält er nicht aus, die brechen ihm das Herz.

Samstag, 29. August
Wir fuhren mit Jasper zum Flugplatz. Wir waren, wie üblich, unheimlich nach vorne hin unpünktlich. Nicht einmal der Reiseleiter von Jaspers Charterflug war schon da. So gingen wir ins Flughafenrestaurant. Aber Jasper wollte weder etwas essen noch etwas trinken. Er schenkte uns seine vier Lieblingssteine. Die Mama bekam vor Rührung Tränen in den Augen. Der Papa steckte seinen Stein, einen blauen, flachen, in die Brieftasche, ins kleine Fach mit dem Druckknopf. Er sagte, jetzt werde die Brieftasche nie mehr leer sein, der Stein werde ihm Glück bringen.
Dann wurde der Charterflug nach London aufgerufen. Meine überpünktliche Mama sagte: «Sie rufen dreimal auf! Wir haben noch Zeit!» Da fielen mir vor Staunen fast die Ohrwaschel ab. Beim dritten Aufruf sagte der Papa: «Ja, dann, dann müssen wir wohl!» Und die Mama seufzte: «Ja, dann müssen wir!»
Jasper ließ mich den Stein-Koffer tragen. Ich war mir der Auszeichnung bewusst.
Wir gaben Jasper beim Reiseleiter der Londongruppe ab. Die Mama schnäuzte sich. Der Papa trat von einem Bein auf das andere. Bille stand dicht neben Jasper und hielt seine Hand. Dann musste sich Jasper beim Check-in-Schalter anstellen, um sein Gepäck abzugeben. Bille wanderte in der langen Schlange mit ihm. Aber ganz genau konnte ich die zwei nicht sehen, weil in der Halle ein unheimliches Gedränge war. Und dann schob sich das Kinderrudel rund um den London-Reiseleiter der Passkontrolle zu. Irgendwo unter ihnen war Jasper. «Jetzt hab ich ihm nicht einmal die Hand zum Abschied gegeben», sagte ich zur Mama.
«Ich auch nicht», schluchzte die Mama, «ich hab nicht kapiert, dass das plötzlich so schnell gehen wird!» Bille wurstelte sich durch die Leute zu uns durch. Sie rieb sich eine Wange. Sie sagte: «Er hat mir drei Küsse gegeben. Für jeden von euch einen. Soll ich die austeilen?»
Da wir in unserer Familie nicht auf Kussfuß miteinander stehen, verzichteten wir darauf.
Auf der Heimfahrt sagte die Mama: «Was für ein Sommer!» Es war nicht zu entnehmen, ob das positiv oder negativ gemeint war. Der Papa sagte: «Auf alle Fälle hat Ewald einen Freund bekommen!» Da seufzte die Mama und sagte: «Aber seine englische Aussprache, glaube ich, hat sich dadurch nicht gebessert!» Bille stieß mich an und verdrehte die Augen. Sie ist immer so unheimlich streng mit der Mama. Aber falls die Mama – und der Papa auch – so bleiben, wie sie sich in diesem Sommer gezeigt haben, bin ich zufrieden. Da nehm ich den Notentick von der Mama gern in Kauf! Ich lern ja sowieso relativ leicht!

Nach: Christine Nöstlinger: Das Austauschkind. Verlag Beltz, 2. Aufl. 2006.

Fortsetzung folgt