Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №6/2008

Sonderthema

Joseph Haydn: Der Lebensweg

Franz Joseph Haydn wurde am 31. März 1732 in Rohrau an der Leitha in Niederösterreich in der Familie eines Wagenbauers geboren. Haydns Eltern waren brave, tüchtige Menschen, die in ihren engen Verhältnissen arbeitsam und fromm lebten. Mit Geld zwar konnten sie ihren Sohn nicht ausstatten. Aber obwohl er nur fünf Jahre im Elternhause verlebte, nahm er dennoch von dort einen so reichen Schatz an Gewissenhaftigkeit und unerschöpflicher Arbeitslust ins Leben mit hinaus, dass diese Eigenschaften, die neben einer unverwüstlich heiteren Laune die Grundzüge seines Wesens bildeten, ihn über die schwersten Zeiten seines Lebens glücklich hinwegtrugen. Ihnen ist es zu danken, dass Lebensschicksale, unter denen in seiner Lage hundert andere zum verkommenen Genie herabgesunken sein würden, ihn vielmehr zum großen Meister stählten und entwickelten.

Er selbst sagte einmal in Bezug auf die schlimmste Periode seines jugendlichen Lebens: «Was ich bin, ist alles ein Werk der dringenden Not!» und noch im höchsten Alter pries er in kindlicher Erinnerung die stramme Zucht des Elternhauses als die Quelle seines Lebensglücks.

Auch nicht ganz ohne musikalische Eindrücke verließ er seine Geburtsstätte. «Mein seliger Vater», schreibt er in einer kurzen autobiografischen Skizze, «war von Natur aus großer Liebhaber der Musik. Er spielte, ohne eine Note zu kennen, die Harfe, und ich als ein Knabe von fünf Jahren sang ihm alle seine simplen, kurzen Stücke ordentlich nach.» Es waren Volkslieder, welche die Familie in den Feierstunden zu singen liebte und welche sich dem Gedächtnis der Kinder für alle Zeiten einprägten. Diese Kindheitserlebnisse gehören bestimmt zu den Wurzeln jenes volkstümlichen Grundtons, der Haydns ganzes künstlerisches Schaffen durchzieht. Bei einem solchen Gesang fiel einem Schuldirektor aus Hainburg die musikalische Sicherheit und hübsche Stimme des kleinen Joseph auf. Seinen Vorschlag, den Knaben zu sich zu nehmen, um ihn für den musikalischen Kirchendienst zu erziehen, nahmen die Eltern mit Freude an. Wünschte doch die Mutter ohnehin, dass der «Seppel» ein Geistlicher oder Schulmeister werden möchte. So zog das Kind mit fünf Jahren in die Welt hinaus.

Geburtshaus Haydns

Die Erziehung im Hause des Schuldirektors scheint nicht eben sorgfältig und sanft gewesen zu sein. Doch gedachte Haydn später auch dieses Menschen mit gro­ßem Dank. «Ich verdanke es diesem Manne noch im Grabe, dass er mich zu so vielerlei angehalten hat, wenn ich gleich dabei mehr Prügel wie zu essen bekam; Gott der Allmächtige, welchem ich allein so unermessene Gnade zu danken habe, gab mir besonders in der Musik so viele Leichtigkeit, indem ich schon in meinem sechsten Jahre ganz dreist einige Messen aus dem Chor herabsang und auch etwas auf dem Klavier und Violin spielte.» Er lernte daneben auch die anderen auf dem Chor gebräuchlichen Hauptinstrumente behandeln, sogar auch schon die Pauke, auf der er später ein Meister war.

Er hatte noch sein achtes Jahr nicht ganz erreicht, als von Wien der Domkapellmeister des Stephansdoms Georg Reutter, ein in den musikalischen Kreisen Wiens hoch angesehener Mann, zum Besuch nach Hainburg kam. Reutter wurde in der Kirche auf die nicht starke, aber wohllautende Stimme des Knaben aufmerksam, prüfte ihn und erklärte sich bereit, ihn in das sogenannte Kapellhaus in Wien aufzunehmen, dessen Zöglinge auf Kosten und für den Chordienst des Stephansdoms erzogen und unterrichtet wurden. Sie mussten aber neben dem Kirchendienst auch bei allerlei anderen Musiken, unter anderem bei Hofe, mitwirken. Der im Kapellhaus erteilte Unterricht war neben Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen und etwas Latein natürlich überwiegend auf die Musik gerichtet, und es wurde dabei in erster Linie auf schulmäßige Stimm- und Gesangsbildung gesehen. Hier also lebte Haydn von seinem achten bis siebzehnten Jahr, von 1740 bis 1749. Reutter hat sich, wie es scheint, um die Schüler des Instituts nicht sonderlich gekümmert. Im Übrigen aber erhielt Haydn guten musikalischen Unterricht, und sein eigener Eifer half, die Früchte rasch zeitigen. Er habe oft, erzählte er später, sein «Klavierl» unter den Arm genommen, um auf dem Boden ungestört darauf üben zu können. In der Theorie der Musik scheint er ziemlich auf eigenen Fleiß angewiesen gewesen zu sein. Seine Stimme wurde schnell bekannt und beliebt, und auch bei der Kaiserin Maria Theresia stand er dafür in Gunst.

1745 wurde auch Haydns jüngerer Bruder Michael ins Kapellhaus aufgenommen, und Joseph durfte ihn bei den ersten musikalischen Studien unterstützen. Der Unterricht, den Haydn im Kapellhaus empfing, wurde mit Hilfe seines Eifers zu hören und das Gehörte zu verwerten, durch das großartige musikalische Leben, in dem er sich als ein Mitwirkender bewegte, wesentlich ergänzt. Aber seine Tage im Kapellhause waren gezählt – seine Stimme wechselte; die Kaiserin hatte bereits geäußert, dass er «mehr krähe als singe». Im November 1749 wurde Haydn entlassen. Es wäre nicht richtig, wenn man darin eine besondere Rücksichtslosigkeit zu sehen glaubt: Haydn hatte der Kirche seine Dienste getan und dafür seinen Lohn in der Verpflegung und Unterweisung erhalten. Der Kontrakt war eben mit dem Stimmwechsel abgelaufen.

Er freilich stand jetzt da mit leeren Taschen, ohne Hilfe und Aussicht. Die erste Nacht schlief er unter freiem Himmel. Ein armer Musiker, der mit Frau und Kind nur eine einzige Stube bewohnte, nahm ihn einstweilen bei sich auf. Mühsam wehrte Haydn mit Geigen, Arrangieren, Zum-Tanze-Spielen den Hunger von sich ab. Die Eltern drangen in ihn, sich dem geistlichen Stand zu widmen, aber er wollte nicht von Musik lassen. Im Frühjahr 1750 zog er nach Mariazell, wo er durch seinen Gesang auf dem Chor Aufsehen erregte und einiges Geld verdiente. Nach Wien zurückgekehrt, erhielt er von einem mitleidigen Bürger ein Darlehen von 150 Gulden (er hat es später ehrlich zurückgezahlt). Nun konnte er sich ein ärmliches Dachkämmerchen mieten und ein elendes Klavier dazu. Es gelang, einige Schüler für Geigen- und Klavierunterricht zu finden.

War Haydn auf seinem bisherigen Studiengang vorwiegend auf die italienische Schule hingewiesen worden, so wurde er jetzt in ein völlig anderes Fahrwasser geworfen und kam dadurch in ein Element, dem er sich in ganz anderer Weise innerlich verwandt fühlte und unter dessen Einfluss der innerste Keim seiner künstlerischen Persönlichkeit sich entfalten und gestalten musste. Es sind die Stätten des volkstümlichen Musiktreibens: das Volkstheater mit Posse und Zauberspielen, der Tanzsaal mit Menuett, die Tafel- und Festmusik und endlich die Ständchen und Nachtmusiken. Nicht minder wie im Volkstheater hatte eine heitere volkstümliche Musik im damaligen Wien vielerorts ihren immer offenen Wirkungskreis – ganz besonders in den Musiken, die man allabendlich in den Straßen hörte, bald gesungen, bald auf den Instrumenten geblasen oder gegeigt. Hier waren die Serenaden und Notturnos zu Hause, welche noch in Haydns Schaffen, in seiner frühen Periode, einen so großen Platz einnehmen. Mehrere erhaltene Anekdoten von Haydn zeigen ihn unter den Musikern, die sich diesen Aufgaben der Volksmusik widmeten.

Im Herbst 1751 schrieb Haydn ein Singspiel, das für ihn sehr folgenreich wurde. Es hieß Der neue krumme Teufel. Die Musik gefiel, doch wurde das Stück nach wenigen Aufführungen verboten. Später wieder hervorgeholt, wurde es noch oft gesungen, auch in Prag, Berlin und anderwärts. Die Musik ging leider verloren. Um die gleiche Zeit schrieb Haydn seine erste Messe, ein noch unfertiges, aber geistvolles Werkchen, welches den Komponisten selbst, als es ihm nach langer Vergessenheit 1805 wieder zu Gesicht kam, so erfreute, dass er noch Blasinstrumente dazu setzte und es drucken ließ.

Haydn arbeitete und studierte überhaupt in jener schwersten Periode seines Lebens sehr angestrengt und nahm dazu die Nacht zu Hilfe, nachdem der Tag dem Broterwerb gewidmet war. Auf die Form seines Schaffens übten zu jener Zeit die sechs ersten Klaviersonaten Carl Philipp Emanuel Bachs, die er sich aus seinen schmalen Mitteln kaufte, ganz entscheidenden Einfluss aus. Er vertiefte sich in diese mit ernstem Studium und begeisterter Liebe. Die an ihnen gewonnene Einsicht in das Wesen der Komposition ist maßgebend geworden für sein ganzes künstlerisches Schaffen. Hier fand er einen festen Punkt, von dem ausgehend er dann freilich zu weit höheren Zielen emporgestiegen ist. Darum hat er selbst später stets gesagt, sein einziger Lehrer sei Carl Philipp Emanuel Bach, und dieser wiederum äußerte gelegentlich, Haydn sei der Einzige, der seine Lehre vollständig begriffen und richtig angewendet habe. Haydn verschaffte sich auch Bachs berühmtes Buch Wahre Art das Klavier zu spielen. So wurde er durch bittere Not gerade auf denjenigen Weg getrieben, der eben ihm der angemessenste war. Die glückliche Fügung, welche in der Tat mehrmals in seinen Lebensgang wunderbar eingriff, kam ihm auch in diesem Augenblick zu Hilfe. Unter Haydn in demselben Haus wohnte der gefeierte Dichter Metastasio. Er beauftragte den fleißigen jungen Musiker mit dem Klavierunterricht seiner damals zehnjährigen Nichte Marianna Martines, deren Haus später in Wien zu den Pflegestätten der Musik gehörte, und bei ihr fand Haydn als Gesangslehrer in Nicola Porpora den damals berühmtesten Meister der großen italienischen Gesangsschule. Diesem musste er beim Gesangsunterricht und bald auch in den Konzerten als Begleiter dienen. Für Haydn war dieses Verhältnis zu Porpora von großem Vorteil, nicht nur durch die Vervollkommnung seiner Gesangsschule und durch die theoretischen Unterweisungen, die Porpora, selbst ein gelehrter Musiker, als Lohn für seine Dienstleistungen erteilte, sondern auch weil Haydn in seiner Gesellschaft die ersten Musiker Wiens kennenlernte. Aber auch Haydns eigener Name stieg im Ansehen; Kompositionen von ihm verbreiteten sich handschriftlich auch schon über Wien hinaus; zwar nicht er selbst, wohl aber die Kopisten fingen schon an, Geschäfte damit zu machen, denn damals bestand der Notenhandel noch überwiegend in Handschriften. Auch seine Stunden wurden nun besser bezahlt. So verbesserte sich allmählich seine Lage. Er konnte auch eine anständigere Wohnung beziehen. Um 1755 war Haydn als Vorspieler in der Kirche der barmherzigen Brüder und als Organist in der Hangwitzschen Kapelle tätig, auf dem Chor des Stephansdoms wirkte er als Sänger. Die Musikliebhaber, an denen Wien reich war, zogen ihn inzwischen mehr und mehr als Spieler und Komponisten an sich. Um die­se Zeit wurde Haydn von dem niederösterreichischen Regierungsrat K. J. von Fürnberg veranlasst, sein erstes Streichquartett zu schreiben. Er tat seinen Hörern und sich selbst darin in solchem Maße genug, dass diesem ersten Stück der Gattung, als deren Neuschöpfer Haydn heute gilt, 17 andere Quartette in raschem Zuge nachfolgten. Der Empfehlung dieses Herrn von Fürnberg hatte Haydn im Jahre 1759 seine erste Anstellung zu danken. Der Graf von Morzin engagierte Haydn als Musikdirektor und Kammerkomponisten. Hier wurde 1759 Haydns erste Sinfonie geschrieben.

Schloss Eszterháza in Fertöd (Ungarn)

Am 26. November 1760 heiratete Haydn in Wien Maria Anna Aloisia, die Tochter des Perückenmachers Keller. Leider kann man dies nicht unter die glücklichsten Fügungen in Haydns Leben rechnen. Er hatte ihr und ihrer jüngeren Schwester Unterricht gegeben und sich in die Letztere verliebt. Sie ging aber ins Kloster, worauf ihn der Vater beredete, die ältere Schwester zu heiraten. Bigott, herrschsüchtig, eifersüchtig, verschwenderisch, war und blieb sie ohne jedes Verständnis für Haydns Kunst. Die kinderlos gebliebene Ehe wurde von Jahr zu Jahr unglücklicher und eine schwere Fessel für den Künstler. Während der letzten Jahre ihres Lebens hielt sie sich vom Gatten getrennt zu Baden bei Wien auf und ist hier im März 1800 gestorben.

Als Kapellmeister bei den Esterházys

Graf Morzin löste seine Kapelle auf, Haydn aber fand gleich darauf eine neue Anstellung als Vizekapellmeister des Fürsten von Esterházy in Eisenstadt in Nieder­ungarn. Schon am 18. März 1762 starb der Fürst, und sein Bruder Nikolaus Joseph, der bis zu seinem Tod 1790 Haydns «gütiger und großmütiger Herr blieb», folgte auf ihn; und auch Haydn blieb fürstlich Esterházy’scher Kapellmeister, wenn auch zuletzt nicht mehr im aktiven Dienst, bis an sein Lebensende. Sein Verhältnis zum Fürsten Nikolaus Joseph wurde von Jahr zu Jahr ein wärmeres und herzlicheres. Solange der Fürst lebte, lehnte Haydn jedes Angebot, welches ihn von dessen Seite weggezogen hätte, ab. So war der Meister zunächst für fast 30 Jahre in einen stillen Hafen eingelaufen, 30 Jahre, die er mit rastlosem Schaffen, unter einer ihn im Ganzen befriedigenden Tätigkeit zugebracht hat. Sein Dienst hatte zuerst fast nur in Kirchen- und Tafelmusik bestanden, seit 1762 kam auch Kammermusik und Oper hinzu. Die Kapelle war anfangs nur klein. Sie wuchs aber durch Haydns Einfluss und dank der Freigebigkeit des Fürsten schnell und erwarb unter Haydns Leitung den höchsten Ruf.

Das äußere Leben verlief bei täglichem musikalischem Dienste höchst gleichförmig. Im Winter pflegte sich der Fürst während einiger Monate in Wien aufzuhalten und seit 1766 während der Sommermonate auf seinem mit höchster Pracht erbauten neuen Sommerschloss Eszterháza. Hierher, aber auch nach Wien musste seine ganze Kapelle ihn begleiten. In Eszterháza erbaute er sich zwei Theater, eines für die große Oper und eines für Marionettenspiele.

Haydns Ruhm verbreitete sich jetzt rasch und auch schon über Deutschland hinaus. Dass er erst nach seinen Londoner Reisen allgemein berühmt geworden sei, ist ein großer Irrtum. Richtig ist nur, dass seine künstlerische Heimat Wien erst durch seine Erfolge im Ausland den vollen Umfang seines Ruhmes gewahr wurde. Denn gerade in Wien und vor allem in den Kreisen der vornehmen italienischen Musik begegneten Haydns Schöpfungen lange einer gewissen kühlen Abweisung. Man warf ihm vor, durch die Einmischung des Humors die Kunst zu entadeln. Doch aber nennt das «Wiener Diarium» ihn schon 1766 den «Liebling unserer Nation». In den deutschen Musikkreisen Wiens stand Haydn offenbar bald in höherem und fest begründetem Ansehen.

Bekannt ist, dass sich zwischen Haydn und Mozart, der seit 1781 in Wien blieb und oft mit Haydn Quartett spielte, eine auf höchster gegenseitiger Wertschätzung beruhende neidlose Freundschaft bildete. Es handelte sich aber dabei nicht allein um eine Herzenssache, sondern jeder der Künstler hat von dem anderen die wichtigsten Einflüsse erfahren. Mozart hat das schon in der Widmung seiner sechs ersten Quartette an Haydn mit dem Ausdruck kindlicher Verehrung ausgesprochen. Er pflegte Haydn nur «Papa» zu nennen. Haydn seinerseits, der stets bereit war, zu lernen und neue Ziele zu erfassen, hat nach Carl Philipp Emanuel Bach von niemandem eine so nachhaltige Einwirkung erfahren, und zwar betreffs der Behandlung des Orchesters, als von Mozart. 1787 von Prag aus aufgefordert, eine Opera buffa zu schreiben, lehnte Haydn ab, weil «der große Mozart (dessen Figaro und Don Juan zum ersten Mal in Prag gesungen wurden) schwerlich jemand zur Seite haben könne». «Könnte ich», fügte Haydn in seinem Schreiben hinzu, «jedem Musikfreund die unnachahmlichen Arbeiten Mozarts, so tief und mit einem solchen musikalischen Verstande, mit einer so großen Empfindung, in die Seele prägen, als ich sie empfinde, so würden die Nationen wetteifern, ein solches Kleinod in ihren Mauern zu besitzen.»

Die Summe von Haydns Schaffen ist eine ganz erstaunlich große, und doch durfte er mit Recht von sich sagen, er sei nie ein Vielschreiber gewesen, denn er hat nie oberflächlich gearbeitet. Auch die kleinste seiner Kompositionen zeigt sich durchdacht und sorgfältig durchgearbeitet. Aber die Ideen strömten ihm in unerschöpflicher Fülle zu. Er war von rastlosem Fleiß beseelt und konnte in der Stille des Eisenstädter und Eszterházer Lebens seine ganze gesammelte Kraft, soweit sie nicht der musikalischen Praxis gewidmet war, auf das Schaffen konzentrieren. Jagd und Fischerei, seine Lieblingsneigungen, und die wenigen Aufenthalte in Wien zerstreuten ihn nicht, sondern gewährten nur das unentbehrliche Maß der Erfrischung. Auch persönliche Verhältnisse und Briefwechsel zogen ihn von seiner einzigen Lebensaufgabe nicht ab, obwohl er nicht abgeschlossen lebte, sondern ein stets heiterer, liebenswürdiger, teilnehmender und für jedermann erfreulicher Gesellschafter war.

Selbstständigkeit

Joseph Haydn. Portrait von Ludwig Guttenbrunn, ca. 1770

Am 28. September 1790 starb Fürst Nikolaus Joseph Esterházy, er hinterließ seinem treuen Kapellmeister eine Pension. Sein Nachfolger entband Haydn von jeder Dienstleistung, denn die berühmte Kapelle wurde bis auf die Kirchenmusik entlassen. So sah sich Haydn nun plötzlich frei und er empfand es als eine Erlösung. Zwar hat er selbst am wenigsten verkannt, dass er dem Eisenstädter Leben außerordentlich viel verdankte. In einem Brief äußerte er darüber: «Mein Fürst war mit allen meinen Arbeiten zufrieden; ich erhielt Beifall, ich konnte als Chef eines Orchesters Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen; ich war von der Welt abgesondert, niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selber irre machen und quälen, und so musste ich original werden.»

Aber die Abgeschiedenheit dieses Lebens wurde mehr und mehr beengend. Auch fühlte sich Haydn müde und gelähmt unter dem sehr anstrengenden und ewig gleich bleibenden Getriebe seiner täglichen Pflichten. Kaum hatte er sich aber nach dem Tode des Fürsten in Wien niedergelassen, da traten ihm neue und höhere Aufgaben entgegen. Der berühmte Geiger und Konzertleiter Salomon engagierte Haydn nach London. Die Bedingungen waren vorteilhaft, ja gegen Haydns bisherige Honorare glänzend. Er verpflichtete sich, sechs neue Sinfonien zu liefern.

Am 15. Dezember 1790 mit Salomon von Wien abgereist, traf Haydn über München, Bonn, Brüssel und Calais am 2. Januar 1791 in London ein. Hier wurde er aufs Ehrenvollste aufgenommen. Als er zum ersten Mal in einem Konzert als Zuhörer öffentlich erschien, wurde er vom Publikum mit einer Ovation empfangen. Alles wollte den berühmten Meister kennen und seine liebenswürdige Nähe genießen. Nur mit Mühe erwehrte er sich der zu vielen Einladungen. Zwar fehlte es auch nicht an Gegnern und Neidern. Man wollte wissen, sein Schöpfertrieb sei schon im Erlöschen, aber Haydn gab die glänzendste Widerlegung: Die 12 Sinfonien, die er für diesen ersten und den zweiten Londoner Aufenthalt geschrieben hat, bilden die Krone aller seiner Sinfonien, es sind diejenigen, durch welche er heute auf dem Gebiet der Sinfonie am meisten bekannt ist.

Bergkirche in Eisenstadt

Die 12 Salomon-Konzerte und ein Benefiz-Konzert fanden mit durchschlagendem Erfolg statt. Haydn dirigierte seine Werke vom Flügel aus. Im Juli wurde Haydn zu einer akademischen Gedächtnisfeier nach Oxford geladen und feierlich zum Doktor promoviert. Die Zeit verbrachte Haydn unter den angenehmsten Verhältnissen und im eifrigsten Schaffen teils auf dem Lande, teils in London. Haydn sprach manchmal scherzend seine Verwunderung darüber aus, dass so manche schöne Frau ihm ihre Neigung geschenkt, obwohl sein pockennarbiges Gesicht mit der etwas angeschwollenen Nase, seine schmächtige Figur mit den zu kurzen Beinchen doch wenig dazu einladen. Ihm aber, an eine ungeliebte Frau gekettet, sei es wohl zu verzeihen, wenn er gegen die Gunst der Frauen nicht unempfindlich gewesen. Auch in Hofkreisen bewies man ihm Gunst und Achtung.

Höchst befriedigt von dem Erfolg seiner Reise verließ Haydn London Ende Juni 1792. Die Rückreise ging über Bonn, wo sich ihm der junge Beethoven mit einer Komposition vorstellte. Im November folgte ihm Beethoven nach Wien und blieb dann bis zur zweiten Reise Haydns nach England sein Schüler.

Am 19. Januar 1794 trat Haydn seine zweite Londoner Reise an. Zwölf Salomon’sche Konzerte an der gewohnten Stätte fanden vom 17. Februar bis 12. Mai statt. Der Erfolg der zweiten Reise war noch glänzender als der der ersten. Keine Bosheit oder Intrige wagte sich mehr an Haydns gefeites Haupt. Der königliche Hof wünschte ihn ganz in London zu fesseln, er aber wollte sein Wien nicht verlassen. Am 15. August 1795 von London abgereist, nahm er diesmal seinen Weg über Hamburg, Berlin, Dresden und Prag. Jetzt konnte er sich aus dem Ertrag der beiden englischen Reisen ein Häuschen in Wien kaufen, das er 1797 bezog und bis zu seinem Tod bewohnte und besaß so viel Kapital, dass er dem Alter ruhig entgegensehen und für seine armen Verwandten sorgen konnte.

Fürst Paul Anton war inzwischen schon gestorben; von dessen Nachfolger, dem Fürsten Nikolaus, erhielt Haydn noch in London den Auftrag, die Esterházy’sche Kapelle wiederherzustellen. Haydns eigene Anwesenheit in Eisenstadt wurde aber von dem gütigen Fürsten, der den Alten hoch verehrte, immer nur auf kurze Zeit im Sommer und Herbst verlangt.

Haydn hatte aus England etwas noch Wichtigeres mitgebracht, als seine Geldschätze, nämlich die Anregung, ein Oratorium zu schreiben. Der innere Drang dazu war durch den überwältigenden Eindruck entstanden, den ihm in London bei mehreren großen Aufführungen Händel gemacht hatte. Den äußeren Anlass gab Salomon, indem er ihm einen nach Miltons Verlorenem Paradies gedichteten Text zuführte. So entstand im hochbegeisterten Schaffen Die Schöpfung. Am 29. und 30. April 1798 fanden im Saal des Fürsten Schwarzenberg die ersten Aufführungen statt. Der Eindruck des Werkes war ein ganz außerordentlicher, nicht nur in Wien, sondern in der ganzen musikalischen Welt, denn seit dem Druck der Partitur (1800) verbreitete sich Die Schöpfung im Fluge. Von der allgemeinen Begeisterung fortgerissen, ließ Haydn sich bestimmen, sofort nach der Beendigung der Schöpfung ein zweites ähnliches Werk in Angriff zu nehmen: die Jahreszeiten. Die ersten Aufführungen fanden auch diesmal beim Fürsten Schwarzenberg statt, vom 24. April bis 1. Mai 1799.

Lebensabend und Tod

Aber diese höchsten Triumphe waren zugleich die letzten des alten Meisters. Die Jahreszeiten hatten seine Kräfte erschöpft. Er hat seitdem nur noch weniges geschrieben. Haydn lebte dann in seinem behaglichen Häuschen mit dem kleinen Garten noch einige Jahre in stets zunehmendem, drückendem Gefühl der Altersschwäche und der Vereinsamung. Letzteres nicht, weil die Freunde ihn verlassen hatten, sondern weil ihm die Kraft zum Verkehr mit Menschen versagte. Er lebte nur noch in der Erinnerung. Sein Aussehen freilich war noch 1805 eher das eines gesunden Fünfzigers, auch im Hause und vor Freunden zeigte er sich nie anders, als sauber gekleidet und wohlgepudert. Viele und schöne Zeichen der Verehrung flossen ihm in diesen letzten Jahren von allen Seiten zu. Viele Akademien und Gesellschaften in Wien, Stockholm, Amsterdam, Paris, Petersburg machten ihn zum Ehrenmitglied. Die Stadt Wien machte ihn 1804 zu ihrem Ehrenbürger. Seine Wiener Freunde und Verehrer bereiteten ihm unter Aufführung der Schöpfung in der Universität am 27. März 1808 eine ergreifende Feier. Zu tief erschüttert, musste sich Haydn nach dem Schluss des ersten Teils forttragen lassen; es war das letzte Mal, dass man ihn öffentlich sah.

Haydns Grab in der Bergkirche

Während der zweiten Belagerung Wiens 1809 wurde Haydn am 10. Mai durch einige in der Nähe seines Hauses gefallene Kanonenschüsse heftig erschreckt, sodass er sich ins Bett bringen lassen musste. Er lebte zwar noch einige Wochen, ließ sich wohl auch noch ans Klavier führen. Am 31. Mai kurz nach Mitternacht schlief er sanft ein. Sein Vermögen hatte Haydn in rührender Bedachtnahme auf alle und jede im Testament unter seine Wohltäter, Verwandte, Freunde und Diener verteilt. Beerdigt wurde er auf dem Hundsturmkirchhof. Am 15. Juni sang man in der Schottenkirche zu seiner Leichenfeier Mozarts Requiem.

Fürst Esterházy ließ aber 1820 seinen Sarg in die Eisenstädter Bergkirche zur letzten Ruhe überführen. Als bei diesen Arbeiten der Sarg geöffnet wurde, fehlte der Schädel des Komponisten. Nachforschungen ergaben, dass der Sekretär des Fürsten Esterházy – Joseph Carl Rosenbaum, ein Anhänger der Schädellehre von Franz Joseph Gall – den Totengräber, einen Gefängnisverwalter sowie zwei Wiener Beamte bestochen hatte, acht Tage nach der Beisetzung heimlich noch einmal das Grab zu öffnen und den Schädel zu stehlen. Das Versteck des gestohlenen Schädels konnte zunächst nicht ermittelt werden, und so wurde der Leichnam ohne Schädel nach Eisenstadt überführt und dort beigesetzt. Später übergab der Gefängnisverwalter Johann Peter der Polizei einen angeblichen Schädel Haydns. Den echten Schädel hinterließ der Sekretär Rosenbaum seinem Freund Peter mit dem Auftrag, die Reliquie dem Musikkonservatorium zu vermachen. Doch weder Peter noch seine Witwe wagten die Herausgabe; der Schädel wanderte noch durch etliche Hände, bis er 1895 in den Besitz der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien gelangte, in deren Museum er sich bis 1953 befand. Nachdem schon einmal eine Rückgabe des Schädels in letzter Minute gescheitert war, konnte im Jahr 1954 nach einem Festzug von Wien nach Eisenstadt der Schädel mit dem Rest der Gebeine vereint werden. Der Bildhauer Gustinus Ambrosi durfte ihn in den Sarkophag legen und damit endlich nach 145 Jahren die Totenruhe von Joseph Haydn herstellen.

Aus: Allgemeine Deutsche Biographie. Duncker & Humblot, Leipzig. Bd. 11, S. 123–136 (gekürzt).