Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №1/2008

Sonderthema

Wilhelm Busch: Von mir über mich

Kein Ding sieht so aus, wie es ist. Am wenigsten der Mensch, dieser lederne Sack voller Kniffe und Pfiffe. Und auch abgesehen von den Kapriolen und Masken der Eitelkeit. Immer, wenn man was wissen will, muß man sich auf die zweifelhafte Dienerschaft des Kopfes und der Köpfe verlassen und erfährt nie recht, was passiert ist. Wer ist heutigen Tages noch so harmlos, daß er Weltgeschichten und Biographien für richtig hält? Sie gleichen den Sagen und Anekdoten, die Namen, Zeit und Ort benennen, um sich glaubhaft zu machen. Sind sie unterhaltlich erzählt, sind sie ermunternd und lehrreich, oder rührend und erbaulich, nun gut! so wollen wir’s gelten lassen. Ist man aber nicht grad ein Professor der Beredsamkeit und sonst noch allerlei, was der heilige Augustinus gewesen, und will doch partout über sich selbst was schreiben, dann wird man wohl am Besten thun, man faßt sich kurz. Und so auch ich.
Ich bin geboren im April 1832 zu Wiedensahl als der Erste von Sieben.
Mein Vater war Krämer; heiter und arbeitsfroh; meine Mutter, still und fromm, schaffte fleißig in Haus und Garten. Liebe und Strenge sowohl, die mir von ihnen zu Theil geworden, hat der «Schlafittig» der Zeit aus meiner dankbaren Erinnerung nicht zu verwischen vermocht. [...]
Mein gutes Großmütterlein war zuerst wach in der Früh ... Als ich sieben, acht Jahr alt war, durfte ich zuweilen mit aufstehn; und im Winter besonders kam es mir wonnig geheimnißvoll vor, so früh am Tag schon selbstbewußt in dieser Welt zu sein, wenn ringsumher noch alles still und todt und dunkel war. Dann saßen wir zwei, bis das Wasser kochte, im engen Lichtbezirk der pompejanisch geformten zinnernen Lampe. Sie spann. Ich las ein paar schöne Morgenlieder aus dem Gesangbuch vor.
Später beim Kaffee nahmen Herrschaft, Knecht und Mägde, wie es guten Freunden geziemt, am nämlichen Tische Platz. [...]
Als ich neun Jahre alt war, sollte ich zu dem Bruder meiner Mutter nach Ebergötzen. Wie Kinder sind, halb froh halb wehmüthig, plätscherte ich am Abend vor der Abreise mit der Hand in der Regentonne, über die ein Strauch von weißen Rosen hing, und sang Christine! Christine! versimpelt für mich hin. [...]
Gleich am Tage nach der Ankunft schloß ich Freundschaft mit dem Sohne des Müllers... Auch der Wirt des Ortes, weil er ein Piano besaß, wurde bald mein guter Bekannter. Er ist mir immer ein lieber und drolliger Mensch geblieben. Er war ein geschmackvoller Blumenzüchter, ein starker Schnupfer und kinderlos, obgleich er sich dreimal vermählt hat.
Bei ihm fand ich einen dicken Notenband, der durchgeklimpert, und freireligiöse Schriften jener Zeit, die begierig verschlungen wurden. [...]
Von meinem Onkel, der äußerst milde war, erhielt ich nur ein einzig Mal Hiebe, mit einem trockenen Georginenstängel, weil ich den Dorftroddel geneckt hatte. Dem war die Pfeife voll Kuhhaare gestopft und dienstbeflissen angezündet. Er rauchte sie aus, bis auf’s letzte Härchen, mit dem Ausdruck der seligsten Zufriedenheit. Also der Erfolg war unerwünscht für mich in zwiefacher Hinsicht. Es macht nichts. Ein Troddel bleibt immer eine schmeichelhafte Erinnerung. [...]
Etwa ums Jahr 45 bezogen wir die Pfarre zu Lüethorst.
In den Stundenplan schlich sich nun auch die Metrik ein. Dichter, heimische und fremde, wurden gelesen. Zugleich fiel mir die «Kritik der reinen Vernunft» in die Hände, die wenn auch damals nur spärlich durchschaut, doch eine Neigung erweckte, in der Gehirnkammer Mäuse zu fangen, wo es nur gar zu viel Schlupflöcher giebt.
Sechzehn Jahre alt, ausgerüstet mit einem Sonnett und einer ungefähren Kenntniß der vier Grundrechnungsarten, erhielt ich Einlaß zur polytechnischen Schule in Hannover. [...]
In der reinen Mathematik schwang ich mich bis zu «Eins mit Auszeichnung» empor, aber in der angewandten bewegte ich mich mit immer matterem Flügelschlage.
Im Jahre 48 trug auch ich mein gewichtiges Kuhbein, welches nie scharf geladen werden durfte, und erkämpfte mir in der Wachtstube die bislang noch nicht geschätzten Rechte des Rauchens und des Biertrinkens; zwei Märzerrungenschaften, deren erste muthig bewahrt, deren zweite durch die Reaktion des Alters jetzt merklich verkümmert ist.
Ein Maler wies mir den Weg nach Düsseldorf. Ich kam, so viel ich weiß, grad zu einem jener Frühlingsfeste, für diesmal die Erstürmung einer Burg, die weithin berühmt waren. Ich war sehr begeistert davon und von dem Maiwein auch.
Nachdem ich mich schlecht und recht durch den Antikensaal hindurch getüpfelt hatte, begab ich mich nach Antwerpen in die Malschule, wo man, so hieß es, die alte Muttersprache der Kunst noch immer erlernen könne.
In dieser kunstberühmten Stadt sah ich zum ersten Male die Werke alter Meister. Rubens, Brouwer, Teniers, Frans Hals. Ihre göttliche Leichtigkeit der Darstellung malerischer Einfälle, verbunden mit stofflich juwelenhaftem Reiz; diese Unbefangenheit eines guten Gewissens, welches nichts zu vertuschen braucht; diese Farbenmusik, worin man alle Stimmen klar durchhört, vom Grundbaß herauf, haben für immer meine Liebe und Bewunderung gewonnen. [...]
Von Wiedensahl aus besucht ich auf längere Zeit den Onkel in Lüethorst. Ein Liebhabertheater im benachbarten Städtchen zog mich in den angenehmen Kreis seiner Thätigkeit; aber mehr noch fesselte mich das wundersame Leben des Bienenvolkes und der damals wogende Kampf um die Parthenogenesis, den mein Onkel als gewandter Schriftsteller und Beobach­ter entscheidend mit durchfocht. Der Wunsch und Plan, nach Brasilien auszuwandern, dem Eldorado der Imker, hat sich nicht verwirklichen sollen. Die Annahme, daß ich praktischer Bienenzüchter geworden sei, ist freundlicher Irrthum.
Auch mich zog es unwiderstehlich abseits in das Reich der Naturwissenschaften. Ich las Darwin, ich las Schopenhauer damals mit Leidenschaft. Doch so was läßt nach mit der Zeit. Ihre Schlüssel passen ja zu vielen Thüren in dem verwunschenen Schlosse dieser Welt; aber kein «hiesiger» Schlüssel, so scheints, und wärs der Asketenschlüssel, paßt jemals zur Ausgangsthür.
Von Lüethorst ging ich nach München. Indeß in der damaligen akademischen Strömung kam mein flämisches Schifflein, das wohl auch schlecht gesteuert war, nicht recht zum Schwimmen.
Um so angenehmer war es im Künstlerverein, wo man sang und trank und sich nebenbei karikirend zu necken pflegte. Auch ich war solchen persönlichen Späßen nicht abgeneigt. Man ist ein Mensch und erfrischt und erbaut sich gerne an den kleinen Verdrießlichkeiten und Dummheiten anderer Leute. Selbst über sich selber kann man lachen mitunter, und das ist ein Extrapläsir, denn dann kommt man sich sogar noch klüger und gedockener vor als man selbst.
Lachen ist ein Ausdruck relativer Behaglichkeit. Der Franzl hinterm Ofen freut sich der Wärme um so mehr, wenn er sieht, wie sich draußen der Hansel in die röthlichen Hände pustet. Zum Gebrauch in der Öffentlichkeit habe ich jedoch nur Phantasiehanseln genommen. Man kann sie auch besser herrichten nach Bedarf, und sie eher sagen und thun lassen, was man will. Gut schien mir oft der Trochäus für biederes Reden; stets praktisch der Holzschnittstrich für stilvoll heitere Gestalten. So ein Contourwesen macht sich leicht frei von dem Gesetze der Schwere und kann, besonders wenn es nicht schön ist, viel aushalten, eh es uns weh thut. Man sieht die Sache an und schwebt derweil in behaglichem Selbstgefühl über den beiden der Welt, ja über dem Künstler, der gar so naiv ist. [...]
Es kann 59 gewesen sein, als zuerst in den «Fliegenden» eine Zeichnung mit Text von mir gedruckt wurde; zwei Männer, die aufs Eis gehen, wobei einer den Kopf verliert. Vielfach, wie’s die Noth gebot, illustrirte ich dann neben eigenen auch fremde Texte. Bald aber meint ich, ich müßte alles halt selber machen. Die Situationen geriethen in Fluß und gruppirten sich zu kleinen Bildergeschichten, denen größere gefolgt sind. Fast alle habe ich, ohne wem was zu sagen, in Wiedensahl verfertigt. Dann hab ich sie laufen lassen auf den Markt, und da sind sie herumgesprungen, wie Buben thun, ohne viel Rücksicht zu nehmen auf gar zu empfindliche Hühneraugen, wohingegen man aber auch wohl annehmen darf, daß sie nicht gar zu empfindlich sind, wenn sie mal Schelte kriegen.
Man hat den Autor für einen Bücherwurm und Absonderling gehalten. Das erste mit Unrecht.
Zwar liest er unter anderm die Bibel, die großen Dramatiker, die Bekenntnisse des Augustin, den Pickwick und Don Quixote und hält die Odyssee für das schönste der Märchenbücher, aber ein Bücherwurm ist doch ein Thierchen mit ganz andern Manierchen.
Ein Sonderling dürft er schon eher sein. Für die Gesellschaft, außer der unter vier bis sechs Augen, schwärmt er nicht sehr.
Groß war auch seine Nachlässigkeit, oder Schüchternheit im schriftlichen Verkehr mit Fremden. Der gewandte Stilist, der seine Korrespondenten mit einem zierlichen Strohgeflechte beschenkt, macht sich umgehend beliebt, während der Unbeholfene, der seine Halme aneinander knotet, wie der Bauer, wenn er Seile bindet, mit Recht befürchten muß, daß er Anstoß erregt. Er zögert und vergißt.
Verheirathet ist er auch nicht. Er denkt gelegentlich eine Steuer zu beantragen auf alle Ehemänner, die nicht nachweisen können, daß sie sich lediglich im Hinblick auf das Wohl des Vaterlands vermählt haben. Wer eine hübsche und gescheidte Frau hat, die ihre Dienstboten gut behandelt, zahlt das Doppelte. Den Ertrag kriegen die alten Junggesellen, damit sie doch auch eine Freud haben.
Ich komme zum Schluß. Das Porträt, um rund zu erscheinen, hätte mehr Reflexe gebraucht. Doch manche vorzügliche Menschen, die ich liebe und verehre, für Selbstbeleuchtungszwecke zu verwenden, wollten mir nicht passend erscheinen, und in Bezug auf andere, die mir weniger sympathisch gewesen, halte ich ohnehin schon längst ein mildes, gemüthliches Schweigen für gut.
So stehe ich denn tief unten an der Schattenseite des Berges. Aber ich bin nicht grämlich geworden, sondern wohlgemuth, halb schmunzelnd, halb gerührt, höre ich das fröhliche Lachen von anderseits her, wo die Jugend im Sonnenschein nachrückt und hoffnungsfreudig nach oben strebt.

Wilhelm Busch
Mit Benutzung meines «Was mich betrifft» in
d. Frankf. Ztg. v. 10. Okt. 86. Morgenblatt.