Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №24/2007

Sonderthema

Der Snob

Wer heute an Gustaf Gründgens denkt, denkt noch immer an den Mephisto, und er meint damit noch mehr den Roman von Klaus Mann als die Rolle aus dem Faust. Seine größte Rolle, die Rolle seines Lebens, die Rolle, die er bis zu seinem undurchsichtigen Tod 1963 immer und immer wieder gespielt hatte, nebenbei auch noch die Rolle aus dem größten aller deutschen Schauspiele, wurde zum Sinnbild für seine Rolle im Dritten Reich.

Es konnte eigentlich gar nicht anders sein. Der Staatstheaterintendant und Staatsschauspieler Gustaf Gründgens als der große Verführer in den Zeiten eines noch größeren Verführers: Da schien doch tatsächlich alles auf den Nenner1 gebracht.

Dabei ist der Mephisto keineswegs ein Schlüsselroman über den Schauspieler, Regisseur, Intendanten Gustaf Gründgens – und schon gar nicht über den Menschen. Vielmehr ist das Buch die Verlängerung einer Erfahrung, die Klaus Mann mit Gründgens in der turbulenten Zeit Mitte der zwanziger Jahre gemacht hatte, als sie zusammen Theater gespielt hatten und als Gründgens mit Klaus’ geliebter Schwester Erika verheiratet gewesen war. Bald darauf wurde Gründgens in Berlin zum Tausendsassa2 aller theatralischen Sparten3. Die Mann’sche Erfahrung aber war Enttäuschung, und sie projizierte er dann auf Gründgens und ins Dritte Reich hinein.
Kein Schlüsselroman also, aber ein Roman mit einer Schlüsselszene: 1933 wurde Gustaf Gründgens in der Pause in die Loge Hermann Görings gerufen, der fasziniert war, weil er sich in dem Mephisto-Darsteller wiedererkannt hatte. Da schien klar, wo Gründgens’ steiler Aufstieg zum Intendanten eben jener Preußischen Staatstheater, deren oberster Herr Göring war, seinen Grund hatte. Der Schauspieler war auf den Schild der Macht gehoben worden, in der Logenszene konzentrierte sich scheinbar alles. Sie ist wahr, aber sie erklärt längst nicht so viel, wie man dachte. Sie sagt nur, dass Göring Gründgens mochte. Trotzdem wurde sie die Schlüsselszene.

Vielleicht aber gibt es eine andere Szene, die weitaus mehr über Gründgens und mehr über die Gründe seines Erfolgs sagt, die schöner und unergründlicher ist, weil sie letztlich etwas über uns alle erzählt. Auch diese Szene wurde legendär, aber sie wurde längst nicht so prägend wie die scheinbar eindeutige mit Hermann Göring. Wieder befinden wir uns an einer Zeitenwende, und wieder steht der Schauspieler im Rampenlicht: Am 3. Mai 1946 sollte Gründgens im Deutschen Theater seine erste Rolle spielen, den Christian Maske in Der Snob von Carl Sternheim.

Gründgens war erst im März aus der einjährigen russischen Gefangenschaft zurückgekehrt. Und wieder war es eine Zeit tief greifender Verunsicherung. Gründgens hatte bereits mehrere Sitzungen vor der Entnazifizierungskommission hinter sich bringen müssen, er konnte sich noch ein paar Tage vor der Premiere nicht sicher sein, ob er überhaupt würde auftreten können. Aber nicht nur aus politischen, sondern auch aus persönlichen Gründen war Gründgens damals hochgradig verunsichert: Marianne Hoppe, immer noch seine Gattin, erwartete ein Kind von einem anderen Mann. Gründgens, der noch kurz zuvor, bis 1943, geglaubt hatte, in seinem Theater vielen Menschen Sicherheit geben zu können, stand jetzt allein da.

Er suchte die Nähe der Macht – und seine Unabhängigkeit

Als sich der Vorhang dann hob, stand Gründgens tatsächlich auf der Bühne, und stürmischer Applaus brach los. Das lässt sich recht einfach als Willkommensgruß interpretieren. «Schön, dass du da bist!» Dann aber die ersten Worte: «Das ist grotesk!» Wieder brandete ihm stürmischer Applaus entgegen. Die Angaben über die Länge schwanken zwischen fünf und zwanzig Minuten. Warum wurde jetzt geklatscht? Das konnte nur heißen: «Es ist grotesk, dass dieser Mann verhaftet war und verhört wurde, es ist grotesk, in welcher Situation er ist.» Es ist ein typischer Nachkriegspakt, einer jener Pakte, die wortlos geschlossen werden und die länger halten als schriftliche Verträge. In diesem Pakt liegt die Antwort auf die Frage, wie Gründgens, der vor den Nazis etwas Anrüchiges hatte, jetzt zu einem repräsentativen, sogar restaurativen Schauspieler werden konnte.

Kein Wort wurde damals darüber verloren, dass der Regisseur der Aufführung, Fritz Wisten, nicht nur im KZ gewesen war, sondern auch am Jüdischen Kulturbund während der dreißiger Jahre maßgeblich beteiligt. Das war die wahre Theaterinsel im Dritten Reich und nicht das Staatstheater, wie Gründgens glaubte. In dieser Szene steckt auch die ganze Vieldeutigkeit, die Gründgens’ Rolle im Dritten Reich ausgemacht hatte. Ganz in der Nähe der Macht sein und ihr doch immer wieder ein Schnippchen4 schlagen. Für den Staat inszenieren, spielen, da sein und trotzdem mit ihm machen, was man will. Die extreme Anspannung, in der Gründgens in der Nazizeit lebte, schien er als Snob fortführen zu wollen.

Gründgens «maskierte» sich, indem er auf der Bühne alles bloßlegte, auf alles anspielte und die Situation trotzdem beherrschte. Mit solchen Szenen wurde Gründgens zum Muster für Luzidität5 und gleichzeitige Undurchdringlichkeit. Die Szene seines Wiederauftritts ist ein großartiger Akt der Selbstbehauptung im Zeichen des Theatralischen. Gründgens, der Verunsicherte, gewann in diesem Moment über die Rolle wieder Fassung. Er bekam sich, vor den Augen aller, in den Griff, weil er sich eine Form gab. Mit einzigartiger Entschiedenheit riss er das Theater wieder an sich, ein Gestus, den er in all seinen Rollen hatte. Es gibt keinen Schauspieler, der so von der bedingungslosen Hingegebenheit an die Form lebte, wie Gustaf Gründgens. Von hier erklären sich auch alle Bilder, die Gründgens für das Theater fand: die Sicherheit des «Planquadrats», die Klarheit, auf die es ihm ankam, die «Insel», auf der er sich mit dem Staatstheater zu befinden glaubte, das «Partiturspiel».

Der Schauspieler wird nicht durch das Wort «Verwandlung», sondern durch die «Verkörperung» auf den Begriff gebracht. In diesem Sinn war Gründgens der größte deutsche Schauspieler des 20. Jahrhunderts, niemand verkörperte es wie er. Auch das ist in dieser Szene aufgehoben. Und im Zuschauerraum saß übrigens auch Klaus Mann: Er glaubte zu bemerken, dass Gründgens verunsichert war, als er ihn in der ersten Reihe sah. Aber auch da irrte er: Gründgens konnte ihn ohne Brille gar nicht sehen.
Peter Michalzik

Der Text ist entnommen aus:
http://www.zeit.de/1999/52/199952.gruendgens_.xml?page=all


1Nen|ner, der; -s, - [LÜ von mlat. denominator] (Math.): (bei Brüchen) Zahl, Ausdruck unter dem Bruchstrich: Brüche auf einen N. bringen; der N. eines Bruchs; *einen [gemeinsamen] N. finden (eine gemeinsame Grundlage, auf der man aufbauen, auf die man sich stützen kann, finden); etw. auf einen [gemeinsamen] N. bringen (bestimmte Gegensätze ausgleichen u. in Übereinstimmung bringen).

2Tau|send|sa|sa, Tau|send|sas|sa, der; -s, -[s] [eigtl. Substantivierung der verstärkten alten Interjektion sa!, heisa] (emotional): vielseitig begabter Mensch, dem man Bewunderung zollt: der T. hat es selbst repariert.

3Spar|te, die; -, -n [älter = Amt, Aufgabe, viell. nach der nlat. Wendung spartam nancisci= ein Amt erlangen (LÜ von griech. élaches Spárten, kósmei= dir wurde Sparta zugeteilt, [jetzt] verwalte [es]; aus Euripides’ Drama Telaphos)]: 1. (bes. als Untergliederung eines Geschäfts- od. Wissenszweigs) Teilbereich, Abteilung eines [Fach]gebiets: eine S. der Wirtschaft, Verwaltung; die -n Schauspiel, Musiktheater und Ballett. 2. Spalte, Teil einer Zeitung, in dem [unter einer bestimmten Rubrik] etw. abgehandelt wird: der für diese S. verantwortliche Redakteur; die Meldung stand unter, in der S. «Vermischtes».

4Schnipp|chen: nur noch in der Wendung jmdm. ein S. schlagen (ugs.; mit Geschick jmds. Absichten [die einen selbst betreffen] durchkreuzen).

5Lu|zi|di|tät, die; - [spätlat. luciditas]: 1. (bildungsspr.) luzide (klare [u. eindeutige]; verständliche, einleuchtende) Art, Beschaffenheit. 2. (bildungsspr. veraltet) Helle, Durchsichtigkeit, Klarheit. 3. (Parapsych.) das Hellsehen.