Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №17/2007

Sonderthema

Theodor Storm: Zum 190. Geburtstag des Dichters

Theodor StormAls Sohn des Advokaten Johann Casimir Storm und seiner Frau Lucie kommt Storm in der Nacht vom 14. auf den 15. September 1817 in Husum zur Welt. Er wächst in einer bürgerlichen Umgebung auf. Der Urgroßvater aus mütterlicher Linie war Senator Friedrich Woldsen, einer der wohlhabendsten Bürger seiner Zeit; die Großmutter Magdalena Woldsen war eine wichtige Bezugsperson in der Kindheit. Der Vater stammte aus einer Bauernfamilie, die seit Generationen einen Mühlenbetrieb in Westermühlen unterhielt.

Mit seinen Eltern zieht der Vierjährige in ein größeres Haus um. Hinter dem Haus werden die verlassenen alten Fabrikgebäude zum beliebten Spielplatz für Storm und seine Geschwister Lucie, Otto und Johannes. Die Bäckerstochter und Erzählerin Lena Wies beeindruckt den Jungen nachhaltig mit ihren Geschichten, Märchen und Sagen.

In Husum besucht Storm schon mit vier Jahren die Grundschule, unterrichtet wird er von «Mutter Amberg», einer alten Dame aus Hamburg, die ein «widriges Geschick ... zur Kinderlehrerin gemacht» hatte. Mit neun Jahren wechselt er in die Quarta der Husumer Gelehrtenschule, später besucht er in Lübeck das Gymnasium. Literarisch macht er zunächst nur mit den Dichtern des Göttinger Hainbundes1 und mit Friedrich Schiller Bekanntschaft.

Von einer strengen Erziehung kann nicht die Rede sein – insbesondere hinsichtlich der Religion und des Christentums. Die Eltern gehen fast nie in die Kirche, Glaubensinhalte werden nicht vermittelt. In den Ferien besucht er häufig den Onkel, der den Familienbetrieb in Westermühlen führt. Der Tod der Schwester Lucie etwa 1827 ist für den Jungen nur schwer zu verwinden; in diesem Zusammenhang entstehen erstmals einige Verse: Ausdruck des tiefen Schmerzes. 1833 entsteht das erste überlieferte Gedicht An Emma, gewidmet der Jugendfreundin Emma Kühl und gehalten im Stil der Rokoko-Lyrik.

Storms Geburtshaus in HusumStorm wird nun Husum zum ersten Mal für längere Zeit verlassen: es ist eine unpolitische Zeit, als er zunächst noch für achtzehn Monate das Gymnasium Katharineum in Lübeck besucht und mit Ferdinand Röse eine lebenslange Freundschaft begründet. Durch Röse lernt er nun die moderne Literatur kennen, außerdem liest er u. a. Johann Wolfgang von Goethes Faust, Eichendorffs Dichter und ihre Gesellen und Heinrich Heines Buch der Lieder. Durch Röse lernt er den Dichter Emanuel Geibel2 kennen, der ihm die ersten Eindrücke «ernsthafter» dichterischer Arbeit vermittelt. Durch diese beiden wird er außerdem im Salon des schwedischen Konsuls Nölting eingeführt, in dem man sich der Musik und Literaturvorträgen hingibt. Bei einer Weihnachtsfeier verliebt sich der zwanzigjährige Storm in die zehnjährige Bertha von Buchan, die ihm nun bei der Formulierung seiner Lyrik vor Augen steht. Ein späterer Heiratsantrag an die dann Siebzehnjährige wird von ihr abgelehnt.

Die Motive für das folgende Studium sind nicht sonderlich originell: 1837 schreibt sich Storm an der Fakultät der Rechte in Kiel ein und folgt damit beruflich seinem Vater nach. Als er sich einschreibt, studieren gerade 200 junge Männer an der gleichen Universität. Storm ist wenig angetan von der dort herrschenden Atmosphäre und den Ritualen der schlagenden und Bier trinkenden Verbindungen. Schon ein Jahr später wechselt er an die Berliner Fakultät, wo er Röse wieder trifft: Berlin hat nicht nur hinsichtlich des Studiums eine vollkommen andere Atmosphäre als Kiel, sondern auch ein unvergleichbar größeres kulturelles Angebot, das Storm natürlich wahrnimmt, sooft er kann. 1839 erscheint das «Album der Boudoirs», das fünf Storm’sche Gedichte enthält.

Nach sechs Semestern kehrt er an die Kieler Universität zurück: Kommilitonen und Freunde werden ihm nun die Brüder Theodor und Tycho Mommsen3. Mit ihnen zusammen gibt er 1843 Liederbuch dreier Freunde heraus; Storm selbst liefert vierzig Beiträge. Nach einem für die damalige Zeit auffällig langen und von den Eltern finanzierten Studium besteht Storm 1842 sein Examen und kehrt bald darauf nach Husum zurück.

1843 wird er Advokat im Büro seines Vaters in Husum, das seinerzeit zum dänischen Herrschaftsgebiet gehört. Beruflich ist er in diesen Jahren kaum ausgelastet, er gründet sogar einen Gesangsverein und hat Zeit für die Schriftstellerei. 1846 heiratet er – für viele überraschend – seine Kusine Constanze Esmarch, Tochter des Bürgermeisters Esmarch aus Segeberg. Er geht die Ehe ein, obwohl er Constanze nicht wirklich liebt und ihn Zweifel an der Ehe als bürgerlicher Institution beschleichen.

Als Storm bereits ein Jahr später Dorothea Jensen, die Tochter eines Husumer Senators, kennenlernt, deutet sich die innere Distanz zu seiner ersten Frau bereits an. Kurz nachdem Dorothea Husum 1848 verlassen hat, kommt Storms erster Sohn Hans zur Welt.

Storms Mutter1852 wird er aus politischen Gründen aus dem Juristendienst entlassen und des Landes verwiesen: Wie sein Freund Theodor Mommsen hat er sich am Unabhängigkeitskampf der schleswig-holsteinischen Heimat von Dänemark beteiligt. Ab 1848 liefert Storm Korrespondentenberichte an die «Schleswig-holsteinische Zeitung», im Frühjahr 1849 unterzeichnet er eine Petition an den Husumer Magistrat, in der gefordert wird, den dänischen König künftig nicht mehr als schleswig-holsteinischen Herzog anzuerkennen. Es folgen gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Preußen und Dänemark, bis 1850 in Berlin unter dem Druck des Deutschen Bundes, dem beide Länder angehören, Frieden geschlossen wird. Dänemark kämpft nun allein gegen Schleswig-Holsteins Armee, die auf Druck Österreichs und Preußens endlich aufgibt. Schleswig und Holstein werden voneinander getrennt und in den dänischen Gesamtstaat integriert. Storm eröffnet sein während des Krieges geschlossenes Anwaltsbüro wieder, verweigert aber die von der dänischen Oberjustizbehörde 1851 verlangte Loyalitätsadresse. Am 22. November 1852 wird schließlich seine Zulassung kassiert.

Nach einigen erfolglosen Bewerbungen im deutschen Raum reist er im Dezember 1852 und im Februar des nächsten Jahres nach Berlin, um hier eine Anstellung zu erlangen. Doch wird er nach anfänglichen Versprechungen von der preußischen Bürokratie hingehalten und erhält erst im Oktober 1853 die erwartete Kabinettsordre.

Wie aber ist Storms politisches Engagement einzuschätzen? Seine Urteilskraft war sicherlich oberflächlich, nicht tiefgreifend, geschweige denn revolutionär. Es ging ihm zwar um Gerechtigkeit im weitesten Sinne und insofern war er demokratisch gesinnt, aber er selbst hat z. B. in seinen juristischen Ämtern nie anders als bürgerlich gehandelt und argumentiert. Storm plädierte für Volkstümlichkeit und moralisch-ethische Integrität von Regierung und Verwaltung, ohne die wirkenden Strukturen in seiner bürgerlichen Naivität wirklich zu durchschauen.

Eines von Storms Häusern in Husum – heute ein MuseumStorm wird als Assessor beim Kreisgericht in Potsdam ohne Sold in den preußischen Staatsdienst aufgenommen, ein geringes Gehalt bezieht er erst ab August 1854. Im Dezember folgen Constanze und die Kinder: inzwischen sind die Söhne Ernst 1851 und Karl im Juni 1853 geboren worden. Storms Bruder Otto ist ebenfalls in Potsdamer Exil, da er als freiwilliger Jäger 1848 für Schleswig-Holstein gekämpft hatte. Die Lage ist aufgrund der fehlenden materiellen Basis sehr beschwerlich und die Familie kann nur aufgrund der Unterstützung durch die Eltern Storms durchgebracht werden. Zudem waren die körperlichen und seelischen Belastungen durch die Arbeit sehr hoch, Storm wird mehrfach krank. Zwischendurch spielt er mit dem Gedanken, nach Husum zurückzukehren. Entsprechend den äußeren Umständen ist seine literarische Produktivität nur sehr gering, es entstehen einige Gedichte und drei kurze Novellen.

Es entwickelten sich Kontakte nach Berlin zu den Schriftstellern Theodor Fontane, Joseph von Eichendorff und Paul Heyse, mit dem er sich befreundet. Das Haus des Kunsthistorikers und Lyrikers Franz Theodor Kugler ist einer der wichtigen literarischen Treffpunkte der Stadt. Kugler führt ihn außerdem in den literarischen Klub «Tunnel über der Spree» ein, der 1827 gegründet worden ist und der sich jeden Sonntag trifft. Allerdings kommt Storm hier nicht so zur Geltung, wie er es sich vielleicht erhofft hat. Fontane und Heyse finden Gefallen an den Storm’schen Novellen, andere weisen sie scharf zurück.

In den 50er Jahren beginnt die bis zu seinem Tode anhaltende und kaum unterbrochene Schaffensperiode mit der Herausgabe verschiedener Novellen- und Gedichtbände (Sommergeschichten und Lieder, 1851; Gedichte, 1852; Im Sonnenschein, 1854; Ein grünes Blatt, 1855; Hinzelmeier, 1857; In der Sommer-Mondnacht, 1860, etc.). Schon hier zeigt er sich als Vertreter des deutschen Realismus in der Nachfolge der Spätromantik. Insofern setzt er sich ab von der Dichtung Eduard Mörikes, den er zu seinen Freunden zählt. Seine Dichtung beruht auf dem Bemühen um das Nachzeichnen von Stimmungen und Erlebnissen. Seine Novellen sind wiederum geprägt von der analytischen Schärfe des psychologischen Blicks, die einerseits die scharfe Konturierung von Gestalten und Umwelt, andererseits die schwebende Wiedergabe örtlicher Stimmungen erlaubt. Im Hintergrund stehen häufig die Vorstellungen der melancholischen Landschaften Norddeutschlands. Die Novellen kreisen um die Themenkomplexe Natur, Beziehung, Liebe.

1855 reist Storm mit den Eltern in den Süden Deutschlands und besucht Eduard Mörike in Stuttgart, dem er noch kurz zuvor die Kurznovelle Im Sonnenschein zugesandt hatte. 1856 wird Storm ins Kreisrichteramt in Heiligenstadt berufen: endlich die langersehnte Anstellung, ausgestattet mit einem Gehalt von 600 Talern, aber unterbezahlt, sodass im Winter nur zwei Zimmer der Wohnung beheizt werden können. Im Haus des Bruders Otto, der schon einige Zeit zuvor dorthin umgezogen war und eine Gärtnerei betreibt, findet die Familie zunächst ein Obdach.

1859 gründet er erneut einen Gesangsverein, Mittel zum Zweck einer gewissen gesellschaftlichen Etablierung in der Stadt. Die Ferien der Familie werden bei den Eltern in Husum bzw. bei den Schwiegereltern in Segeberg verbracht, die Familie ist inzwischen um zwei Töchter angewachsen.

In Heiligenstadt hat Storm nun auch wieder Zeit für die Dichtkunst, 1859 verfasst er die Novelle Späte Rosen, 1860 die Novelle Drüben am Markt. 1861 entsteht eine Sammlung von Gespenstergeschichten (Am Kamin) und die Novelle Im Schloss, die einen gesellschaftskritischen Ton anschlägt, der aber kaum Anklang findet. Zwei Weihnachtsidyllen mit den Titeln Unter dem Tannenbaum und Abseits und die Novelle Auf der Universität entstehen im folgenden Jahr. 1864 wendet er sich der Märchendichtung zu. Storm will – insbesondere in seinen Novellen – allgemeine gesellschaftliche Realitäten beschreiben, die Scheinwelten des bürgerlichen Lebens entlarven.

1864 kehrt Storm nach Husum zurück: Inzwischen hat sich nach starken Repressionen durch die Dänen und dem Tod Friedrichs VII. von Dänemark der Erbprinz von Schleswig-Holstein, Friedrich von Augustenburg, selbst zum Nachfolger ernannt und ist mit Christian IX. von Dänemark auf Konfrontationskurs gegangen. Der zu Hilfe gerufene Deutsche Bund schickt Truppen, die das Land im Dezember 1863 besetzen. Storm greift mit einem Gedicht (Gräber über Schleswig) in die Kämpfe ein.

Bronzestatue von Theodor Storm in HeiligenstadtIm Juli 1864 bittet Dänemark um Frieden, der Vertrag wird am 1. August in Wien unterzeichnet und durch die Wiener Konferenz vom 30. Oktober 1864 bestätigt. Allerdings entbrennt nun der Streit darüber, ob man sich für die preußische Monarchie oder aber für die von Österreich favorisierte Regentschaft Friedrichs VIII. entscheiden soll. Storm unterstützte die national-demokratische Gruppe und die Unabhängigkeit von Preußen. Nach weiteren Machtverwicklungen erringt Preußen im Sommer 1866 schließlich die Vorherrschaft. Unterdessen ist Storm schon im Februar 1864 nach Husum gereist, um sich ein Bild von der Lage zu machen, und übernimmt nach einigem Zögern das Amt als Landvogt, das ihm von der Bevölkerung angetragen wurde. Am 14. März erhält er seine Entlassung aus dem preußischen Staatsdienst, drei Tage später wird er als Landvogt vereidigt, ein Posten, der mit 3000 Reichstalern nun endlich gut dotiert ist.

Doch beginnt die Husumer Zeit mit einem Ereignis, das Storm nur schwer verwinden kann: Am 20. Mai 1865 stirbt seine Frau Constanze, nachdem sie zwei Wochen zuvor das siebte Kind Gertrud zur Welt gebracht hat. Doch obwohl er große Traurigkeit empfindet, ist dies keineswegs ein Anlass, in christlich-religiöses Fahrwasser zu geraten, vielmehr erhebt er die literarische Arbeit zur Religion, was etwa in dem 1865 verfassten Gedichtzyklus Tiefe Schatten zum Ausdruck kommt.

Eine gewisse Besserung seines Gemütszustandes tritt ein, als Storm im Sommer 1865 eine Reise nach Baden-Baden unternimmt. Hier begegnet er Iwan Turgenjev, dessen äußere Erscheinung ihn besonders beeindruckt; noch Jahre später senden sich die beiden Schriftsteller gegenseitig ihre Werke zu.

Bereits ein Jahr nach dem Tod seiner ersten Frau heiratet er 1866 Dorothea Jensen. 1868 wird die Tochter Friederike geboren, zu den übrigen Kindern gewinnt Storms neue Frau ein gutes Verhältnis. 1867 wird er nach der durch die preußische Reform bedingte Amtsenthebung Amtsrichter – ohne innere Überzeugung und nicht zuletzt, um nicht als Verwaltungsangestellter «bei der Durchführung der preußischen Verwaltungsmaßnahmen in Gewissenskonflikte zu geraten». Zwar distanziert er sich von der preußischen Okkupationsregierung, hat aber durch sie letztendlich sein Auskommen gefunden.

Storm pflegt nun engen Kontakt zu dem im Husumer Schloss als Amtmann bzw. Landrat residierenden Grafen Ludwig von Reventlow, Vater der als Schriftstellerin bekannt gewordenen Franziska von Reventlow, die Storm so porträtiert: «Storms äußere Erscheinung hatte etwas von einer Märchengestalt an sich, der kleine etwas gebeugte Mann mit dem langen, schlohweißen Bart und den milden hellblauen Augen, der in seinem schwarzen Beamtenrock so still und unauffällig umherging.»

Indessen ist Storm durch sein literarisches Schaffen mittlerweile einem großen Leserkreis bekannt geworden und die 1868 erscheinende erste Gesamtausgabe seiner Werke hat großen Erfolg. Storm widmet sich nun der Herausgabe eines Hausbuches aus deutschen Dichtern seit Claudius, einer Arbeit, die 1870 in der 1. Auflage erscheint. 1874 wird er zum Oberamtsrichter und 1879 zum Amtsgerichtsrat befördert, indessen genießt er das stille Arbeiten in seinem mit einer umfassenden Bibliothek ausgestatteten Arbeitszimmer. In diesen Jahren kommt auch ein Briefwechsel mit Gottfried Keller zustande. Er nimmt Kontakt auf zu den Schriftstellern Detlev von Liliencron und Heinrich Seidel.

Während der Jahre zwischen 1870 und 1880 ist Storms Schaffenskraft am intensivsten, unterbrochen von einer kurzen Phase 1877, als er sich auf die neue Rechtssprechung im Zusammenhang mit den Reichsjustizgesetzen einstellen muss. 1874 stirbt der Vater, 1879 die Mutter. 1879 lässt er sich beurlauben, am 1. Mai 1880 wird er in den Ruhestand versetzt. Wie schon seine Familie kurz vor ihm, zieht nun auch Storm zunächst in eine gemietete Wohnung und im April 1881 in seinen von ihm erbauten Alterssitz zwischen Hademarschen und Hanerau.

Hier auf dem Land erhofft er für sich neue Kraft für die poetische Arbeit. In den 80er Jahren erscheinen insgesamt vierzehn Novellen-Bände, insgesamt verfasst Storm 58 Novellen, von denen Der Schimmelreiter (1888) sicher als bedeutender Abschluss gewertet werden kann.

Die Novellistik hat inzwischen die Lyrikproduktion fast vollständig abgelöst und der von ihm einst konstatierte fließende Übergang ist nicht mehr erkennbar. Im Laufe der Zeit hat Storm die feste Novellenform immer stärker aufgelöst zugunsten von Erinnerungs-, Stimmungs-, Schicksals- und Chroniknovellen. Insofern nimmt Storm Entwicklungen des Impressionismus vorweg.

An diesem Schreibtisch vollendete Theodor Storm die Novelle

Inhaltlich geht der Weg von den elegisch-melancholischen Stimmungsbildern hin zur Beschreibung des existenziellen Kampfes des Menschen gegen den ihn bedrohenden Dämon und das scheinbar unvermeidliche Schicksal. Dabei wird bis zum Schluss deutlich, dass Storm eine christlich-religiöse Verbrämung dieser existenziellen Situation des Menschen – im Mittelpunkt seiner Novellen steht zumeist der Mann – rigoros ablehnt. Unsterblichkeit und Auferstehung, wie sie das christliche Dogma lehrt, gibt es für ihn nicht. Storm selbst hat die Novelle Draußen im Heidhof, in der die Geschichte einer bäuerlichen Familie erzählt wird, als einen Wendepunkt seiner Novellistik bezeichnet, insofern er hier auf den Stimmungspunkt verzichten wollte. Allerdings gelang es ihm nicht, sein eigenes bürgerliches Weltbild abzustreifen, wenn er wie in dieser und anderen Novellen die Handlungen und Ereignisse lediglich durch eine Dämonisierung erklärt. Seine Novellen sind szenisch aufgebaut, was seiner Arbeitsweise genau entspricht, bei der er jede Szene für sich ausarbeitet und dann zusammenfügt. Kernpunkt des gesamten Erzählganges ist nach Storm der novellistische Konflikt, um den herum sich alles andere gruppiert. Insgesamt durchzieht sein Werk bis auf wenige Ausnahmen eine tiefe Schwermut, die sich erklären lässt aus eben der agnostischen Grundhaltung, die am Rande zum Nihilismus steht. Andererseits – ganz auf die Seite des Diesseits geworfen – kann er die menschliche Liebe in den Mittelpunkt seiner Weltauffassung stellen: Als alles durchdringende Kraft ist sie zugleich Urgrund einer weltimmanenten Hoffnung auf ein gutes Leben in der Gemeinschaft. Allerdings hat die Gemeinschaft bei Storm immer eine Grenze gegenüber dem Fremden, seine Novellen stets einen volkstümlichen, nationalen und klassenbetonenden Hintergrund, sein Frauenbild ist konventionell, Erotik versteckt dargestellt. Man kann sicher behaupten, dass Storm nicht nur seine eigenen Ängste und Empfindungen in sein Werk hineingelegt – Gedankendichtung hat er stets abgelehnt –, sondern aus diesen auch die Motivation für sein hohes Arbeitspensum gezogen hat. Storm hat sein eigenes Werk selbst hoch eingeschätzt, dabei oft überschätzt und Kritik barsch zurückgewiesen.

Gesellschaftliches Leben findet auch in Hademarschen statt: Alle zwei Wochen trifft sich ein Kreis von Familien, es werden Geschichten vorgetragen und es wird musiziert. Storm reist u. a. nach Hamburg, Kiel, Weimar, Braunschweig und Berlin, wo man ihm von Seiten der Berliner Presse einen großen Empfang bereitet. Er trifft die Freunde Fontane, Seidel, Theodor Mommsen und Pietsch wieder. In Braunschweig trifft er Wilhelm Raabe, in Weimar wird er vom Herzog eingeladen und erscheint entgegen dem Protokoll mit einem Schlapphut und lehnt das Angebot ab, eine Hymne auf Kanzler Bismarck zu dichten: nicht weil er selbst etwa Sozialist geworden wäre, sondern eher aus dem Motiv unpolitisch-menschenfreundlicher Distanz heraus. Zu seinem 70. Geburtstag wird nicht nur in Hademarschen, sondern auch in Kiel und Husum gefeiert.

Seit 1886 leidet er an Magenkrebs, einer Krankheit, die ihn immer mehr bedrückt und kaum noch Zeit zum Arbeiten lässt. Die Familie kann ihn durch ein neues ärztliches Gutachten von dem wahren Befund ablenken. Trotz der Beschwerden kann er sein umfangreiches, schon 1885 begonnenes Werk Der Schimmelreiter noch fertigstellen: die Geschichte des Hauke Haien, dem es gelingt, die Stellung eines Deichgrafen zu erlangen, dem aber vorgeworfen wird, dies nur durch Protektion erreicht zu haben, und der durch den Bau eines neuartigen Deiches seine Fähigkeit beweisen will. Die gewonnenen Polder werden zu seinem Besitz, aber bei einer Sturmflut bricht der Damm und Frau und Kind ertrinken zuerst in den Fluten, woraufhin sich der Deichgraf mit seinem Pferd selbst in die Fluten stürzt. Durch die von Storm beigefügte Rahmenerzählung wird zwar ein aufklärerisches Moment eingefügt, doch kann deshalb nicht von einem Beitrag zur Aufklärung gesprochen werden, wie dies während der Rezeptionsgeschichte des Werkes immer wieder einmal versucht worden ist. Vielmehr handelt es sich hier hinein für Storm durchaus typischen Stilmittel mit dem Ziel lediglich perspektivischer Verfremdung. Mit dieser letzten Novelle schließt sich der Bogen seines Lebens: hat er das Motiv für diese Novelle doch bereits in seiner Jugend kennengelernt.

Am 4. Juli 1888 stirbt Storm im Kreis seiner Familie in seinem Haus in Hademarschen. Drei Tage später wird er auf dem Storm-Jürgen-Friedhof begraben. Nach seinem Tod steigt seine Popularität enorm an, er wird in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem der meistgelesenen Autoren deutscher Sprache. Besonders im Deutschunterricht ist Storm bis in die Gegenwart hinein wegen seiner «unpolitischen Haltung» und des paradigmatischen Charakters seiner Novellentechnik hohe Wertschätzung zuteil geworden.

Storm hat mit seinem literarischen Werk an der Schwelle zum 20. Jahrhundert impressionistische und existenzialistische Elemente in seiner diesseitsbetonenden Schau vorweggenommen und muss als einer der bedeutendsten Dichter des deutschen Realismus bezeichnet werden. Sein unpolitisch-volkstümliches Verve4 ist in der Folgezeit immer wieder vom nationalistischen Bürgertum, in den 30er Jahren auch von den Nationalsozialisten in Beschlag genommen worden.


1Göttinger Hain (Hainbund), dt. Dichterkreis, gegr. 1772 von J. H. Voß, L. Hölty, J. M. Miller u. a., die an der Univ. Göttingen studierten. Dem G. H. nahe standen G. A. Bürger, M. Claudius und v. a. Klopstock, der verehrtes Vorbild war und auf dessen Ode Der Hügel und der Hain sich der Name bezieht.

2Geibel, Emanuel, * Lübeck 17. 10. 1815, † ebd. 6. 4. 1884, dt. Dichter. Klassizist. Lyriker der dt. Einigungsbestrebungen unter preuß. Führung; auch Volkslieder (u. a. Der Mai ist gekommen).

3Mommsen, Theodor, * Garding 30. 11. 1817, † Charlottenburg
(= Berlin) 1. 11. 1903, dt. Historiker. Im Preuß. Abg.haus und im Reichstag als liberaler Abg. Gegner Bismarcks. Werke: Röm. Geschichte (Bd. 1–3, 1854–56, Bd. 5, 1885; dafür 1902 Nobelpreis für Literatur), Röm. Staatsrecht (1871–88), Röm. Strafrecht (1899).

4Ver|ve, die; - [frz. verve, älter= Einfall, Laune, viell. über das Vlat. < lat. verba, Pl. von: verbum= Wort, Ausspruch] (geh.): Begeisterung, Schwung (bei einer Tätigkeit): sie sprach mit viel V.


Theodor Storm

Zeittafel

1817 Am 14. September in Husum als Juristensohn geboren.

1821–1835 Grundschule, Gelehrtenschule in Husum, ab 1835 das Katharineum in Lübeck.

1837–1843 Jurastudium in Kiel; 1838/39 Berlin.

1843 Anwaltspraxis in Husum; Liederbuch dreier Freunde mit Theodor und Tycho Mommsen.

1846 Heirat mit Cousine Constanze Esmarch.

1847 Marthe und ihre Uhr, erste Prosaveröffentlichung.

1848 Dänisch-Preußischer Krieg; Mitarbeit an der «Schleswig-holsteinischen Zeitung». Ostern 1848; Ein Buch der roten Rosen (Liebe zu Dorothea Jensen).

1849 Immensee (Novelle); zahlreiche politische Gedichte 1849/50.

1852 Berufsverbot wegen antidänischer Betätigung; in Berlin nimmt Storm an den Sitzungen der Dichtervereinigung «Tunnel über der Spree» teil, Bekanntschaft mit Fontane. Die Gedichte erscheinen.

1853 Im preußischen Staatsdienst, Umzug nach Potsdam.

1856 Ernennung zum Kreisrichter in Heiligenstadt.

1859–1864 Novellen Auf dem Staatshof (1859), Im Schloss, Auf der Universität (beide

1863); Märchen (1863 bis 1865). 1864 wird Storm Landvogt in Husum.

1865 Nach Constanzes Tod am Kindbettfieber Heirat mit Dorothea Jensen (1866).

1867 Storm wird Amtsrichter im preußischen Schleswig.

1870–1879 Historische Chroniknovellen (Aquis submersus, 1877; Ein Fest auf Haderslevhuus, 1885) und gegenwartsbezogene, sozial-psychologische Novellen (Carsten Curator, 1878; Hans und Heinz Kirch, 1883; Ein Doppelgänger, 1886).

1880 Vorzeitige Pensionierung auf eigenen Wunsch.

1881 Umzug nach Hademarschen (Holstein).

1887 Feiern zum 70. Geburtstag, Diagnose von Magenkrebs; Ein Bekenntnis; Arbeit am Schimmelreiter.

1888 Am 4. Juli stirbt Storm in Hademarschen.

Der Text ist entnommen aus:
http://www.bautz.de/bbkl/s/s4/storm_t.shtml