Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №9/2007

Literatur

Erich Fried: Gedichte

Spiegelbild

Alles
was wüst
und leer ist
in mir
tritt zutage

und versteckt
was denkt
und noch sucht
und sich sehnt
und sich ändern könnte

Mein Gesicht
verfettet
und alternd
straft mich Wahrheit

Nur küssen

Drei Worte mit nur
sind mehr Glück für mich als fast alles
was wir im Leben sonst
tun dürfen oder tun müssen
Die drei Worte sind: «Dich nur küssen»

«Mich nur küssen
sonst nichts?
Ist das alles
was du an Glück noch hast?»

Nicht ganz.
Denk ‹im Falle des Falles›
an meine Worte zurück: Ich sagte
doch vorsichtig
«fast»

Rast

Stehen am Rande des Todes
ist nicht so anders
als am Rand eines Steilhangs stehen
die Augen nach unten

Wenn man fällt
ist es aus
Aber die Aussicht ist weiter
und man atmet tiefer
als im Alltag
und in seiner Allnacht

Der Schwur

Sonderbar:
Die ich im Traum treffe
sprechen
wenn sie noch leben
die fremden Sprachen der Toten

Und meine Toten
sprechen immer
nur meine Sprache
Ich verstehe sie besser
als meine Lebenden

«Laß es nicht nochmals geschehen!»
verlangen sie jede Nacht
Und jedes Mal
wenn ich schwören will
wache ich auf

Lernfähigkeit

Leicht zu lernen
was ich schon weiß
Schwer zu lernen
was ich noch nicht weiß

Eine Lust zu lernen
was ich nicht wissen soll
Eine Qual zu lernen
was ich nicht wissen will

Was ich nicht wissen will
kann ich alles wieder vergessen
nur eines nicht:
daß ich es vergessen wollte