Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №6/2007

Sonderthema

«Dr. Katzenbergers Badereise»

Dr. Katzenbergers Badereise nach dem – fiktiven – Bad Maulbronn ist geplant als Straf- und Rachefeldzug gegen den dort ansässigen Brunnenarzt Strykius, der es gewagt hat, die Monstrenwerke des Doktors missgünstig zu rezensieren. Dass er dabei einer Gevatternschaft zu entkommen glaubt und nebenher seiner wissenschaftlichen Profession, dem Sammeln von anatomischen Kuriositäten und Missgeburten, nachgehen kann, sind willkommene Beiwerke, denen er, wie es sich im Laufe der Reise herausstellen sollte, alles andere unterzuordnen bereit ist. Ebenso willkommen, weil für die Kosten der Reise verantwortlich, ist ihm als Reisegefährte der weit bekannte Bühnendichter Theudobach, der sich allerdings unter dem Pseudonym Herr von Nieß vorstellt, da er inkognito im Bad seine eigene Ankunft vorbereiten möchte.

Nach einer turbulenten Fahrt, während der sich Nieß erfolglos um die dritte Mitreisende, Katzenbergers Tochter Theoda, bemüht, und die dem Doktor eine schwer erkämpfte «veritable ausgestopfte Missgeburt» beschert, setzt nach der Ankunft im Bad die Verwechslungskomödie ein, die im doppelten Namenspiel des Dichters angelegt ist. Der sorgsam inszenierte Auftritt des Dichters misslingt völlig, als der wirkliche Theudobach, ein Festungsmathematiker, auftaucht, der nicht nur den Dichter bloßstellt, sondern auch das Herz Theodas für sich gewinnen kann.

Katzenbergers Ziele erfüllen sich nur zum Teil. Der Gevatterschaft, die der nachgereiste Mehlhorn ihm anträgt, kann er sich nicht erwehren, Strykius jedoch treibt er in die Enge. Von den Prügeln, die der Doktor ihm androht, kann sich dieser durch das Lösegeld einer sechsfingrigen Hand freikaufen, mit der Katzenberger gut gelaunt den Heimweg antritt.
Theudobach und Theoda, die ihm bereits vorausgeeilt sind, gewährt er schließlich das Eheversprechen, nachdem er vom Mathematiker mit einer Höhle voller Bärenknochen geködert worden ist.

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Von Missgeburten und Monstren handelt eines der drei Bücher des Arztes und «Artista» Katzenberger, Titelheld des 1809 erschienenen Romans. Als eigentliches Monstrum aber entpuppt sich bald der Mediziner, Katzenberger selbst. Dass er vorhat, den Brunnenarzt Strykius «beträchtlich auszuprügeln», weil dieser es gewagt hat, seine Werke missgünstig zu rezensieren, bringt die Handlung erst in Fahrt und weckt nichts anderes als die Belustigung des Lesers. Überhaupt ist der Humor eines der auffälligsten Merkmale dieses Textes: der Leser fällt, stolpert über ihn – von Zeile zu Zeile, von Seite zu Seite; Jean Paul’scher Wort- und Sprachwitz gehen mit dem eigen- und mutwilligen Doktor eine innige Verbindung ein, und so amüsiert sich der Leser über den satirischen, spöttischen Ton, mit dem Katzenberger über die wohlfeile wie weniger wohlfeile Gesellschaft herfällt, ihre Konventionen entlarvt und sie der Lächerlichkeit preisgibt.

Allererstes Opfer ist Katzenbergers Reisegefährte in der Kutsche nach Bad Maulbronn, der unter dem Pseudonym Herr von Nieß allseits bekannte und geschätzte Bühnen-Dichter Theudobach. «Wissenschaft und Poesie – oder Logik und Blumik», beschrieb Jean Paul in den Vorarbeiten zum Roman das Thema. Die Dominanz Katzenbergers erweist sich bald als übermächtig: die geckenhafte Gefühlsschwelgerei des Dichters, dessen Werke nicht Ausdruck eigener Empfindungen, sondern schwülstiges Produkt eingebildeter Eitelkeit sind, gerät in die alles zermalmende Seziermaschine der Katzenberger’schen Logik. Der romantische Mondscheinspaziergang mit Theoda, Katzenbergers Tochter, deren Liebe zu gewinnen Theudobach anstrebt, erfährt auf dem Gottesacker durch den skelettaushebenden Doktor eine empfindliche Störung. Dass Theoda schließlich – als fast unvermeidliches Resultat der Verwechslungskomödie – sich dem wirklichen Theudobach, einem prosaischen Festungs- und Militärmathematiker zuwendet und den blassen, geistig wie körperlich anämischen Bühnen-Dichter verschmäht, ist als vernichtende Niederlage der «Blumik» zu verstehen – und durchaus auch als augenzwinkernde Selbstparodie Jean Pauls.

Katzenbergers Logik trägt, wie bei allen Händeln, in die er während seiner Reise gerät, den Sieg davon; dabei ist sie nichts anderes als ein unter dem Deckmantel des wissenschaftlichen Enthusiasmus getarnter Fanatismus. Ihm alles unterzuordnen erscheint dem Doktor ebenso einleuchtend wie zweckdienlich, und so schockiert er permanent die illustre Badegesellschaft in Wort und Tat. An der öffentlichen Tafel im Bad doziert er z. B., dass er «unter allen Empfindungen keine kenne, die stärker, aber auch grundloser ist, und die weniger Vernunft annimmt, als der Ekel tut» – und garniert seine theoretischen Erläuterungen gleich mit einem Beispiel: «Da ich nun meinen Gästen gern Ausgesuchtes vorsetze: so bot ich einigen Leckermäulern darunter Schnepfendreck, wie gewöhnlich mit Butter auf Semmelscheiben geröstet, an, und zwar so, wie ihn täglich meine beiden Schnepfen unmittelbar lieferten.» Über den Verstoß gegen den guten Geschmack der Badegäste und deren Fassungslosigkeit kann der Leser ebenso lachen wie über die gesamte Erscheinung Katzenbergers, über seinen Spinnenverzehr oder seine abstruse Jagd nach Monstrositäten.

Das Lächeln gefriert dem Leser erst, wenn der skurril-sympathische Doktor die Nachtseite seines Wesens, den skrupellosen Unmenschen hervorkehrt, wenn seine ständige Suche nach Missgestalten, sein Drang, seinem Wissenschaftsideal zu huldigen, buchstäblich über Leichen gehen. Beinahe untröstlich ist er, als er davon abgehalten wird, einer Exekution beizuwohnen. Nur aus Liebe zu seiner Tochter sieht er «von einem lachenden Seitenwege ab, wo ihm ein Galgenvogel als eine gebratne Taube in den Mund geflogen wäre, indem er am Diebe das Henken beobachten, vielleicht einige galvanische Versuche auf der Leiter nachher und zuletzt wohl einen Handel eines artigen Schaugerichts für seine Anatomiertafel hätte machen können. Der Gehenkte wäre dann eine Vorsteckrose an seinem Busen auf der ganzen Reise ins Maulbronner Rosental gewesen.»

So meint er, eine weibliche Missgeburt heiraten zu wollen, «wenn sie sonst durchaus nicht wohlfeiler zu haben wäre», und seiner Tochter gesteht er «– da die Sache aus reiner Wissenschaftliebe geschah und ich gerade an der Epistel de monstris schrieb – dass ich an deiner seligen Mutter während ihrer guten Hoffnung eben nicht sehr darauf dachte, aufrechte Tanzbären, Affen oder kleine Schrecken und meine Kabinetts-Pretiosen fern von ihr zu halten, weil sie doch im schlimmsten Falle bloß mit einem monströsen Ehesegen mein Kabinett um ein Stück bereichert hätte».

In Katzenberger kommt in diesen Szenen, wie Günter de Bruyn schreibt, der «spezialisierte Unmensch des nächsten Jahrhunderts» zum Vorschein, sein Reagenzglas-, Taxidermien- und Spirituskabinett nimmt die Experimentierlabors der Konzentrationslager vorweg. (Dass Johann Friedrich Meckel, einer der bedeutendsten Anatomen der Zeit, sein 1815 erschienenes Werk über Missgeburten De duplicitate monstrosa Jean Paul widmete und eindringlich für die Figur des Katzenbergers dankte, erscheint dabei nur folgerichtig.) Katzenbergers Herz, so schaltet sich der Erzähler ein, «war in dieser Rücksicht vielleicht das Herz manches Genies; wenigstens so etwas von moralischem Leerdarm. Bekanntlich wird dieser immer in Leichen leer gefunden – nicht weil er weniger voll wird, sondern weil er schneller verdaut und fortschafft –; und so gibts Leer-Herzen, welche nichts haben, bloß weil sie nichts behalten, sondern alles zersetzt weitertreiben.»

Katzenbergers moralischer Leerdarm, Folge seiner anatomischen wie geistigen Sezierwut, wird allerdings nicht der Anklage unterzogen; der Erzähler liefert eine medizinisch-technische Erklärung und lässt Katzenbergers Badereise zum Triumphzug werden. Grund dafür ist keineswegs moralische Indifferenz, sondern eine Einsicht, die der Doktor so formuliert: «Ach, wohl in jedem von uns ... sind einige Ansätze zu einem Monstrum.» Jean Paul hat sehr wohl gewusst, welches beklemmende Gefühl die Lektüre seines Romans hinterlässt; gerade die scheinbar unbeteiligte Haltung seines Erzählers kann nur als Aufforderung an den Leser verstanden werden, sich mit den Ungeheuern im eigenen Innern auseinanderzusetzen.