Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №6/2007

Sonderthema

Jean Paul: Leben und Werk

Er hat in seinen Romanen echt poetische Gestalten zur Welt gebracht, aber alle diese Geburten schleppen eine närrisch lange Nabelschnur mit sich herum und verwickeln und würgen sich damit.

Heinrich Heine

Alles hat er in sich vereint, um auch die verschiedensten Gaumen zu befriedigen; ... als er fertig war und das Publikum kostete, fand man es wohlschmeckend, delikat, aber es widerstand dem Magen, weil niemand seine Kraftbrühen, den sonderbaren, dunklen Stil, ertragen konnte.

Wilhelm Hauff

Ein Mann, der Orients Breite, Höhen und Tiefen durchdrungen, findet, dass kein deutscher Schriftsteller sich den östlichen Poeten und sonstigen Verfassern mehr als Jean Paul Richter genähert habe.

Johann Wolfgang Goethe

Den deutschen Geistesheroen Goethe, Schiller, Wieland1 und Herder galt Jean Paul als Hinterwäldler2 und Sonderling; als er 1796 den Parnass der Klassik, Weimar, besuchte – einige Jahre später sollte er sich zeitweilig ganz dort niederlassen –, war man vor allem irritiert: Goethe war er ein «so kompliziertes Wesen», dass sich dieser nicht die Zeit nehmen konnte, eine Meinung über ihn zu bilden. «Man schätzt ihn bald zu hoch, bald zu tief, und niemand weiß das wunderliche Wesen recht anzufassen.» Und Schiller gar erschien er als «fremd wie einer, der aus dem Mond gefallen ist». Im Stillen aber kam man nicht umhin, sich über den sentimentalischen, kindisch-kindlichen Schwärmer und Humoristen zu mokieren. Einzig die Frauen, so schien es, wussten mit ihm etwas anzufangen, wussten ihn «recht anzufassen»; ihre Herzen flogen ihm zu, sie ließen sich von ihm, seinen so idyllischen Werken und seinem lebendig-naiven Charme auf das Wunderbarste unterhalten und waren in kürzester Zeit in ihn verliebt.

So wurde er gesehen, so wird er – von vielen – noch heute gesehen.

Der junge Jean PaulRolf Vollmann dreht in seiner lesenswerten Jean-Paul-Biografie Das Tolle neben dem Schönen dieses Bild versuchsweise um. Als Jean Paul Wieland einen Besuch abstattete und das Gespräch auf die in Weimar allseits verehrten alten Griechen kam, soll er gesagt haben: «Ich lasse die alten Griechen gelten, was sie sind, aber es sind doch sehr beschränkte Geister. Welche kindischen Vorstellungen haben sie von den Göttern! Wars möglich, dass sie dabei edlere und tiefere Gefühle der Menschheit hatten?» Und: «Aber jene Jugendzeit ist vorbei, und wir sind Männer geworden. Christliche Titanen haben längst den heidnischen Himmel erstürmt und die Götter desselben in den Tartarus gestürzt. Über uns hat sich ein unendlicher Gotteshimmel und unter uns eine unergründliche Tiefe der Menschheit aufgetan. Passen dafür noch die kleinlichen Formen und Schönheitsspielereien der alten Griechen?»

Worauf sich Wieland ziemlich zerknirscht notierte: «Mit einem Wort, Jean Paul hält die Griechen für Kindsköpfe.»

Und dann denke man, so wie Rolf Vollmann es vorschlägt, über das Wort von der unergründlichen Tiefe nach, die sich unter uns aufgetan hat, und man versteht, warum sie ihn in Weimar nicht verstanden haben. Und ebenso plötzlich werden aus den bewunderten Geistesheroen die eigentlichen kindisch-sentimentalischen Schwärmer, die verspielt ihrer programmatischen Klassik nachhingen und darüber den Blick auf die Realität verloren.

Wozu sich passenderweise anfügen lässt, dass Goethe niemals merkte, mit wem er es bei Jean Paul zu tun hatte, nämlich mit dem einzigen Schriftsteller Deutschlands, der ihm zumindest ebenbürtig war; wohingegen Jean Paul einmal anmerkte, er habe vor Goethe den einzigen Vorzug, dass er dessen Werke zu schätzen wisse.

Was Jean Paul jedoch nicht hatte, war ein Programm.

Die Fähigkeit, das existentielle Bedürfnis, dem Leben einen allgemeinen Sinn, eine alles verbindende Harmonie zu unterstellen, die sich wenn nicht versöhnend, so doch schützend über Mensch, Welt und Gott wölbt, war ihm abhanden gekommen, war gleichsam zerronnen in einen heillosen Mangel an Vollkommenheit. Den Tag, an dem dies geschah, bezeichnete er als den wichtigsten in seinem Leben; es war – mit Gewissheit lässt es sich nicht sagen – der 15. November 1790, der Tag seiner Todesvision.

Jean-Paul-Haus in Coburg auf dem Adamiberg, Wirkungstätte des Dichters 1803/1804

Eine Zeitgenossin berichtete: «Einst tritt seine Speisewirtin Christiane Stumpf zu ihm ins Zimmer und findet ihn bleich, mit verstörter Miene am Fenster stehen. Sie ruft ihn an, aber erst beim dritten Male erwacht er wie aus einem hypnotischen Schlaf und dankt der Frau mit aufgehobenen Händen, dass sie ihn durch ihr Dazwischentreten vor dem Ausbruch des Wahnsinns gerettet habe.»

Und aus der 1791/92 entstandenen Unsichtbaren Loge sei eine längere Passage zitiert: «Ich habe mit dem Tode geredet, und er hat mich versichert, es gebe weiter nichts als ihn ....» Und weiter: «Das Kind begreift keinen Tod, jede Minute seines spielenden Daseins stellet sich mit ihrem Flimmern vor sein kleines Grab. Geschäft- und Freudenmenschen begreifen ihn ebensowenig, und es ist unbegreiflich, mit welcher Kälte tausend Menschen sagen können: das Leben ist kurz. Es ist unbegreiflich, dass man dem betäubten Haufen, dessen Reden artikuliertes Schnarchen ist, das dicke Augenlid nicht aufziehen kann, wenn man von ihm verlangt: sieh doch durch deine paar Lebensjahre hindurch bis ans Bett, worin du erliegst – sieh dich mit der hängenden plumpen Toten-Hand, mit dem bergigen Kranken-Gesicht, mit dem weißen Marmor-Auge, höre in deine jetzige Stunde die zankenden Phantasien der letzten Nacht herüber – diese große Nacht, die immer auf dich zuschreitet und die in jeder Stunde eine Stunde zurücklegt und dich Ephemere, du magst dich nun im Strahl der Abendsonne oder in dem der Abend-Dämmerung herumschwingen, gewiß niederschlägt. Aber die beiden Ewigkeiten türmen sich auf beiden Seiten unserer Erde in die Höhe, und wir kriechen und graben in unserem tiefen Hohlweg fort, dumm, blind, taub, käuend, zappelnd, ohne einen größern Gang zu sehen, als den wir mit Käferköpfen in unsern Kot ackern ...

Ich schauete gerade zum Sternenhimmel auf; aber er erhellet meine Seele nicht mehr wie sonst: seine Sonnen und Erden verwittern ja ebenso wie die, worein ich zerfalle. Ob eine Minute den Maden-Zahn, ob ein Jahrtausend den Haifisch-Zahn an eine Welt setze: das ist einerlei, zermalmt wird sie doch. Nicht bloß diese Erde ist eitel, sondern alles, was neben ihr durch den Himmel flieht und das sich nur in der Größe von ihr trennt. Und du holde Sonne selbst, die du wie eine Mutter, wenn das Kind gute Nacht nimmt, uns so zärtlich ansiehest, wenn uns die Erde wegträgt und den Vorhang der Nacht um unsre Betten zieht, auch du fällest einmal in deine Nacht und in dein Bette und brauchst eine Sonne, um Strahlen zu haben ... O mein Geist begehrt etwas anders als eine aufgewärmte, neu aufgelegte Erde, eine andre Sättigung, als auf irgendeinem Kot- oder Feuer-Klumpen des Himmels wächset, ein längeres Leben, als ein zerbröckelnder Wandelstern trägt; aber ich begreife nichts davon ...»

Wer mit dem Tod geredet und wem dieser versichert hat, nichts weiter gebe es außer ihm, der kann nicht mehr Zuflucht suchen in einem ehernen Gesetz in und einem gestirnten Himmel über sich.

Friedrich Meier (1785–1815): Bildnis Jean Paul. 1810Die Erfahrung des Todes ändert nicht die Welt; doch ein Riss tut sich auf, der jede idealische Synthese von innen und außen, von Subjekt und Objekt mit sich fortreißt. Der aber auch, auf Kosten eines bewusst gewordenen Entborgenseins, die Welt so zeigt, wie sie ist: ihre Brüche, Widersprüche, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Mannigfaltigkeit, Schönheit. Der eine Unbefangenheit zulässt, die, um nun ein weiteres Mal mit Vollmann zu reden, ein vom Leben gelöstes Leben, das Freisein vom Bedürfnis nach Leben erst gewährt – eine Unbefangenheit, der nichts zu klein und nichts zu groß, nichts zu vertraut, nichts zu fremd, nichts zu schrecklich und nichts zu schön ist. Und die dem, dem sie sich gibt, der den Tod schon hinter sich hat, das Leben nicht lange genug erscheinen lässt. «Ich richtete mich wieder auf, dass der Tod das Geschenk einer neuen Welt sei und die unwahrscheinliche Vernichtung ein Schlaf», schrieb Jean Paul am Tag nach seiner Vision. Der Blick in die unergründliche Tiefe des Menschen öffnet ihn auch auf den unendlichen Götterhimmel. Kein Wunder, dass Schiller Jean Paul für einen Menschen hielt, der geradewegs vom Mond gefallen war.

Jean Paul wurde als Johann Paul Friedrich Richter am 21. März 1763 in Wunsiedel im Fichtelgebirge geboren. Der Vater war Organist und Schulmeister, die Familie wuchs unter unvorstellbar armen Verhältnissen auf; von den sieben Kindern, die die Mutter zur Welt brachte, blieben nur vier am Leben, 1789 ertränkte sich ein Bruder in der Saale, weil er die drückende Armut nicht mehr aushielt.

1765 zog die Familie nach Joditz, wo der Vater eine Pfarrstelle antrat, 1776 nach Schwarzenbach an der Saale. Der junge Richter besuchte dort die Lateinschule, 1779 durfte er auf das Gymnasium in Hof. Bereits in Schwarzenbach verschlang er alles, was ihm an Lektüre zwischen die Hände geriet. Was ihm wichtig erschien, wurde in Quartheften exzerpiert, dazu ein Register angelegt und dazu nochmals ein Register, das die Exzerpte unter bestimmten Gesichtspunkten aufschlüsselte – eine Methode, die er sein Leben lang beibehielt. Der sechzehnjährige Gymnasiast bereitete sich zielstrebig auf den Beruf als Schriftsteller vor.

Ab Mai 1781 studierte er in Leipzig Theologie, bereits im November beschloss er, das Studium aufzugeben. Er hatte zu schreiben begonnen, und alles, was er tat, schien nur darauf abzuzielen. 1783 gestand er in einem Brief an den Pfarrer Vogel: «Ich bin kein Theolog mehr; ich treibe keine einzige Wissenschaft ex professo, und alle nur insofern als sie mich ergötzen oder in meine Schriftstellerei einschlagen; und selbst die Philosophie ist mir gleichgültig, seitdem ich an allem zweifle.»

1783 erschienen die Grönländischen Prozesse, sein erstes Buch. Obwohl er in den nächsten Jahren unermüdlich fortfuhr zu schreiben – es entstand eine lange Reihe von ausufernden, mit gelehrten Abschweifungen versehenen Satiren –, blieb es bis 1789 Jean Pauls einzige Veröffentlichung. Die Auswahl aus des Teufels Papieren, ein Band mit Satiren, der in diesem Jahr herauskam, verkaufte sich noch schlechter als das erste Buch. 1793 dann ein erster Durchbruch. Im Jahr zuvor hatte er das Manuskript der Unsichtbaren Loge an Karl Philipp Moritz3 geschickt, der sich begeistert zeigte. «Aber nein», soll er ausgerufen haben, «das ist noch über Goethe, das ist ganz was Neues.»

Moritz vermittelte einen Verleger, 1793 wurde das Buch gedruckt, und Jean Paul erhielt insgesamt 100 Dukaten, ein warmer Regen auf die ausgedorrten Finanzen des bettelarmen Autors. 1784 hatte er auf der Flucht vor den Gläubigern Leipzig verlassen müssen, er war zu seiner Mutter nach Hof zurückgekehrt – beide wohnten in einem Zimmer und lebten von wenig mehr als nichts –, seit 1787 verdingte er sich als Hofmeister. Seine besten Freunde waren weggestorben, ein Bruder hatte Selbstmord begangen, Jean Paul hatte seine Todesvision erlebt.

Noch bevor die Unsichtbare Loge – im Anhang dazu findet sich das wohl berühmteste Stück Jean Pauls, das Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wuz in Auenthal – in Druck ging, begann er mit seinem zweiten Roman, Hesperus oder 45 Hundsposttage. Mitte 1794 war die Arbeit daran abgeschlossen, 1795 erschien das Buch und machte ihn berühmt. Die Reaktionen des Publikums waren enthusiastisch, Leserinnen teilten ihm in Briefen ihre Empfindungen mit, Herder, Wieland und Gleim4 saßen fasziniert und ergriffen über der Lektüre. Der Hesperus wurde zum größten Bucherfolg seiner Zeit – einzig Goethe wollte sich mit dem, wie er es nannte, «wunderlichen Werk» nicht so recht anfreunden.

Aber man war auf ihn aufmerksam geworden, und ein Jahr später erhielt er von Charlotte von Kalb5 eine Einladung nach Weimar, der er eiligst nachkam. «Gott sah gestern doch einen überglücklichen Sterblichen auf der Erde und der war ich ...», berichtete er dem Freund Christian Otto nach seiner Ankunft. Und über Charlotte von Kalb wusste er zu berichten: «Sie hat zwei große Dinge, große Augen wie ich noch keine sah, und eine große Seele ... Sie ist stark, voll, auch das Gesicht – ich will dir sie schon schildern. 3/4 der Zeit brachte sie mit Lachen hin – dessen Hälfte aber nur Nervenschwäche ist – und 1/4 mit Ernst, wobei sie die großen fast ganz zugesunknen Augenlieder himmlisch in die Höhe hebt, wie wenn Wolken den Mond wechselweise verhüllen und entblössen ... ‹Sie sind ein sonderbarer Mensch›, das sagte sie mir dreißigmal. Ach hier sind Weiber!»

Jean-Paul-Denkmal in Bayreuth Offenbar war sie sofort in ihn verliebt – sie sollte nicht die Einzige sein. Wohin er kam, hingen die Frauen, so scheint es, an seinen Lippen. Und er gab, was er zu geben vermochte: verliebte sich ebenfalls auf seine unbekümmert herzliche und gleichzeitig distanzierte Art, gab Eheversprechen, verlobte sich, entlobte und entliebte sich, sobald die Nächste kam. «Er sagte oft: gebt mir zwei Tage oder eine Nacht, so will ich mich verlieben, in wen ihr vorschlagt», heißt es im Hesperus (im Titan: «Solang’ ein Weib liebt, liebt es in einem fort – ein Mann hat dazwischen zu tun»). Karoline Herold, Emilie von Berlepsch, Karoline von Feuchtersleben, Josephine von Sydow hießen die entflammten und schließlich zurückgewiesenen Opfer, bis er im Juni 1800 Karoline von Mayer traf; kaum ein Jahr später war er mit ihr verheiratet. Doch selbst noch im Alter von vierundfünfzig Jahren war er imstande – während einer Reise nach Heidelberg, bei welcher Gelegenheit ihm auf Vorschlag Hegels das Ehrendoktorat überreicht wurde – der dreißig Jahre jüngeren Tochter des Kirchenrats Paulus den Kopf und das Herz zu verdrehen. «Ich habe seit 10 Jahren nicht so viel und so viele und so jugendlich empfindend geküsst als bisher ...», schrieb er an seine Frau, die ihm recht ungehalten antwortete. Zur Scheidung allerdings kam es nicht, und als Jean Paul im nächsten Jahr seinen Besuch wiederholte, zeigte er sich gegenüber Sophie Paulus freundlich, aber kalt (worauf sich die völlig verwirrte junge Frau überstürzt auf eine Ehe mit August Wilhelm Schlegel einließ; einen Monat später trennte sie sich wieder von ihm und blieb dann allein).

Charlotte von Kalb. Ölgemälde von Johann Friedrich August TischbeinWie in allem, so auch hier: Jean Paul lebte, um zu schreiben; schreibend sich der Welt annähern, ohne sie einer Theorie gefügig zu machen, ohne sie wahrer, objektiver darzustellen, als sie in Wirklichkeit ist – dies war es, was er wollte und tat. Jean Pauls Leben, ein vom Leben gelöstes Leben, beinhaltete beides: scheinbar unbeteiligt stand er über dem Leben, betrachtete es distanziert und ungerührt und konnte sich im gleichen Moment unbefangen und kindlich-naiv ihm hingeben. Charlotte von Kalb beschrieb es in einem Brief an Karoline Herder folgendermaßen: «Glauben Sie nicht, dass Jean Paul leicht etwas Leidenschaftliches oder eine Neigung mit in seine Verbindungen oder persönlich individuellen Anteil nimmt. Wir sind ihm alle nur Ideen, und als Personen gehören wir zu den gleichgültigsten Dingen. Ideendarstellung des Lebens in der Masse der ihm bekannten Welt aufzusuchen – das ist’s, was ihn reizt, beschäftigt, belebt. Er hat einen sehr freien Sinn und einen unbefangenen Blick; er durchschaut leicht eine Kette von Umständen, die einen Charakter bilden, und dann kann er nicht mehr lieben noch hassen.»

Die Aufnahme in Weimar allerdings war herzlich; er traf u. a. Herder, Schiller, Goethe und die Herzogin Anna Amalie6. «Er hat hier bei allen unsern Genies jeder Art große Sensation gemacht», schrieb diese an Wieland, «und man hat ihm, was viel ist, alle Gerechtigkeit widerfahren lassen.» In der Tat fühlte sich Jean Paul trotz der bereits angesprochenen Differenzen in der herzoglichen Residenzstadt ausgesprochen wohl; 1798 ließ er sich ganz dort nieder.

Zwei Jahre verbrachte er in Weimar, 1800 zog er nach Berlin und lernte dort seine Frau kennen. 1804 schließlich siedelte er, nach Aufenthalten in Meiningen und Coburg, nach Bayreuth um, wo er für den Rest seines Lebens blieb.

Inzwischen waren der Siebenkäs (1796/97), das Leben des Quintus Fixlein (1796), Der Jubelsenior (1797), Das Kampaner Tal (1797), der Titan (1800–1803), darin enthalten – im Anhang zum zweiten Band – die Erzählung Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch, und die Flegeljahre (1804/05) erschienen.

In Bayreuth führte er ein ruhiges, beinahe zurückgezogenes Leben, gewidmet der Familie, der Erziehung der drei Kinder und der schriftstellerischen Arbeit. «Mir ist als Autor und fast als Mensch jede neue Erfahrung gleichgültig, weil sie doch im Höchsten zu nichts führt und ich nach meinen der Gegenwart abmodellierten Werken nichts suche als Ruhe», schrieb er in seinem Vita-Buch. Erst in späteren Jahren begab er sich wieder auf Reisen – nach Bamberg, wo er E.T.A. Hoffmann begegnete, nach Nürnberg, Regensburg, dann, wie bereits erwähnt, nach Heidelberg, in Dresden traf er mit Tieck und Carl Maria von Weber zusammen, in Nürnberg mit Schelling und Platen.

Die Begeisterung allerdings, die seine Bücher noch im ausgehenden 18. Jahrhundert weckten, war dahin. Bereits die Flegeljahre wollte kaum mehr jemand lesen. Die Zustimmung des Publikums sank mit jedem neuen Werk. 1807 erschien Levana oder Erziehlehre, 1809 Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz und Dr. Katzenbergers Badereise, 1812 das Leben Fibels. Daneben arbeitete er u. a. von 1813 bis 1822 an seinem letzten großen Roman, Der Komet. Der frühe Tod des Sohnes Max, 1821, der Jean Paul tief berührte, führte schließlich zum Abbruch der Arbeit, der Roman blieb Fragment.
Die letzten Jahre waren von Krankheiten gezeichnet, der graue Star, der sich 1824 erstmals bemerkbar machte, führte zur völligen Erblindung. Am 14. November 1825 starb Jean Paul in Bayreuth.

Und nachgerade prophetisch klangen die Worte, die Ludwig Börne7 am 2. Dezember in Frankfurt in seiner Denkrede sprach: «Nicht allen hat er gelebt! Aber eine Zeit wird kommen, da wird er allen geboren, und alle werden ihn beweinen. Er aber steht geduldig an der Pforte des zwanzigsten Jahrhunderts und wartet lächelnd, bis sein schleichend Volk ihm nachkomme ...»


1Wieland, Christoph Martin, * Oberholzheim (= Achstetten bei Biberach) 5. 9. 1733, † Weimar 20. 1. 1813, dt. Schriftsteller. Lebte ab 1772 in Weimar (bis 1775 Prinzenerzieher; Anna Amalia); war dort u. a. als Hg. (1773–96) des «(Neuen) Teutschen Merkur» (Autoren: u. a. Kant, Herder, Goethe, Schiller, Novalis, A. W. und F. Schlegel) an der Auseinandersetzung um die Entwicklung einer modernen dt. Literatur beteiligt. Sein Hauptwerk ist der Entwicklungsroman Geschichte des Agathon (1766/67, endgült. Ausgabe 1794). Übersetzte Shakespeare (8 Bde., 1762–66) sowie Horaz, Lukian und Xenophon.

2Hin|ter|wäld|ler, der; -s, - [LÜ von engl. backwoodsman, eigtl. Bezeichnung für die Ansiedler im Osten Nordamerikas jenseits des Alleghenygebirges] (spött.): weltfremder, rückständiger [u. bäurischer] Mensch.

3Moritz, Karl Philipp, * Hameln 15. 9. 1756, † Berlin 26. 6. 1793, dt. Schriftsteller. 1789 Prof. für Altertumskunde in Berlin. Der autobiograf. Roman Anton Reiser (1785–90) schildert die psych. Entwicklung eines pietist. erzogenen jungen Menschen in der Sturm-und-Drang-Zeit.

4Gleim, Johann Wilhelm Ludwig, * Ermsleben 2. 4. 1719, † Halberstadt 18. 2. 1803, dt. Dichter. Gehört zu den bekannten Vertretern der Dichtung des Rokoko; besang in seiner (Anakreon nachempfundenen) Lyrik (u. a. Versuch in scherzhaften Liedern, 1744–58) die Liebe und den Wein; auch patriot. Gedichte.

5Kalb, Charlotte von, geb. Marschalk von Ostheim, * Waltershausen bei Königshofen im Grabfeld 25. 7. 1761, † Berlin 12. 5. 1843, dt. Schriftstellerin. Ab 1783 verheiratet mit dem in frz. Diensten stehenden Offizier Heinrich von K.; mit Schiller, Hölderlin und Jean Paul befreundet.

6Anna Amalia (Amalie), * Wolfenbüttel 24. 10. 1739, † Weimar 10. 4. 1807, Herzogin. 1758–75 Regentin für ihren Sohn Karl August; berief C. M. Wieland als Prinzenerzieher; hatte entscheidenden Anteil am Aufstieg Weimars zum dt. Kulturmittelpunkt.

7Börne, Ludwig, eigtl. Löb Baruch, * Frankfurt am Main 6. 5. 1786,
† Paris 12. 2. 1837, dt. Schriftsteller. Lebte ab 1830 in Paris. Schriftsteller des Jungen Deutschland. Vertrat die These, dass die Literatur der Politik zu dienen habe; Wegbereiter der krit. Prosa des Feuilletons; schrieb u. a. Briefe aus Paris (1832–34).


Jean Paul
Zeittafel

1763 Am 21. März wird Johann Paul Friedrich Richter in Wunsiedel im Fichtelgebirge geboren.

1765–1779 Jugend in Joditz, ab 1776 in Schwarzenbach.

1780 Besuch des Gymnasiums in Hof. Der Tod des Vaters leitet die folgenden Hungerjahre ein.

1781 Das in Leipzig begonnene Theologiestudium gibt er zugunsten einer freien Schriftstellerexistenz auf.

1783 Die satirischen Grönländischen Prozesse erscheinen.

1784 Flucht vor Leipziger Gläubigern, zurück nach Hof.

1787–1791 Hofmeister und Hauslehrer in mehreren Stellen.

1792 Die unsichtbare Loge (mit dem Anhang des Wuz) erscheint. Richter nennt sich von nun an Jean Paul, in Analogie zum «Jean-Jacques» Rousseau.

1795 Den ersten großen Erfolg bringt der Hesperus.

1796 In Weimar. Freundschaft mit Herder und Charlotte von Kalb. Quintus Fixlein; Siebenkäs (3 Bde, bis 1797).

1797 Das Kampaner Tal. Nach dem Tod der Mutter nach Leipzig; Beziehung zu Emilie von Berlepsch.

1798–1800 Jean Paul zieht nach Weimar. Verlobung mit Karoline von Feuchtersleben, die er – wie schon zwei frühere Verlobungen – wieder löst.

1800–1804 Nach Berlin. 1801 Heirat mit Karoline von Mayer; in Meiningen, ab 1803 in Coburg. Titan (1800–1803).

1805–1816 Freiheits-Büchlein (1805), Levana oder Erziehlehre (1807), Friedenspredigt an Deutschland (1808), Schmelzle und Dr. Katzenbergers Badereise (beide 1809), Leben Fibels (1812), Museum (Aufsätze, 1814). – Ab 1809 erhält Jean Paul eine Pension.

1817 Im Sommer Reise nach Heidelberg, Mannheim und Frankfurt. Altersliebe zur 26-jährigen Sophie Paulus.

1820–1822 Der Komet erscheint. 1821 stirbt sein Sohn Max; danach Arbeit an dem letzten Werk: Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele (postum 1827).

1825 Fortschreitende Erblindung. Am 14. November stirbt Jean Paul an Brustwassersucht.

Der Text ist entnommen aus:
http://www.xlibris.de/Autoren/Klassiker/klassische_Autoren.htm