Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №5/2007

Literatur

Rainer Kerndl: Eine undurchsichtige Affäre

Es mochte gegen sechs Uhr morgens sein, als ich jäh erwachte. Wahrscheinlich hatte mich auf- und abschwellender Lautsprechersingsang von der Moschee auf der anderen Straßenseite so unversehens aus dem Schlaf gerissen. Möglich aber auch, es erging mir wie nach anderen harten Whisky-Nächten: ein paar Stunden totenähnlicher Schlaf, dann das erschreckend unvermittelte, Herzklopfen verursachende Erwachen.

Tatsächlich hatte eine whisky-intensive Nacht stattgefunden. Das wußte ich in dem Augenblick, als ich mich aufrecht sitzend im Bett wiederfand. Wie ich in mein Zimmer gekommen war, würde ich vermutlich am Abend noch nicht geklärt haben, wiewohl nach solchen Nächten mein Gehirn, als habe es eine Sünde gutzumachen, quälerisch danach trachtete, die fehlenden Bilder im irgendwann gerissenen Film aus dem Dunkel des Vergessens zu holen.

Der jähe Sturz ins Erwachen ist so unangenehm wie ein von Schmerzen Geplagter das plötzliche Nachlassen der Narkose empfindet. Obwohl ich mich gewohnheitsgemäß nackt hingelegt hatte, stand Schweiß auf der Haut. Das Laken klebte am Körper.

Unten lärmte die Straße und erinnerte mich aufdringlich ans Unangemessene meiner Verfassung. Ein Gemüseverkäufer kündigte in gutturalem Gellton seine Ware an, sein Esel schrie klagend dazwischen, Autohupen verschiedenster Tonlagen bekundeten in frechen Rhythmen die Geräuschlust der Chauffeure.

Ich zwang mich, die Augen offenzuhalten. Im oberen Rechteck des Fensters stand schon das Tiefblau des sich Tag für Tag so präsentierenden Himmels. Ich legte mich zurück und spürte Angst vor dem völligen Wachwerden. Stück um Stück, wie zurückgegebene Münzen aus einem Automaten, fielen die Details der vergangenen Nacht in mein zerschlagenes Bewußtsein. Der ewig lächelnde Keeper hinter dem Tresen der Hallenbar, der mir jeden Whisky servierte, als sei’s ein einmaliges Göttergetränk – «Please, Sir, you are welcome, Sir!» –; meine grübelnden Berechnungen, wie lange und zu welchem Ende ich noch bleiben könnte in dieser Stadt; der immer neu aufkommende Ärger über das Telefonat mit diesem Botschaftsmenschen am Nachmittag – «Wir haben für Sie einen Platz in der Maschine nach Berlin gebucht. Sie reisen am dritten Mai. Seien Sie pünktlich am Airport. Ende.» –; und die nagende Unentschlossenheit, was ich tun sollte.

Sobald ich den Kopf bewegte, geriet das halbdunkle Zimmer ins Schwanken. Trotzdem konnte ich ziemlich klar denken, was die eine Sache betraf: Ich saß so gut wie bargeldlos in einem wildfremden Land, mußte froh sein, daß die Botschaft sich bereit erklärte, meine Hotelrechnung zu übernehmen – «Sie werden das natürlich daheim ersetzen müssen!» –, und wenn man mich umgehend abschieben wollte, war das vom Standpunkt des Konsularangestellten sogar einleuchtend. Daß ich mit meinem Vorhaben im Anlauf steckengeblieben war und so gut wie nichts von dem erreicht hatte, was in meinem Plan stand, interessierte den Burschen überhaupt nicht. Mußte es nicht auf einen normalen Menschen reichlich antiquiert wirken, wenn einer seine unerhebliche Valutaerbschaft benutzt, um sich in einem arabischen Land auf der Suche nach Material für ein Buch herumzutreiben, das ihm selber die Lust des Forschens und Schreibens, kaum aber vielen Lesern den Spaß aufregender Unterhaltung oder erhebender Lektüre verschaffen würde? Wer ist schon begierig, im Zeitalter des Düsenflugzeugs etwas zu erfahren über arabische Handelswege und Karawanenstraßen? Einem Botschaftsmenschen konnte ein derartiger Aufenthaltsgrund nur überflüssig erscheinen, und wenn der Betreffende ihm dann betreten mitteilt, ein widriges Geschick habe einen Dieb auf sein Hotelzimmer gelockt und seitdem verfüge er lediglich über die paar Piastermünzen, die zum Zeitpunkt des Einbruchs in seiner Hosentasche klimperten, verkehrt sich das ohnehin skeptische Mißtrauen des wachsamen Konsularkanzlisten folgerichtig in ablehnende Verachtung. «Wir bezahlen Ihnen das Hotel bis zum Tag Ihrer Abreise.» Basta. Rückfragen ausgeschlossen. Der Ton ließ sie nicht zu.

Der Tag meiner Abreise war auf morgen festgesetzt. Vermutlich bedauerte man in der Botschaft außerordentlich, daß Interflug nicht täglich eine Maschine von Damaskus nach Berlin schickte.

Ich biß die Zähne zusammen und richtete mich wieder auf. Hatten sie gar noch ein Dankeschön erwartet? «Hotel ist bezahlt, folglich drei Mahlzeiten und Getränke, inklusive, na, das wissen Sie ja. Wir erwarten, Sie nutzen das nicht über Gebühr aus.» Und das mir! Wo der Museumsmitarbeiter Jochen Altenstedt daheim für überpenible Reiseabrechnungen von den Buchhaltern geschätzt und den Kollegen verspottet wird! Ich war, verdammt nochmal, nicht zum Ferienmachen hergekommen, hatte die Reise selber bezahlt und wäre lieber alles andere als in die Abhängigkeit meiner Botschaft geraten.

Ich wunderte mich, weshalb die zweiflügelige Holzjalousientür zum Balkon weit offen stand. Dann fiel mir ein, daß ich nachts noch auf dem Balkon gesessen und die Leute beneidet hatte, die auf dem Flachdach des Gebäudes gegenüber im Freien schlafen konnten. Irgendwie mußte ich dann zum Bett gefunden haben.

(Fortsetzung folgt)

 

jäh <Adj.> [mhd. gæhe, ahd. gahi, H. u.; die j-Form geht auf mundartl. Ausspr. des anlautenden g- zurück] (geh.): 1. plötzlich u. sich mit Heftigkeit vollziehend, ohne dass man darauf vorbereitet war: ein -es Ende, Erwachen; ein -er Entschluss; ein -er Windstoß; er fand einen -en Tod; j. sprang er auf; das wurde uns allen j. bewusst. 2. steiil [nach unten abfallend]: ein -er Abgrund; dort ging es j. in die Tiefe.

gut|tu|ral <Adj.> [zu lat. guttur = Kehle]: a) kehlig klingend: eine -e Sprache; seine Aussprache ist sehr g.; b) (Sprachw. veraltend) im Bereich der Kehle gebildet: ein -er Laut.

Be|rech|nung, die; -, -en: 1. das Berechnen: B. der Kosten, des Umfangs; -en anstellen (etw. berechnen). 2. <o. Pl.> a) (abwertend) Eigennutz, auf persönlichen Vorteil zielende Absicht: etw. aus B. tun; b) sachliche Überlegung; Voraussicht: mit kühler B. vorgehen.

um|ge|hend <Adj.> (bes. Papierdt.): sofort, so schnell wie möglich, ohne jede Verzögerung erfolgend: um -e Erledigung, Zahlung, Antwort wird gebeten; bitte informieren Sie mich u.; Mutter schickte u. das Geld.

an|ti|quiert <Adj.> (abwertend): veraltet; altmodisch, überholt: ein -es Frauenbild; diese Verordnung ist völlig a.; a. denken.

pe|ni|bel <Adj.; ...bler, -ste> [frz. pénible = mühsam; schmerzlich, zu: peine < lat. poena, Pein] (bildungsspr.): a) bis ins Einzelne so genau, dass es schon übertrieben od. kleinlich ist: eine penible Ordnung; er ist in Geldangelegenheiten überaus, schrecklich p.; b) (landsch.) peinlich.

Aus: Rainer Kerndl: Eine undurchsichtige Affäre. Mitteldeutscher Verlag, Halle – Leipzig 1981. S. 5–15.