Главная страница «Первого сентября»Главная страница журнала «Немецкий язык»Содержание №1/2007

Sonderthema

Ulrich Zwingli Leben und Werk

Kindheit und Jugend

Die Heimat Zwinglis ist Toggenburg. Es steht noch das Geburtshaus, einer der braunen Holzbauten mit steinbeschwertem Schindeldach. Die Familie Zwingli war im 15. Jahrhundert wohlhabend. Zwinglis Vater war Ammann (Bürgermeister) von Wildhaus und St. Johannertal. Der Ammann hatte acht Söhne. Von diesen schlug der dritte, dem Vater gleichnamige Ulrich, die geistliche Laufbahn ein.

Zeitgenössisches Porträt von Ulrich ZwingliUlrich, oder wie er sich schrieb, Huldryich, ist am Neujahrstag 1484 geboren. Drei Jahre später nahm ihn der Onkel Bartholomäus, ein Pfarrer, zu sich und bestimmte dann dessen Studiengang: über Basel, Bern, Wien und wieder Basel. In der ersten Basler Zeit lernte Zwingli an der Schule bei St. Theodor. Schon damals zeigte er schöne Gaben in der Musik und im Disputieren. Zu Bern bekam er als Lehrer Heinrich Wölflin, der die erste humanistische Schule in der Schweiz eröffnet hatte. Als nun die Wiener Universität im Sinne des Humanismus umgestaltet wurde, zog Zwingli dorthin. Der Abschluss der Studien und zugleich die ersten praktischen Versuche im Lehramt fallen in den zweiten Basler Aufenthalt. 1504 promovierte er an der Artisten- und philosophischen Fakultät als Baccalaureus und 1506 als Magister. Daneben unterrichtete er an der Schule St. Martin. In diese Jahre fällt die gründlichere Einführung in die Scholastik und die erste reformatorische Anregung.

Im Jahre 1506 wählte die Ortschaft Glarus den jungen Zwingli zum Pfarrer. Dass ihn, den erst 22-Jährigen, die Glarner beriefen, zeugt von den Erwartungen, die man auf ihn setzte. Neben den Amtspflichten oblag ihm hier der Unterricht junger Leute. Zugleich arbeitete er mit eisernem Fleiß und vielseitigem Interesse an der eigenen Fortbildung und stand mit auswärtigen Humanisten in regem Verkehr. Im Frühjahr 1515 lernte Zwingli in Basel Erasmus von Rotterdam kennen. An Erasmus hielt sich der Glarner Pfarrer nun Jahre lang. Ihm verdankte er die mannigfachsten Anregungen, wissenschaftliche und religiöse. Schon 1513 begann er, um das Neue Testament in der Ursprache zu verstehen, das Griechische zu erlernen. Zwingli galt bald als einer der ersten Humanisten der Schweiz.

Die spätere Glarner Zeit hat Zwingli in die Politik hineingezogen. Die Eidgenossen standen auf der Höhe ihres Kriegsruhms und ihrer Macht. Wiederholt nahm Zwingli an den Mailänder Feldzügen teil. Wenige Tage vor der blutigen Niederlage zu Marignano hat er auf offener Gasse gepredigt. Als Kleriker hielt er zum Papst. Jetzt, nach Marignano, kam die Wendung in der eidgenössischen Politik. In Glarus siegte die französische Partei, und damit war die Stellung des eifrigen Pfarrers erschüttert. Zwingli verließ die Gemeinde.

In den Jahren 1515 bis 1518 war Zwingli Priester am Wallfahrtsort Maria-Einsiedeln. Eben in diese Zeit verlegt er seine reformatorischen Anfänge. Als das Neue Testament des Erasmus erschien, war es für Zwingli ein Ereignis.

Am 11. Dezember 1518 wurde der Einsiedler Priester in die gleiche Stellung am Großmünster in Zürich gewählt. Dieses Datum bezeichnet den Anfang der schweizerischen Reformationsgeschichte.

Die ersten Zürcher Jahre

Zwinglis Antritt auf der Kanzel des Großmünsters ist epochemachend. Dessen war er selbst bewusst, das fühlten auch die Gegner und das Volk. Gleich bei der Vorstellung vor dem Stiftskapitel kündigt er eine neue Art Predigt an: Er werde das Evangelium Matthäi von vorn an auslegen ohne allen menschlichen Tand, durch den er sich weder irren noch bestreiten lasse. Jetzt ahnte auch der gemeine Mann den Anbruch einer neuen Zeit: «Das ist ein rechter Prediger der Wahrheit; der wird sagen, wie die Sachen stehen.»

Geburtshaus von Ulrich Zwingli in Wildhaus, Baujahr 1451Zwinglis Entwicklung zum Reformator ist, entsprechend seinem Wesen, nach und nach, ruhig und stetig erfolgt. Sie ist erst in Zürich zum Abschluss gekommen. Die neue Predigt von Christus rief allgemeine Gärung in der Bürgerschaft. Der Prediger selbst wuchs zusehends zum geläuterten religiös-sittlichen Charakter heran. Diese Entwicklung ist selbstständig vor sich gegangen. Sie beruht nicht bloß auf einem Erkennen, sondern auf einem Erleben Gottes in der Schrift. Nur so erklärt es sich, dass Zwingli sich gegen wichtige Kirchenlehren früher, entschiedener und nachhaltiger aufgelehnt hat als Luther. Mit diesem Wachstum am inwendigen Menschen ging Hand in Hand die Abkehr von Rom. Nach 1519 hat Zwingli das päpstliche Jahrgeld nicht mehr angenommen.

Jetzt begannen sich auch die ersten größeren Erfolge der neuen Predigt zu zeigen. Schon zu Ende des ersten Jahres freut sich Zwingli, einen großen Teil der Stadt auf seiner Seite zu haben. Bereits erfolgt zu Anfang 1520 das Gebot der Obrigkeit an die Priester zu Stadt und Land, nach Maßgabe der Schriften Alten und Neuen Testaments zu predigen. Zwingli persönlich stieg so hoch im Ansehen, dass er zum Chorherrn ernannt wurde.

In diesen Tagen geschah auch der erste große Schritt auf dem Wege zur Freiheit. Auf Grund von Anfragen aller Zünfte und Landgemeinden beschloss der Rat die Ablehnung des französischen Bündnisses. Er tat das im Gegensatz zur gesamten übrigen Eidgenossenschaft. Bald brach Zürich auch den traditionellen Zusammenhang mit der päpstlichen Politik ab und verbot grundsätzlich alle fremden Dienste und Pensionen.

Zwinglis Helm und SchwertJetzt war der Boden zubereitet. Die kirchlich reformatorische Umgestaltung konnte beginnen. Am 29. Januar 1523 kam es auf Zwinglis Anregung zur ersten Disputation. Der Rat beschloss sie, «nach vielfältiger Erwägung des schweren Handels». Der Rat selbst, die weltliche Behörde, behielt sich den Entscheid über die theologische Frage vor, ob die Schrift die alleinige Autorität in Glaubenssachen sein soll oder nicht. Der Reformator rüstete sich zur Rechenschaft und Verteidigung. In 67 Schlussthesen fasste er seine bisherige Lehre zusammen. Am Anfang begründet er den evangelischen Glauben, dann kritisiert er die alte Kirche. Er schließt mit kritischen und positiven Folgerungen hinsichtlich weltlicher und geistlicher Gewalt, Kultus, Priesterstand u. a. Die Schlussthesen sind somit ein förmliches Programm der Reformation, das erste, das man überhaupt kennt, dabei eine durchaus originale Arbeit Zwinglis. Der Rat befahl Zwingli und allen Geistlichen zu Stadt und Land, gemäß der Schrift zu predigen. Der Entscheid war nach Zwinglis Wunsch gefallen. Laut dankte er Gott für den Sieg.

So war aus dem Humanisten der Reformator entstanden. Jetzt fand Zwingli den Beifall des Erasmus nicht mehr. Es kam bald zum offenen Bruch zwischen ihnen. Nicht dass Zwingli seine humanistische Vergangenheit verleugnet hätte; nie hat er vergessen, wie viel er Erasmus zu verdanken hatte.

Zürcher Reformation

Zwingli hat in den vier ersten Zürcher Jahren den religiösen Impuls gegeben, die Gemüter zu Christus zurückgeführt. Diesen Impuls hatte soeben das Gemeinwesen aufgenommen. Durch den Beschluss der Obrigkeit nach der ersten Disputation wurde der Grund gelegt, auf dem die neue Kirche erbaut werden konnte. Das war ein überaus kühner Schritt; der Obrigkeit hatte Zwingli diesen großen Erfolg zu verdanken. Durch sie ist auch die Reformation durchgeführt worden.

An eine Trennung des kirchlichen vom politischen Leben war damals nicht zu denken. Die politische Gemeinde war auch die Kirchgemeinde. Zwingli überließ denn auch das Kirchenregiment der Obrigkeit. Nur forderte er, dass diese eine christliche sei und dem Wort der Schrift die Ehre gebe.

Wie ein Gesetz wickelt sich die Reformation in Zürich ab, planmäßig, fest, ohne Überstürzung und Tumult. Dieser ganze Verlauf der Reformen ist ohne fremdes Vorbild, eigenartig und selbstständig.

Zwingli ist praktisch geschickt und tatkräftig. Die neuen Ordnungen helfen mit, das erweckte religiöse Leben wach zu halten und zu sichern. Hand in Hand mit der Obrigkeit geht er von Anfang an zielbewusst, sicher und durchgreifend vor. Die Zürcher Reformation trägt ganz das Gepräge von Zwinglis klarem und tapferem Geist.

Praktische Reformen folgten der ersten Disputation zunächst noch nicht. Zwingli arbeitete in dieser Pause seine Schlussthesen weiter aus in eine «Auslegung und Begründung». Noch lange hat man diese Schrift als die maßgebende Zusammenfassung der neuen Ziele angesehen.

Otto Münch (1885–1965): Bildersturm: Das Kloster Ittingen wird im Juli 1524 gestürmt und angezündet, Südportal des Großmünsters Zürich

Otto Münch (1885–1965): Bildersturm: Das Kloster Ittingen wird im Juli 1524 gestürmt und angezündet, Südportal des Großmünsters Zürich.

Zwingli veranlasste eine zweite Disputation über Bilder und Messe in der Hoffnung, durch sie einen Entscheid über diese Hauptstücke des Kultus zu provozieren. Aber die Ergebnisse blieben praktisch noch unbedeutend. In dieser Zeit schrieb er sein «Lehrbüchlein», eine ansprechende Ausführung der Gedanken, die ihm über die Erziehung und Schule vorschwebten.

Im Laufe der zweiten Disputation traten nämlich die Bildungsmängel der alten Geistlichkeit zutage. Zwingli ergriff die Gelegenheit, um den versammelten Geistlichen des Landes das neue Berufsideal vorzuhalten. Nach den Verhandlungen erhielt er vom Rat den Auftrag, persönlich die Landschaft zu bereisen und in den Kirchen zu predigen, um gleich das Muster der wahren Predigt zu geben.

Das Großmünster in Zürich auf dem Murerplan (1576)1523/24 begannen die Pfarrer sich allgemein vom Zölibat abzuwenden. Auch Zwingli trat in den Ehestand mit Anna Reinhardt, der Witwe eines Junkers. Er bestätigte die Ehe durch den Kirchgang am 2. April 1524. Gleichzeitig mehrten sich die Austritte aus den Klöstern, das führte zur Aufhebung aller Klöster. Es waren etwa zwanzig zu Stadt und Land. Mächtig richtete sich die Bewegung gegen den ganzen hergebrachten Kultus. Schließlich war der öffentlichen Meinung kein Widerstand mehr gewachsen. Seit Ostern 1524 fielen Ablässe, Wallfahrten und Prozessionen. Im Juli räumte man die Bilder aus allen Kirchen der Stadt. Man beseitigte die Reliquien, die Ampeln, die Altäre. Orgelspiel und Läuten verstummten. Gegen Ende des Jahres bestand vom ganzen alten Kultus nur noch die Messe zu Recht.

So ist das Jahr 1524 eine Zeit des rücksichtslosen Niederreißens, schmerzlich für altgesinnte Gemüter. Aber man hielt darauf, dass alles in Ordnung geschah. Auch wurden die überkommenen Gottesdienste nicht etwa bloß abgeschafft; man sorgte so viel als möglich für Ersatz – aller Kultus war jetzt Predigtgottesdienst, immer auf Grund von Zwinglis Anschauung, dass der wahre Gottesdienst das Tun des göttlichen Willens sei.

Mit dem Jahr 1525 kam die Zürcher Reformation im Wesentlichen zum Abschluss. Eine Reihe neuer Ordnungen traten ins Leben: die Armenordnung, Ehesatzungen, Reformen der Pflege der Kranken u. a. In diesem Zusammenhang erfolgte auch die Abschaffung der Messe. Das letzte Bollwerk der alten Kirche fiel, und an Stelle der Messe wurde nach Zwinglis Vorschlag das Abendmahl eingeführt, als jährlich vier Mal zu begehende religiöse Gemeinschaftsfeier. Auch die gelehrte Schule zur Erziehung eines neuen Predigerstandes konnte jetzt ins Werk gesetzt werden. Zwingli wurde Schulherr und übernahm selbst die Hauptarbeit an der theologischen Lehranstalt.

Seit 1524 war der Kampf mit den Gegnern der Kindertaufe ausgebrochen. Diese stellten sich jetzt in vollen Gegensatz zu Zwingli und der öffentlichen Kirche, indem sie die Wiedertaufe einführten. Sie erstrebten eine vom Staat unabhängige Gemeinschaft der wahrhaft Heiligen. Dieser Sonderkirche gegenüber hat Zwingli die Volkskirche verteidigt. Der Kampf war überaus hart – Zwingli bezeichnet ihn selbst als härter denn den Kampf mit Rom. Zum Teil mit der Täuferei verbunden erhob sich eine Bewegung aus der erregten Bauernschaft. Es gelang, sie ohne Blutvergießen zu überwinden. Das ist hauptsächlich Zwinglis Einfluss zu verdanken.

Religiöse Kämpfe innerhalb der Schweiz

Die erste Disputation hatte die Gegensätze in der Eidgenossenschaft bedeutend verschärft. In den Städten St. Gallen, Schaffhausen, auch in Basel gewannen die Führer der neuen Bewegung an Einfluss, während in der inneren Schweiz, deren Haupt Luzern war, die Erbitterung stieg. Die Ostschweiz wandte sich dem neuen Wesen zu, und Zürich wurde auch politisch in diesen Gebieten immer einflussreicher. Die Eidgenossen beschlossen, Zwingli womöglich gefangen zu nehmen und alle Anhänger der neuen Lehre in ihren Gebieten zu strafen. Unter diesen Umständen kam doppelt viel auf das mächtige Bern an. Der in der Stadt herrschende Adel war der Reformation meistenteils abgeneigt. Diesen Vorurteilen suchte Zwingli durch die Schrift Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit entgegenzuwirken. Von überall her, auch aus Schwaben und Elsass, wandte man sich um Rat und Hilfe an den Zürcher Reformator, der damit immer mehr als das Haupt der Bewegung in der ganzen Eidgenossenschaft und über ihre Grenzen hinaus erscheint.

Zur bedrohlichen Spannung gedieh der Gegensatz im Laufe des Jahres 1524. Die Eidgenossen einigten sich zu einer gemeinsamen Botschaft nach Zürich. Dabei unterschieden die Gesandten zwischen der Obrigkeit und Zwingli, wobei dieser als der Verführer und Urheber aller Verwirrung hingestellt wurde. Doch Zürich und sein Reformator sind eins geblieben.

Das feste Vorgehen Zürichs hatte eine Scheidung innerhalb des gegnerischen Lagers zur Folge. Die fünf katholischen Orte der Innerschweiz unter Führung Luzerns trennten sich von den gemäßigten Ständen. Es entstand ein Sonderbund zur gewaltsamen Bekämpfung der Reformation. Zürich rüstete sich zur Verteidigung. Zum Kriege kam es doch nicht.

Die Ereignisse des Jahres 1525, besonders der Fall der Messe in Zürich, steigerten die Spannung in der Eidgenossenschaft aufs Neue. Die katholischen Eidgenossen schadeten ihrer Sache selber, besonders durch ihren Übermut. Das Wichtigste war, dass sie Bern empfindlich verletzten und es Zürich zutrieben. Zum endgültigen Entscheid kam es in Bern durch die Disputation vom Januar 1528. Zwinglis persönliches Erscheinen und seine Gewandtheit im Disputieren trugen das Beste zum Gelingen bei – Bern stellte seine Reformation unter Zwinglis Leitung.

So hatte Zwingli endlich das erste große Ziel erreicht. Das Zusammengehen der beiden mächtigen Stände, Zürich und Bern, gab die Gewähr, dass die Reformation nicht mehr unterdrückt werden konnte. Aber nicht nur das. Die Reformation, bisher nur von Zürich getragen, trat in das Stadium nationaler Entfaltung ein. Allmählich traten weitere Städte und Landgemeinden dem christlichen Burgrecht bei. Die reformierte Partei wurde mit der Zeit an Gebiet und Volkszahl mächtiger als die katholische. Seit dieser Zeit begann Zwingli die Umgestaltung der Eidgenossenschaft zu erwägen, im Sinne eines größeren Einflusses von Zürich und Bern, als der «zwei Ochsen, die den Karren ziehen».

Gefahrvoll häufte sich der Zündstoff von beiden Seiten an. Im Sommer 1529 kam es zu dem so genannten Ersten Kappeler Krieg. Zwingli entwarf selbst den Kriegsplan und zog mit ins Feld. Mit dreifacher Übermacht rückten die Reformierten auf. Die Gegner waren gezwungen, zu kapitulieren.

Zwinglis Einfluss reichte längst über die Schweizer Grenzen hinaus, weithin über Oberdeutschland, besonders in mächtigen Städten hielt man sich zu ihm und seiner Lehre. Aber über die Lehre, speziell über die vom Abendmahl, waren Luther und Zwingli uneins geworden. Alles kam darauf an, den Lehrgegensatz auszugleichen.

Zwingli und Luther

Martin LutherLuther und Zwingli stehen nebeneinander als die beiden primären Impulsgeber der Reformation. Gleich entschieden haben sie sich gegen die Verderbnis der Religion in der Kirche des Mittelalters aufgelehnt und ihre Persönlichkeit eingesetzt, um Christus wieder zur Herrschaft zu bringen. Das ist das Gemeinsame. Aber daneben sind sie die typischen Urheber des Gegensatzes innerhalb des Protestantismus selber. Auf sie geht die Spaltung in eine lutherische und eine reformierte Kirche zurück. Dieser Gegensatz ist begründet in der Verschiedenheit des religiösen Interesses und daneben in dem politischen und nationalen Boden, dem sie angehören. Die Auflehnung gegen die Verderbnis erfolgt von zwei verschiedenen Seiten aus.

Luther hat vorzugsweise direkt vom religiösen Gefühl aus protestiert. Bei seiner tief religiösen Anlage empfand er die Verderbnis vor allem als judaistische; sein inniges Bedürfnis nach Versöhnung und Frieden mit Gott fühlte sich gehemmt. Zwingli steht auf dem gleichen religiösen Grunde, aber sein nächstes Interesse ist das intellektuelle und sittliche, darum sein Protest vorwiegend gerichtet gegen den heidnischen Rückfall in der Kirche. Luther, als Mönch tief verstrickt in die alte Kirche, muss sich im schweren Kampf von ihr losringen. Zwingli, als Leutpriester mit dem Leben der Gemeinde verwachsen, nimmt von Anfang an eine freiere Stellung der Kirche gegenüber ein.

Verschieden war auch der politische und nationale Boden, dem die beiden Reformatoren angehörten. Dort niederdeutsches, hier oberdeutsches Wesen, dort Kaiser und Reich, hier die Republik, soeben durch ruhmreiche Freiheitskämpfe in die Reihe der modernen Nationen eingetreten. Dort der Schwerpunkt der reformatorischen Entwicklung in den Anfangsjahren, während sie seit 1526 zur Sache der einzelnen Territorien wird; hier umgekehrt im Anfang Beschränkung auf das Einzelgebiet von Zürich und ein schweres Ringen mit dem Gesamtstaat der Eidgenossen, später dagegen viel verheißender Anlauf zu nationaler Entwicklung. Daher dort bereits Defensive, hier Offensive.

Der Gegensatz zwischen den Reformatoren hat sich in der Lehre von den Sakramenten, und zwar vom Abendmahl, zugespitzt. Dazu kommt noch, dass sich für Luther und Zwingli Sinn und Bild, Sache und Zeichen zueinander verschieden verhalten. Für Luther sind die Sakramente die göttlich geordneten Organe, während Zwingli in ihnen menschliche Kultushandlungen erblickt, welche die Gnade dem Glauben darstellen und vermitteln. Bei diesen Unterschieden hat Luther überhaupt Zwinglis selbstständige Bedeutung neben ihm unterschätzt und den primären Impuls zur Reformation sich allein zugeschrieben.

Schon seit Ende 1524 begann der Streit. In einem Schreiben legte Zwingli seine von Luther abweichende Abendmahlslehre dar. Direkt gerieten die beiden Helden erst 1529 aneinander. Es galt also Ausgleichung der beiden Reformatoren um jeden Preis. Um eine solche bemühte sich lebhaft der Landgraf Philipp von Hessen. Er veranlasste das Marburger Gespräch vom Herbst 1529.

Widerwillig kam Luther, voller Freude Zwingli. Schon der Vorgespräch am 1. Oktober verlief ungünstig. Luthers Verhalten erschien hartnäckig. Er konnte sich die Vereinigung mit Gott, die sein innigstes Anliegen war, nicht denken, ohne Christus ganz zu genießen, und zur Person Christi gehörte ihm der Leib. Wie ohne den Wein, nach dem Brauch der Messe, nicht die volle Gestalt, so hatte für ihn das Sakrament ohne den leiblichen Genuss nicht den vollen Gehalt. Ganz anders Zwingli. Er findet die Gegenwart des Leibes im Brot abergläubisch, unvernünftig. Überhaupt ist Zwingli rationell und modern, ihm genügt das Geistige an der Tat Christi. Diese geistige Freiheit machte ihn weitherzig. Er vermag über die nebensächliche Differenz wegzusehen, dem Gegner im Gedanken an die große Sache, die auf dem Spiel steht, mit Tränen im Auge die Bruderhand zu reichen und zu erklären: «Es sind auf Erden keine Leute, mit denen ich lieber wollte eins sein als mit den Wittenbergern.» Luther steht auf dem engeren Glaubensstandpunkt. Er weist die Bruderhand zurück und bezeichnet zutreffend Zwinglis modernes Wesen: «Ihr habt einen anderen Geist als wir.»

Marburger Religionsgespräch. Anonymer kolorierter Holzschnitt, 1557

Marburger Religionsgespräch. Anonymer kolorierter Holzschnitt, 1557
Auf Einladung des Landgrafen Philipp von Hessen kamen im September 1529 Luther und Ulrich Zwingli, begleitet von einigen ihrer Anhänger, darunter Philipp Melanchthon, nach Marburg, um den Abendmahlsstreit beizulegen, was nicht gelang.

So war die theologische Einigung gescheitert. Man setzte wohl die 15 Marburger Artikel auf, in denen die Einigkeit in allen Hauptlehren und selbst in der Abendmahlslehre bis auf den verhängnisvollen Punkt vom leiblichen Genuss ausgesprochen ist. Aber Luther hatte keine Ruhe, den Gegensatz immer neu geltend zu machen, wodurch die politischen Vereinbarungen geschädigt wurden. Zwingli bestand auch zu einseitig auf seinem Sieg: die Wahrheit habe so offenbar überwunden, dass wenn je jemand besiegt worden sei, so sei es der hartnäckige Luther.

Der Zweite Kappeler Krieg und Zwinglis Ende

In ihrem grundlegenden Verlauf bis 1526 kann die Zürcher Reformation als das gemeinsame Werk des Reformators und des ganzen Volkes zu Stadt und Land betrachtet werden, sofern die Obrigkeit, dem schweren Druck von außen gegenüber, in den entscheidenden Momenten die Zustimmung der Zünfte und Gemeinden eingeholt hat.

Mit dieser Wendung hängt zunächst zusammen, dass das Kirchenregiment seit 1526 vollends den staatskirchlichen Charakter erhält. Zusehends befestigt sich die autoritative Stellung der Obrigkeit in Kirchensachen.

Auch im Glauben selbst musste auf Übereinstimmung gedrungen werden. Es gab in Zürich noch immer altgesinnte Elemente, und diese regten sich wieder. Hier ist es nun Zwingli selbst, der eifersüchtig wacht, dass am Sitz der Reformation kein Rückfall möglich sei. Gerade weil er sagen kann, im Gebiet von Zürich herrsche «wunderbare Übereinstimmung» im Evangelium, ist er nicht gewillt, in der Stadt eine geheime Opposition zu dulden. Einheit, «Gleichform des Glaubens» ist das ständige Ziel.

Eng mit dem Glauben ist bei Zwingli auch die Sittenzucht verbunden. Das Tun des göttlichen Willens ist ihm der wahre Gottesdienst. Witwen und Waisen werden geschützt, die Sonntagsfeier geboten, Ehebruch und Kuppelei verfolgt, Spiel und andere «Üppigkeit» abgetan. Immer dasselbe Bestreben, «in christliche Einigkeit zu kommen».

Lehre und Zucht sind Zwinglis wichtigste Anliegen geblieben bis ans Ende. In ersterer Hinsicht war und blieb die tägliche gelehrte Schriftauslegung im Großmünster der anregende und wegleitende Mittelpunkt, sowohl für Geistliche als auch für Heranbildung eines tüchtigen Nachwuchses. Was die Sittenzucht betrifft, so ist sie in Zwinglis letzten Jahren noch besonders scharf gehandhabt worden.

Ist es Zwingli gelungen, in Zürich die Erneuerung ganz nach seinen Intentionen durchzuführen, so hat er sein schweizerisches Ziel nicht ganz erreicht. Die nationale Reformation ist ein Torso geblieben.

Der Erste Kappeler Landfrieden war ein Kompromiss, einerseits dem Evangelium günstig, andererseits den vollen Sieg unterbindend. Beides tritt dann zu Tage, zuerst der Erfolg, sodass das Jahr 1530 eine weitere und starke Ausbreitung der Reformation bringt, dann aber auch die verhängnisvolle Seite, sichtbar an dem Rückschlag und der Krise von 1531.

Albrecht Dürer: Der Reformator Ulrich Zwingli, 1516Zwingli stand in der Schweiz sehr mächtig da, wie «der Bischof des ganzen Vaterlandes und das Auge des Herrn». Eine reiche Wirksamkeit hatte er jetzt nach allen Seiten zu entfalten. Er war darauf bedacht, die schweizerischen Kirchen aller Gebiete unter sich in engeren Zusammenhang zu bringen.

1531 kam es dann doch zu einem Religionskrieg in der Eidgenossenschaft, dem Zweiten Kappeler Krieg zwischen Zürich und den katholischen Kantonen Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug. Am 11. Oktober 1531 unterlagen die Zürcher in der Schlacht bei Kappel.

Selten wird ein so wichtiger kriegerischer Entscheid durch so wenig Volk ausgefochten worden sein wie zu Kappel. Die äußeren Vorgänge der Schlacht sind nebensächlich, der ganze Verlauf auf zürcherischer Seite ein schlagender Beweis, wie im Krieg die ersten Fehler alle folgenden erzeugen und durch keine Tapferkeit mehr wettzumachen sind. Zwingli, nach altem Brauch und weil er beim Volk besonderes Ansehen genoss, stand während des Kampfes im dritten Glied. Durch Stich und Wurf verwundet, blieb er unter den Toten liegen. Als ihn die Feinde fanden, sah er staunend gen Himmel. Sie forderten ihn auf, zu beichten; er schüttelte verneinend das Haupt. Ein Unterwaldner versetzte ihm zornig den Todesstreich. Der rohe Haufen verlangte ein Kriegsgericht über den Leichnam: Als Verräter der Eidgenossenschaft wird der tote Zwingli vervierteilt und als Ketzer zu Asche verbrannt.

So ist Zwingli gestorben als ein Held, tapfer wie im ganzen Leben. Wenn man es im Altertum als eine Kunst der Götter ansah, auf der Höhe des Lebens eines ruhmwürdigen Todes zu sterben, so hat auch für Zwinglis Andenken diese Treue im Tode wohl nachhaltiger gewirkt als ein weiteres Leben. Sie wird ihm unvergessen bleiben, solange es ein Gefühl für geschichtliche Größe gibt.

Zwingli: Das historische und persönliche Bild

Zwingli ist lange Zeit zurückgesetzt worden, heute ist seine Bedeutung wieder mehr zur Geltung gelangt, als des anderen primären Impulsgebers der Reformation neben Luther. Luthers Größe bleibt unberührt. Seine Genialität vermissen wir bei Zwingli. Aber auch seine Einseitigkeit: Zwingli vereinigt mit dem Religiösen das Humane, mit philosophischer und politischer Begabung gewaltige Tatkraft und praktisches Geschick in schöner Harmonie.

Zwingli bleibt eine hervorragende geschichtliche Erscheinung. Nicht zuletzt kommt in Betracht das Zeugnis eines so weisen Zeitgenossen wie Heinrich Bullinger (1504–1575), Zwinglis Nachfolger. Kurz nach der Schlacht hat er eine feierliche Gedächtnisrede auf den Gefallenen gehalten und dabei seinen Eindruck in dem schlichten Urteil zusammengefasst: «Alles an diesem Manne war groß.»

Neben dem historischen sei noch das persönliche Bild Zwinglis in den Hauptzügen gezeichnet. Beiläufige spärliche Äußerungen von Zeitgenossen melden, Zwingli sei ein stattlicher Mann von starkem und gesundem Körperbau gewesen, «nach Leibesform eine schöne, tapfere Person, ziemlicher Länge, sein Antlitz freundlich».

Geistig erscheint Zwingli allseitig reich begabt. Alle Seelenkräfte verbinden sich bei ihm harmonisch. Die Freunde rühmen seinen klaren Verstand, seine Gelehrsamkeit, seine Gewandtheit im Disputieren. In geistlichen und weltlichen Händeln war er klug und vorsichtig, im Gespräch schlagfertig und witzig. Seine Willenskraft erfüllt sein ganzes Wirken. Die Glarner rühmten seine Tapferkeit an den Schlachten. Bullinger lobt seine Selbstbeherrschung in Essen und Trinken, seinen ausdauernden Fleiß im Studium bei wohl geordneter Einteilung der Zeit. Man erzählt von seinem Brauch, des Winters in ungeheizter Stube zu studieren, um sich den Schlaf fernzuhalten. Man preist seine treue und bescheidene Art, seinen Ernst und seine Standhaftigkeit. Von allen Seiten wird seines freien und fröhlichen Gemütes gedacht.

Er konnte leicht aufbrausen, aber er trug nichts lange nach, «neidig und hässig» war er nicht. Auch Rührung bis zu Tränen übernahm ihn etwa, im häuslichen Kreise und in großen Momenten seines öffentlichen Wirkens. Seine Erholung war die Musik. Vieler Instrumente kundig, war er auf der Laute ein «verrühmter Meister» und besaß ein bedeutendes Talent im Komponieren. Poetische Begabung zeigen seine Lieder, die Pestlieder, das Kappelerlied, einst weit und breit auch an Fürstenhöfen gesungen und geblasen.

Alle diese Gaben entfalteten sich am schönsten in der Predigt. Durch und durch voll Leben, dabei einfach, ohne Wortgepränge und gut zu merken, im Strafen ernst und doch väterlich, im Trösten anmutig und lieblich, wurde Zwingli von jedermann gern gehört und seine Predigt in Zürich jeder anderen vorgezogen.

Alles in allem zeigt sich uns das Bild einer überaus tüchtigen und gewinnenden Persönlichkeit, und das Ebenmaß der Kräfte, das sein öffentliches Wirken verrät, spiegelt sich in den zerstreuten kleinen Zügen wider, welche die Freunde aus dem täglichen Umgang überliefern.

Aus: Allgemeine Deutsche Biographie. Duncker & Humblot, Leipzig. Bd. 45, S. 547–575 (stark gekürzt).

Ulrich Zwingli, Reformator
Zeittafel

Denkmal Ulrich Zwinglis vor der Wasserkirche in der Stadt Zürich1484 1. Januar: Geburt Zwinglis in Wildhaus (Toggenburg).

1489–1494 Aufenthalt und frühe Ausbildung bei seinem Onkel in Weesen am Walensee.

1494–1498 Besuch der Lateinschule in Basel und Bern.

1498–1506 Studium an den Universitäten Wien und Basel. Abschluss als Magister Artium.

1506 Priester in Glarus.

1513–1515 Als Feldprediger mit den Glarner Truppen in Novara und in Marignano.

1516 Persönliche Begegnung mit Erasmus von Rotterdam in Basel. November: Leutpriester in Einsiedeln.

1519 1. Januar: Leutpriester am Großmünster in Zürich. September–November: Erkrankung an der Pest.

1520 Pestlied.

1521 29. April: Wahl zum Chorherrn. Zürichs Ablehnung einer Soldallianz mit Frankreich.

1522 9. März: «Wurstessen» im Hause Christoph Froschauers. 7.–9. April: Disputation mit einer Delegation des Bischofs von Konstanz. 16. April: die freie Wahl der Speisen. 21. Juli: Disputation mit Bettelmönchen. 6. September: Die Klarheit und Gewissheit des Wortes Gottes.

1523 29. Januar: erste Zürcher Disputation (Zwinglis 67 Thesen). 14. Juli: Auslegung und Begründung der Thesen oder Artikel. 30. Juli: Göttliche und menschliche Gerechtigkeit. 1. August: Wie Jugendliche aus gutem Hause zu erziehen sind. 26.–28. Oktober: zweite Zürcher Disputation (über Bilder und Messe).

1524 26. März: Der Hirt. 2. April: Trauung mit Anna Reinhardt. 8. April: Zusammenschluss der Fünf Orte in Beckenried zur Abwehr der Reformation. 2. Mai: Eine freundschaftliche und ernste Ermahnung der Eidgenossen. 8.–15. Juni: Anordnungen zur Entfernung der Bilder und Statuen aus den Kirchen Zürichs. 18. Juli: Sturm auf die Kartause Ittingen. Dezember: Empfehlungen zur Vorbereitung auf einen möglichen Krieg.

1525 Aufhebung der Klöster in Zürich. 21. Januar: erste Erwachsenentaufe. März: Kommentar über die wahre und falsche Religion. April: Ernennung zum Schulherrn. 13. April: Einführung der Abendmahlsfeier. April–Mai: Bauernunruhen auf der Zürcher Landschaft. 10. Mai: Erlass der Ehegerichtsordnung.

1526 28. März: Erlass einer Feiertagsordnung. 19. Mai–9. Juni: Disputation von Baden (ohne Beteiligung Zwinglis).

1528 6.–26. Januar: Berner Disputation. 7. Februar: Reformation in Bern. 21. April: Durchführung der ersten Kirchensynode in Zürich.

1529 1. April: Reformation in Basel. 22. April: «Christliche Vereinigung» der Fünf Orte mit Ferdinand I. 26. Juni: Erster Kappeler Landfrieden. 1.–4. Oktober: Marburger Gespräch mit Luther.

1531 Lebensmittelsperre gegen die Fünf Orte. Juli: Rücktrittsangebot Zwinglis. Juli: Erklärung des christlichen Glaubens. 11. Oktober: Schlacht bei Kappel und Tod Zwinglis.